L 2 U 98/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 934/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 98/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.01.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1945 geborene Versicherte starb laut Sterbeurkunde zwischen dem 04.05.1995, 22:00 Uhr und dem 05.05.1995, 09:30 Uhr durch Selbsttötung.

Mit Antrag vom 26.05.1995 machte die Witwe des Versicherten geltend, der Suizidentschluss sei letztlich durch die beruflichen Aktivitäten des Versicherten ausgelöst worden. Durch Urteil des Landgerichts München I vom 23.02.1995, verkündet am 20.04.1995, wurde der Versicherte verurteilt, an den Kläger 435.410,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 10.10.1994 zu bezahlen. Da die Vermögensverhältnisse des Versicherten die Zahlung einer derart hohen Schadensumme nicht zugelassen hätten und der Versicherte sich offenbar in einer aussichtslosen Lage gesehen habe, sei es in Folge des auf ihm lastenden Drucks zu dem Suizid gekommen.

Aus den von der Beklagten beigezogenen polizeilichen Ermittlungsakten ergibt sich, dass der Versicherte am 05.05.1995 tot aufgefunden wurde. Er saß in seinem Auto in der geschlossenen Garage und hatte offenbar die Autoabgase durch Schläuche, die er laut Rechnung am 04.05.1995 erworben hatte, in den Wageninnenraum geleitet. Im Haus des Versicherten fand sich in einem Abfalleimer eine Packung des Medikamentes Rohypnol, die beiden Durchdrückfolien für 20 Tabletten lagen leer neben der Schachtel. Laut Aussage der Haushälterin R. B. , die seit 15 Jahren im Dienst des Versicherten stand, habe er seit etwa zwei Wochen einen sorgenvollen Eindruck gemacht. Der Versicherte sei zeitweise depressiv gewesen. Am 01.05.1995 habe er ihr erzählt, dass er wegen seiner finanziellen Sorgen nicht mehr weiter leben könne. Am 03.05. sei er ihr um den Hals gefallen, habe geweint und gesagt, dass es nicht weitergehen werde. Am 05.05. 1995 habe er vorgehabt, nach Neu-Mexiko zu fliegen, um sich dort einer Therapie wegen seiner Depression zu unterziehen. Seine Ehefrau sei zurzeit ebenfalls in Neu-Mexiko.

An die Klägerin war ein Brief des Versicherten, der in der Wohnung gefunden wurde, gerichtet, in dem er sie um Verzeihung bat und erklärte, er wisse nicht mehr, wie er mit der Situation fertig werden könne. Alles, was er in seinem Leben angefangen habe, sei schief gegangen. Auch seine Versuche, noch etwas zu retten, hätten keinen Erfolg gehabt. Der einzige Ausweg sei ein Ende dieses Lebens, das er von klein auf gehasst habe.

Mit Schreiben vom 21.08.1995 gab der Bevollmächtigte der Klägerin an, der Versicherte habe sich etwa 1987 bereits einmal in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden und sei damals wegen nervöser Erschöpfungszustände im Zusammenhang mit einer chronischen Hepatitis in ärztlicher Behandlung gewesen. Im Befundbericht vom 16.10.1995 erklärte der Internist Dr.S. , er habe den Versicherten 1987 wegen einer nervösen Erschöpfung in Form einer reaktiven Depression bei beruflichem Ärger behandelt. Er sei kurz stationär im Krankenhaus J. behandelt worden und habe danach noch kurzzeitig Aponal eingenommen. Ab 1988 seien nur noch Kontrollen wegen des Leberleidens erfolgt.

Mit Bescheid vom 05.07.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Der Versicherte habe zwar zum Zeitpunkt des Todes zum Kreis der versicherten Personen gehört. Das planmäßige und willentliche Handeln eines Menschen stelle aber grundsätzlich kein Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar. Die Selbsttötung eines Versicherten könne nur dann als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn der Freitod zeitlich unmittelbar nach einem psychischen Trauma erfolge. Die Selbsttötung sei hier aber das Ergebnis einer langdauernden psychischen Belastung gewesen und seit längerem geplant gewesen. Ein Unfall liege somit nicht vor.

Die Klägerin wies mit Widerspruch vom 16.07.1996 darauf hin, dass der Versicherte durch das Urteil des Landgerichts München in eine akute Verzweiflung gestürzt worden sei. Das Urteil sei der Kanzlei am 26.04.1995 zugestellt und am 28.04.1995 (Freitag) dem Versicherten übersandt worden, bei dem es vermutlich am 02.05.1995 eingegangen sei. Zwischen der Kenntnis des Urteilsinhalts und dem Suizid hätten maximal drei Tage gelegen, sodass von einer mit einem Schock vergleichbaren sofortigen Reaktion auszugehen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Versicherte habe seinen Freitod nicht in einer Schockreaktion ausgeführt, sondern zwischen der Urteilsverkündung und der Selbsttötung hätten 2 Wochen gelegen. Außerdem habe der Versicherte Vorbereitungen zur Durchführung der Selbsttötung getroffen und müsse diese daher seit längerer Zeit geplant haben. Ein willentliches und sorgfältig geplantes Handeln stelle kein Unfallereignis dar.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 12.12.1996 zum Sozialgericht München ausgeführt, das Landgericht München I habe am 20.04. 1995 zur Überraschung des Bevollmächtigten des Versicherten ein Endurteil erlassen, in dem der Versicherte verurteilt worden sei. Am 03.05.1995 habe er sich mit seinem Bevollmächtigten telefonisch in Verbindung gesetzt und sich völlig verstört gezeigt. Er habe krampfartig geweint und immer wieder erklärt, dass er wirtschaftlich ruiniert sei und dies das Ende seiner beruflichen Laufbahn bedeute. Er müsse nun sofort zu seiner Frau, die sich damals in den USA befunden habe. Offenbar sei er danach immer weiter in eine psychische Dekompensation hineingeraten. Am Nachmittag des 04.05.1995 habe er sich die Schläuche besorgt, ca. eine Stunde später habe er allerdings mit einer Mitarbeiterin der Delta Airlines telefoniert, um sich "upgraden" zu lassen. Zwischen 21:00 und 22:00 Uhr habe er mit der Putzfrau telefoniert, da sie ihn am nächsten Tag zum Flughafen bringen sollte. Kurz danach scheine er wieder einen akuten Verzweiflungsschub erlitten zu haben. Jedenfalls habe er dann Selbstmord begangen.

Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat im Gutachten vom 02.02.1998 ausgeführt, aus der Anamnese ergebe sich, dass der Versicherte infolge beruflicher Schwierigkeiten zu depressiven Verstimmungszuständen geneigt habe. Das Urteil des Landgerichts München habe nicht zu einem akuten psychischen Trauma geführt. Es habe sich bei dem Suizid um den Kristallisationspunkt einer Entwicklung gehandelt, die in Ansätzen schon Jahre vorher zu erkennen gewesen sei. Das Vorgehen des Versicherten sei als durchaus gezielt und planvoll zu bezeichnen. Daher sei die Fähigkeit zur Willensbildung durch das psychische Trauma offenbar nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen. Der Suizid sei das Endglied einer Kette von beruflichen Misserfolgen und Rückschlägen. Das Urteil des Landgerichts München sei lediglich der Auslöser, nicht die Ursache des Suizids.

Die Klägerin hat ein Schreiben des Neurologen Dr.P. vom 23.06.1998 übersandt, in dem ausgeführt wird, die Differenzierung, ob letztlich eine akute psychische Dekompensation Anlass gegeben habe, den Tod zu suchen oder ob dies als Ausdruck einer seit Jahren bestehenden Neigung zu Depressionen interpretiert werden könne, sei nicht eindeutig aus den Unterlagen ersichtlich. Die Einholung eines Gutachtens durch einen forensischen Psychiater sei dringend erforderlich.

Hierzu hat Dr.K. in der Stellungnahme vom 31.07.1998 erklärt, die Aussagen der Haushälterin könnten natürlich zum Grad und zur Ausprägung einer Depression keine verwertbaren Angaben darstellen. Sie wiesen aber darauf hin, dass zeitweise depressive Verstimmungszustände vorgelegen hätten, die auch ein Laie durchaus erkennen könne. Immerhin sei der Versicherte 1987 u.a. mit dem Antidepressivum Aponal behandelt worden. Soweit die Unterlagen eine Beurteilung zuließen, sprächen sie dafür, dass der Suizid das Ende einer Kette von beruflichen Misserfolgen gewesen sei. Auch die Art der Durchführung spreche für ein gezieltes Vorgehen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat darauf hingewiesen, dass sich der Versicherte im unmittelbaren Vorfeld des Suizids in einen durch das Urteil ausgelösten verzweifelten Gemütszustand hineingesteigert habe.

Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Dr.P. hat im Gutachten vom 01.07.1999 zusammenfassend ausgeführt, unter Berücksichtigung von Vorgeschichte und Zustandsbild sei es zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte durch Kenntnis des Landgerichtsurteils ein psychisches Trauma erlitten habe und dadurch in einen Zustand der wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur freien Willensbildung geraten sei. Das Urteil des Landgerichts stelle eine Bedingung dar, die nicht ohne weiteres hinweggedacht werden könne, ohne dass der konkrete Erfolg, nämlich der Suizid, entfiele und die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen habe. Demgegenüber kämen den psychischen Auffälligkeiten im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung offenbar eher geringeren Ausmaßes bzw. eines rezidivierenden Erschöpfungssyndroms Bedeutung im Sinne sog. konstellativer Faktoren hinsichtlich der Primärpersönlichkeit zu. Andere offensichtlich berufsfremde oder eindeutig unabhängig vom Beruf zu sehende schwere psychische Erkrankungen ergäben sich nach Aktenlage nicht. Das Vorliegen depressiver Verstimmungen auf Grund beruflicher Schwierigkeiten und eine einmalige stationäre Behandlung 1987 erschienen nicht ausreichend, um den Suizid als konsequente Folge einer pathologischen Veränderung der Persönlichkeitsstruktur bzw. des Persönlichkeitsprofils zu interpretieren. Inwiefern das Urteil des Landgerichts lediglich als das letzte Glied einer Kette zahlreicher etwa gleichwertiger Einwirkungen auf die Psyche des Versicherten gewertet werden könne, könne durch den medizinischen Sachverständigen nicht abschließend beurteilt werden und sei letztlich eine Frage rechtlicher Beweiswürdigung. Aus medizinischer Sicht scheine sich dieses Ereignis jedoch deutlich von den zuvor beschriebenen beruflichen Schwierigkeiten abzuheben. Die Tatsache eines gezielten und planvollen Vorgehens beim Suizid könne keinesfalls als Kriterium für eine erhaltene Willensbildung interpretiert werden, solange damit nicht die Abgrenzung zu einem typischen nicht intendierten Unfallgeschehen gemeint sei.

Hierzu hat Dr.K. nach Aufforderung durch die Beklagte in der Stellungnahme vom 18.08.1999 ausgeführt, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Abschiedsbriefes sei ersichtlich, dass bei dem Versicherten schon über längere Zeit Verstimmungszustände bestanden hätten, die auf wirtschaftliche Probleme zurückzuführen gewesen seien. Eine ausweglose Situation habe sich bereits vorher angekündigt. Es könne keineswegs als bewiesen angesehen werden, dass die Fähigkeit zur Willensbildung im Zeitpunkt des Entschlusses zur Selbsttötung wesentlich beeinträchtigt gewesen sei.

Mit Urteil vom 11.01.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Schon nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht München I vom 23.02.1995 habe der Versicherte gewusst, dass ein wirtschaftlicher Ruin eintreten könnte. Der von der Rechtssprechung geforderte verhältnismäßig kurze Zeitraum sei auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass der Versicherte das Urteil am 03.05.1995 erhalten habe, nicht mehr gegeben. Darüber hinaus sei das Vorgehen des Versicherten auch als durchaus gezielt und planvoll zu bezeichnen. Es könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass die Fähigkeit zur Willensbildung durch das psychische Trauma des Urteils wesentlich beeinträchtigt worden sei. Insbesondere habe der Versicherte in seinem Abschiedsbrief konkrete Anweisungen an seine Frau erteilt, wen sie zu unterrichten habe. Auch Dr.P. habe darauf hingewiesen, dass die Frage, inwiefern das Urteil des Landgerichts München I lediglich als das letzte Glied einer Kette zahlreicher einander etwa gleichwertiger Einwirkungen auf die Psyche des Versicherten gewertet werden könne, durch den medizinischen Sachverständigen nicht abschließend beurteilt werden könne. Ein psychisches Trauma sei für eine Selbsttötung nur dann ursächlich, wenn spezielle berufsbedingte Umstände einen Schock bzw. eine schlagartig auftretende schwere psychische Erschütterung bzw. eine reaktive Depression mit der Vorstellung, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, bewirkten. Diese ausweglose Situation hätte sich beim Versicherten bereits früher angedeutet.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die vom Senat zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat im Gutachten vom 16.10.2000 ausgeführt, das Landgerichtsurteil habe zwar den Zeitpunkt des Suizids bestimmt, aber die dokumentierte psychiatrische Vorgeschichte mache es wahrscheinlich, dass persönlichkeitsspezifische Faktoren vorgelegen hätten, die die Voraussetzungen für einen Suizid unter den entsprechenden persönlichen Belastungen geliefert hätten. Dass sich der Versicherte nach dem Landgerichtsurteil in einem emotional aufgewühlten Zustand befunden habe, sei nachvollziehbar. Es sei aber auch dokumentiert, dass er sinnvolle, überlegte Handlungen ausgeführt habe, wie z.B. das Telefonat mit der Fluggesellschaft. Wäre er durch den drohenden Ruin so in seinem Denken beeinflusst gewesen, dass er seine Handlungen hätte nicht mehr steuern können, hätte er sich möglicherweise um so etwas Unwichtiges, wie den Sitzplatz in einem Flugzeug, nicht mehr gekümmert. Zu erwähnen sei auch der Abschiedsbrief, in dem der Versicherte erklärt habe, dass alles in seinem Leben schief gelaufen sei und dass er das Leben von klein auf gehasst habe. Er sei also offensichtlich kein lebensbejahender Mensch gewesen. Auch wenn das Land- gerichtsurteil in seiner Schwere möglicherweise herausgeragt habe, so sei es unter Berücksichtigung aller bekannten beruflichen und privaten Auffälligkeiten doch das letzte Glied einer Kette von beruflichen Misserfolgen und Rückschlägen gewesen. Hierzu sei auch eine persönlichkeitsbedingte depressive Stimmung gekommen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin führt im Schreiben vom 16.01. 2001 aus, die Tragweite des landgerichtlichen Urteils für die Existenz des Versicherten sei enorm gewesen. Schließlich sei es nicht nur um den Schadenersatz von 435.000 DM gegangen, sondern darum, dass aller Voraussicht nach die restlichen rund 130 Anleger ebenfalls Schadenersatz gefordert hätten. Die zu erwartenden Forderungen in zweistelliger Millionenhöhe seien von der Haftpflichtversicherung des Versicherten nicht gedeckt gewesen. Diese drohende Auswirkung des dem Versicherten erst am 03.05. 1995 bekannt gewordenen Urteils und die damit verbundene Schockwirkung werde von der Sachverständigen offensichtlich verkannt. Der Versicherte sei, anders als die Sachverständige vermute, eine allseits geschätzte Frohnatur mit einem großen Freundeskreis gewesen. Er habe eine lebensbejahende Grundeinstellung gehabt und sich durch innovatives Unternehmertum und eine überdurchschnittliche berufliche Schaffenskraft ausgezeichnet.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Beiziehung von Unterlagen des Dr.S. , des Krankenhauses J. und der Halleschen Nationalen Krankenversicherung. Aus den Unterlagen der Krankenversicherung ergeben sich Behandlungen im Zusammenhang mit psychischer Belastung: Mai/Juni 1988: Kinderwunsch, Konfliktlage - ebenso Juli/September 1988, Schlafstörungen August 1989, vegetative Dystonie August 1990, depressives Überforderungssyndrom November 1990 und Januar 1991, Depression Januar bis März 1991. Im Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr.F. vom 18.09.1987 wird ausgeführt, der Versicherte mache sich wegen seines geschäftlichen Verhaltens massive Vorwürfe, gegenüber der Ehefrau habe er auch flüchtig Suizidtendenzen angedeutet. Beruflicher Erfolg sei für ihn wesentlich zur Stabilisierung der Persönlichkeit. Der jetzige Zusammenbruch lasse ihn keinerlei neue Perspektive erkennen. Es handle sich um eine schwere reaktive Depression, manifeste Suizidalität bestehe nicht. Vom 17.09. bis 01.10.1987 befand sich der Versicherte zur stationären Behandlung im Krankenhaus J. , wo die Diagnosen gestellt wurden: schwere reaktive Depression mit manifester Suizidalität. Der Versicherte habe in den letzten zwei Wochen über zunehmende nervöse Erschöpfung mit depressiver Reaktion und Schlaflosigkeit berichtet. Er fühle sich von einer ausgeprägten Existenzangst auf Grund des Zusammenbruchs seiner geschäftlichen Grundlage stark belastet, suizidale Absichten würden angegeben. Deswegen wünsche er eine stationäre Aufnahme. In einem nervenärztlichen Attest bestätigt Dr.F. dem Versicherten eine schwere reaktive Depression. Arbeitsunfähigkeit habe vom 09.09.1987 bis 11.11.1987 bestanden. In der Zwischenzeit sei Weiterbehandlung durch einen amerikanischen Spezialisten erfolgt. Am 15.12.1987 sei der Versicherte zu einer Kontrolluntersuchung gekommen. Es bestehe weiter Arbeitsunfähigkeit bis 15.01.1988. Am 16.11.1990 attestierte Dr.F. ein depressives Überforderungssyndrom mit ausgeprägten Schlafstörungen, Insuffizienzgefühlen, Unruhe, depressiver Verstimmung, Schuldgefühl. Ursache sei ein früherer geschäftlicher Zusammenbruch. Am 21.03.1991 attestierte Dr.F. eine schwerwiegende reaktive Depression. Die Behandlung werde noch längere Zeit benötigen, die Medikation von Antidepressiva sei erforderlich.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 16.09. 2001 erklärt Dr.K. , die weiteren ärztlichen Berichte untermauerten das Vorliegen einer vorbestehenden psychischen Störung. Offenbar sei der Versicherte nicht der lebensbejahende Mensch gewesen, als den ihn der Bevollmächtigte der Klägerin bezeichne. Immerhin habe der Versicherte die Psychopharmaka Tranxilium, Aponal und das Schlafmittel Rohypnol verordnet bekommen. Die Berichte belegten eindeutig, dass bereits vor dem Selbstmord eine Neigung zu tiefgreifenden psychischen Störungen vorgelegen habe, die es nicht wahrscheinlich mache, dass dem Urteil des Landgerichts München I die entscheidende Bedeutung beim Suizid zukomme. Das Urteil sei das letzte Glied in der Kette von beruflichen Misserfolgen gewesen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin führt im Schreiben vom 24.10. 2001 aus, wenn überhaupt, habe es 1987 ein Problem gegeben und dann 1995 durch das landgerichtliche Urteil ein neues Problem. Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden mehr als acht Jahre auseinanderliegenden Ereignissen oder gar eine Kette beruflicher Misserfolge habe nicht bestanden. Seit 1987 bis zu seinem Suizid habe der Versicherte keinerlei Psychopharmaka genommen. Es wird angeregt, ein Gutachten durch einen Psychologen zur Erstellung eines Persönlichkeitsprofils zu veranlassen. Außerdem wird angeregt, die Klägerin und den Bevollmächtigten der Klägerin, die den Verstorbenen und seine Lebensumstände besser als jeder Gutachter gekannt hätten, zu vernehmen.

Die Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 09.03.2000 und beantragt hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da das als Versicherungsfall geltend gemachte Ereignis vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).

Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 548 Abs.1 RVO einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten versicherten Tätigkeiten erleidet. Der Begriff des Unfalls erfordert ein äußeres Ereignis, d.h. einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, der rechtlich wesentlich den Körperschaden verursacht hat (BSGE 23, 139, 141). Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d.h., sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (vgl. Krasney, VSSR 1993, 81, 114).

Voraussetzung für die Annahme eines zu entschädigenden Arbeitsunfalls ist hier der Nachweis einer Schädigung im seelischen Bereich durch die versicherte Tätigkeit. Hieran fehlt es im Fall des Versicherten. Auch der von der Klägerin im Klageverfahren als Sachverständiger benannte Dr.P. hält es im Gutachten vom 01.07.1999 nur für überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte durch Kenntnis des Landgerichtsurteils ein psychisches Trauma erlitten habe. Damit ist der Nachweis, also die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines psychischen Traumas, nicht gegeben.

Im Übrigen haben die vom Senat beigezogenen ärztlichen Unterlagen und die Ausführungen der vom Senat zur ärztlichen Sachverständigen ernannten Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. die von Dr.K. im Klageverfahren vertretene Auffassung überzeugend bestätigt. Dr.K. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Suizidalität ein multifaktoriell bedingtes komplexes Verhalten darstellt. Die ärztlichen Berichte, insbesondere des Krankenhauses J. und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.F. , untermauern, wie Dr.K. betont, das Vorliegen einer vorbestehenden psychischen Störung. So wurde bereits 1987 die Diagnose einer schweren reaktiven Depression mit manifester Suizidalität gestellt und eine Medikation mit Psychopharmaka wie Tranxilium und Aponal verordnet. Der Versicherte war - wie sich aus den Attesten des Dr.F. ergibt - noch im Januar 1988 wegen der psychischen Erkrankung arbeitsunfähig und wurde sowohl 1990 wegen eines depressiven Überforderungssyndroms als auch 1991 wegen einer schwerwiegenden reaktiven Depression von Dr.F. behandelt. Noch im März 1991 hielt Dr.F. die Medikation von Antidepressiva für längere Zeit für erforderlich.

Diese ärztlichen Berichte belegen eindeutig, so Dr.K. , dass bereits vor dem Selbstmord eine Neigung zu tiefgreifenden psychischen Störungen vorgelegen hat. Daher ist es nicht wahrscheinlich, dass das Urteil des Landgerichts München I die entscheidende Bedeutung beim Suizid des Versicherten hatte. Das Urteil war lediglich das letzte Glied in einer Kette von beruflichen Misserfolgen und Rückschlägen eines Menschen, der, anders als der Bevollmächtigte der Klägerin ausführt, gerade kein lebensbejahender Mensch war, sondern nachweislich zwischen 1987 und 1991 an schweren depressiven Störungen gelitten hat. Das Urteil des Landgerichts München I hat zwar den Zeitpunkt des Suizids bestimmt, aber die entscheidende Voraussetzung für den Suizid war es nicht, sondern hier waren persönlichkeitsspezifische Faktoren bestimmend.

Gegen einen Suizid auf Grund eines psychischen Traumas spricht auch die Tatsache, dass der Versicherte in den Tagen vor dem Suizid sinnvolle und überlegte Handlungen ausführte. So hat er am 04.05.1995 gegen 19:30 Uhr mit der Fluglinie telefoniert, um sich "upgraden" zu lassen, und hat gegen 21:00 Uhr Frau B. angerufen, die ihn am nächsten Morgen zum Flughafen bringen sollte. Derartige Handlungen sind mit einer Einengung des Denkens als Folge eines psychischen Schocks nicht vereinbar.

Im Hinblick auf die vorliegenden überzeugenden Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.K. und Dr.K. ist eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich. Eine Einvernahme der Klägerin kann zur Frage, wie der Versicherte auf das Urteil des Landgerichts München I reagierte, keine näheren Angaben erbringen, da sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs des Urteils in den USA aufhielt und offenbar von dem Ausgang des Verfahrens nicht unterrichtet war, da der Versicherte, wie er dem Bevollmächtigten gegenüber angab, sie bei seinem beabsichtigten Besuch in den USA erst darüber informieren wollte. Bezüglich der Psyche des Versicherten werden die Angaben des Bevollmächtigten der Klägerin, dass er auf ihn und die Klägerin einen fröhlichen und lebensbejahenden Eindruck gemacht habe, als wahr unterstellt. Sie vermögen aber nicht die vorliegenden ärztlichen Diagnosen, wie sie sich aus den Berichten des Klinikums Josephinum und des Dr.F. ergeben, zu entkräften.

Im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen von Dr.K. erscheint die Einholung eines weiteren psychologischen Gutachtens nicht erforderlich. Immerhin hat auch Dr.P. im Gutachten vom 01.07.1999 betont, dass die Frage, inwiefern das Urteil des Landgerichts München lediglich als das letzte Glied einer Kette zahlreicher etwa gleichwertiger Einwirkungen auf die Psyche des Versicherten zu werten sei, durch den medizinischen Sachverständigen nicht abschließend beurteilt werden kann und eine Frage rechtlicher Beweiswürdigung ist. Dabei ging Dr.P. von einer einmaligen stationären Behandlung 1987 wegen depressiver Verstimmungen aus, während inzwischen feststeht, dass der Versicherte wegen schwerer Depressionen zwischen 1987 und 1991 mehrmals behandlungsbedürftig war.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere handelt es sich vorliegend nicht um klärungsbedürftige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, vielmehr geht es um die Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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