L 17 U 15/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 405/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 15/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.12.1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, beim Kläger ein Nierenkrebsleiden als Berufskrankheit nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 1302 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Nierenkarzinoms als Berufskrankheit (BK).

Der am 1936 geborene Kläger absolvierte von 1951 bis 1954 eine Lehre als Pinselmacher, anschließend arbeitete er bis Juli 1955 als Bergmann unter Tage und sodann bis Juli 1960 als Filmvorführer. Von 04.07.1960 bis 31.07.1989 war er als Maschinenführer in der Produktion von Zündankern bei der Firma B. beschäftigt. Sein Aufgabengebiet war bis 1980 die Einstellung von Maschinen. Dabei musste er Teile umbauen, ausbauen sowie säubern unter Verwendung verschiedener Reinigungsmittel, die ua aus den Halogenkohlenwasserstoffen Trichlorethylen (Tri), Perchlorethylen (anderer Name: Tetrachlorethylen/Per) sowie aus Aceton bestanden oder diese Stoffe enthielten. Seit 1980 war er in der Vergießanlage tätig, in der diese Stoffe nicht oder kaum zum Einsatz kamen. Im August 1988 wurde ein Tumor an der rechten Niere festgestellt und operativ behandelt. Nach Entfernung von Lungenmetastasen im Juli 1989 sind keine Tumorleiden mehr aufgetreten. Nach krankheitsbedingter Arbeitsaufgabe bezog der Kläger seit Dezember 1989 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, später Altersrente.

Am 17.02.1992 beantragte der Kläger bei der Beklagten Verletztenrente mit der Begründung, das Nierenkrebsleiden sei durch die im Beruf verwendeten Reinigungsmittel verursacht worden.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Krankenakte des Stadt- und Kreiskrankenhauses A. bei und holte Krankenkassenauskünfte, Bescheinigungen über werksärztliche Untersuchungen, Berichte des Unfallverhütungsdienstes, ein gewerbeärztliches Gutachten, ein toxikologisches Gutachten des Prof.Dr.H. (25.08.1994) sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof.S. (24.03./08.07.1997) ein. Prof.H. kam auf der Basis einer von ihm durchgeführten wissenschaftlichen Studie zur Verursachung von Nierenzelltumoren nach Tri-Expositionen zu dem Ergebnis, das Nierenzellkarzinom des Klägers sei als Berufskrankheit anzuerkennen. Dabei unterstellte er einen großzügigen Lösemittelverbrauch am Arbeitsplatz des Klägers in den sechziger und siebziger Jahren und legte die Entstehung von kanzerogenen Stoffen in der Niere nach entsprechenden Giftexpositionen dar. Prof.S. hingegen verneinte eine Berufskrankheit mit der Begründung, eine ausreichend hohe Exposition gegenüber Tri habe nicht vorgelegen. Er legte seinem Gutachten eine erweiterte Arbeitsplatzbeschreibung des TAD der Beklagten vom 31.01.1997 zugrunde, wonach der Kläger ca 10 bis 15 Maschinen betreut habe, an denen Wicklerinnen gearbeitet hätten. Sie hätten Aceton und später Per verwendet. Der Kläger als Einsteller habe ab 1967 zumindest Per verwendet, um den Drahtlauf der Wickelmaschinen zu reinigen. Tri sei vom Kläger, dessen Aufgabe die Maschinenreinigung nicht gewesen sei, nur bei Reinigungen im Rahmen der Einstellarbeiten verwendet worden, gelegentlich auch zum Reinigen von Tischen und Händen. Die Ergebnisse der Studien des Prof.H. könnten nicht auf den Fall des Klägers übertragen werden, weil dort unvergleichbar hohe Expositionen gegenüber Tri vorgelegen hätten und weil zu betriebsüblicher Tri-Verwendung keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die eine Nierenkrebsverursachung belegten. Die anderen vom Kläger verwendeten Reinigungsmittel Aceton und Per seien nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als krebserregend beim Menschen einzustufen. Mit Bescheid vom 20.08.1997 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 20.11.1997 - lehnte die Beklagte die Entschädigung der Krebserkrankung des Klägers als BK ab, wobei sie Prof.S. folgte.

Dagegen hat der Kläger Klage erhoben zum Sozialgericht Nürnberg (SG) mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr 1302 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren. Er hat darauf hingewiesen, dass auch geringe Mengen krebserregender Stoffe ein Tumorleiden auslösen könnten. Das SG hat Gutachten des Prof.H. vom 08.06.1998/25.05.1999 und gem § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Prof.F. vom 31.12.1998 eingeholt. Gegenüber Prof.H. hat der Kläger erklärt, Tri sei weniger als andere Substanzen benutzt worden. Hierauf aufbauend hat Prof.H. ausgeführt, es gäbe keine wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine krebserzeugende Wirkung von Per sowie Aceton bei Menschen. Eine Tumorverursachung durch Tri hat er im Falle des Klägers ausgeschlossen, weil die humankanzerogene Wirkung von Tri allenfalls angenommen werden könne bei nachweislich hoher Exposition, die aber beim Kläger nicht vorgelegen habe. Es bestünde die Möglichkeit, dass die Einnahme von Medikamenten den Nierenkrebs erzeugt habe. Die Studie des Prof.H. , die diesem als Grundlage seiner Beurteilung gedient hätte, stehe im Widerspruch zu anderen wissenschaftlichen Studien und sei methodisch fehlerhaft, so dass die nierenkrebserzeugende Wirkung von Tri bei Menschen nicht bewiesen sei. Prof.F. hat die methodischen Einwände des Prof.H. als widerlegt und die krebserzeugende Wirkung von Tri als bewiesen angesehen. Weil eine Exposition des Klägers gegenüber Tri feststehe, die krebserzeugende Wirkung von Tri bei Tierversuchen nachgewiesen sowie durch zwei epidemiologische Studien bewiesen und schließlich die Verwendung von Tri am Arbeitsplatz zwischenzeitlich nicht mehr erlaubt sei, müsse von einer beruflichen Verursachung der Krebserkrankung des Klägers ausgegangen werden, zumal andere stärker wirkende Verursachungswege nicht bekannt seien. Die Beklagte hat Prof.F. unter Bezugnahme auf Formulierungen in dessen Gutachten sowie auf einen Beschluss des LSG Bremen vom 28.11.1997 als befangen angesehen. Der Kläger hat erklärt, nur ca 1,5 Jahre vor der Erkrankung die von Prof.H. erwähnten Medikamente eingenommen zu haben. Er hat darauf hingewiesen, dass auch geringe Giftmengen krebserzeugend sein könnten. Das SG hat mit Urteil vom 09.12.1999 die Klage abgewiesen, wobei es den Ausführungen des Prof.H. und des Prof.S. gefolgt ist.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt mit der Begründung, dass nach neueren Erkenntnissen Krebs generell durch geringe Einwirkungsdosen verursacht werden könne. Er sei nachgewiesen Tri ausgesetzt gewesen, Umfang und Ausmaß der Exposition seien als kanzerogen einzuschätzen. Nach Einholung der einschlägigen Befundberichte hat der Senat ein Gutachten des Dr.S. vom 05.09.2001 eingeholt. Dieser hat unter Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Studien zur nierenkrebskrebserzeugenden Wirkung von Tri eine berufliche Verursachung im Falle des Klägers verneint, weil die erforderliche hohe Exposition gegenüber Tri nicht bestanden habe. Demgegenüber hat der Kläger eingewandt, der tatsächliche Verbrauch von Tri sei höher gewesen als von der Beklagten und Dr.S. unterstellt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.12.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit gemäß § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 1302 der Anlage 1 der BKVO anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 09.12.1999 zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der LVA Oberfranken und Unterfranken sowie die Akten des AVF Nürnberg beigezogen. Auf diese Akte sowie die ebenfalls beigezogenen Beklagtenakten und die Akten beider Rechtszüge wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung seines Nierenkrebsleidens als Berufskrankheit gem § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 1302 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO).

Anzuwenden ist noch die RVO, weil der Kläger das Vorliegen einer BK geltend macht zu einem Zeitpunkt, der vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) zum 01.01.1997 liegt (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Einer der Ausnahmetatbestände gemäß §§ 213 ff SGB VII liegt nicht vor.

Nach § 551 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 550 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Durch § 551 Abs 1 Satz 3 RVO wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Ausmaß als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKVO, der in der Anlage 1 eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist.

Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten BKen gehören nach der Nr 1302 der Anl 1 zur BKVO "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". Die vom Kläger angeschuldigten Schadstoffe Per und Tri zählen - anders als der weitere vom Kläger angegebene Schadstoff Aceton - zu den Halogenkohlenwasserstoffen, sie sind also "Listenstoffe" (vgl das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu Nr 1302 der Anl 1 zur BKVO herausgebrachte "Merkblatt für die ärztliche Untersuchung" unter Punkt 1.1 - Bundesarbeitsblatt 6/1985; BSG vom 26.07.2000, B 2 U 29/99 R). Auch ist der zweifelsfrei diagnostizierte Nierenzelltumor mit Metastasierung in der Lunge nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift ein einschlägiges Krankheitsbild. Denn durch die unbestimmte Bezeichnung von BKen als "Erkrankungen durch ..." hat der Verordnungsgeber alle denkbaren Krankheiten zu BKen erklärt, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die genannten Einwirkungen zurückzuführen sind (vgl BSGE 7, 89, 97; Elster, Berufskrankheitenrecht, 2.Aufl, S 120/1; BSG vom 27.06.2000, B 2 U 29/99 R), ohne dass insoweit zusätzliche Einschränkungen gemacht werden.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Erkrankung als BK ist zum Einen, dass der zu den Listenstoffen zählende Halogenkohlenwasserstoff Tri generell geeignet ist, das konkrete Krankheitsbild Nierenkrebs zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum Anderen muss die geltend gemachte Krankheit Nierenkrebs konkret-individuell durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffes Tri wesentlich verursacht bzw verschlimmert und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (vgl Hauck/Niels, SGB VII, H § 9 RdNr 90 mwN). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl Brackmann/Kransney, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, SGB VII, 12.Aufl, § 9 RdNrn 22, 23 mwN). Der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit gilt dabei für den konkret-individuellen Zusammenhang zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen dieser und dem Eintritt der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität - vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11.Aufl, S 490 m II mwN).

Unter Anwendung dieser Grundsätze steht für den Senat als Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz langjährig dem Halogenkohlenwasserstoff Tri in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt war. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers und nach den Ermittlungsergebnissen des Unfallverhütungsdienstes der Beklagten vom 13.10.1992 sowie vom 31.01.1997 war der Kläger von 1960 bis Anfang der 80er Jahre in der Zündankerfertigung als Einsteller beschäftigt. Dort wurde der Halogenchlorkohlenwasserstoff Tri als Reinigungsmittel im Betrieb genutzt, um Verschmutzungen zu entfernen, Böden, Tische sowie verschmutzte Hände zu reinigen.

In Würdigung der in beiden Rechtszügen sowie im Verwaltungsverfahren erholten Gutachten des Dr.S. , des Prof.H. , des Prof.S. und des Prof.H. ist der Senat überzeugt, dass der Halogenkohlenwasserstoff Tri generell geeignet ist bei hoher Exposition das Krankheitsbild eines Nierenkrebstumors zu verursachen. Die Vorgänge, die zur Auslösung und zur Entwicklung eines Krebstumors führen, ebenso wie der Zustand des wachsenden Tumors, können bisher zwar molekularbiologisch nur unzulänglich definiert werden, die chemische Karzinogenese ist in weiten Bereichen nicht geklärt. Häufig gehen Krebserkrankungen auf mehrere Ursachen zurück. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass das individuelle Krebserkrankungsrisiko abhängig ist von der krebserzeugenden Exposition und von Faktoren der Disposition. Genetische Störungen wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Tumoren des Menschen nachgewiesen. Jedoch reicht eine genetische Abnormität allein nicht aus, um ein unkontrolliertes Wachstum zu verursachen. Generell werden drei Gruppen krebserzeugender Faktoren unterschieden, nämlich chemische, physikalische sowie Viren (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl, S 1049 ff). Der im gegenständlichen Fall als Ursache der Krebserkrankung angeschuldigte chemische Gefahrstoff Tri ist geeignet, Nierenzellkrebs bei Menschen zu verursachen (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S 612; vgl Abschnitt III der MAK-Werte-Liste der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe [Mitglied: Prof.S.]; s.a. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 1302, RdNr 5). Hierzu hat Prof.H. unter Zugrundelegung seiner eigenen wissenschaftlichen Studie in Bezug auf Art, Häufigkeit und Ätiologie von Nierenzellkarzinomen überzeugend ausgeführt, dass bei erhöhter Exposition gegenüber Tri ein Ursachenzusammenhang zur Krebsentstehung besteht. Dem ist auch Prof.S. gefolgt, der ausgeführt hat, dass Tri potenziell ein Nierenzellkarzinom auslösen kann, wenn die Exposition langjährig und ausreichend hoch war. Der gegenteiligen Ansicht des Prof.H. kann nicht gefolgt werden. Zum Einen differenziert er nicht zwischen einer geringen oder mittleren Exposition von Tri - hier kann durchaus die krebserregende Wirkung bezweifelt werden - und einer hohen Exposition. Zum Anderen kommt der Äußerung des Prof.H. , der im Verwaltungsverfahren unter dem 29.11.1994 eine gutachterliche Äußerung abgelehnt und an seiner Stelle Prof.S. vorgeschlagen hatte, im Vergleich zu diesem in Bezug auf die Experteneigenschaft zur Tri-Exposition eine geringere Wertigkeit zu. Soweit Dr.S. die Ergebnisse des Prof.H. in Zweifel zieht, beruft er sich zum Einen auf Studien, die zum Teil älter sind als die des Prof.H. , zum Anderen lässt er außer Betracht, dass - wie dargelegt - die maßgebliche inländische Wissenschaft und Literatur bei hohen Tri-Expositionen die kanzerogene Wirkung für nachgewiesen hält.

Zur Überzeugung des Senats ist auch bewiesen, dass der Kläger dem Listenstoff Tri am Arbeitsplatz in dem hohen Ausmaß ausgesetzt war, das zur Verursachung von Nierenkrebs erforderlich war. Nach den Ermittlungen des Unfallverhütungsdienstes der Beklagten war der Kläger im zweiten Stock eines Betriebes zur Zündankerfertigung beschäftigt, bei dem die Maschinen in großen Hallen untergebracht waren. Der Kläger war von 1960 bis Anfang der 80er Jahre (bis er nach und nach verstärkt in der Vergießerei eingesetzt wurde) als Einsteller von 10 bis 15 Wickelmaschinen beschäftigt. Zu seinen Tätigkeiten gehörte es auch, Reinigungsarbeiten durchzuführen, wenn verschmutzte Teile funktionstüchtig gemacht werden mussten oder andere Verschmutzungen zu entfernen waren. Hierfür stand auch Tri zur Verfügung, mit dem alle Beschäftigten einschließlich dem Kläger sorglos umgingen. Es war betriebsüblich nicht nur Maschinenteile mit Tri getränkten Putzlappen zu reinigen, sondern auch Tische oder Fußböden. Dabei wurde bedenkenlos soviel Tri verwendet, dass sich ein nasser Film über Tische und Böden bildete. Selbst verschmutzte Hände wurden mit Tri gereinigt, ohne dass sich die Beschäftigten Gedanken über gesundheitliche Folgen des Umganges mit diesem Stoff machten. Daraus folgt, dass der Kläger durch Putzlappen und beim Händewaschen sowie bei der Raum-, Geräte- und Gegenstandsreinigung laufend Tri in großen Mengen ausgesetzt war, ohne dass es einer exakten Mengenbeschreibung pro Tag bedarf. Diese Exposition dauerte jedenfalls während der Tätigkeit als Einsteller an, mithin über 20 Jahre, was eine besonders langjährige Exposition bedeutet. Nicht zu folgen ist an dieser Stelle dem Unfallverhütungsdienst der Beklagten, soweit er aus den Angaben "sorgloser Umgang, Nassreinigung von Tischen und Böden sowie Händereinigung" geschlossen hat, es habe nur ein gelegentlicher Umgang mit Tri vorgelegen. Diese subjektive Wertung am Ende des Ermittlungsberichts vom 31.01.1997 steht im Widerspruch zu den dort vorangehend getroffenen Feststellungen. Die Wortwahl, es könne auch ein "gelegentlicher Umgang" unterstellt werden, der Umgang sei sicher "nicht als nennenswerte Exposition" anzusiedeln, verdeutlicht, dass der Schlussfolgerung ein selbstimmanenter Vorbehalt beigegeben ist. Soweit der Kläger selbst gegenüber Prof.H. einen geringgradigeren Umgang mit Tri angegeben hat ist dies nicht auf den gesamten Beschäftigungszeitraum zu beziehen. Wie regelmäßig bei in Bezug auf Zeitabläufe unspezifischen Befragungen zur Vergangenheit sind die Angaben geprägt von Erinnerungen an Begebenheiten, die noch frischer im Gedächtnis sind, also regelmäßig in der jüngeren Vergangenheit liegen. In der jüngeren Vergangenheit aber war der Kläger durch den Wechsel in die Vergießerei nach den Feststellungen des Unfallverhütungsdienstes weniger mit Tri in Berührung gekommen. Den Ermittlungsergebnissen des Unfallverhütungsdienstes, die die gesamte Beschäftigungszeit erfassen und die eingehender sind, kommt deshalb ein höherer Beweiswert zu.

Mit der besonders hohen und langjährigen Tri-Exposition im Fall des Klägers sowie mit dem wissenschaftlich gesicherten Ursachenzusammenhang von Nierenkrebs und hohen Tri-Expositionen ist die berufliche Verursachung wahrscheinlich. Anhaltspunkte, die den Schluss von dem generellen auf den konkreten Ursachenzusammenhang im Fall des Klägers verbieten könnten, sind nicht ersichtlich. Der Einwand des Prof.H. (25.05.1999), die Erkrankung könne auch durch die Einnahme von Diurhetika verursacht worden sein, ist nicht nachvollziehbar, weil Prof.H. selbst eine langandauernde Therapie für diese Fälle voraussetzt, der Kläger aber nach seinen glaubhaften Angaben nur ca 1,5 Jahre vor dem Auftreten des Krebses ein diurhetikumhaltiges Präparat eingenommen hat. Im Übrigen ist den die berufliche Verursachung verneinenden Äußerungen der Profess. S. und H. sowie des Dr.S. nicht zu folgen, weil sie von einer unterhalb dem tatsächlichen Ausmaß der Exposition liegenden Belastung durch Tri ausgegangen sind.

Die Berufung hat damit Erfolg. Die Beklagte war entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag des Klägers zur Anerkennung einer BK zu verurteilen.

Kosten: § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs 1 Nrn 1 und 2 sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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