L 3 U 107/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 262/90
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 107/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 07.09.1998 wegen einer Berufskrankheit nach Nr.2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. seit 01.12.1988 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klagepartei zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit und Gewährung entsprechender Verletztenrente streitig.

Der am 1929 geborene Kläger war vom 01.04.1944 bis 10.09.1955 als Eisendreher, Monteur und Konstrukteur in metallverarbeitenden Betrieben sowie vom 15.09.1955 bis 30.09.1956 als Werkmeister in einer Strumpffabrik beschäftigt. Ab dem 06.12.1956 bis 31.07.1989 war er als Inhaber bzw. -bei wechselnden Rechtsformen- als Geschäftsführer einer Strumpffabrik (Lohnstrickerei) tätig. Er führt seine Schwerhörigkeit auf die 30jährige Tätigkeit als Inhaber der Strumpffabrik bis 31.07.1989 zurück.

Mit Schreiben vom 24.05.1986 machte er sinngemäß die Entschädigung einer Schwerhörigkeit geltend, die er auf die fortwährende Einwirkung des durch die Rund-Strickmaschinen verursachten Lärms während seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit zurückführte. Der HNO-Arzt Dr.K. (W.) hat mit Berufskrankheitsanzeige vom 12.09.1986 im April 1986 beim Kläger eine symmetrische Hochtonschwerhörigkeit diagnostiziert.

Die Beklagte hat nach Einholung von Auskünften der AOK Weiden und der Inter-Krankenversicherungs-AG (Bayreuth) über die Mitglieds- und Krankheitszeiten des Klägers und Durchführung einer Lärmmessung in der Strumpffabrik am 10.02.1987, Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr.K. (Bayerisches Landesinstitut für Arbeitsmedizin, Zweigstelle N.) vom 20.05.1987 mit Bescheid vom 05.08.1987 es abgelehnt, die Gehörschädigung als Berufskrankheit anzuerkennen, weil der Gehörschaden nach dem Tonaudiogramm vom 25.04.1986 keine MdE von wenigstens 20 v.H. verursacht habe. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft, Bezirksverwaltung Nürnberg, vom 05.02.1987 und der Sicherheitsabteilung der Beklagten vom 23.02.1987 sei der Kläger nur in der Zeit vom 01.04.1944 bis 30.09.1944 und vom 14.09.1954 bis 30.09.1956 Lärm mit einem Beurteilungspegel von über 85 dB(A) bzw. von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. In der Tätigkeit ab dem 06.12.1956 im eigenen Betrieb bzw. als Geschäftsführer sei er aber unter Berücksichtigung des wechselnden Einsatzes während der Arbeitszeit -bis Mitte 1985 70 % für Büroarbeit/Außendienst, 30 % an den Strickmaschinen, ab Mitte 1985 10 % für Büroarbeit/Außendienst, 90 % an den Strickmaschinen- nur einer Lärmeinwirkung mit einem Beurteilungspegel von unter 80 dB(A) ausgesetzt gewesen.

In dem gegen den Bescheid vom 05.08.1987 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die von der Beklagten zugrunde gelegte Exposition gegenüber Lärm sei unzutreffend. Denn er sei wegen Arbeitskräftemangels zur Bewältigung der Arbeiten seit Sommer 1985 täglich mindestens 11 bis 12 oder mehr Stunden im Maschinenraum tätig und dabei Lärm von ca. 80 dB ausgesetzt gewesen. Wegen dieser beruflichen Überlastung habe sein Gehörschaden seit dem Audiogramm von April 1986 so zugenommen, dass die lärmbedingte MdE mehr als 20 v.H. betrage. Nach Einholung eines Gutachtens des Prof.Dr.T./Dr.O. , HNO-Klinik im Klinikum der Stadt N. , vom 12.01.1988, die einen berufsbedingten Hörverlust nicht hinreichend wahrscheinlich erachteten, sondern die Hörstörung überwiegend lärmunabhängigen Ursachen anlasteten und eine BK-bedingte MdE verneinten, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.1988 zurück. Im anschließenden Klageverfahren (Az.: S 4 U 110/88), in dem sich der Kläger auf das vorgelegte Attest des Dr.K. vom 08.09.1988 stützte, wonach seine Gehörschädigung auf die berufliche Lärmbelästigung zurückzuführen sei und eine rentenberechtigende MdE erreiche, verwies der Kläger erneut darauf, dass im vorliegenden Fall der gehörschädigende Grenzbereich schon bei unter 85 dB erreicht würde. Bei der Lärmmessung am 10.02.1987 durch die Sicherheitsabteilung der Beklagten seien wegen Kurzarbeit nur 30 von 72 Maschinen gelaufen. Die Messung sei daher bei zu 50 % ruhenden Maschinen vorgenommen worden. Bei Berücksichtigung einer Frequenz von 3000 Hz in seinem Betrieb sei der gehörschädigende Bereich mit Sicherheit erreicht gewesen.

Das Sozialgericht hat -auf Antrag des Klägers (§ 109 SGG)- ein Gutachten des Dr.K. vom 06.02.1989 eingeholt. Dieser hat beim Kläger eine annähernd symmetrische, in erster Linie Hochtonperzeptionsschwerhörigkeit beidseits mit Beteiligung des Tief- und Mitteltonbereichs diagnostiziert und hierfür eine MdE um 20 v.H. angesetzt. Obwohl der Lärmexpositionspegel, dem der Kläger ausgesetzt gewesen sei, an sich als noch nicht gehörschädigend angesehen werde, komme es doch in nicht seltenen Fällen bei extrem langer Lärmexposition, wie hier von 32 Jahren, sowie bei einer täglichen Lärmexpositionsdauer von mehr als 10 Stunden durchaus auch zu einem bleibenden Haarzellschaden. Zwar sei auch ein zusätzliches Geschehen degenerativer Art für die Schwerhörigkeit zu diskutieren, bei der vorliegenden Schwerhörigkeit trete diese jedoch in den Hintergrund. Dr.K. hat die lärmbedingte Schwerhörigkeit mit 15 v.H. eingeschätzt, nach Einwendungen vor allem seitens des Klägers, der sich auch auf Stellungnahmen der Firma K.-Lärmschutztechnik (E. ) stützte, in der ergänzenden Stellungnahme vom 04.08.1989 jedoch die BK- bedingte MdE nunmehr mit 20 v.H. eingeschätzt. Unter Vorlage von Stellungnahmen der Sicherheitsabteilung der Beklagten vom 20.07.1989 und des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitssicherheit, St. A. , vom 28.07.1989 machte die Beklagte geltend, der Lärmpegel am Arbeitsplatz des Klägers sei mit 82 dB bzw. max. 83 dB anzusetzen. Der gehörgefährdende Bereich sei damit noch nicht erreicht worden, so dass das Gutachten von Dr.K. der Grundlage entbehre. Demgegenüber wies der Kläger darauf hin, dass die Lärmpegelmessungen der Beklagten unzutreffend seien. Es sei der Impulslärm der verschiedenen Maschinentypen nicht berücksichtigt worden.

Mit Urteil vom 06.11.1989 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab dem 01.05.1986 wegen einer Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" eine Rente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Es folgte dabei den von Dr.K. am 06.02./ 04.08.1989 erstatteten Gutachten. Dabei legte es die Messungen der Firma K.-Lärmschutztechnik zugrunde. Der Kläger sei über 3 Jahrzehnte hindurch einem Dauerschallpegel von 90 dB(A) ausgesetzt gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt (Az.: L 1 U 305/89) und geltend gemacht, dass die Annahme des Sozialgerichts, der Kläger sei bei seiner Tätigkeit einem Lärmpegel von 90 dB ausgesetzt gewesen, nicht zutreffend sei. Kein Berechnungsverfahren könne zu diesem Wert führen. Der Kläger sei nur bis ca. 1956 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt gewesen. Die etwa 1985 bemerkbar gewordene Hörstörung könne nicht bzw. nicht ausschließlich lärmbedingt sein. Das Sozialgericht habe sich auch nicht mit den abweichenden medizinischen Beurteilungen auseinandergesetzt.

Mit Urteil vom 26.06.1990 hat das Landessozialgericht auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 06.11.1989 aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Regensburg zurückverwiesen, weil das Urteil an erheblichen Verfahrensmängeln leide. Das Sozialgericht habe ohne ausreichende Ermittlung des Sachverhalts darüber entschieden, ob die Voraussetzungen für eine Entschädigung der vom Kläger geltend gemachten Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit vorliegen. Dabei habe es zugleich auch gegen das Recht der freien Beweiswürdigung verstoßen. Die Zurückverweisung erfolgte mit der ausdrücklichen Auflage, Ermittlungen bezüglich der tatsächlichen Lärmexposition des Klägers am nicht mehr vorhandenen Arbeitsplatz anzustellen und eine neuerliche medizinische Sachverständigenbegutachtung durchzuführen.

Das Sozialgericht (Az.: S 3 U 262/90Z) hat sodann im Erörterungstermin am 03.12.1991 den Kläger gehört und am 20.10.1993 seine Ehefrau als Zeugin vernommen. Wegen der Angaben des Klägers und der Aussage seiner Ehefrau wird auf die jeweilige Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Es hat ferner als technischen Sachverständigen Dr.F. , TÜV M. , Lärm- und Erschütterungsschutz, gehört. Dieser kam im Gutachten vom 14.02.1996 zum Ergebnis, der Beurteilungspegel, der durch die Beklagte und das BIA ermittelt wurde, habe eine wesentlich höhere Aussagekraft, als die Berechnungen, die auf Messungen der Firma K. beruhten. Somit könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Beurteilungspegel einschließlich Impulszuschlag unter 85 dB(A) gelegen habe. Hiergegen hat der Kläger ein Gutachten von Prof.Dr.S. , Fachhochschule R. , vom 01.04.1996 vorgelegt, wonach das Mess- protokoll des TAD der Beklagten vom 10.02.1987 verschiedene Fehler enthalte. Dies bestritt die Beklagte unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes. Dr.F. ergänzte sein Gutachten am 11.10.1996 dahin, dass abhängig von den zugrunde gelegten Ausgangsdaten der Beurteilungspegel zwischen 84 (Ausgangsdaten der BG) und 93 dB (Ausgangsdaten von Firma K.) schwanken könnte, wies aber erneut ausdrücklich auch auf die Unsicherheit der Messergebnisse der Firma K. hin. Auf Anregung von Dr.F. hat das Sozialgericht ferner eine HNO-ärztliche Begutachtung durch Prof. Dr.H. , Klinikum Rechts der Isar, durchführen lassen. Dieser kam in seinem Gutachten vom 16.11.1997 zu dem Ergebnis, beim Kläger liege mittlerweile eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit mit einer MdE um 30 v.H. vor, die berufsbedingte MdE schätzte er -bei Unterstellung geeigneten gehörschädigenden Berufslärms- auf 15 v.H. Auf Einwendungen des Klägers unter nochmaliger Vorlage des Gutachtens von Prof.Dr.S. hat Prof. Dr.H. eine ergänzende Stellungnahme vom 11.07.1998 vorgelegt, in der er bei seiner bisherigen Auffassung verblieb. Der Kläger hat mit mehreren Schriftsätzen abschließend Stellung genommen und vor allem darauf hingewiesen, dass die Wirkungen von Impulslärm auf sein Gehör nicht genügend berücksichtigt worden seien, und -selbst bei Unterstellung einer degenerativen Gehörerkrankung- eine beruflich bedingte MdE von 25 v.H. bestehe.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1988 zu verurteilen, eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm deswegen ab 01.05.1986 Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 07.09.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die nach Zurückverweisung durch das Landessozialgericht neu zu entscheidende Klage sei unbegründet. Weder sei erwiesen, dass der Kläger in seinem Betrieb potentiell gehörschädigendem Berufslärm von 85 dB(A) oder mehr ausgesetzt gewesen sei, noch sei wenigstens wahrscheinlich, dass seine Schwerhörigkeit in einem rentenberechtigendem Ausmaß wesentlich durch Berufslärm verursacht sei. Die Anerkennung einer Berufskrankheit könne daher in Übereinstimmung mit den angefochtenen Bescheiden der Beklagten nicht erfolgen. Das Gericht stützte seine Auffassung auf das Gutachten des Dr.F. vom 14.02.1996/Ergänzung vom 11.10.1996. Die vom Kläger vorgelegte Berechnung des Beurteilungspegels durch Prof.Dr.M. entspreche nach Darstellung des Dr.F. dagegen nicht den Vorgaben der UVV-Lärm und leide insgesamt daran, dass es auf den weniger aussagekräftigen Messungen der Firma K. beruhe. In seiner Gutachtensergänzung vom 11.10.1996 komme Dr.F. zwar zu einem max. Beurteilungspegel von 92 dB(A) unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens und des zwischenzeitlich vom Kläger vorgelegten Gutachtens des Prof.Dr.S. vom 01.04.1996, bringe aber gleichzeitig zum Ausdruck, dass sich aus dem vom Kläger vorgelegten Material keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse ergäben, die das Gutachten vom 14.02.1996 entkräften würden. Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich seiner Exposition habe somit auch zuletzt nicht abschließend geklärt werden können. Dies gehe nach den Grundsätzen zur objektiven Beweislast zu seinen Lasten als Anspruchsteller. Zur medizinischen Seite stützte sich das Gericht im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof.Dr.H. vom 16.11.1997 mit Ergänzung vom 11.07.1998. Dem von Dr.H. hinsichtlich der MdE unterbreiteten Vorschlag -15 v.H.- habe es sich jedoch nicht anschließen können, ungeachtet der Annahme einer langjährigen Einwirkung von Berufslärm und der Unterstellung eines potentiell gehörschädigenden Lärms von 85 dB oder mehr. Denn eine schädigungskonforme Schadensentwicklung sei anhand der vorliegenden Befunde nicht nachzuweisen.

Hiergegen hat der Kläger -unter Wiederholung seines Vorbringens, Bezugnahme auf Messungsergebnisse, Zusammenstellung aller Hörkurven, Gegenüberstellung der Gutachten und Schilderung seines beruflichen Werdegangs- Berufung eingelegt und vorsorglich die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt.

Der Senat hat ein Gutachten des Prof.Dr.F. vom 04.02.2000 eingeholt. Dieser Sachverständige kam bei Würdigung des komplexen Sachverhalts im Ergebnis zu der Auffassung, dass ab dem Gutachten des Dr.K. (05.12.1986) eine berufsbedingte MdE um 20 v.H. angenommen werden sollte. Bei der technisch sachverständig streitig geführten Diskussion über die Lärmexposition, wozu zwei unterschiedliche Messergebnisse vorlagen, hätten aus seiner Sicht die Messergebnisse der Berufsgenossenschaft vom 10.02.1987 die größere Beweiskraft, da sie den Impulsschall direkt integrierend ermittelt haben. Dagegen ließen die Messungen der K. vom 22.05.1989 eine solche integrierende Bestimmung nicht zu. Für ihn überzeugend seien die Darlegungen von Dr.F. vom TÜV M. in seinem schalltechnischen Gutachten. Danach habe mit hoher Wahrscheinlichkeit der Beurteilungspegel unter 95 dB(A) gelegen. Alle Gutachter hätten aber nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei der außergewöhnlich langen täglichen Exposition von bis zu 12 Stunden ein Vergleich mit statistischen Mittelwerten über die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit bei einer Exposition von täglich 8 Stunden fragwürdig sei. Es sei auch davon auszugehen, dass die Innenohren des Klägers ungewöhnlich stark lärmempfindlich seien. Beim Kläger bestehe eine beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrensausen. Ursächlich hierfür seien zwei Faktoren, einmal eine berufsbedingte Lärmexposition, die zwar intensitätsmäßig an der unteren Grenze liege, jedoch durch eine ungewöhnlich lange tägliche Einwirkungszeit den permanenten Zustand der Hörermüdung herbeigeführt habe, ferner eine besondere anlagebedingte Lärmempfindlichkeit der Innenohren. Beide Faktoren ließen sich nur schwer gegeneinander abwägen, ohne den Lärm hätte sich jedoch die Hörstörung nicht entwickelt. Aus dem ersten von Dr.K. am 25.04.1986 gefertigten Tonaudiogramm resultiere eine MdE von weniger als 10 v.H., aus dem Tonaudiogramm anlässlich Begutachtung in Nürnberg am 03.12.1987 -Hörverlust beidseits 25 %- eine MdE um 10 v.H. Anlässlich der Begutachtung durch Dr.K. am 05.12.1988 sei entsprechend der Tabelle eine MdE um 20 bis 25 v.H. gerechtfertigt, das Ohrgeräusch sei hierin integrierend mit berücksichtigt. Ab Begutachtung durch Prof.Dr.H. (14.08.1997) sei die MdE mit 30 v.H. -unter Einschluss des Ohrgeräusches- zu bewerten.

Der Kläger hat sich dem Gutachten angeschlossen und ist mit einer BK-bedingten MdE um 20 v.H. einverstanden, allerdings sollte diese schon ab 01.05.1986 festgelegt werden, weil dieser Beginn bereits durch das Urteil des Sozialgerichts vom 06.11.1989 angesetzt worden sei.

Die Beklagte sah sich jedoch nicht in der Lage, den Ausführungen des Prof.Dr.F. zu folgen. Sie hält entgegen, dass Prof.Dr.F. von einer durchgehenden Lärmexposition von über 85 dB ausgegangen sei, eine solche jedoch gerade nicht gesichert sei. Außerdem hält sie auch die Abstufung aufgrund der vorliegenden Audiogramme in Verbindung mit der Exposition nicht für nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 07.09.1998 und des Bescheides vom 05.08.1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1988 zu verurteilen, ihm wegen einer Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" ab spätestens 01.05.1986 Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, einschließlich vorausgegangener Prozesse Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und auch insoweit begründet, als beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr.2301 anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab dem 01.12.1988 zuzusprechen ist.

Diese Auffassung gründet der Senat auf das eingehende und im Ergebnis auch überzeugende Gutachten des von ihm gehörten Sachverständigen Prof.Dr.F ... Danach liegt beim Kläger eine Berufskrankheit im vorgenannten Sinn vor. Beim Kläger besteht, wie sich aus sämtlichen Gutachten ergibt, eine beidseitige Schwerhörigkeit. Voraussetzung für die Entschädigung dieser Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr.2301 der Anlage 1 der BKVO ist, dass sie wesentlich auf lärmbedingte Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit zurückzuführen ist und die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Lärmschwerhörigkeit auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens in rentenberechtigendem Grad gemindert wird. Die Schwierigkeit für die Beurteilung, ob der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit einer entsprechenden lärmschädigenden Einwirkung ausgesetzt war, ist wesentlich dadurch begründet, dass unterschiedliche Geräuschpegelmessungen durch die Sicherheitsabteilung der Beklagten und die Firma K.-Lärmschutztechnik vorliegen. Die Richtigkeit der unterschiedlichen Messergebnisse ist bestritten und auch zweifelhaft. Grundlegende Voraussetzung bei der Prüfung einer Lärmschädigung ist zwar unbestritten der Nachweis einer ausreichenden Lärmexposition. Dazu bedarf es objektiver Messungen über die Lärmentwicklung am Arbeitsplatz. Als Vorbedingung für einen Lärmschaden gilt die jahrelange und während des größten Teils der Arbeitsschicht anhaltende Einwirkung von Lärm mit einem Dauerpegel von mindestens 90 dB(A). Gehörschäden können jedoch auch bereits durch einen Lärm verursacht werden, dessen Beurteilungspegel den Wert von 85 dB nicht erreicht oder überschreitet. Nach Auffassung der Beklagten ist der Nachweis der Höhe der Lärmexposition weiterhin nicht geführt. Der Senat schließt sich jedoch insoweit der Auffassung des Prof.Dr.F. -eines Sachverständigen mit überragender Kompetenz auf HNO-Fachgebiet- an, wonach im vorliegenden Fall für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs vor allem die langjährige Exposition entscheidend ist und weniger die Höhe, worauf die vorangegangenen Begutachtungen jeweils aus unterschiedlicher Sicht abstellten. Wie Prof.Dr.F. nachvollziehbar dargelegt hat, haben jedoch alle Vorgutachter nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei der außergewöhnlich langen täglichen Exposition von bis zu 12 Stunden ein Vergleich mit statistischen Mittelwerten über die Entwicklung einer Lärmschwerhörigkeit bei einer Exposition von täglich 8 Stunden fragwürdig ist. Die Entwicklung der Schwerhörigkeit des Klägers ist aus der Zusammenstellung der Audiogramme sehr anschaulich nachzulesen. Von 1986 bis 1988 (oder bis zum Ende der Lärmarbeit am 31.08.1989) hat es eine schubartige Verschlechterung in allen Frequenzen gegeben. In den 9 Jahren danach bis zur Begutachtung durch Prof. Dr.H. hat es dagegen nur noch eine geringe Zunahme gegeben. Ein endogener degenerativer Prozess kommt aber, wie Prof. Dr.F. nachvollziehbar darlegt, nicht derart zu einem Stillstand, sondern schreitet stetig fort. Die Entwicklung der Schwerhörigkeit des Klägers ist in dem von D. aufgezeichneten phasenhaften Verlauf zu deuten: Nach anfänglichen Phasen der Gewöhnung und Kompensation kommt es schließlich zu einer Phase des Zusammenbruches. Der wesentliche Faktor, der hier zum Zusammenbruch geführt hat, war in der extrem langen täglichen Lärmexposition zu sehen, wenn auch die einwirkenden Lautstärken eher grenzwertig waren. Nach den Grundsätzen des BSG zur Abgrenzung gegenüber schädigungsunabhängigen Faktoren (BSG vom 24.02.1988 - RU 30/87) gilt hier Folgendes: Wenn schädigungsunabhängige Kausalfaktoren im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen werden müssen, so ist hier davon auszugehen, dass der angenommene Mitwirkungsfaktor einer endogenen Degeneration in diesem Sinne nicht bewiesen werden kann. Zwar ist davon auszugehen, dass die Innenohren des Klägers ungewöhnlich stark lärmempfindlich sind. Wie Prof.Dr.F. ausführt, hätten schätzungsweise mehr als 95 % aller Arbeiter unter vergleichbaren Bedingungen keine oder nur eine sehr viel geringere Schwerhörigkeit entwickelt. Zu berücksichtigen ist aber, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Versicherungsschutz das gesundheitliche Risiko, das evtl. in einer individuellen Disposition oder Anlage zur Entwicklung bestimmter Krankheiten besteht, mit einschließt. Die beiderseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrensausen des Klägers ist ursächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen, auf eine berufsbedingte Lärmexposition, die zwar intensitätsmäßig an der unteren Grenze lag, oberhalb derer im allgemeinen mit einer Gehörschädigung gerechnet werden muss. Sie wurde jedoch im vorliegenden Fall durch eine ungewöhnlich lange tägliche Einwirkungszeit mit bis zu 12 Stunden akzentuiert, so dass die Innenohren permanent in einen Zustand der Hörermüdung versetzt wurden. Weiter ursächlich ist eine besondere anlagebedingte Lärmempfindlichkeit der Innenohren. Beide Faktoren lassen sich nur schwer gegeneinander abwägen, so dass im Sinn der geltenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung keiner der vorgenannten Faktoren gegenüber dem anderen überwiegt. Ohne den Lärm hätte sich die Hörstörung nicht ent- wickelt, aber auch ohne die besondere individuelle Veranlagung hätte sich bei der gegebenen Lärmexposition die Hörstörung nicht so entwickelt.

Nach allem liegt deshalb beim Kläger eine Berufskrankheit im vorgenannten Sinne vor. Auf seine Berufung war daher die Beklagte unter Aufhebung des vorangegangenen Urteils des Sozialgerichts sowie der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO in Verbindung mit Nr.2301 der Anlage 1 der BKVO anzuerkennen und zu entschädigen.

Entgegen der Auffassung des Klägers konnte jedoch Rente nicht -wie beantragt- ab 01.05.1986, sondern erst ab 01.12.1988 zugesprochen werden. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr.F. in Verbindung mit den von ihm angeführten Audiogrammen des Dr.K ... Zwar enthält der Vorschlag des Prof. Dr.F. in seinem Gutachten eine BK-bedingte MdE um 20 v.H. bereits ab dem 05.12.1986, dieser Vorschlag deckt sich jedoch nicht mit seinen Hinweisen auf die Feststellungen des Dr.K. anlässlich des am 25.04.1986 aufgenommenen Audiogramms, die eine beginnende Schwerhörigkeit aufzeigen. Wie Prof.Dr.F. auf Seite 26 seines Gutachtens ausführt, rechtfertigen diese Befunde aus dem Zeitraum 1986 -d.h. die beginnende Schwerhörigkeit- noch keine MdE um wenigstens 10 v.H. Die Befunde vom 03.12.1987 wurden -siehe oben- nur mit einer MdE um 10 v.H. bewertet und dann erst die anlässlich der Begutachtung durch Dr.K. am 05.12.1988 erhobenen Befunde mit einer MdE um 20 bis 25 v.H. angesetzt. Auf dieser Basis konnte somit frühestens ab dem 01.12.1988 eine rentenberechtigende MdE um 20 v.H. wegen der Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" angenommen werden. Im Übrigen war daher die Berufung, soweit sie die Rentengewährung wegen der Berufskrankheit bereits ab dem 01.12.1986 begehrt, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung des Klägers weit überwiegend erfolgreich war.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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