L 16 RJ 403/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 738/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 403/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1949 geborene Kläger hat im ehemaligen Jugoslawien von 1965 bis 1968 eine schulische Ausbildung zum Offset-Drucker absolviert und war nach seinem Zuzug ins Bundesgebiet von 1970 bis 1973 als angelernter Sanitärmonteur, von 1973 bis 1982 bei verschiedenen Arbeitgebern als Offset-Drucker und nach einer vorübergehenden selbständigen Tätigkeit als Gastwirt von 1984 bis 1992 als angelernter Härter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag wegen Personalabbaus.

Der Kläger bezieht aufgrund eines Wegeunfalls mit Hüft-, Knie- und Kopfverletzungen vom 5. Juli 1989 eine Verletztenrente der Süddeutschen Metall Berufsgenossenschaft (BG) nach einer MdE von 40 % (vom 1. August bis 1. November 1998 60 %).

Nach einem psychologischen Gutachten vom 16. Dezember 1992 spricht der Kläger flüssig und fehlerfrei Deutsch, es besteht aber eine Rechtschreibunsicherheit. Dennoch wurde nach einem Rehabilitationsvorbereitungslehrgang am 22. März 1994 eine Umschulung zum Bürokaufmann begonnen, wegen mangelnder Sprachkenntnisse des Klägers ab 6. Juli 1994 als Umschulung zum Bauzeichner fortgesetzt und am 14. März 1995 wegen mangelhafter Leistungen vorzeitig beendet. Eine praxisorientierte Reintegration für Rehabilitanden vom 11. März 1996 bis 6. Dezember 1996 mit Praktika, unter anderem als Fahrer eines Blutspendedienstes, hatte nach Angaben des Maßnahmeträgers wegen fehlender Motivation des Klägers keinen Erfolg. Im Anschluss daran war der Kläger unfallbedingt arbeitsunfähig und arbeitslos gemeldet.

Einen Antrag vom 29. Juni 1995 auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die Landesversicherungsanstalt Schwaben (LVA) wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab (Bescheid vom 22. Februar 1996, Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1996). Die dagegen zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobene Klage (S 3 RJ 670/96) nahm der Kläger am 20. Mai 1998 nach ambulanter orthopädischer und internistisch-kardiologischer Begutachtung (Gutachten Dr. G. vom 6. Oktober 1997 und Dr. H. vom 26. November 1997) zurück.

Am 9. Juni 1998 wurde beim Kläger ein Diabetes mellitus diagnostiziert.

Ein weiterer Rentenantrag vom 10. Juni 1998 blieb ebenfalls erfolglos (Bescheid vom 5. Februar 1999, Widerspruchsbescheid vom 14. September 1999, Urteil des SG - S 3 RJ 656/99 - vom 10. April 2001 nach ambulanter internistisch-diabetologischer und orthopädischer Begutachtung (Gutachten Dr. H. vom 15. August 2000 und Dr. L. vom 10. Januar 2001).

Vom 15. März bis 6. April 2001 befand sich der Kläger wegen seines Diabetes mellitus in stationärer Krankenhausbehandlung und vom 18. April bis 16. Mai 2002 in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Aufgrund der Abschlussuntersuchung wurde er für fähig erachtet, über sechs Stunden täglich leichte Arbeiten im Wechselrhythmus ohne einseitige Körperhaltung, gebückte Zwangshaltung und Heben oder Tragen von Lasten über 10 kg zu verrichten (Entlassungsbericht vom 4. Juni 2002).

Am 17. Mai 2002 beantragte der Kläger wegen der im Juli 1989 erlittenen Unfallfolgen und des zwischenzeitlich diagnostizierten Diabetes mellitus die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag nach Auswertung des Entlassungsberichts vom 4. Juni 2002 ohne weitere ambulante Begutachtung des Klägers wegen fehlender Erwerbsminderung ab (Bescheid vom 12. August 2002). Beim Kläger bestehe eine posttraumatische Coxarthrose links mit deutlicher Funktionseinschränkung und eine mittelgradige (degenerative) Coxarthrose rechts mit geringer Funktionseinschränkung, eine Lumbalgie mit Funktionseinschränkung bei muskulärer Dysbalance und Verschleiß sowie ein insulinabhängiger Diabetes mellitus. Er könne aber noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein.

Zur Begründung des dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, er leide auch an beiderseitigen Schulterbeschwerden, müsse starke Schmerzmittel einnehmen und habe starke Schmerzen in den Beinen wegen diabetesbedingter Durchblutungsstörungen. Befunde hierzu legte er nicht vor. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2002). Die vorgetragenen Erkrankungen seien, soweit sie Auswirkungen auf das Leistungsvermögen hätten, bereits berücksichtigt worden. Als angelernter Härter sei der Kläger auf alle ungelernten Tätigkeiten nicht allereinfachster Art verweisbar.

Dagegen hat der Kläger am 23. Dezember 2002 Klage zum SG erhoben. Nach Angaben des Stationsarztes der Rehabilitationsklinik sei er rentenfähig. Auch der Vertrauensärztliche Dienst in Augsburg und die Krankenkasse hätten eine Berentung vorgeschlagen.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. P. sowie die Akten der Süddeutschen Metall Berufsgenossenschaft beigezogen und ein Gutachten des Neurochirurgen und Orthopäden Dr. G. vom 2. April 2003 eingeholt. Dieser diagnostizierte beim Kläger nach ambulanter Untersuchung

- Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenks bei posttraumatischer Arthrose
- Funktionsbehinderung der Schultergelenke, vorwiegend rechts
- chronisches Lendenwirbelsäulen- und Halswirbelsäulensyndrom bei mäßigen degenerativen Veränderungen, Fehlhaltung und ge- ringer Bewegungseinschränkung ohne neurologische Defizite
- insulinpflichtiger Diabetes mellitus.

Bei der Reha-Abschlussuntersuchung habe keine Funktionsbehinderung der Schultergelenke vorgelegen. Auch Beschwerden von Seiten der Halswirbelsäule seien dort nicht genannt worden. Insofern sei eine Befundverschlechterung eingetreten. Der Kläger könne aber weiterhin mehr als sechs Stunden täglich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen ohne Zeitdruck, Akkord-, Fließbandarbeit, taktgebundene Arbeit, Wechsel- oder Nachtschicht, Zwangshaltung, häufiges Heben und Tragen von Lasten, gehäuftes Bücken, Besteigen von Leitern und Treppen, Überkopfarbeiten, Einwirkung von Kälte, starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe verrichten. Er könne auch Wegstrecken von 800 m viermal täglich zurücklegen.

Der Kläger hat dagegen insbesondere eingewandt, die Schulterschmerzen bestünden seit mehreren Jahren. Außerdem leide er an ständigen Kopfschmerzen und beiderseitigem Tinnitus, die wetterabhängig seien, Schmerzen und Pelzigkeit in den Beinen, Schmerzen in den Händen mit Kraftlosigkeit und er könne diabetesbedingt keine 800 gehen.

Das SG hat sich der Leistungseinschränkung des Sachverständigen Dr. G. angeschlossen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Juni 2003). Vom erlernten Beruf des Offset-Druckers habe sich der Kläger nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit eines Härters sei allenfalls eine einfach angelernte Tätigkeit, so dass der Kläger sozial auf alle ungelernten Arbeiten verweisbar sei.

Gegen das am 7. Juli 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. Juli 2003 (Eingang beim SG) Berufung eingelegt. Er sei nach Angabe mehrerer Ärzte rentenberechtigt. Eine Veränderung des Gesundheitszustandes hat er nicht geltend gemacht.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Juni 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 12. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund des Antrags vom Mai 2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Arbeitsamtes, der BG und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2002, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 17. Mai 2002 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 25. Juni 2003 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung, da der Kläger den Rentenantrag nach dem 2. April 2001 gestellt hat (§ 300 Abs.2 SGB VI i.V.m. § 26 Abs. 3 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch)).

Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG).

Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich mit einigen qualitativen Einschränkungen verrichten kann. Soweit der Kläger gegen die fachorthopädische Begutachtung durch Dr. G. Einwendungen erhoben hat, ergeben sich daraus keine Hinweise auf weitergehende Leistungseinschränkungen, die zu einer weiteren Fachbegutachtung Anlass geben würden. Die vom Kläger nach dem Unfall vom Juli 1989 wiederholt geklagten Kopfschmerzen und ein Tinnitus waren bereits Gegenstand verschiedener Begutachtungen. Weder HNO-ärztlich (Gutachten Dr. H. vom 30. Januar 1996) noch nervenärztlich (Gutachten Dr. N. vom 18. Januar 1996 und Dr. K. vom 28. Januar 1999, bei dem der Kläger keine Kopfschmerzen mehr angegeben hat) konnten dabei wesentliche leistungsmindernde gesundheitliche Beeinträchtigungen objektiviert werden. Eine diesbezügliche fachärztliche Behandlung findet offenbar nicht statt, nachdem der Kläger weder gegenüber Dr. G. noch gegenüber dem SG oder dem LSG entsprechende Angaben gemacht hat.

Es fanden sich bei den Vorbegutachtungen der letzten Jahre auch keinerlei neurologische Ausfälle. Geklagte Sensibilitätsstörungen an den Beinen und Füßen waren bei den nervenärztlichen Begutachtungen durch Dr. N. und Dr. K. nicht zu verifizieren. Befunde über Sensibilitätsstörungen oder eine Kraftminderung der Hände liegen nicht vor. Am Knie fanden sich in den vergangenen Jahren keine Bewegungseinschränkungen. Es wurde bei den Vorbegutachtungen lediglich ein Druck- und Anpressschmerz beschrieben (Gutachten Dr. L. vom 10. Januar 2001). Bei der Untersuchung durch Dr. G. hat der Kläger weder Beschwerden hinsichtlich der Hände, Beine und Füße geäußert, noch war ein pathologischer Befund zu erheben. Dass die Wegstrecke des Klägers diabetesbedingt unter 500 m betragen würde, ist nicht ersichtlich. Hierzu liegen weder Befunde behandelnder Ärzte noch Hinweise in den bei den Begutachtungen erhobenen Befunden vor. Der Kläger hat die Wegstrecke selbst wiederholt mit 1 km angegeben (vgl. z.B. Gutachten Dr. K.). Eine Verschlechterung der Befunde ist weder bezüglich des Diabetes mellitus und möglicher Folgeschäden noch hinsichtlich der übrigen vom Kläger ergänzend zum Gutachten Dr. G. genannten Beschwerden ersichtlich.

Das SG hat den Kläger beruflich im Ergebnis zutreffend der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im unteren Bereich zugeordnet. Den erlernten Beruf als Offset-Drucker hat der Kläger nach eigenen Angaben nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Die zuletzt vor dem für die Leistungsminderung wesentlichen Wegeunfall verrichtete Tätigkeit als Härter wurde vom Arbeitgeber stets als angelernte Tätigkeit bezeichnet. Der Kläger selbst hat dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, er habe die Tätigkeit nach einer Einarbeitungszeit von sieben Tagen ausüben können. Zwar kam ihm nach eigenen Angaben seine Tätigkeit als Offset-Drucker zugute, weil er dort bereits mit computergesteuerten Maschinen gearbeitet hat. Ausgehend von der im Arbeitszeugnis beschriebenen Tätigkeit (Bedienen eines Luftschmelzofens) und den Angaben des Klägers, wonach er angelieferte Teile in eine Maschine einlegen, ein vorgegebenes Programm starten und nach Programmende die Teile aus der Maschine herausnehmen musste, liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tätigkeit bei einem fachfremden Arbeitnehmer eine mehr als 12-monatige Anlernzeit erfordert.

Davon ausgehend hat das SG den Kläger zu Recht sozial (auch) auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen. Bei mehr als sechsstündiger Leistungsfähigkeit für zumindest leichte Arbeiten ist keine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSGE 80, 24), da keine schwere spezifische Leistungsbehinderung und keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt. Für ungelernte Tätigkeiten typische Verrichtungen wie das Zureichen, Abnehmen, Sortieren, Verpacken oder Montieren waren dem weder hinsichtlich der Konzentrations- und Umstellungsfähigkeit noch der Feinmotorik erkennbar eingeschränkten Kläger ohne weiteres möglich. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit auf weniger als 500 m ist nicht erkennbar.

Lag beim Kläger keine teilweise Erwerbsminderung bei Berufs- unfähigkeit nach § 240 Abs.2 SGB VI vor, so ist auch eine teilweise oder volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs.1 und 2 SGB VI ausgeschlossen (vgl. zum Verhältnis zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit BSG Urteil vom 5. April 2001 - B 13 RJ 61/00 R -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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