L 3 U 33/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 738/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 33/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 02.01.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Wiedergewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 01.06.1970 im Wege des § 44 SGB X streitig. Der Kläger begehrt dabei die Rücknahme des verbindlichen Bescheids vom 22.02.1991, sodann Wiederaufnahme des Verfahrens, Nachuntersuchung und Gewährung entsprechender Rente.

Der am 1922 geborene Kläger war als Maurer in der Bundesrepublik Deutschland bei der Firma G. beschäftigt. Am 01.06.1970 hat er einen Unfall erlitten, als er aus 1,50 m Höhe beim Ausschalen einer Decke von einem Gerüst stürzte. Dabei verletzte ihn ein herabfallender Träger im Beckenbereich, er erlitt eine Fraktur der linken Beckenschaufel.

Mit Bescheid vom 23.06.1972 hat die Beklagte - gestützt auf das von ihr eingeholte Gutachten des Chirurgen Prof.Dr.K. vom 06.06.1972 - als Unfallfolgen eine endgradige schmerzhafte Bewegungsbehinderung im linken Hüftgelenk mit angedeutetem Hinken durch Schonung des linken Hüftgelenks sowie glaubhafte Beschwerden nach knöchern fest verheiltem Beckenschaufelbruch links anerkannt und dem Kläger für die Zeit vom 15.09.1970 bis 31.08.1971 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. gewährt, jedoch Rentengewährung über diesen Zeitraum hinaus abgelehnt, weil nach dem Gutachten von Prof.Dr.K. die Unfallfolgen in der nachfolgenden Zeit bis 31.05.1972 nur noch mit 10 v.H. und danach mit unter 10 v.H. zu bewerten seien.

Ein am 26.09.1989 gestellter Antrag des Klägers auf Neufeststellung wegen Leidensverschlimmerung blieb ohne Erfolg: Nach erneuter Begutachtung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22.02.1991 die Wiedergewährung einer Verletztenrente ab. Die S 23 U 204/91) mit Urteil vom 14.08.1992, gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigen Dr.K. , ab. Die Berufung wurde vom Bayer. Landessozialgericht (Az.: L 3 U 259/92) mit Urteil vom 12.04.1994 zurückgewiesen, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss des BSG vom 10.08. 1994 (Az.: 2 BU 117/94) als unzulässig verworfen.

Ausgangspunkt des jetzigen Verfahrens ist ein Schreiben des Klägers vom 16.09.1996, mit dem er sich an die Beklagte wegen seines Arbeitsunfalls wandte und erneut um Hilfe bat: Er verstehe es bis heute nicht, dass ihm keine Unfallrente gewährt werde.

Mit Schreiben vom 01.10.1996 teilte die Beklagte "zum wiederholten Male" mit, dass aus Anlass des Unfalls vom 01.06.1970 ein Anspruch auf Unfallrente nicht bestehe, da eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade nicht vorliege. Der Ablehnungsbescheid vom 22.02.1991 sei zwischenzeitlich rechtskräftig geworden. Mit einem am 24.09.1998 bei der Beklagten eingegangenen weiteren Schreiben legte der Kläger nochmals Beschwerde in seiner Unfallangelegenheit ein. Die Beklagte übersandte eine Kurzmitteilung vom 05.10.1998 mit Hinweis auf anliegende Schriftstücke. Unter Bezugnahme auf diesen "Bescheid vom 05.10.1998" verwies der Kläger in einem am 21.10. 1998 eingegangenen weiteren Schreiben erneut auf früher übersandte ärztliche Bescheinigungen und bat um eine gutachtliche Untersuchung. Daraufhin wiederholte die Beklagte mit Schreiben vom 27.10.1998 den Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid vom 22.02.1991.

Mit seiner beim Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage begehrte der Kläger eine Überprüfung. Mit Beschluss vom 01.01.1999 hat das Sozialgericht Augsburg den Rechtsstreit an das Sozialgericht München verwiesen.

Mit Beschluss vom 12.12.2000 hat das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt: Vorliegend sei der Antrag des Klägers auf Rücknahme des ablehnenden Rentenbescheides bestandskräftig abgelehnt worden. Werde nach einem solchen Bescheid erneut eine Rücknahme beantragt und werden - wie hier - keine neuen Tatsachen vorgetragen, sei eine Überprüfung abzulehnen. Die Beklagte habe deshalb in diesem Fall auf den bereits ergangenen Bescheid verweisen dürfen.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verpflichten, über die Rücknahme des Bescheides vom 22.02.1991 einen rechtsmittelfähigen Bescheid im Sinne von § 44 SGB X zu erlassen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach entsprechendem Hinweis des Gerichts auf die Absicht, im Wege eines Gerichtsbescheides zu entscheiden, hat das Sozialgericht sodann mit Gerichtsbescheid vom 02.01.2001 die Klage abgewiesen: Die Klage sei zwar zulässig, mit der zutreffenden Verpflichtungsklage (§ 54 Abs.1 SGG) wende sich der Kläger dagegen, dass die Beklagte eine erneute Überprüfung des bestands- kräftigen Bescheides vom 22.01.1991 abgelehnt habe (vgl. Schrei- ben vom 05.10.1998 und 27.10.1998). Die Klage sei jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X nicht vorlägen. Zunächst sei zu prüfen gewesen, ob sich durch die Antragstellung nach § 44 SGB X neue Tatsachen oder Erkenntnisse ergeben haben, die für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnten. Ist schon dies nicht der Fall - wie hier -, dann darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes berufen (mit weiteren Urteilsnachweisen). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte sich mit Schreiben vom 19.04.1995 und 01.10. 1996 unter Hinweis auf den erst kürzlich durchlaufenen Instanzenweg und die bereits damals berücksichtigen ärztlichen Bescheinigungen hinsichtlich der Überprüfungsanträge des Klägers ohne weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung (§ 77 SGG) berufen. Der Kläger hat sodann erneut im September und Oktober 1998 eine Rücknahme beantragt, wobei aber weder neue Tatsachen noch neue rechtliche Gesichtspunkte aufgezeigt worden seien. In diesen Fällen sachlich nicht zu rechtfertigender wiederholter Überprüfungsanträge könne die Beklagte ohne Verletzung der Schutzfunktion des § 44 SGB X von einer erneuten Bescheiderteilung absehen und sich auf die Verweisung der bestehenden Bescheidlage beschränken.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 22.01.2001 Berufung eingelegt: Im angefochtenen Urteil sei sein Antrag - ohne weiteren Grund - abgelehnt worden, weshalb er um Überprüfung bitte. In Zusammenhang mit seiner Beschwerde gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss des Sozialgerichts machte er im Schreiben vom 13.01.2001 geltend, dass die Entscheidung des Sozialgerichts nicht begründet gewesen sei, weil er zu 80 % behindert sei und keine Arbeit aufnehmen dürfe. Dafür lägen ärztliche Bescheinigungen als Beweis vor. Mit Schreiben vom 24.03.2001 bat er nochmals um eine gutachtliche Untersuchung, hierdurch könne bewiesen werden, dass er behindert sei.

In der mündlichen Verhandlung am 21.08.2001 ist der Kläger nicht erschienen. Die Beklagte wurde darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Verwaltungsverfahren bisher über den Widerspruch des Klägers, der zwar nicht förmlich eingelegt worden sei, jedoch in der Klageerhebung zum Ausdruck gebracht sei, nicht entschieden worden sei. Deshalb wurde der Beklagten anschließend Gelegenheit gegeben, die Widerspruchsentscheidung nachzuholen. Nach Aktenrücksendung an die Beklagte erging durch diese nachfolgend der Widerspruchsbescheid vom 11.10.2001, der Gegenstand des Verfahrens ist. Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Verwaltungsakt vom 27.10.1998 darin als unbegründet zurückgewiesen: Die Voraussetzungen nach § 44 SGB X lägen nicht vor. Eine entsprechende spezielle Sachprüfung habe nur bei Vorbringen neuer Tatsachen oder Erkenntnisse zu erfolgen, ansonsten sei ohne jede weitergehende Abklärung eine Berufung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung möglich (vgl. Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.05.1992 und LSG Baden-Württemberg vom 26.09.1995). Nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage sei festzustellen, dass im Rahmen der Verwaltungsverfahren keine neuen berücksichtigungsfähigen Aspekte vorgetragen worden seien. Im angefochtenen Verwaltungsakt sei daher zutreffend ohne Durchführung einer erneuten Sachprüfung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung, welche zudem im Rahmen der vorangegangenen Sozialgerichts-, Landessozialgerichts- und Bundessozialgerichtsverfahren bestätigt wurde, verwiesen worden. Dem Widerspruch habe damit nicht stattgegeben werden können.

Nach Erhalt der Ladung zur weiteren mündlichen Verhandlung am 18.12.2001 hat der Kläger sinngemäß mit Schreiben vom 26.11. 2000 die Gewährung von Prozesskostenhilfe/Beiordnung eines vom Gericht ausgewählten Rechtsanwalts beantragt. Dieser Antrag ist mit Beschluss vom 06.12.2001 abgelehnt worden. Mit Beschluss vom 11.12.2001 ist Herr Oberamtsrat B. für den Termin am 16.12.2001 gemäß § 72 Abs.2 SGG als besonderer Vertreter des Klägers bestellt worden.

Der Kläger beantragt, den angefochtenen Gerichtsbescheid und die zugrunde liegenden Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zur Rücknahme des Bescheides vom 22.02.1991 und zur Gewährung von Verletztenrente wegen des Folgen des Unfalls vom 01.06. 1970 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz einschließlich vorausgegangener Prozesse verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache, das heißt im Bezug auf die Wiedergewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.06.1970 betreffend, jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat es mit Bescheid vom 27.10.1998 in der Gestalt des zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheides vom 11.10.2001, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, und der Voraussetzung für die streitgegenständliche Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Erteilung eines Bescheides nach § 44 SGB X und Wiedergewährung von Rente (§ 54 SGG) ist, zutreffend abgelehnt, in eine Überprüfung nach § 44 SGB X einzutreten. Die Beklagte konnte sich ohne eine solche auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung berufen, weil der Kläger keine neuen berücksichtigungsfähigen Aspekte vorgetragen hat. Durch die zwischenzeitlich nachgeholte Entscheidung über den Widerspruch des Klägers im Widerspruchsbescheid vom 11.10.2001 ist der verfahrensrechtliche Aspekt, der einer Entscheidung im Sinne der erhobenen Verpflichtungsklage bisher entgegen stand, behoben. Soweit mit der Berufung die Wiedergewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 01.06.1970 begehrt wird bzw. wenigstens die Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne der vom Kläger begehrten Überprüfung seiner Rentenangelegenheit durch die Beklagte, kann die Berufung in keiner Hinsicht Erfolg haben.

Wie bereits das Sozialgericht in der Sache zutreffend dargelegt hat, hat es die Beklagte mit Recht abgelehnt, in eine erneute Überprüfung des rechtsverbindlichen Bescheides vom 22.02.1991 einzutreten. Denn wie das BSG in seiner Rechtsprechung (vgl. BSG vom 03.02.1988 in BSGE 63, 33; BSG vom 29.01.1992 in SozR 1300 § 44 Nr.33) betont hat, ist im Rahmen der Überprüfung nach § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X bei der Anwendung durch die Verwaltung in zwei Prüfungsschritten vorzugehen: Zunächst ist zu prüfen, ob sich durch die Antragstellung nach § 44 SGB X neue Tatsachen oder Erkenntnisse ergeben haben, die für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte. Ist schon das nicht der Fall - wie hier im Fall des Klägers -, dann darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes berufen. Diese Auffassung vertreten auch Landessozialgerichte (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.05. 1992 - E LSG V-001; LSG Baden-Württemberg vom 26.09.1995 in Breithaupt 1996, S.331). Im vorliegenden Fall hatte sich die Beklagte mit Schreiben vom 19.04.1995 und 01.10. 1996 unter Hinweis auf den erst kürzlich durchlaufenen Instanzenweg und die bereits damals berücksichtigten ärztlichen Bescheinigungen hinsichtlich der Überprüfungsanträge des Klägers ohne weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung (§ 77 SGG) berufen. Der Kläger hat sodann erneut im September und Oktober 1998 eine Rücknahme beantragt, wobei er aber weder neue Tatsachen noch neue rechtliche Gesichtspunkte aufgezeigt hat. In diesen Fällen sachlich nicht zu rechtfertigender wiederholter Überprüfungsanträge kann die Beklagte ohne Verletzung der Schutzfunktion des § 44 SGB X von einer erneuten Bescheiderteilung absehen und sich auf die Verweisung der bestehenden Bescheidlage beschränken.

Auch das bisherige Vorbringen des Klägers im Sozialgerichts- wie auch im Berufungsverfahren enthält nichts, was geeignet wäre, eine andere Entscheiung herbeizuführen. Die Beklagte hat sich somit auch im Widerspruchsbescheid vom 11.10.2001, der Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, auf ihre bisherige Rechtsauffassung bezogen und mit Recht abgelehnt, in eine Überprüfung der Rentenangelegenheit des Klägers einzutreten.

Nach allem konnte daher die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, sie ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved