L 7 P 4/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 19/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 4/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 30/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.12.2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen nach Pflegestufe III vom 01.02.2001 bis 30.04.2001 streitig.

Der am 1993 geborene Kläger leidet an einer allgemeinen Entwicklungsstörung, armbetonten zentralen Koordinationsstörung, einem Strabismus convergans und an einer Dystrophie. Entsprechend den gutachterlichen Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) vom 27.03.1996 wurden Leistungen nach Pflegestufe I bewilligt. Entsprechend dem weiteren Gutachten des MDK vom 23.04.1997 wurden ihm ab Februar 1997 Leistungen der Pflegestufe II bewilligt.

Am 06.02.2001 beantragte der Kläger eine Höherstufung in die Pflegestufe III. In dem aufgrund eines Hausbesuchs am 21.04. 2001 erstellten Gutachten des MDK vom 06.06.2001 wurde ein pflegerelevanter Zeitaufwand von 256 Minuten festgestellt. Für ein gesundes gleichaltriges Kind wurde ein Zeitaufwand von 40 Minuten in Abzug gebracht, so dass sich ein Mehraufwand von 216 Minuten ergab.

Mit Bescheid vom 13.07.2001 lehnte die Beklagte die Gewährung höherer Leistungen nach der Pflegestufe III ab. Aufgrund der klägerischen Einwendungen veranlasste die Beklagte eine erneute Begutachtung durch den MDK, der nach einem Hausbesuch am 10.10. 2001 in seinem Gutachten vom 29.10.2001 einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 234 Minuten und im Bereich der Hauswirtschaft von 60 Minuten täglich feststellte. Nach Abzug eines Hilfebedarfs für ein gesundes gleichaltriges Kind von 40 Minuten errechnete sich ein Mehraufwand von 234 Minuten täglich. Diesen Sachverhalt teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05.11.2001 mit, woraufhin dieser mitteilte, mit dem Schreiben bestehe insoweit Einverständnis, als dass seit September 2001 kein Anspruch auf Leistungsbewilligung der Pflegestufe III bestehe. Für den Zeitraum der Beantragung - Februar 2001 bis zur Einschulung im September 2001 - würden aber Leistungen nach Pflegestufe III zustehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und stützte sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ergebnisse der eingeholten MDK-Gutachten.

Zur Begründung seiner dagegen zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, ab Antragstellung im Februar 2001 bis zu Beginn des Schulbesuchs im September 2001 müssten Leistungen nach Pflegestufe III gewährt werden. Danach bestehe auch nach dortiger Ansicht kein Anspruch mehr auf Leistungen der Pflegestufe III, da durch den Schulbesuch die Fahrten zur Ergotherapie und Krankengymnastik entfallen würden. Nach Beiziehung von Befundberichten von Dr.W. nebst Fremdbefunden, des Kreiskrankenhauses M. - Kinderklinik -, des Stadtkrankenhaues M. - Perinatalzentrum -, Dr.B. und der Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Augsburg unterbreitete das SG den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag dahingehend, dass Leistungen nach der Pflegestufe III für die Monate Februar bis einschließlich April 2001 zu bewilligen seien, nicht jedoch für die Monate Mai bis einschließlich August 2001. In dem streitgegenständlichen Zeitraum Februar 2001 bis August 2001 seien wegen Begleitung zur Krankengymnastik und Ergotherapie wöchentlich 3 1/2 Stunden angefallen. Dies entspreche einem Bedarf an notwendiger Begleitung von 30 Minuten im Tagesdurchschnitt. Ausgehend von den zeitnächsten MDK-Gutachten vom 06.06.2001 und 29.10.2001 bedinge dieser Umstand allein immer noch grenzwertig nur Leistungen nach der Pflegestufe II. Nachdem der kindliche Kläger jedoch erst seit Mai 2001 ausreichend kontinent sei, folge aus dem Umkehrschluss, dass in den vorangegangenen Monaten Februar bis einschließlich April 2001 ebenfalls grenzwertig Leistungen nach der Pflegestufe III zugestanden haben müssen.

Dem Vergleichsvorschlag vermochte sich die Beklagte nicht anzuschließen. Das für den Zeitraum Februar bis einschließlich April 2001 zeitnächste MDK-Gutachten vom 06.06.2001 habe bereits die Zeiten für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung des Klägers zur Krankengymnastik mit täglich 21 Minuten berücksichtigt. Ein zusätzlicher Hilfebedarf für diese Verrichtung von 30 Minuten täglich könne nach dortiger Überzeugung nicht mehr hinzugerechnet werden. Dessen ungeachtet sei bei der hier nicht als Prognose, sondern in der Rückschau für einen abgegrenzten Zeitraum zu treffenden Entscheidung über die Pflegebedürftigkeit nach der BSG Rechtsprechung auch für die Annahme einer höheren Pflegestufe des Klägers auf den Hilfebedarf auf Dauer für mindestens 6 Monate abzustellen. Dies stehe der Annahme der Pflegestufe III beim Kläger für die Monate Februar 2001 bis einschließlich April 2001 entgegen. Der Kläger hingegen erklärte zunächst sein Einverständnis mit dem Vergleichsvorschlag des Gerichts, wandte dann aber ein, man weise darauf hin, dass man zwar vergleichsweise als Kompromiss bereit gewesen sei, dem Vorschlag des SG zu folgen, dass jedoch immer noch von einem längeren erhöhten Pflegebedarf auszugehen sei.

Mit Urteil vom 11.12.2002 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2002 insoweit aufgehoben und abgeändert, als im Zeitraum 01.02.2001 bis 30.04.2001 Leistungen nach der Pflegestufe III zu bewilligen seien. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Dabei hat es in den Entscheidungsgründen insbesondere auf die Begründung zum Vergleichsvorschlag Bezug genommen.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, maßgeblich sei das Kriterium eines Hilfebedarfs auf Dauer. Nach dem Urteil des BSG vom 19.02.1998 - B 3 P/97 - werde auch für eine höhere Pflegestufe der entsprechende Hilfebedarf auf Dauer von für mindestens sechs Monate gefordert. Von dieser regelmäßig als Prognose zu treffenden Beurteilung könne nur dann abgewichen werden, wenn sich der Zeitraum von 6 Monaten aufgrund einer geringeren Lebenserwartung nicht mehr verwirkliche. Anders sei dies im Falle des Klägers zu beurteilen. Hier sei der Hilfebedarf für den streitigen Zeitraum in der Rückschau für einen von vornherein abgegrenzten Zeitraum zu beurteilen. Es sei damit keine Prognose für einen künftigen nicht abgeschlossenen Zeitraum zu treffen. Damit könne das Kriterium auf Dauer nur angenommen werden, wenn in der Vergangenheit der höhere Hilfebedarf konkret für mindestens 6 Monate vorgelegen habe. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil gehe das SG für den höheren Hilfebedarf des Klägers nur von einem Zeitraum von vier Monaten aus. Damit sei der für eine Höherstufung erforderliche Hilfebedarf nicht auf Dauer im Sinne des SGB XI gegeben. Die Klage sei somit auch für den Zeitraum vom 01.02. bis 30.04.2001 abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.12.2002 auf- zuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG ), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG vom Ergebnis her gesehen, die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.2001 Leistungen nach der Pflegestufe III zu bewilligen. Der von der Beklagten vertretenen Auffassung, dass, nachdem es sich hier um einen von vornherein begrenzten Zeitraum handele, keine Prognose für einen zukünftigen Zeitraum zu treffen sei, ist nicht zu folgen.

Der Eintritt des Versicherungsfalls setzt voraus, dass auf Dauer ein zumindest erheblicher Hilfebedarf besteht, wobei dauerhaft ein Zeitraum von voraussichtlich mindestens sechs Monaten bedeutet. Daraus folgt nicht, dass eine Entscheidung über das Bestehen von Leistungsansprüchen erst nach Ablauf von 6 Monaten zu treffen ist. Vielmehr haben die Pflegekassen hierüber auf der Grundlage einer Prognose ihres Medizinischen Dienstes zu entscheiden. Die 6-Monatsfrist beginnt dabei mit dem Eintritt des Hilfebedarfs. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) gilt das Erfordernis der Dauerhaftigkeit auch für die Zuordnung einer der Pflegestufen (SozR 3 - 3300 § 15 Nr.1 = NZS 1998/ 479).

Dass nach gestellter Prognose wesentliche Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen eintreten - wie hier die Kontinenz des Klägers ab Mai 2001, - die im Februar 2001 nicht vorhersehbar war, ändert nichts an der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Prognosestellung. Denn derartige zu einem späteren Zeitpunkt eingetretene Änderungen können gerade im medizinischen Bereich nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Dass beim Kläger von Februar bis April 2001 die Voraussetzungen der Pflegestufe III vorgelegen haben, ist aus dem vom SG zutreffend vorgenommenen Vergleich der vorliegenden MDK-Gutachten vom 06.06.2001 und 29.10.2001 sowie dem Widerspruchsbescheid zu folgern.

Da insgesamt eine Verurteilung der Beklagten für "lediglich" vier Monate nicht zu beanstanden ist, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.1 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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