L 3 U 33/94

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 220/93
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 33/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15.12.1993 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit Nr.2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können), streitig. Der Kläger führt sein Wirbelsäulenleiden auf seine langjährige Tätigkeit als Friseur zurück.

Der am 1931 geborene Kläger war bis zum 31.12.1991 als selbständiger Friseur tätig. Im Rahmen eines Verfahrens bei der Beklagten auf Anerkennung einer Sehnenscheidenentzündung als Berufskrankheit - diesbezüglich ist nachfolgend am 15.01.1991 die Klage zurückgenommen worden (Az.: S 4 U 254/89) - hat der Kläger zur Begründung des Widerspruches u.a. auch geltend gemacht, dass er erhebliche Schmerzen im Rücken habe und deshalb seinen Beruf nicht mehr ausüben könne.

Die Beklagte hat im Verfahren wegen Anerkennung einer berufsbedingten Wirbelsäulenerkrankung zur Sachaufklärung den Kläger auf Veranlassung des Bayer. Landesinstituts für Arbeitsmedinzin in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau neurologisch (GA Dr.N. vom 21.09.1992) und chirurgisch (GA Prof. Dr.P. vom 04.11.1992) untersuchen und begutachten lassen. Diese verneinten eine berufsbedingte Erkrankung der Wirbelsäule.

Mit Bescheiden vom 04.06.1993 hat die Beklagte sodann die Anerkennung von Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheiten abgelehnt. Hinsichtlich der LWS-Erkran- bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bestehe, darüber hinaus sei nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Kenntnisse die berufliche Tätigkeit als Friseurmeister nicht geeignet, eine LWS-Erkrankung im Sinne der Nr.2108 der Anlage 1 zu BKVO zu verursachen.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er in den letzten 15 Jahren im Wesentlichen als Herrenfriseur gearbeitet habe, durch die dadurch bedingte, stehende, einseitige Belastung in ungünstiger Körperhaltung sei sein Wirbelsäulenleiden verursacht worden. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22.09.1993).

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg Klage erhoben und weiterhin geltend gemacht, dass seine Lendenwirbelsäulenbeschwerden auf die stehende, einseitige Belastung bei der Ausübung seines Berufes als Friseur zurückzuführen seien. Auch sei im Schwerbehindertenverfahren ein GdB um 40 v.H. anerkannt worden.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.06.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1993 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO zu entschädigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 15.12.1993 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe zu Recht die Anerkennung einer Berufskrankheit abgelehnt. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor, zur Begründung werde vollinhaltlich Bezug genommen auf die Begründung des angefochtenen Bescheides mit Widerspruchsbescheid.

Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung machte der Kläger weiterhin - unter Bezugnahme auf seine Ausführungen vor dem Sozialgericht - sein Wirbelsäulenleiden als Berufskrankheit, d.h. als Folge seiner 15-jährigen Tätigkeit als Herrenfriseur, geltend. Er habe täglich über 10 Stunden gearbeitet und könne sich nicht vorstellen, dass dies ohne Folgen geblieben sei. Er bitte um Begutachtung durch einen vom LSG zu benennenden Sachverständigen.

Mit Zustimmung der Beteiligten war zunächst eine Entscheidung im Beschlussverfahren vorgesehen gewesen. Wegen der Problematik der Anerkennung eines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit, der Aussetzung der einschlägigen Rechtsstreite bis zur Entscheidung des BSG und nach dessen Entscheidung sowie im Hinblick darauf, dass abgesehen von den Gutachten der Beklagten auf orthopädischem und neurologischem Gebiet Gutachten seitens des Sozialgerichts nicht vorlagen, wurde von der beabsichtigten Vorgehensweise Abstand genommen und dann - nach Beiziehung der einschlägigen medizinischen Unterlagen - zur weiteren Sachaufklärung in medizinischer Hinsicht ein Gutachten des Orthopäden Dr.F. eingeholt. In seinem Gutachten vom 18.08.2001 verneinte er sowohl eine Berufskrankheit nach Nr.2108 wie auch nach Nr.2109.

Der Kläger hat sich zu dem Gutachten des Dr.F. , das ihm am 22.08.2001 übersandt worden ist, nicht geäußert.

Der Kläger beantragt - sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 15.12.1993 und des Bescheides vom 04.06.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1993 zu verurteilen, sein Wirbelsäulenleiden als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO im Wege der Gewährung von Verletztenrente zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Sozialgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens als Berufskrankheit nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. der Nr.2108 der Anlage 1 zur BKVO, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Dies hat das Sozialgericht - gestützt auf die eingehenden und auch nach Ansicht des Senats überzeugenden Darlegungen in den von der Beklagten eingeholten Gutachten der Sachverständigen Prof.Dr.P. und Dr.N. , die das Sozialgericht im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte - zutreffend dargelegt. Dieser Auffassung schließt sich der Senat, bestärkt durch das von ihm im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr.F. , an.

Daraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass beim Kläger eine Berufskrankheit im vorgenannten Sinn nicht vorliegt. Zur Beurteilung der Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 bzw. - der zuletzt nicht mehr geltend gemachten - 2109 sind die arbeitstechnischen Bedingungen, die Schadenslage und die medizinisch-rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen. Abgesehen von der zwischenzeitlich erfolgten Berufsaufgabe fehlt es im Fall des Klägers an sämtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit. Bereits hinsichtlich der arbeitstechnischen Bedingungen sind die gehörten Sachverständigen der Auffassung, dass beim Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit als Friseur die geforderten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben. Auf die zwischen den Beteiligten unterschiedliche Wertung, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen überhaupt erfüllt sind, brauchte der Senat jedoch - weil letztlich nicht entscheidungserheblich - nicht näher einzugehen, weil er auch die übrigen Voraussetzungen, insbesondere die medizinischen Voraussetzungen, im Ergebnis verneint hat. Selbst bei Vorliegen der sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gäbe es zudem keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass dann die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist. Der Grund hierfür liegt darin, dass entsprechende Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Ganz wesentlich ist der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess, dem ein jeder Mensch ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt ist und der nicht zu verhindern ist. Aus epidemiologischen Studien gehen zudem eine Reihe weiterer Ursachenfaktoren hervor, die auch im Fall des Klägers vorliegen und von Dr.F. sehr eingehend abgehandelt und in die Kausalitätsbeurteilung mit einbezogen worden sind (wird noch ausgeführt).

Desweiteren fehlt es an der ebenfalls notwendigen Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit im vorgenannten Sinn, nämlich an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Hals- oder Lendenwirbelsäule. Wie Dr.F. gut nachvollziehbar ausgeführt hat, ist letztlich eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der vorgenannten Berufskrankheit nicht nachgewiesen. Er beschreibt beim Kläger vielfältige Gesundheitsstörungen im Bereich der Wirbelsäule unter Bezugnahme auf die Vorgutachten und die hierzu erhobenen Röntgenbefunde, z.B. ergeben sich hieraus an der HWS erhebliche spondylotische Ausziehungen und Bandscheibenverschmälerungen zwischen dem 5. bis 7. HWK in geringem Umfang. An der LWS wurden ebenfalls Randspornbildungen gefunden. Gering eingeengt waren die 4. und 5. Lendenbandscheibe. Die unteren Lendenwirbelkörper wiesen Sklerosierungen der Deck- und Grundplatten auf. Dr.F. hat darauf hingewiesen, dass die bildtechnisch nachweisbaren Veränderungen das altersdurchschnittlich zu erwartende Maß nicht überschreiten. Allerdings war diese Aussage eingeschränkt, weil nur 1992 erhobene Befunde zugrunde gelegt werden konnten und keine neuen, weil sich der Kläger einer weiteren radiologischen Abklärung nicht gestellt hat. Hinzu kommt, dass die Lokalisation der Veränderungen auch mit der beruflichen Einwirkung nicht korrelieren. Das Verteilungsmuster etwa gleichartiger degenerativer Veränderungen der HWS und LWS spricht für eine generalisierte Erkrankung der Wirbelsäule aus innerer Ursache. Diese Schlussfolgerung wird bestärkt durch das Vorliegen konkurrierender Verursachungsmöglichkeiten anlagebedingter entzündlicher Genese. Beim Kläger liegen laut Aktenunterlagen eine Harnsäureerhöhung und ein Leberschaden mit stärker erhöhter Gamma-GT vor. Es wurden auch Fettstoffwechselstörungen gefunden. Sowohl toxisch-nutritive Einflüsse, die bei dem festgestellten Leberzellschaden anzunehmen sind, als auch Harnsäureerhöhung und Fettstoffwechselstörungen sind als Ursache von degenerativen Veränderungen der Bandscheiben anzusehen. Da auch leichte Funktionsstörungen der Schultergelenke, der Hüftgelenke, Hinweise auf eine Knorpelschädigung des linken Kniegelenks, früher Sehnenscheidenentzündungen und eine Epicondylitis vorgelegen haben, liegen Hinweise auf mehrfache Erkrankungen des Skelettsystems vor. Diese sprechen ebenso wie das Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden für die Entwicklung degenerativer Veränderungen des Skelettsystems aus innerer Ursache.

Nach allem ist daher davon auszugehen, dass die Mehrzahl der medizinisch-rechtlichen Bedingungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind, nach allem kann daher eine Berufskrankheit im Sinne der Ziffer 2108, die hier zuletzt nur noch geltend gemacht wurde, nicht anerkannt werden.

Die Berufung ist somit unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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