L 17 U 415/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 U 338/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 415/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.1998 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, das Ereignis vom 14.01.1997 als Arbeitsunfall mit dem Gesundheitsschaden "Zerrung mit Weichteilödem" anzuerkennen und nach den gesetzlichen Vorschriften zu entschädigen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Ereignis vom 14.01.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Die am 1954 geborene Klägerin - von Beruf Krankenschwester - hob am 14.01.1997 einen ca 80 kg schweren Patienten an, der nach vorne auf sein Gesicht gefallen war und versuchte dabei dessen Oberkörper von hinten umzudrehen. Beim Anspannen der Oberarmmuskulatur verspürte sie ein Krachen in der linken Schulter. Sie erlitt laut Bericht des Chirurgen Dr.G. vom 15.01.1997 eine Zerrung der linken Schulter. Der Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur links bestätigte sich nicht (Sonographie des Orthopäden Dr.Z. vom 16.01.1997).

Mit Bescheid vom 17.03.1998 lehnte der Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 14.01.1997 als Arbeitsunfall ab mit der Begründung, es fehle an einem Schlag oder Stoß. Eine willentliche Kraftanstrengung könne nicht als Arbeitsunfall gewertet werden. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 10.11.1998 zurück.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben mit dem Antrag, die Bescheide des Beklagten aufzuheben sowie - sinngemäß - das Ereignis vom 14.01.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Sie hat vorgetragen, die Schulterbeschwerden seien unabhängig von Vorerkrankungen durch das Ereignis vom 14.01.1997 eingetreten.

Das SG hat Gutachten des Arbeitsmediziners Dr.Z. vom 26.07.1999 sowie gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Orthopäden Prof.G. vom 11.03.2000 eingeholt. Dr.Z. hat unter Berücksichtigung der Röntgenaufnahmen des erstbehandelnden Arztes Dr.G. und der kernspintomographischen Aufnahmen des Dr.L. vom 29.01.1997 die Bewegungseinschränkung der Klägerin im linken Schultergelenk auf eine Verkalkung der Bursa subdeltoidea zurückgeführt. Dr.G. hat einen Reizzustand nach Überdehnung bzw chronischer Überbeanspruchung der langen Bizepssehne links diagnostiziert.

Mit Urteil vom 22.08.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob Ursache der bei der Klägerin bestehenden Schmerzsymptomatik eine Verkalkung oder eine chronische Sehnenreizung sei, denn eine traumatische Schädigung der linken Schulter sei nicht erfolgt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Schulterbeschwerden seien aufgetreten, als sie in ihrer Tätigkeit als Krankenschwester den 80 kg schweren Patienten unverzüglich aufheben musste. Konkretes Schädigungsereignis sei die Berufsausübung, ein vergleichbarer Schaden wäre bei anderer Gelegenheit nicht aufgetreten.

Der Senat hat die Akten des AVF Nürnberg, einen Befundbericht des Dr.G. vom 07.05.2001, eine Krankheitenauskunft der AOK Bayern vom 19.03.2001, sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen beigezogen und orthopädische Gutachten des Dr.F. vom 09.10.2001 und Dr.S. vom 28.02.2002 eingeholt. Dr.F. hat ausgeführt, das bestehende Weichteilödem an der Vorderseite des Oberarmschaftes der Klägerin, das kernspintomographisch nachgewiesen ist, sei durch eine Zerrverletzung zu erklären. Da sich die Klägerin dieses durch einen aktiv und bewusst gesteuerten Vorgang zugezogen habe, liege kein Unfallereignis vor. Dr.S. hat ausgeführt, bei der Klägerin liege unfallunabhängig eine Einengung des Subacromialraumes mit Irritation der Bizepssehne sowie des Musculus supraspinatus vor. Bei dem Ereignis vom 14.01.1997 sei es zu einer starken Zerrung der Bizepssehne mit nachfolgender Entzündungsreaktion gekommen. Dieser unfallbedingte Schaden sei üblicherweise nach sechs Wochen abgeheilt. Wesentliche Ursache für die Beschwerdepersistenz sei das bei der Klägerin bestehende Engpasssyndrom.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 22.08.2000 und des Bescheides des Beklagten vom 17.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.1998 zu verurteilen, das Ereignis vom 14.01.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2000 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der Akte des AVF Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Im Gegensatz zur Auffassung des SG gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Klägerin am 14.01.1997 einen Arbeitsunfall erlitten hat, als sie einen zu Boden gefallenen, ca 80 kg schweren Mann aufgehoben hat. Dieses Ereignis beruhte ursächlich auf der betrieblichen Tätigkeit - sie war als Krankenschwester tätig und hob einen Patienten an - und es hat ursächlich einen Schaden bewirkt - die Klägerin erlitt eine Zerrung der linken Bizepssehne mit Weichteilödem. Die Voraussetzungen der §§ 2 Abs 1 Nr 1, 8 Abs 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII sind erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten scheitert die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht daran, dass die Beschwerden der Klägerin ohne äußeres Ereignis nach einer willentlichen Bewegung auftraten. Unfälle sind gemäß § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Durch das Erfordernis der Einwirkung von außen wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Unfall aufgrund innerer Ursache nicht als Arbeitsunfall anzusehen ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8.Auflage S 479, 480 mN). Für eine Einwirkung von außen genügt es, dass zB der Boden beim Auffallen des Versicherten gegen seinen Körper stößt. Auch dadurch wirkt ein Teil der Außenwelt auf den Körper des Versicherten ein (BSG in SozR 2200 § 550 Nr 35). Körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen sind äußere Vorgänge in diesem Sinne (KassKomm, Ricke § 548 RVO Anm 9; ebenso LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, HVBG Info 2000, 2067; LSG Baden-Württemberg HVBG Info 1996, 905).

Die geringen Anforderungen an das äußere Ereignis beruhen darauf, dass mit ihm nur Erscheinungen aufgrund rein innerer Vorgänge aus dem Unfallbegriff ausgeschieden werden sollen wie zB das Auftreten einer krankhaften Erscheinung, die allein oder wesentlich auf dem Gesundheitszustand des Verletzten beruht (zB Ohnmacht, epileptischer Anfall) (Ricke aaO Anm 10). Somit liegt ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis bei der Klägerin aufgrund des Anhebens des Patienten vor. Die Tatsache, dass die Klägerin willentlich den Patienten aufhob, führt nicht zur Verneinung eines Unfallereignisses.

Durch das Ereignis vom 14.01.1997 ist bei der Klägerin auch ein Körperschaden, nämlich eine "Zerrung mit Weichteilödem" verursacht worden.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist, dass zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang (haftungsausfüllende Kausalität) besteht. Ein ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Ursachenbegriff nur dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat. Es ist also nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, als Ursache anzusehen, sondern nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu den anderen einzelnen Bedingungen nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Wenn mehrere Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig zu dem Erfolg beigetragen haben, so ist jede von ihnen Ursache im Rechtssinne. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist er allein wesentliche Ursache im Rechtssinne. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der "wesentlichen Ursache" ein Wertbegriff ist. Die Frage, ob eine Mitursache für den Erfolg wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Wert, den ihr die Auffassung des täglichen Lebens gibt (BSGE 1, 72; 12, 242).

Im vorliegenden Fall führt diese Wertung dazu, dass die bei dem Unfall vom 14.01.1997 auf die linke Schulter der Klägerin einwirkende Kraft die wesentliche Ursache für eine Zerrung mit Weichteilödem war. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr.S. im Gutachten vom 28.02.2002 ist der Senat der Überzeugung, dass es durch die starke Beanspruchung der Bizepssehne links beim Aufheben des Patienten zu einer ausgedehnten Zerrung mit nachfolgender Entzündungsreaktion gekommen ist und, wie Dr.G. diagnostiziert und Dr.F. bestätigt hat, zu einer Weichteilödembildung im linken Oberarm, die kernspintomographisch zwei Wochen nach dem Ereignis nachgewiesen wurde. Diese Gesundheitsstörungen sind nach den überzeugenden Darlegungen des Dr.S. binnen sechs Wochen nach dem Unfall normalerweise ausgeheilt.

Für die darüber hinaus noch bestehende Beschwerdepersistenz ist das Unfallereignis nicht die wesentliche Ursache, sondern die Schadensanlage der Klägerin in Form einer Einengung des subacromialen Raumes und einer leichten Aufwulstung des Schultereckgelenkes mit Irritation der Bizepssehne sowie des Musculus supraspinatus. Eine schmerzhafte Irritation der Bizepssehne führt bei chronischem Impingement-Syndrom zu einer Schmerzhaftigkeit im entsprechenden Sulcus bizepitalis, der durch eine gemeinsame Sehnenscheide mit dem Schultergelenk und dem interartikulären Subacromialbereich in Verbindung steht. Aufgrund dieser Konstellation überzeugt die Auffassung des Dr.S. , dass die Persistenz der Entzündung nicht wesentlich durch das Unfallereignis verursacht ist, sondern schicksalhaft und damit unfallunabhängig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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