L 15 SB 86/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 SB 534/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 86/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bei der Klägerin, die an Mukoviszidose leidet, von 80 auf 30 herabgesetzt werden durfte.

Bei der am 1983 geborenen Klägerin wurde erstmals mit Bescheid vom 17.05.1984 wegen der Behinderungen "Mukoviszidose, Dünndarmresektion" eine MdE von 80 v.H. nach dem SchwbG festgestellt sowie das Merkzeichen "H" zuerkannt. Eine Nachprüfung von Amts wegen Anfang 1993 ergab keine wesentliche Änderung. Ein gleichzeitig von der Mutter der Klägerin gestellter Leidensverschlimmerungsantrag wurde mit Bescheid vom 16.04.1993 abgelehnt.

Im Rahmen einer erneuten Nachprüfung von Amts wegen Anfang 2000 zog der Beklagte einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.S. sowie einen Arztbrief des Behandlungszentrums für Mukoviszidose im Dr. H. Kinderspital der Universität M. vom 07.02.2000 bei. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr.G. vom 17.02.2000 erging ein Anhörungsschreiben des Beklagten, in dem darauf hingewiesen wurde, dass beabsichtigt sei, wegen eingetretener Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse den GdB von 80 auf 30 herabzusetzen und das Merkzeichen "H" zu entziehen. In ihrem Antwortschreiben wandte die Mutter der Klägerin ein, ihre Tochter leide an einer stetig fortschreitenden Krankheit, die Organe wie Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber zerstöre; sie müsse zur Verzögerung dieses Prozesses zwei- bis dreimal täglich inhalieren und entsprechende Medikamente einnehmen. Seit ein paar Jahren habe sie auch eine Allergie auf Aspergillus, Staub und blühende Gräser, die zu Atemnot und zeitweise zu Flecken an Armen und Beinen führe und mit Cortison behandelt werden müsste. Auch für ihre gestörte Verdauung müsse sie Antibiotika, Gallensäuren, Enzyme und Vitamine einnehmen und eine besondere fettarme, nicht sehr zuckerhaltige Diät einhalten. Sie leide häufig unter Bauchweh und neige zu Verstopfungen oder zu Durchfällen. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr.H. erging am 03.04.2000 ein Änderungsbescheid nach § 48 SGB X, in dem bei gleichbleibenden Behinderungen der GdB ab Bekanntgabe des Bescheids auf 30 herabgesetzt und das Merkzeichen "H" entzogen wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und trug zur Begründung vor, dass die "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz"- AP (Ausgabe 1983) S.91 selbst bei nur geringgradigen Beeinträchtigungen des pulmonalen und intestinalen Bereichs einen GdB von mindestens 50 bis 60, bei Erkrankungen - wie hier - mittleren bis schweren Grades sogar einen GdB von 70 bis 100 vorsähen. Eine Herabsetzung des GdB von 80 auf 30 sei daher nicht gerechtfertigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2000 wurde ausgeführt, die Herabsetzung des GdB befinde sich in Übereinstimmung mit den im Jahre 1996 neu gefassten AP.

Mit Schriftsatz vom 10.07.2000 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben und zusätzlich zu den bisherigen Argumenten vorgetragen, es liege geradezu ein Verstoß gegen Denkgesetze vor, wenn bei einer progredienten Erkrankung nach über 16 Jahren der Grad der Behinderung herabgestuft werde. Mit Schriftsatz vom 16.08.2000 ist ergänzend vorgetragen worden, dass bei der Klägerin eine Doppelbehinderung im pulmonalen und intestinalen Bereich vorliege. Die Erkrankung der Lunge sei auch Folge einer chronischen Pseudomonas-aeruginosa-Infektion, ferner einer allergischen Reaktion mit asthmoiden Symptomen. Außerdem bestünden behandlungsbedürftige intestinale Komplikationsbefunde mit Ileuszuständen und einem DIOS bei beginnender Leberschädigung. In einer beigefügten Bestätigung des Behandlungszentrums für Mukoviszidose vom 04.08.2000 werde deshalb ein GdB von mindestens 50 befürwortet. Der Beklagte habe fälschlicherweise nur auf den gegenwärtigen Zustand der Behinderung abgestellt. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.03.1998 seien zusätzliche prognostische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Schließlich sei die Bewertung des Krankheitsbildes Mukoviszidose in den erst im Jahre 1996 geänderten AP völlig unzureichend, wenn nur auf die Einschränkung der Lungenfunktion abgestellt werde. Es müssten auch die zusätzlichen schweren sozialen und seelischen Auswirkungen der progredienten Erkrankung beachtet werden.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr.W. vom 11.09.2000 ist darauf hingewiesen worden, dass in den Berichten des Dr. H. Kinderspitals von 1989 und 1990 sowie vom Februar 2000 von einem relativ guten, später sehr guten Gesundheitszustand der Klägerin berichtet worden sei. Bereits 1990 seien regelmäßige körperliche Aktivitäten (Ballettunterricht) möglich gewesen, nach dem neuesten Bericht werde weiterhin aktiver Sport betrieben, die Lungenfunktion habe sich normal gezeigt, Bauchbeschwerden seien negiert worden, gelegentliche Inhalationen seien durchgeführt worden. Diese Berichte würden nicht mit den klägerseitigen Ausführungen übereinstimmen. Nach dem Schwerbehindertengesetz könne nicht die Prognose, sondern nur der derzeit tatsächlich vorliegende Leidenszustand berücksichtigt werden.

Nach Beiziehung eines ausführlichen Befundberichts des Behandlungszentrums für Mukoviszidose vom Oktober 2000 hat das Sozialgericht den Internisten und Lungenfacharzt Dr.P. mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 13.03.2001, in dem auch ein weiterer Arztbrief des Behandlungszentrums für Mukoviszidose vom 06.03.2001 berücksichtigt worden ist, hat Dr.P. im Rahmen eines Hausbesuchs bei der Klägerin einen sehr guten Allgemeinzustand festgestellt. Trotz der häufig rezidivierenden Infekte im Bereich der Lunge, des Asthma bronchiale seit 1994 und einer Allergie gegen Aspergillus, Gräser, Hundehaare und Hausstaub habe die Untersuchung einen Normbefund der Lungenfunktion ergeben und im Röntgenbild nur mäßig ausgeprägte mukoviszidose-typische Veränderungen der Lunge. Zum Untersuchungszeitpunkt habe im Bereich des Magen-Darmtraktes nur eine geringe Beschwerdesymptomatik bestanden. Nach den neuen AP (1996, S.120) sei ein GdB von 30 gerechtfertigt, da die Lungenfunktion zum Untersuchungszeitpunkt nicht eingeschränkt gewesen sei und im Übrigen die Voraussetzungen nach den AP für einen GdB von 30 bis 40 bei "Mukoviszidose: unter Therapie Aktivitäten und Lungenfunktion leicht eingeschränkt, Gedeihen und Ernährung noch altersgemäß" zuträfen.

Ein von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.04.2001 gestellter Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist mit Schriftsatz vom 10.05.2001 wieder zurückgenommen worden, da ein geeigneter Gutachter nicht zur Verfügung stehe. Es fehle im Übrigen im Sachverständigengutachten eine kritische Auseinandersetzung mit den seit 1996 geänderten AP. Hinsichtlich der Aberkennung des Merkzeichens "H" hat die Klägerin in diesem Schriftsatz die Klage zurückgenommen.

Daraufhin hat das Sozialgericht Regensburg mit Urteil vom 26.07.2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf das Gutachten von Dr.P. Bezug genommen und hervorgehoben, dass die AP nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts (BSG) im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten nicht ignoriert werden könnten und nur eingeschränkter richterlicher Kontrolle unterlägen, soweit sie nicht dem Gesetz oder dem gegenwärtigen Kenntnisstand in der sozialmedizinischen Wissenschaft widersprächen oder ein Sonderfall vorliege.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vor allem vorgetragen, das Gericht habe nicht einfach auf die Neufassung der AP 1996 verweisen dürfen; die zitierte Entscheidung des BSG vom 23.06.1993 bzw. vom 11.10.1994 beziehe sich nicht auf die Anhaltspunkte "1996", sondern auf die vorhergehenden - klägerseits nicht beanstandeten - früheren AP. Ein GdB von 30 werde dem progredienten Krankheitsverlauf und den vielfältigen Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin einschließlich des hohen täglichen Therapieaufwands nicht gerecht. Das Sozialgericht habe sich nicht mit dem hier einschlägigen Urteil des BSG vom 11.03.1998 auseinandergesetzt.

Mit richterlichem Schreiben vom 09.10.2001 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass das Urteil des BSG vom 11.03. 1998 zum Merkzeichen "aG" ergangen sei und keine generelle Abkehr vom Grundsatz enthalte, dass es im Schwerbehindertenfeststellungsverfahren nur auf die jeweils aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen ankomme. Außerdem ist ihr ein Rundschreiben des Bayerischen Landesamts für Versorgung und Familienförderung über ein Beratungsergebnis des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Sektion "Versorgungsmedizin", vom 10.04.1991 betreffend Hilflosigkeit bei Kindern mit Mukoviszidose gemäß den AP 1996 (Nr.22 Abs.4m, S.41) übersandt worden. Mit Schriftsatz vom 09.11.2001 hat die Klägerin erwidert, das übersandte Rundschreiben betreffe nur das Merkzeichen "H" bei Kindern mit Mukoviszidose; es enthalte keine Begründung für eine veränderte Einstufung bei der MdE-Beurteilung für die Erkrankung. Mit gerichtlichem Schreiben vom 14.11.2001 ist erläutert worden, dass das BSG-Urteil vom 11.10.1994 sich speziell mit Änderungen der AP befasst habe und sie als so bedeutsam wie Änderungen der rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X angesehen habe.

Der Beklagte hat versorgungsärztlich durch den Internisten Dr.S. prüfen lassen, ob im Hinblick auf die bei der Klägerin bestehende Pseudomonas-aeruginosa-Infektion sowie die Pollenallergie mit zeitweisen asthmoiden Symptomen ein höherer Gesamt-GdB gerechtfertigt sei. Dr.S. hat dies in seiner Stellungnahme vom 06.12.2001 verneint, da die erstgenannte Infektion bei etwa 60 % der Mukoviszidosepatienten im Alter von 15 Jahren bereits bestehe; eine Pollenallergie mit saisonalen Beschwerden werde nach den AP mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Die Lungenfunktionsbefunde für die pulmonale Verlaufsform der Mukoviszidose seien initial denen sehr ähnlich, die bei Asthma bronchiale vorkämen. Auch seien weitgehende Überschneidungen vorhanden.

Mit Schriftsatz vom 06.12.2001 hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass mangels dramatischer Änderungen der Therapie und Prognose bei der Mukoviszidoseerkrankung eine Änderung der GdB-Einschätzung im Sinne des § 48 SGB X durch die AP 1996 nicht gerechtfertigt erscheine. Die nunmehr geringere Bewertung der Mukoviszidose lege einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nahe, insbesondere deshalb, weil eine isolierte Asthmaerkrankung höhere MdE-Werte als die streitgegenständliche Erkrankung aufweise.

Im Erörterungstermin am 11.12.2001 hat die Klägerin einen Vergleich auf der Basis eines GdB von 50 angeregt, dem der Beklagtenvertreter nicht zugestimmt hat. Die Beteiligten haben sich einverstanden erklärt, dass die Entscheidung im schriftlichen Verfahren erfolgt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 26.07. 2001 und den Änderungsbescheid des Beklagten vom 03.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2000 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin weiterhin einen GdB von 80 festzustellen, hilfsweise, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die Akte des vorangegangenen Streitverfahrens vor dem Sozialgericht Regensburg sowie die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach §§ 143, 151 SGG zulässig; sie erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 03.04.2000, mit dem der Beklagte den GdB auf 30 herabgesetzt hat, abgewiesen. Es ist eine wesentliche tatsächliche und rechtliche Änderung der für die Einschätzung des GdB maßgeblichen Verhältnisse eingetreten. Die Einschätzung des GdB mit 30 entspricht den zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 03.04.2000 geltenden AP 1996.

Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei den Feststellungsbescheiden nach dem SchwbG handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr.57 und BSG SozR 1300 § 48 Nr.13).

Vergleichsbescheid ist der Bescheid vom 17.05.1984, mit dem erstmals bindend eine MdE von 80 v.H. aufgrund der Mukoviszidoseerkrankung mit Dünndarmresektion festgestellt worden war. Damals standen bei der wenige Monate alten Klägerin nach zwei erfolgreichen Darmoperationen die pulmonalen Therapien (mindestens zweimal tägliches Abklopfen der Lunge) im Vordergrund. Nach den AP 1983 Nr.26.15 wurde die MdE für eine Mukoviszidoseerkrankung mit pulmonalen und/oder intestinalen Symptomen mittleren Grades auf 80 v.H. eingeschätzt bei einem vorgegebenen Einstufungsrahmen von 70 bis 80 v.H.

Der streitgegenständlichen Herabsetzung des GdB auf 30 durch Änderungsbescheid vom 03.04.2000 lag u.a. ein Arztbericht des Behandlungszentrums für Mukoviszidose vom 07.02.2000 zugrunde, in dem ein guter Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin im Dezember 1999 mit einem Gewicht von 56 kg bei einer Größe von 164 cm geschildert wurde, ferner ein sehr guter klinischer und pulmonaler Zustand mit nur einigen kleineren Infekten der oberen Luftwege im Jahr 1999 sowie 1 normalen Stuhlgang pro Tag ohne Bauchschmerzen. Die Klägerin habe aktiv Sport betreiben, insbesondere zweimal pro Woche Volleyball spielen und Inline scaten können.

In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht geht der Senat davon aus, dass - u.a. auch in Anbetracht der (abgesehen von Infekten und allergischen Komplikationen) grundsätzlich nicht eingeschränkten Lungenfunktion - das nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstellte Gutachten des Dr.P. vom 13.03.2001 und die Arztberichte des Behandlungszentrums für Mukoviszidose eine wesentliche Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin gegenüber dem Bescheid vom 17.05.1984 belegen.

Die Neufeststellung des GdB mit 30 beruht aber nicht nur auf einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin, sondern auch auf einer generell niedrigeren Neubewertung des GdB von an Mukoviszidose Erkrankten im Zuge der Neufassung der AP im Jahre 1996. Anders als in den AP 1983, als auch für eine Mukoviszidoseerkrankung geringen Grades (geringgradige Bronchitis, nahezu normale Stühle, noch altersentsprechende körperliche Entwicklung) eine Mindest-MdE von 50 bis 60 v.H. vorgesehen war, bestimmen nunmehr seit 01.01.1997 die AP 1996 einen Mindest-GdB von 20, wenn unter Therapie die Aktivitäten, das Gedeihen und die Ernährung altersgemäß erscheinen. Auch wenn unter Therapie die Aktivitäten und Lungenfunktion leicht eingeschränkt, Gedeihen und Ernährung aber noch altersgemäß sind, kann nach den neuen AP die Schwerbehinderteneigenschaft nicht festgestellt, sondern lediglich ein GdB von 30 bis 40 vergeben werden.

Im Hinblick auf die in den Berichten des Behandlungszentrums für Mukoviszidose dokumentierten Befunde aus den letzten Jahren und die Feststellungen des Sachverständigen Dr.P. , die sämtlich einen altersgemäßen stabilen Zustand und eine gute Lungenfunktion bestätigen, hält der Senat mit dem Sachverständigen einen GdB von 30 für angemessen.

Die Pseudomonas-aeruginosa-Infektion der Lunge und die allergische bronchopulmonale Aspergillose führen zu keiner höheren GdB-Einschätzung. Wie Dr.S. in seiner im Wege des Urkundenbeweises verwerteten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.12.2001 nachvollziehbar dargelegt hat, ist die Pseudomonas- aeruginosa-Infektion der Lunge keine gesondert zu bewertende Funktionsbeeinträchtigung, da die Mehrzahl der an Mukoviszidose Erkrankten unter dieser Infektion leidet. Eine wesentliche zusätzliche Gesundheitsbeeinträchtigung, durch welche die funktionellen Auswirkungen einer Mukoviszidose erheblich verstärkt würden, wird durch sie nicht bedingt. Ein Bronchialasthma, wie es z.B. durch eine Pollenallergie oder durch die bei der Klägerin diagnostizierte allergische bronchopulmonale Aspergillose (seit 1995) hervorgerufen werden kann, wird nach den AP 1996 Nr.26.8 auf S.84 bei seltenen (saisonalen) und/oder leichten Anfällen nur mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Nach Auffassung des Senats ist Dr.S. zuzustimmen, wenn er im Hinblick auf das Gutachten von Dr.P. , der auch diese gesundheitliche Komplikation der Klägerin in seinem Gutachten berücksichtigt hat, insgesamt keinen höheren Gesamt GdB als 30 für begründbar hält. Im Übrigen setzen die AP 1996 auf Seite 83 bei der Bewertung von Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion für die Bewertung mit GdB 50 bis 70 eine bei der Klägerin nicht vorliegende das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Treppensteigen bis zu einem Stockwerk) voraus. Auch aus diesem Vergleich zeigt sich im Gegensatz zum Vortrag der Klägerin, dass eine GdB-Einschätzung mit 50 nicht gerechtfertigt wäre.

Der Beklagte hat zwar in seinem Anhörungsschreiben vom 23.02. 2000 die Klägerin nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die beabsichtigte Herabsetzung des GdB von 80 auf 30 auch durch die Änderung der Anhaltspunkte bedingt sei; eine entsprechende Begründung fehlt auch im angefochtenen Bescheid. Diese nach §§ 24 Abs.1 und 35 Abs.1 Satz 2 SGB X erforderlichen Formalien wurden aber entsprechend § 41 Abs.1 Nrn.2 und 3 in Verbindung mit Abs.2 SGB X in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 21.12.2000 (BGBl. I S.1977, 2000) im Berufungsverfahren nachgeholt (vgl. gerichtliche Schreiben vom 09.10./14.11.2001, Schriftsätze des Beklagten vom 22.11.2001 sowie der Klägerin vom 09.11./06.12.2001), etwaige Verfahrensfehler sind damit geheilt.

Der Beklagte hat die im Vergleich zu 1983 erfolgte Änderung der AP 1996 unter Nr.25.15 auch mit Recht berücksichtigt, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11.10. 1994, SozR 3-3870 § 3 Nr.5) Änderungen der AP wie Änderungen der rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X anzusehen und grundsätzlich von der Verwaltung und auch den Gerichten im Interesse einer Gleichbehandlung aller Behinderten zu beachten sind (siehe hierzu auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.03.1995, SozR 3-3870 § 3 Nr.6).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Neufassung der AP 1996 unter 26.15 hinsichtlich der Mukoviszidose dem gegenwärtigen Kenntnisstand der sozialmedizinischen Wissenschaft, einem Gesetz, dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder allgemeinen Denkgesetzen widerspricht. Nur unter diesen Voraussetzungen könnte der Senat von den AP 1996 abweichen (vgl. BSG-Urteil vom 11.10.1994 a.a.O.). Wie aus dem genannten Beschluss des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 10.04.1991 hervorgeht, hatte sich bereits damals die Prognose des chronischen Leidens deutlich verbessert und zwar sowohl durch weiterentwickelte medizinisch-technische Maßnahmen als auch durch eine geeignetere therapeutische und pflegerische Betreuung. Daraus folgt, dass bei den an Mukoviszidose Erkrankten hinsichtlich Lebensqualität und körperlicher Funktionsfähigkeit bessere therapeutische Ergebnisse erreichbar sind als früher und dass deshalb eine größere Bandbreite der GdB-Bewertung auch im Bereich unter GdB 50 gerechtfertigt ist. Im Hinblick auf Funktion und Fachkompetenz des Sachverständigenbeirats besteht auch kein Zweifel, dass die Änderung der AP im streitgegenständlichen Zusammenhang ab 1997 den neuesten medizinischen Erkenntnissen entspricht, zumal sich dieser auf seiner Tagung am 08./09.11.2000 nochmals mit der Bewertung der Mukoviszidose-Erkrankung befasste und und dabei nur die GdB/MdE-Einteilung für die mittelgradigen und schweren Erscheinungsformen (neu: GdB 50 bis 70 bzw. 80 bis 100) geringfügig änderte, die GdB-Werte im Bereich unter 50 aber unverändert ließ.

Wenn auch die Klägerin nach den AP 1983 trotz ihres gebesserten gesundheitlichen Zustands noch Anspruch auf den Mindest-GdB von 50 gehabt hätte, die AP 1996 jedoch nur noch einen GdB von 30 zulassen, kann daraus nicht die Unstimmigkeit des Gesamtbewertungsgefüges der AP 1996 gefolgert werden. Die AP 1996 haben auch in anderen Bereichen ähnlich "dramatische" Änderungen zu Ungunsten der Berechtigten gebracht: z.B. unter 26.10, S.96 wird die Totalentfernung des Magens ohne Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands mit GdB 20 bis 30 bewertet gegenüber AP 1983 S.74 mit mindestens 50 bis 80 v.H.; die Colitis ulcerosa/Crohn-Krankheit mit geringer Auswirkung wird jetzt nur noch mit GdB 10 bis 20 gegenüber früher GdB 20 bis 40 bewertet. Auch das Argument der Klägerin, wonach die ungünstige Prognose Berücksichtigung finden müsse, trifft nicht zu. Nach § 3 SchwbG bzw. § 2 SGB IX kommt es nur auf die aktuelle Funktionsbeeinträchtigung und nicht auf erst in der Zukunft zu erwartende Gesundheitsstörungen an. Letztere sind bei der GdB-Beurteilung nicht zu berücksichtigen (so ausdrücklich AP 1996 Nr.18 Abs.7). Das von der Klägerin zitierte BSG-Urteil zum Merkzeichen "aG" widerlegt diesen Grundsatz nicht. Auch hier wird verlangt, dass der Schwerbehinderte bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus medizinischen Gründen einen Rollstuhl benutzen soll, um einer alsbaldigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorzubeugen.

Eine höhere Bewertung als sie dem tatsächlichen Gesundheitszustand entspricht, wie im Zeitraum einer Heilungsbewährung bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, ist bei der Mukoviszidose nicht angebracht. Die Anhaltspunkte berücksichtigen unter Nr.26.16 bei der HIV-Infektion ebenfalls nicht die ungünstige Prognose; so ist für eine HIV-Infektion ohne klinische Symptomatik ein GdB von 10, bei einer HIV-Infektion mit klinischer Symptomatik und geringer Leistungsbeeinträchtigung ein GdB von 30 bis 40, ansteigend bis zum Aids-Vollbild mit einem GdB von 100 vorgesehen.

Eine Entscheidung im Sinne des Hilfsantrags der Klägerin konnte nicht ergehen, da es sich weder um eine Ermessensentscheidung des Beklagten handelte - nach § 48 Abs.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Falle einer wesentlichen Änderung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben -, noch um eine fehlerhafte Entscheidung.

Aus diesen Gründen musste die Berufung als unbegründet zurückgewiesen werden.

Nach § 124 Abs.2 SGG konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.

Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 183, 191 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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