Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 698/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 37/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.12.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Pflegegeld wegen der Folgen des Unfalls des Klägers vom 12.07.1982 streitig.
Der am 1966 geborene Kläger verunglückte am 12.07.1982 auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Moped. Er zog sich dabei eine LWK-2-Berstungsfraktur mit Verrenkung zu mit nachfolgendem Cauda-Equina-Syndrom mit der Folge einer inkompletten Querschnittslähmung in Höhe des 3. Lendenwirbelkörpers. Der Kläger ist auch nach seiner Verletzung als Informationselektroniker ganztags tätig. Entsprechend eines vor dem Sozialgericht im Verfahren S 24 U 401/89 am 25.07.1989 geschlossenen Vergleichs bezieht der Kläger ab 07.08.1986 Vollrente. In diesem Vergleich verzichtete er für die Zeit ab 26.06.1986 auf das Pflegegeld gemäß § 46 Abs.1 Sozialgesetzbuch (SGB) I.
Am 22.12.1993 beantragte der Kläger erstmals nach Abschluss dieses Vergleichs die Gewährung von Pflegegeld. Mit einem am 17.03.1998 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger erneut, die Pflegebedürftigkeit festzustellen.
Gestützt auf das Gutachten des Dr.R. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , vom 13.01.1994, das einen unveränderten objektiven Befund bei fehlender Pflegebedürftigkeit feststellt, hat die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.1994 den Antrag des Klägers abgelehnt. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.10.1994).
Dagegen hat der Kläger nachfolgend beim Sozialgericht München Klage erhoben und ausgeführt, seine Beschwerden hätten sich in den letzten zehn Jahren zunehmend verschlechtert, er leide unter zunehmenden Schmerzen. Beigezogen waren die anläßlich regelmäßiger interner und urologischer Begutachtung in der Unfallklinik M. erhobenen Befunde nebst nervenärztlichem Zusatzgutachten des Dr.N. vom 21.01.1999. Dr.R. hat in einem Schreiben vom 29.03.1999 an die Beklagte zur Pflegebedürftigkeit des Klägers Stellung genommen und - ohne dass der Einschätzung eine Befundänderung zugrunde liege - die Auffassung vertreten, dass die Verletzung des Klägers einen Anspruch auf Pflegegeld begründe wegen der kompletten Blasen- und Mastdarmlähmung.
Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1994 zu verurteilen, ihm ab 17.03.1998 Pflegegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 14.12.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Streitig sei nur mehr der Anspruch auf Pflegegeld ab 17.03.1998. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 44 Abs.1 SGB VII - der hier abweichend von § 212 SGB VII auch für Versicherungsfälle vor dem 01.07.1997 gelte, zumindest für den hier noch streitigen Anspruch sei daher auf § 44 SGB VII abzustellen - bestehe nicht, weil der Kläger nicht hilflos im Sinne des Gesetzes sei. § 44 Abs.1 SGB VII definiere den Begriff der Pflegebedürftigkeit in Anlehnung an § 14 SGB XI, wobei diese Definition der Auslegung des bisherigen Rechts gemäß § 558 Abs.1 Reichsversicherungsordnung (RVO) entspreche. Danach bestehe Hilflosigkeit, wenn der Verletzte in regelmäßiger Wiederkehr, wenn auch nicht fortlaufend und täglich, für zahlreiche persönliche Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang auf Unterstützung Anderer (Wartung und Pflege) angewiesen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in Anlehnung an § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG) den Begriff der Hilflosigkeit dahingehend ausgelegt, dass für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für Einzelne, sondern für zahlreiche - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauerhaft Bedarf besteht. Bei Anwendung dieser Grundsätze sei ein Anspruch auf Pflegegeld zu versagen gewesen. Dabei stützte sich das Gericht auf das Gutachten des Dr.R. vom 13.01.1994. Die überzeugende Schlussfolgerung des Gutachtens werde gestützt durch die geprüften Beurteilungskriterien für Pflegegeld als Anlage zum Gutachten. So sei die persönliche Wartung und Pflege mit Ausnahme der großen Körperhygiene (Vollbad) sichergestellt, das Aufstehen und Hinlegen im Bett sei zur Not allein und ohne Aufsicht möglich, Essen und Trinken sei allein und ohne fremde Hilfe möglich und die Bewegung im Straßenverkehr im PKW sei ebenfalls eigenständig möglich. Einschränkungen seien beim An- und Ausziehen - wenn auch zur Not allein und ohne Aufsicht - sowie bei der Toilettenbenutzung gegeben, während beim Aufstehen und Setzen auf oder vom Rollstuhl sowie beim Gehen zu ebener Erde ausschließlich fremde Hilfe erforderlich sei. Es sei dabei nicht zu beanstanden, wenn Dr.R. daraus unter Würdigung der gesundheitlichen Gesamtverfassung des Klägers dessen Pflegebedürftigkeit verneint habe. Dieser Wertung schließe sich das Gericht an, wobei es bestärkt werde durch die Schilderung des Klägers über die notwendigen und naheliegenden Hilfen im Arbeitsbereich, die den Grad der Hilflosigkeit gerade nicht bestätigen. Im Bezug auf die unabhängig von der Gestaltung des Arbeitsplatzes auszuübenden täglichen Verrichtungen des täglichen Lebens sei eine Hilfe Anderer in so erheblichem Umfang, dass von einer fortwährenden erforderlichen Hilfe im Sinne der Hilflosigkeit gesprochen werden könnte, nicht erkennbar. Aus den regelmäßig vom Unfallkrankenhaus M. bis in jüngster Zeit vorliegenden urologischen und internistischen Befundberichten, insbesondere aus dem Gutachten von Dr.N. und Dr.R. , ergebe sich im Wesentlichen eine durchgehend gleichbleibende Gesundheitslage. Vor diesem Hintergrund habe der ärztlichen Stellungnahme von Dr.R. vom 29.03.1999 nicht gefolgt werden können, zumal Dr.R. ausdrücklich auf die gleichbleibende Befundlage hingewiesen habe.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Gewährung von Pflegegeld in gesetzlicher Höhe ab dem 17.03.1998 beantragt. Er wiederholte, dass er seit seinem Arbeitsunfall vom 12.07.1982 an einer inkompletten Querschnittslähmung mit der Folge einer Blasen- und Mastdarmlähmung leide und deshalb bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei. Eine Hilfsperson müsse ständig im Sinne einer Bereitschaft anwesend sein, er überschreite die Schwelle in § 15 Abs.1 Nr.1 SGB XI - Pflegestufe I, eine Hilflosigkeit im Sinne von § 44 SGB VII sei damit gegeben. Im Weiteren bezieht er sich auf den Vorschlag des Dr.R. in dessen Stellungnahme vom 29.03.1999. Sein Zustand habe sich seit 1994 zudem verschlechtert, er leide an Nervenschmerzen, die er mit starken Medikamenten dämpfen müsse. Diese Einnahme führe zu Stuhl- und Darminkontinenz sowie Magenschmerzen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule habe sich verändert, so dass zunehmender Hilfebedarf beim An- und Auskleiden bestehe. Er rügte ferner, dass vom Gericht erster Instanz kein unabhängiger Gutachter bestellt worden sei.
Die Beklagte hat weitere Befundberichte - urologisch vom 25.05.2000 und chirurgisch vom 01.06.2000 - der Berufsgenossenschafts-Unfallklinik M. über Nachuntersuchung vom Mai 2000 übersandt, wonach die jetzigen Untersuchungsergebnisse nicht für eine Verschlimmerung sprächen.
Der Kläger ließ eine Aufstellung über den Pflegebedarf vorlegen. Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.09.2000 Stellung genommen und zusammenfassend dargelegt, dass sich die Angaben des Klägers zu seinem Tagesablauf anhand der medizinischen Unterlagen nicht belegen ließen. Für das ab 17.03.1998 beantragte Pflegegeld sehe sie keine Grundlage, biete jedoch dem Kläger an, den Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld ab 01.09.1999 anhand der ab 01.09.1999 in Kraft getretenen neuen Richtlinien, die größere Differenzierungsmöglichkeiten enthielten, erneut zu prüfen und rechtsbehelfsfähig zu entscheiden.
Der Senat hat ein orthopädisches Gutachten von Amts wegen des Dr.F. vom 22.07.2001 und - auf dessen Vorschlag - auf neurologischem Gebiet von Prof.Dr.B. vom 11.12.2001 eingeholt. Der Kläger hat bei Dr.F. angegeben, dass er ohne fremde Hilfe essen und trinken und auch den Teil der Körperpflege durchführen könne, welcher in Oberkörpernähe ablaufe, z.B. Rasieren und Zähne putzen. Zum Duschen, zum Ablegen der Beinkleider und zur Verrichtung von Notdurft bedürfe er fremder Hilfe. Das Haus könne er mit Rollstuhl, Peronäusschienen und einem umgebauten PKW ohne Hilfe verlassen. Er sei vollschichtig als Informationselektroniker berufstätig und übe auch Sport in Form von Basketballspielen aus. Er benutze einen handelsüblichen Rollstuhl, einen Sportrollstuhl, jedoch keine Krücken. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Kläger als Folge seines Arbeitsunfalls vom 12.07.1982 zwar für einige, oben genannte Verrichtungen der Hilfe bedürfe, jedoch nicht begründet werden könne, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Maß der Hilfe bedürfe.
Die Beklagte sah hierdurch ihre Auffassung bestätigt, sie übersandte einen weiteren Bericht der Unfallklinik M. vom 28.07.2001, worin dokumentiert sei, dass sich der Kläger selbst als weitgehend selbständig betrachte. Prof.Dr.S. , Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik der L.-Universität (LMU) M./Prof. Dr.B. kamen im Gutachten vom 11.12.2001 - unter Auswertung der vorliegenden Unterlagen und einer ambulanten Untersuchung des Klägers - zu der Auffassung, dass aus neurologischer Sicht für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, wie sie im Gesetz definiert seien, im Ablauf des täglichen Lebens keine erhebliche Hilfe notwendig sei. Wegen der Schmerzsymptomatik wurde jedoch zur Vorstellung in einem interdisziplinär arbeitenden Schmerzzentrum geraten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14.12.1999 und des Bescheides vom 09.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1994 zu verurteilen, ihm ab dem 17.03.1998 Pflegegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach § 44 Abs.1 SGB VII - inhaltsgleich mit der Vorschrift des § 558 Abs.1 RVO -, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen, wie das Sozialgericht eingehend und überzeugend dargelegt hat, nicht erfüllt sind. Nach § 44 SGB VII besteht ein Anspruch auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit - hier das vom Kläger gemachte Pflegegeld - dann und solange, wie der Versicherte infolge des Versicherungsfalles, hier des Arbeitsunfalles des Klägers, so hilflos ist, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedarf. Dass diese Voraussetzungen beim Kläger nicht vorliegen, ergibt sich nicht nur aus den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts, sondern bestätigen zur Überzeugung des Senats auch die Ergebnisse der nunmehr vom Senat eingeholten Gutachten auf orthopädischem Gebiet von Dr.F. sowie auf neurologischem Gebiet von Prof.Dr.B./Prof.Dr.S ... Hierauf wird im Einzelnen Bezug genommen. Zu den Einschränkungen des Klägers und dem hieraus resultierenden Hilfebedarf führen die Letztgenannten im Wesentlichen aus, dass aus neurologischer Sicht als gravierende Folge des Unfalls ein für die Nervenwurzeln L 3/L 4 inkomplettes und ab L 5 bis S 5 komplettes Cauda-Syndrom vorliegt. Als Folge davon besteht eine komplette Lähmung der Unterschenkel- und Fußmuskeln beiderseits sowie der Blasen- und Mastdarmkontrolle. Für die Oberschenkelmuskulatur besteht eine leichte Parese für die Oberschenkelstreckung und Unterschenkelbeugung sowie die Beinstreckung und die Hüftbeugung. Aufgrund dieser Ausfälle ist Gehen nur in einem unphysiologischen Rahmen durch Schwung holen aus der Hüfte und Überstreckung im Kniegelenk möglich. Eine Restgehfähigkeit besteht auch heute noch, sie wird vom Kläger aber nur in geringem Umfang genutzt, so z.B. zum Transfer aus dem Rollstuhl in den PKW und Verstauung des Rollstuhls im PKW. Diese geringe Restgehfähigkeit erlaubt aber auch den Transfer vom Rollstuhl zur Toilette bzw. zu Stühlen und ist damit ein Teil einer gewissen Selbständigkeit. Dass es zu einer Verschlechterung der initialen Gehfähigkeit mit Hilfsmitteln - Peronnäusschienen und Gehstöcken - von 200 m gekommen sei, so die Behauptung des Klägers, lasse sich aus dem neurologischen Befund, wie die vorgenannten Neurologen ausführen, nicht eindeutig erklären. Wegen der fehlenden Schutzsensibilität im Bereich der Füße ist zwar bei vermehrtem Gehen eine erhöhte Vorsicht und Anspruch an das Schuhwerk zu stellen, um Verletzungen zu vermeiden. Wegen der zweiten wesentlichen Folge des Cauda-Syndroms - des neuropathischen Schmerzsyndroms - ist bisher eine den allgemeinen Regeln entsprechende Therapie dieser neuropathologischen Schmerzen nicht erfolgt und daher von den vorgenannten Sachverständigen eine Dauertherapie empfohlen worden. Zwar kann bei Auftreten der Schmerzattacken eine zusätzliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit gegeben sein, diese ist jedoch durch die vorgeschlagene Behandlung zu beheben bzw. zu reduzieren. Nach dem gegenwärtigen Sachstand konnte daher die Berufung des Klägers mit dem Ziel der Gewährung von Pflegegeld ab 17.03.1998 keinen Erfolg haben. Die Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Pflegegeld wegen der Folgen des Unfalls des Klägers vom 12.07.1982 streitig.
Der am 1966 geborene Kläger verunglückte am 12.07.1982 auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Moped. Er zog sich dabei eine LWK-2-Berstungsfraktur mit Verrenkung zu mit nachfolgendem Cauda-Equina-Syndrom mit der Folge einer inkompletten Querschnittslähmung in Höhe des 3. Lendenwirbelkörpers. Der Kläger ist auch nach seiner Verletzung als Informationselektroniker ganztags tätig. Entsprechend eines vor dem Sozialgericht im Verfahren S 24 U 401/89 am 25.07.1989 geschlossenen Vergleichs bezieht der Kläger ab 07.08.1986 Vollrente. In diesem Vergleich verzichtete er für die Zeit ab 26.06.1986 auf das Pflegegeld gemäß § 46 Abs.1 Sozialgesetzbuch (SGB) I.
Am 22.12.1993 beantragte der Kläger erstmals nach Abschluss dieses Vergleichs die Gewährung von Pflegegeld. Mit einem am 17.03.1998 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger erneut, die Pflegebedürftigkeit festzustellen.
Gestützt auf das Gutachten des Dr.R. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M. , vom 13.01.1994, das einen unveränderten objektiven Befund bei fehlender Pflegebedürftigkeit feststellt, hat die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.1994 den Antrag des Klägers abgelehnt. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.10.1994).
Dagegen hat der Kläger nachfolgend beim Sozialgericht München Klage erhoben und ausgeführt, seine Beschwerden hätten sich in den letzten zehn Jahren zunehmend verschlechtert, er leide unter zunehmenden Schmerzen. Beigezogen waren die anläßlich regelmäßiger interner und urologischer Begutachtung in der Unfallklinik M. erhobenen Befunde nebst nervenärztlichem Zusatzgutachten des Dr.N. vom 21.01.1999. Dr.R. hat in einem Schreiben vom 29.03.1999 an die Beklagte zur Pflegebedürftigkeit des Klägers Stellung genommen und - ohne dass der Einschätzung eine Befundänderung zugrunde liege - die Auffassung vertreten, dass die Verletzung des Klägers einen Anspruch auf Pflegegeld begründe wegen der kompletten Blasen- und Mastdarmlähmung.
Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1994 zu verurteilen, ihm ab 17.03.1998 Pflegegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 14.12.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Streitig sei nur mehr der Anspruch auf Pflegegeld ab 17.03.1998. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 44 Abs.1 SGB VII - der hier abweichend von § 212 SGB VII auch für Versicherungsfälle vor dem 01.07.1997 gelte, zumindest für den hier noch streitigen Anspruch sei daher auf § 44 SGB VII abzustellen - bestehe nicht, weil der Kläger nicht hilflos im Sinne des Gesetzes sei. § 44 Abs.1 SGB VII definiere den Begriff der Pflegebedürftigkeit in Anlehnung an § 14 SGB XI, wobei diese Definition der Auslegung des bisherigen Rechts gemäß § 558 Abs.1 Reichsversicherungsordnung (RVO) entspreche. Danach bestehe Hilflosigkeit, wenn der Verletzte in regelmäßiger Wiederkehr, wenn auch nicht fortlaufend und täglich, für zahlreiche persönliche Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang auf Unterstützung Anderer (Wartung und Pflege) angewiesen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in Anlehnung an § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG) den Begriff der Hilflosigkeit dahingehend ausgelegt, dass für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden - nicht nur für Einzelne, sondern für zahlreiche - Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens ganz oder in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauerhaft Bedarf besteht. Bei Anwendung dieser Grundsätze sei ein Anspruch auf Pflegegeld zu versagen gewesen. Dabei stützte sich das Gericht auf das Gutachten des Dr.R. vom 13.01.1994. Die überzeugende Schlussfolgerung des Gutachtens werde gestützt durch die geprüften Beurteilungskriterien für Pflegegeld als Anlage zum Gutachten. So sei die persönliche Wartung und Pflege mit Ausnahme der großen Körperhygiene (Vollbad) sichergestellt, das Aufstehen und Hinlegen im Bett sei zur Not allein und ohne Aufsicht möglich, Essen und Trinken sei allein und ohne fremde Hilfe möglich und die Bewegung im Straßenverkehr im PKW sei ebenfalls eigenständig möglich. Einschränkungen seien beim An- und Ausziehen - wenn auch zur Not allein und ohne Aufsicht - sowie bei der Toilettenbenutzung gegeben, während beim Aufstehen und Setzen auf oder vom Rollstuhl sowie beim Gehen zu ebener Erde ausschließlich fremde Hilfe erforderlich sei. Es sei dabei nicht zu beanstanden, wenn Dr.R. daraus unter Würdigung der gesundheitlichen Gesamtverfassung des Klägers dessen Pflegebedürftigkeit verneint habe. Dieser Wertung schließe sich das Gericht an, wobei es bestärkt werde durch die Schilderung des Klägers über die notwendigen und naheliegenden Hilfen im Arbeitsbereich, die den Grad der Hilflosigkeit gerade nicht bestätigen. Im Bezug auf die unabhängig von der Gestaltung des Arbeitsplatzes auszuübenden täglichen Verrichtungen des täglichen Lebens sei eine Hilfe Anderer in so erheblichem Umfang, dass von einer fortwährenden erforderlichen Hilfe im Sinne der Hilflosigkeit gesprochen werden könnte, nicht erkennbar. Aus den regelmäßig vom Unfallkrankenhaus M. bis in jüngster Zeit vorliegenden urologischen und internistischen Befundberichten, insbesondere aus dem Gutachten von Dr.N. und Dr.R. , ergebe sich im Wesentlichen eine durchgehend gleichbleibende Gesundheitslage. Vor diesem Hintergrund habe der ärztlichen Stellungnahme von Dr.R. vom 29.03.1999 nicht gefolgt werden können, zumal Dr.R. ausdrücklich auf die gleichbleibende Befundlage hingewiesen habe.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Gewährung von Pflegegeld in gesetzlicher Höhe ab dem 17.03.1998 beantragt. Er wiederholte, dass er seit seinem Arbeitsunfall vom 12.07.1982 an einer inkompletten Querschnittslähmung mit der Folge einer Blasen- und Mastdarmlähmung leide und deshalb bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei. Eine Hilfsperson müsse ständig im Sinne einer Bereitschaft anwesend sein, er überschreite die Schwelle in § 15 Abs.1 Nr.1 SGB XI - Pflegestufe I, eine Hilflosigkeit im Sinne von § 44 SGB VII sei damit gegeben. Im Weiteren bezieht er sich auf den Vorschlag des Dr.R. in dessen Stellungnahme vom 29.03.1999. Sein Zustand habe sich seit 1994 zudem verschlechtert, er leide an Nervenschmerzen, die er mit starken Medikamenten dämpfen müsse. Diese Einnahme führe zu Stuhl- und Darminkontinenz sowie Magenschmerzen. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule habe sich verändert, so dass zunehmender Hilfebedarf beim An- und Auskleiden bestehe. Er rügte ferner, dass vom Gericht erster Instanz kein unabhängiger Gutachter bestellt worden sei.
Die Beklagte hat weitere Befundberichte - urologisch vom 25.05.2000 und chirurgisch vom 01.06.2000 - der Berufsgenossenschafts-Unfallklinik M. über Nachuntersuchung vom Mai 2000 übersandt, wonach die jetzigen Untersuchungsergebnisse nicht für eine Verschlimmerung sprächen.
Der Kläger ließ eine Aufstellung über den Pflegebedarf vorlegen. Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.09.2000 Stellung genommen und zusammenfassend dargelegt, dass sich die Angaben des Klägers zu seinem Tagesablauf anhand der medizinischen Unterlagen nicht belegen ließen. Für das ab 17.03.1998 beantragte Pflegegeld sehe sie keine Grundlage, biete jedoch dem Kläger an, den Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld ab 01.09.1999 anhand der ab 01.09.1999 in Kraft getretenen neuen Richtlinien, die größere Differenzierungsmöglichkeiten enthielten, erneut zu prüfen und rechtsbehelfsfähig zu entscheiden.
Der Senat hat ein orthopädisches Gutachten von Amts wegen des Dr.F. vom 22.07.2001 und - auf dessen Vorschlag - auf neurologischem Gebiet von Prof.Dr.B. vom 11.12.2001 eingeholt. Der Kläger hat bei Dr.F. angegeben, dass er ohne fremde Hilfe essen und trinken und auch den Teil der Körperpflege durchführen könne, welcher in Oberkörpernähe ablaufe, z.B. Rasieren und Zähne putzen. Zum Duschen, zum Ablegen der Beinkleider und zur Verrichtung von Notdurft bedürfe er fremder Hilfe. Das Haus könne er mit Rollstuhl, Peronäusschienen und einem umgebauten PKW ohne Hilfe verlassen. Er sei vollschichtig als Informationselektroniker berufstätig und übe auch Sport in Form von Basketballspielen aus. Er benutze einen handelsüblichen Rollstuhl, einen Sportrollstuhl, jedoch keine Krücken. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Kläger als Folge seines Arbeitsunfalls vom 12.07.1982 zwar für einige, oben genannte Verrichtungen der Hilfe bedürfe, jedoch nicht begründet werden könne, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Maß der Hilfe bedürfe.
Die Beklagte sah hierdurch ihre Auffassung bestätigt, sie übersandte einen weiteren Bericht der Unfallklinik M. vom 28.07.2001, worin dokumentiert sei, dass sich der Kläger selbst als weitgehend selbständig betrachte. Prof.Dr.S. , Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik der L.-Universität (LMU) M./Prof. Dr.B. kamen im Gutachten vom 11.12.2001 - unter Auswertung der vorliegenden Unterlagen und einer ambulanten Untersuchung des Klägers - zu der Auffassung, dass aus neurologischer Sicht für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, wie sie im Gesetz definiert seien, im Ablauf des täglichen Lebens keine erhebliche Hilfe notwendig sei. Wegen der Schmerzsymptomatik wurde jedoch zur Vorstellung in einem interdisziplinär arbeitenden Schmerzzentrum geraten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14.12.1999 und des Bescheides vom 09.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1994 zu verurteilen, ihm ab dem 17.03.1998 Pflegegeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil zutreffend sei.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach § 44 Abs.1 SGB VII - inhaltsgleich mit der Vorschrift des § 558 Abs.1 RVO -, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen, wie das Sozialgericht eingehend und überzeugend dargelegt hat, nicht erfüllt sind. Nach § 44 SGB VII besteht ein Anspruch auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit - hier das vom Kläger gemachte Pflegegeld - dann und solange, wie der Versicherte infolge des Versicherungsfalles, hier des Arbeitsunfalles des Klägers, so hilflos ist, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Hilfe bedarf. Dass diese Voraussetzungen beim Kläger nicht vorliegen, ergibt sich nicht nur aus den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts, sondern bestätigen zur Überzeugung des Senats auch die Ergebnisse der nunmehr vom Senat eingeholten Gutachten auf orthopädischem Gebiet von Dr.F. sowie auf neurologischem Gebiet von Prof.Dr.B./Prof.Dr.S ... Hierauf wird im Einzelnen Bezug genommen. Zu den Einschränkungen des Klägers und dem hieraus resultierenden Hilfebedarf führen die Letztgenannten im Wesentlichen aus, dass aus neurologischer Sicht als gravierende Folge des Unfalls ein für die Nervenwurzeln L 3/L 4 inkomplettes und ab L 5 bis S 5 komplettes Cauda-Syndrom vorliegt. Als Folge davon besteht eine komplette Lähmung der Unterschenkel- und Fußmuskeln beiderseits sowie der Blasen- und Mastdarmkontrolle. Für die Oberschenkelmuskulatur besteht eine leichte Parese für die Oberschenkelstreckung und Unterschenkelbeugung sowie die Beinstreckung und die Hüftbeugung. Aufgrund dieser Ausfälle ist Gehen nur in einem unphysiologischen Rahmen durch Schwung holen aus der Hüfte und Überstreckung im Kniegelenk möglich. Eine Restgehfähigkeit besteht auch heute noch, sie wird vom Kläger aber nur in geringem Umfang genutzt, so z.B. zum Transfer aus dem Rollstuhl in den PKW und Verstauung des Rollstuhls im PKW. Diese geringe Restgehfähigkeit erlaubt aber auch den Transfer vom Rollstuhl zur Toilette bzw. zu Stühlen und ist damit ein Teil einer gewissen Selbständigkeit. Dass es zu einer Verschlechterung der initialen Gehfähigkeit mit Hilfsmitteln - Peronnäusschienen und Gehstöcken - von 200 m gekommen sei, so die Behauptung des Klägers, lasse sich aus dem neurologischen Befund, wie die vorgenannten Neurologen ausführen, nicht eindeutig erklären. Wegen der fehlenden Schutzsensibilität im Bereich der Füße ist zwar bei vermehrtem Gehen eine erhöhte Vorsicht und Anspruch an das Schuhwerk zu stellen, um Verletzungen zu vermeiden. Wegen der zweiten wesentlichen Folge des Cauda-Syndroms - des neuropathischen Schmerzsyndroms - ist bisher eine den allgemeinen Regeln entsprechende Therapie dieser neuropathologischen Schmerzen nicht erfolgt und daher von den vorgenannten Sachverständigen eine Dauertherapie empfohlen worden. Zwar kann bei Auftreten der Schmerzattacken eine zusätzliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit gegeben sein, diese ist jedoch durch die vorgeschlagene Behandlung zu beheben bzw. zu reduzieren. Nach dem gegenwärtigen Sachstand konnte daher die Berufung des Klägers mit dem Ziel der Gewährung von Pflegegeld ab 17.03.1998 keinen Erfolg haben. Die Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
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