L 3 U 65/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 156/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 65/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.01.2000 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.1998 abgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob beim Kläger eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung - BKVO - vorliegt und ihm deshalb Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - um 20 vH bzw. um 30 vH zu gewähren ist.

Der am ...1940 geborene Kläger war nach einer Ausbildung zum Maurer (1954 bis 1959) ab 1959 als Verputzer beschäftigt. Von 1959 bis 1971 war er dabei in einer Verputzer-Akkordkolonne tätig, die er mit Material zu versorgen hatte, und ab 1971 bis 1980 als Verputzer, wobei der Verputz über einen Schlauch herangeführt wurde und auf die Wände aufzubringen war. Ab 1980 waren Verputzmaschinen mit Fertigmörtel im Einsatz. Daneben fielen stets die in diesem Bereich üblichen Transportarbeiten von Steinen, Gerüstbauteilen, Sackgebinden, Treppenstufen, Tür- und Fensterstürzen an. 1998 gab der Kläger seine Tätigkeit auf. Seit dem 01.04.1997 bezog er Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit und ab 01.02.1998 wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer von der Landesversicherungsanstalt Schwaben.

Am 29.01.1996 zeigte der Orthopäde Dr.B ... der Beklagten das Vorliegen einer Berufskrankheit beim Kläger an. Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen auf. Sie zog eine Auskunft über Mitgliedschaftszeiten und Leistungen der AOK, einen Befundbericht des Hausarztes Dr.W ... und Auskünfte der Arbeitgeber ein. Sie beauftragte ihren technischen Aufsichtdienst - TAD - zur beruflichen Belastung des Klägers Stellung zu nehmen. Am 02.04.1997 führte dieser aus, der Kläger habe von 1954 bis 1959 zu 50 Prozent und danach bis zu 35 Prozent seiner durchschnittlichen Arbeitszeit im Sinne der Berufskrankheit der Nr. 2108 belastend gearbeitet. Die haftungsbegründende Kausalität für diese Berufskrankheit sei geben. Die Beklagte beauftragte den Arzt für Orthopädie Dr.J ... mit einem Zusammenhangsgutachten. Am 21.07.1997 führte dieser aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und der tatsächlich beim Kläger vorliegenden Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule lasse sich nicht wahrscheinlich machen. Vielmehr erkläre sich das Leiden aus einer individuellen Disposition. Mit Bescheid vom 19.11.1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO ab. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.04.1998).

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Dieses hat die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg, die medizinischen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Schwaben und einen Abschlußbericht über ein in der Zeit vom 13.11.1992 bis 11.12.1992 in Bad Gögging durchgeführtes Heilverfahren beigezogen. Es hat den Orthopäden Dr.B ... zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 09.12.1999 dargelegt, beim Kläger bestehe das typische Bild einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Es seien belastungsadaptive Reaktionen erkennbar, welche eindeutig für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 sprächen. Seiner Meinung nach seien grundsätzlich einem an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule leidenden Versicherten über 30% des allgemeinen Arbeitsmarktes verschlossen. Dies gelte auch im Falle des Klägers. Mit Urteil vom 18.01.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 der BKVO anzuerkennen und Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH ab 01.02.1998 zu gewähren. Zur Begründung hat es sich wesentlich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr.B ... gestützt. Seiner MdE-Einschätzung ist es nicht gefolgt. Hierfür hat es vielmehr die in der Rentenliteratur anerkannte MdE-Bewertung für zutreffend gehalten. Danach sei ein Bandscheibenschaden mit Befall mehrerer Segmente ohne neurologische Ausfälle mit 20 vH zutreffend und ausreichend bewertet.

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf eine Stellungnahme des Orthopäden Dr.K ... vom 16.03.2000 bezogen. Dieser hat eingewandt, der gerichtliche Sachverständige habe die konkurrierenden Ursachen nicht hinreichend in sein Urteil einbezogen. Zur Höhe der MdE könne er sich erst äußern, wenn ihm die hierzu erforderlichen Röntgenbilder vorgelegten würden. Der Senat hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen beigezogen und den Orthopäden Dr.F ... mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige ist am 16.07.2000 zu der Auffassung gelangt, der völlig fehlende zeitliche Zusammenhang zwischen dem ersten Auftreten von Beschwerden bereits im Jahr 1957/1958 und der beruflich belastenden Tätigkeit spreche gegen eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108. Die Ablehnung sei durch die sich geradezu aufdrängenden konkurrierenden Ursachen, durch den möglichen aber nur bedingt nachzuweisenden Zusammenhang zwischen Berufsbelastung und Lokalisation der Veränderungen zu untermauern. Beim Kläger hätten sich bereits 1957 und 1958 Wirbelsäulenprobleme in Form einer Lumbago gezeigt. 1963 sei eine Wurzelneuritis diagnostiziert worden. Es seien damit zu einem sehr frühen Zeitpunkt Erkrankungen aufgetreten, die nicht auf eine langjährige Expositionszeit, sondern auf eine Veranlagung hindeuten würden.

Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) hat der Senat ein weiteres Gutachten an Dr.D ..., Orthopäde in Immenstadt, in Auftrag gegeben. Am 05.11.2000 hat dieser die Auffassung vertreten, die festgestellten krankhaften Veränderungen des unteren Achsenorgans seien durch langjähriges berufliches Heben und Tragen schwerer Lasten bedingt; eine Berufskrankheit der Nr. 2108 liege vor und mindere die Erwerbsfähigkeit seit 1998 um 30 Prozent. Er schließe sich dem Gutachten von Dr.B ... an.

Am 17.11.2000 hat der Kläger daraufhin Anschlußberufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.01.2000 eingelegt und beantragt, ihm Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH statt 20 vH zu gewähren. Die Beklagte hat erneut das Vorliegen einer Berufskrankheit verneint und sich auf die Stellungnahme des von ihr beauftragten Orthopäden Dr.K ... vom 20.12.2000 bezogen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.01.2000 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.1998 abzuweisen sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.01.2000 zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlußberufung unter Abänderung des Urteils zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH anstatt 20 vH zu gewähren.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Akte der Beklagten (U 0796009504) sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und auch begründet. Die Berufung des Klägers ist im Sinne einer Anschlußberufung (Meyer-Ladewig, SGG, 6.Aufl. § 143 Anm.5) zulässig, aber unbegründet.

Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil liegt beim Kläger keine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO in der Fassung vom 18.12.1992 (BGBl. I, S.2343) vor. Denn die darin genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule dann als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen, wenn diese durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden sind. Die Erkrankung muß den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben, und als Konsequenz aus diesem Zwang muß die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein. Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungs- begründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Der ursächliche Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist hingegen nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen; hierfür genügt grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - (BSG Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 29/99 R).

Unstreitig liegt beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Darin sind sich sämtliche im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren befaßten Sachverständigen einig. Nach einer am 17.11.1995 durchgeführten Computertomographie der Lendenwirbelsäule wurde eine knöcherne Foramenstenose bei L4 bis S1, jedoch kein Bandscheibenvorfall festgestellt. Daraus ist auf eine Einengung des Zwischenwirbellochs aufgrund degenerativer Veränderungen der Wirbelbogengelenke mit einer dadurch bedingten Nervenwurzelirritation zu schließen. Zugunsten des Klägers kann ferner angenommen werden, dass seine Tätigkeit - in den früheren Jahren ohne technische Hilfsmittel mehr - mit dem Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden war. Was unter langjährigem Heben und Tragen schwerer Lasten zu verstehen ist, definiert der Verordnungsgeber nicht weiter. In den Merkblättern, die vom ärztlichen Sachverständigenbeirat - Sektion Berufskrankheiten - beim Bundesminister für Arbeit erarbeitet worden sind, ist ausgeführt, unter "langjährig" sei in der Regel ein Zeitraum von 10 Jahren zu verstehen. Allerdings stellen diese Merkblätter lediglich rechtlich unverbindliche Hinweise für die Beurteilung im Einzelfall aus arbeitsmedizinischer Sicht dar. Als antizipierte Sachverständigengutachten oder als Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft können Sie nicht verwendet werden. Sie stellen lediglich eine wichtige, nicht aber unbedingt ausreichende Informationsquelle für die Praxis dar. Beim Vorliegen entsprechender gesicherter medizinischer Erkenntnisse kann bei intensiver Belastung auch ein kürzerer Zeitraum als "langjährig" im Sinne dieser Vorschrift gelten. Zugunsten des Klägers kann in diesem Zusammenhang unterstellt werden, dass sowohl seine Tätigkeit in der Zeit von 1954 bis 1959, für die der TAD eine 50 prozentige durchschnittliche Arbeitszeitbelastung festgestellt hat, als auch seine anschließende Tätigkeit, bei der die durchschnittliche Arbeitszeitbelastung nur zu 35 Prozent erreicht wurde, als gefährdend im o.g. Sinne gelten kann. Damit ist jedoch lediglich die Feststellung möglich, dass die Tätigkeit des Klägers generell geeignet war, die bei ihm tatsächlich vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule herbeizuführen. Zur Anerkennung der Berufskrankheit ist daneben erforderlich, dass die Erkrankung konkret-individuell durch die berufsbedingte Belastung überwiegend oder wenigstens annähernd gleichwertig gegenüber anderen erkennbaren Ursachen herbeigeführt worden ist.

An dieser Voraussetzung scheitert der Anspruch des Klägers. Der Senat stützt sich insoweit auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr.F ... Dieser weist daraufhin, dass beim Kläger bereits nach relativ kurzer Zeit der Berufstätigkeit, nämlich bereits 1957 und 1958 Wirbelsäulenprobleme in Form einer Lumbago aufgetretenen waren und 1963 eine Wurzelirritation diagnostiziert worden war. Die vorgenannten Erkrankungen führten auch zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, wie der Auskunft der AOK zu entnehmen ist, nämlich vom 29.03. bis 07.04.1957, vom 25.07. bis 02.08.1959 und vom 26.09. bis 04.10.1959. Insoweit kann der Senat den Ausführungen von Dr.B ..., den Akten seien lediglich Behandlungen wegen einer Lumboischialgie 1959 sowie 1971, 1978 und 1986 zu entnehmen, welche jedoch nicht zu einer Krankschreibung geführt hätten, so dass von weniger schwerwiegenden Beschwerden auszugehen sei, nicht folgen. Weder die vorgenannten Behandlungsdaten noch die Schlußfolgerung, diese Erkrankungen hätten keine Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt, lassen sich aus den Unterlagen der AOK belegen. So verwundert es nicht, wenn Dr.B ... dem zeitlichen Zusammenhang zwischen erstem Auftreten von Beschwerden und beruflicher Belastung keine wesentliche Bedeutung beimißt. Er stellt aus seiner Sicht folgerichtig fest, ein konstitutioneller Faktor der beschriebenen Erkrankung komme nicht in Betracht, weil dieser mit Sicherheit viel früher aufgefallen wäre und in der Familie derartige Veränderungen nicht bekannt seien. Demgegenüber bezieht sich Dr.F ... zu Recht auf bislang bekannte medizinische Studien, wonach eine mindestens zehnjährige - nach neueren Untersuchungen sogar eine mindestens zwanzigjährige - Exposition zwischen dem Beginn der Berufsbelastung und dem ersten Auftreten bandscheibenabhängiger Symptome vorgelegen haben muss, um einen Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung nahe zu legen. Auch die Lumbago sei als bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Nr. 2108 zu qualifizieren. Der Senat tritt den Ausführungen von Dr.F ... bei. In Anbetracht des kurzen Intervalls von nur 3 bis 4 Jahren vom Beginn der belastenden Tätigkeit und den ersten Wirbelsäulenbeschwerden ist eine besonders sorgfältige Abwägung konkurrierender Verursachungsmöglichkeiten geboten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass beim Kläger alle drei Wirbelsäulenabschnitte von degenerativen Veränderungen, allerdings die Lendenwirbelsäule verstärkt, betroffen sind. Außerdem finden sich auch an den Schultergelenken, den Ellenbogengelenken, den Kniegelenken und der rechten Schulter - mit bereits durchgeführter Operation - Hinweise auf eine vorzeitige Abnutzungserkrankung. Eine Fußdeformität mit Teilkontraktur der Vorfüße läßt an eine Stoffwechselstörung denken. Hinzukommt, dass der unterste Bereich der Lendenwirbelsäule bei L5/S1 einen relativ weiten Zwischenwirbelbereich aufweist, während die darüber liegenden Segmente - auch die der Brustwirbelsäule - deutlich verschmälert sind. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft wäre bei belastungsabhängigen Veränderungen der stärkste Befall am untersten Segment, wo der Druck am stärksten ist, zu erwarten, während die Abnutzung der Bandscheiben nach oben abzunehmen pflegt. Beim Kläger verhält es sich insoweit gerade umgekehrt. Ein belastungskonformes Verteilungsmuster liegt demnach bei ihm nicht vor. Auf diese Tatsache hat der im Verwaltungsverfahren gehörte Dr.J ... bereits zutreffend hingewiesen. Zudem fallen beim Kläger fehlstatische Einflüsse, wie ein leichter Beckenschiefstand und eine offensichtlich abgelaufene Scheuermann-Erkrankung der Brustwirbelsäule, ins Gewicht. Wenn demgegenüber Dr.B ... meint, beim Kläger hätten sich "belastungsadaptive Reaktionen" an den Deck-und Grundplatten der Bewegungssegmente gebildet, was als Ausdruck der langjährigen beruflichen Belastung aufzufassen sei, so stellt dies eine bloße Behauptung dar. Eine Erklärung für seine Auffassung läßt er vermissen. Er führt aus, belastungsadaptive Reaktionen an den Eck- und Grundplatten der Bewegungssegmente würden sich im einzelnen nicht von den sogenannten "degenerativen Veränderungen", wie sie aus anderen Ursachen bei der beruflich nicht belasteten Bevölkerung schon allein altersbedingt zu beobachten seien, unterscheiden; es komme wesentlich auf das Verteilungsmuster dieser Veränderungen an. Während schicksalshafte degenerative Veränderungen der Wirbelsäule ein beliebiges Verteilungsmuster aufweisen könnten, müsse man bei weitgehend belastungsadaptiven Reaktionen ein der Belastungseinwirkung konformes, also angepaßtes Verteilungsmuster erwarten. Diese Ausführungen decken sich mit denen des Sachverständigen Dr.F ... und entsprechen der geltenden Lehrmeinung. Dr.B ... geht jedoch in diesem Zusammenhang nicht auf das Phänomen ein, dass beim Kläger gerade das unterste Segment der Lendenwirbelsäule weniger betroffen ist, was nach seinen eigenen Worten bei einem belastungsadaptiven Verteilungsmuster umgekehrt der Fall sein müßte. Er übergeht diese Tatsache und meint, das Verteilungsmuster beim Kläger spreche für eine arbeitsbedingte Verursachung, weil das Maximum der spondylotischen Veränderungen im dorsolumbalen Übergangsbereich in der mittleren und unteren Lendenwirbelsäule nachweisbar seien. Dies reicht aber nicht aus, um von einem belastungsadaptiven Verteilungsmuster ausgehen zu können. Insoweit stützt sich der Senat auf die Ausführungen von Dr.F ..., die er für folgerichtig hält. Die weiteren Ausführungen von Dr.B ... lassen erkennen, dass er sich letztendlich weitgehend unsicher ist, ob von einem wesentlichen, konstitutionellen Faktor bzw. von einem Vorschaden auszugehen ist. Er empfiehlt in diesem Fall das gesamte Krankheitsbild im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung zu interpretieren. Dabei läßt der Sachverständige ein Abwägen zwischen konstitutionellen Faktoren und berufsbedingten Faktoren hinsichtlich ihres Einflussgrades auf die Entwicklung der Wirbelsäulenerkrankung vermissen.

Ebensowenig vermag der Senat dem Gutachten von Dr.D ... vom 05.11.2000 zu folgen. Der Sachverständige schließt sich im wesentlichen den Ausführungen von Dr.B ... an, scheint jedoch von einer unzutreffenden rechtlichen Interpretation auszugehen. Er führt an, die Annahme, eine Vorerkrankung der Wirbelsäule habe bereits bei Beginn der beruflichen Tätigkeit vorgelegen, könne nicht belegt werden. Es sei davon auszugehen, dass der damals vierzehneinhalbjährige Schüler altersgemäß gesund, körperlich jedoch noch nicht ausgereift und ausgewachsenen gewesen sei, als er den Beruf eines Maurers erlernt habe. In den Anfangsjahren sei diese Tätigkeit bis in die Mitte der sechziger Jahre ein Schwerstberuf gewesen. Es sei deshalb die Frage gerechtfertigt, ob nicht die damalige Arbeitsbelastung zu der später vermuteten Adoleszentenkyphose und Lordose geführt habe. Es spreche deshalb mehr dafür, dass bereits die äußerst schwere körperliche Belastung während der Lehre die Voraussetzung für die spätere schwerwiegende Abnutzungserkrankung der unteren Brust- und der Lendenwirbelsäule geschaffen habe. Mit diesen Ausführungen gibt der Sachverständige zu erkennen, dass er das Wesen des Berufskrankheitenentschädigungsrecht mißverstanden hat. Entscheidend ist nicht, ob Gesundheitsstörungen durch Arbeitsbelastungen verursacht worden sind, sondern ob es sich um Erkrankungen handelt, die der Verordnungsgeber in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat und damit generell für entschädigungswürdig erachtet. Eine Erkrankung der Brustwirbelsäule durch allgemein belastende Arbeitseinflüsse ist in der Berufskrankheitenliste ebensowenig enthalten, wie eine solche Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Vielmehr hat der Verordnungsgeber lediglich bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, verursacht durch langjähriges schweres Heben und Tragen, generell für entschädigungswürdig gehalten. Nur für diese Berufskrankheit liegen entsprechende medizinische Erkenntnisse vor. Dem Argument, auch die Brustwirbelsäule sei durch die Berufstätigkeit in Mitleidenschaft gezogen worden, ist daher lediglich der gegenteilige Schluß zu entnehmen, nämlich dass die Ursache der Erkrankung im wesentlichen auf konstitutionelle Umstände zurückzuführen ist. Gerade im Falle der Wirbelsäulenerkrankung, welche eine Volkskrankheit darstellt, ist es unerläßlich eine sorgfältige Abwägung der beruflichen, außerberuflichen und anlagebedingten Faktoren anzustellen. Diesem Erfordernis ist der Sachverständige Dr.F ... gerecht geworden. Seinem Urteil schließt sich der Senat an. Er kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO nicht vorliegt. Auf die Berufung der Beklagten waren das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 18.01.2000 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 19.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.04.1998 abzuweisen.

Bei dieser Sachlage konnte die Anschlußberufung des Klägers, welche auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH anstatt um 20 vH gerichtet war, keinen Erfolg haben. Denn es fehlt bereits an der Anerkennung einer Berufskrankheit dem Grund nach. Auf die Bewertung der MdE kommt es somit nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe nach § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zu erkennen sind.
Rechtskraft
Aus
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