L 5 KR 272/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 SF 5016/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 272/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. September 2003 wird als unzulässig verworfen, soweit Beitragsnachforderungen bezüglich des Beigeladenen zu 6) angegriffen werden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind Beitragsnachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin ist eine gemäß notarieller Urkunde vom 16.12.1993 von den Eheleuten A. und H. L. gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit dem Unternehmensgegenstand Einzel- und Großhandel von Haushaltsklein- und Haushaltsgroßgeräten (braune und weiße Ware), von Fahrrädern, Möbeln sowie von Dingen des täglichen Bedarfs und der Durchführung aller damit zusammenhängenden artverwandten Geschäfte. Sie hat mittlerweile den Betrieb eingestellt, den Warenbestand verkauft und ist seit 30.11.1999 gewerberechtlich abgemeldet. Die Beigeladenen zu 2) bis 6) waren in den Verkaufsräumen der Klägerin als Verkaufskräfte beschäftigt; nur für den Beigeladenen zu 3) wurde ein schriftlicher "freiberuflicher" Arbeitsvertrag (01.08.1992) geschlossen. Dieser sah als Vergütung eine Grundprovision von monatlich DM 1.875,- und eine Zusatzprovision von 10 % bei Monatsumsätzen über DM 20.000,- vor.

Die Beklagte führte 1997 eine Betriebsprüfung der Klägerin über den Zeitraum 01.01.1993 bis 31.12.1996 durch. Nach Befragung der Beigeladenen zu 2) bis 6) und nach einer Schlussbesprechung machte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.1997 Beitragsnachforderungen über DM 160.899,74 geltend. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Beigeladenen zu 2) bis 5) nicht als Selbständige für die Klägerin tätig gewesen seien, sondern in beitragspflichtigen Beschäftigungen, da diese in Abhängigkeit von der Klägerin bzgl. Zeitdauer und Ort der Ausführung ihrer Arbeiten weisungsgebunden beschäftigt gewesen seien. Für den Beigeladenen zu 6) wurden Beitragsnachforderungen erhoben, weil bei der Abrechnung von Einmalzahlungen nur die monatliche, nicht aber, wie es richtig gewesen wäre, die jährliche Beitragsbemessungsgrenze beachtet worden sei. Darüber hinaus wurden Beitragsnachforderungen aus einer abhängigen Beschäftigung des M. S. geltend gemacht.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Beigeladenen zu 2) bis 5) sowie der Beschäftigte M. S. seien zu Unrecht als abhängige Beschäftigte eingestuft worden. Es habe sich vielmehr um selbständige Personen gehandelt. Lediglich hinsichtlich des Mitarbeiters M. L. sei die Nachforderung gerechtfertigt.

Mit Änderungsbescheid vom 27.10.1998 reduzierte die Beklagte die Nachforderung auf DM 155.179,47. Sie blieb hinsichtlich der Beigeladenen zu 2) bis 5) bei der Einordnung als beitragspflichtig Beschäftigte und bejahte eine selbständige Tätigkeit nur des M. S ...

Im Übrigen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.1999 den Widerspruch als unbegründet zurück, weil die Beigeladenen zu 2) bis 5) tatsächlich als abhängige Beschäftigte, nicht aber als freie Mitarbeiter einzuordnen gewesen seien.

Im anschließenden Klageverfahren hat sich die Klägerin gegen die Beitragsnachforderungen bzgl. der Beigeladenen zu 2) bis 5) gewandt mit der Begründung, mit ihnen habe kein Arbeitsverhältnis bestanden, diese hätten vielmehr ein eigenes Gewerbe angemeldet und ausgeübt. Ihnen sei für ihre Verkaufstätigkeit eine gewisse Fläche im Gebäude der Klägerin zur Verfügung gestellt worden, die Miete hierfür und Nebenkosten sowie Nutzungsentgelte für Büro, Telefon und Inventar seien der Einfachheit halber bei der Berechnung der Provisionshöhe mindernd pauschal berücksichtigt worden. Die Mitarbeiter hätten selbständig für die Einstellung von Vertretungspersonen sorgen können. Der Beigeladene zu 2) habe sogar für die Beschäftigung eines Langzeitarbeitslosen eine Förderung der Bundesanstalt für Arbeit erhalten. Die Mitarbeiter hätten eigene Werbung betrieben. Der zur Auslieferung von Waren erforderliche Pkw der Klägerin sei ebenso wie die zu benutzenden Werkzeuge kostenmäßig durch eine verminderte Provision berücksichtigt worden. Es habe eine abhängige Beschäftigung nicht bestanden, vielmehr hätten die Beigeladenen zu 2) bis 5) eine selbständige Tätigkeit gewünscht. Der Beigeladene zu 2) habe die Möglichkeit zur Preisgestaltung oder Gewährung von Nachlässen gehabt. Die Mitarbeiter seien nicht kontrolliert oder überwacht worden und hätten lediglich eine beratende Unterstützung erhalten. Infolge der provisionsbezogenen Vergütung habe ein eigenes Unternehmerrisiko bestanden. Schließlich könne die Klägerin mangels eigener Einnahmen und Vermögens die Forderung der Beklagten nicht bedienen. Sofern die Nachforderungen beglichen werden müssten, müsse die Klägerin Konkurs anmelden.

Mit Teilanerkenntnis vom 29.01.2002 hat die Beklagte die Beitragsnachforderungen aufgrund geänderter Rechtsauffassung auf DM 114.115,46 reduziert vor dem Hintergrund, dass ein Gesamtbetrag von DM 41.064,01 als Steuerbeträge von der Beklagten nicht mehr eingefordert wurde.

Mit Urteil vom 17.09.2003 hat das SG die Klage abgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin sei hinsichtlich der durch Teilanerkenntnis reduzierten Nachforderung nicht mehr beschwert. Die Nachforderungen aus Einmalzahlungen für den Beigeladenen zu 6) seien nicht angegriffen worden. Im Übrigen habe die Beklagte bezüglich der Beigeladenen zu 2) bis 5) zu Recht beitragspflichtige Beschäftigungen angenommen. Dem Beigeladenen zu 2) seien in der Filiale F. der Klägerin Möbel zur Verfügung gestellt worden, ebenso die zur Auslieferung und Montage erforderlichen Transportmittel und Werkzeuge. Der Verkaufsbereich des Beigeladenen zu 2) sei als eigene von der Klägerin getrennte Betriebsstätte nach außen nicht erkennbar gewesen. Die Einrichtungen der Filiale der Klägerin seien unentgeltlich benutzt geworden. Den Wareneinkauf und die Preisfestsetzung habe die Klägerin selbständig vorgenommen. Der Beigeladene zu 2) sei wegen der Öffnungszeiten an die Vorgaben der Klägerin gebunden gewesen. Im Übrigen habe wirtschaftliche Abhängigkeit bestanden und es sei für den Beigeladenen zu 2) kein typisches Unternehmerrisiko erkennbar gewesen. Zu den Beigeladenen zu 3) bis 5) hat das SG ausgeführt, auch diese seien in gleicher Weise als abhängig Beschäftigte versicherungspflichtig tätig gewesen für die Klägerin in deren Betriebsstätte unter Bindung an die vorgegebenen Öffnungszeiten und unter Mitbenutzung der dortigen Einrichtungsgegenstände. Die Beigeladenen seien nach außen nicht im eigenen Namen, sondern stets für die Klägerin aufgetreten.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt im Wesentlichen mit der Begründung, die Beigeladenen zu 2) bis 5) hätten eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, weil sie selbst ein eigenes Gewerbe angemeldet und eine selbständige Tätigkeit gewünscht hätten. In die umsatzsteuerpflichtigen Provisionen seien anteilmäßig Miete, Nebenkosten sowie Nutzungskosten für die Einrichtungen und den Pkw der Klägerin mit einkalkuliert worden. Die Beschäftigten seien an eine feste Arbeitszeit nicht gebunden gewesen und des öfteren auch von eigenen Angestellten vertreten worden.

Auch hinsichtlich der Behandlung von Einmalzahlungen bei dem Beigeladenen zu 6) werde Berufung eingelegt, weil die Angelegenheit nicht mehr nachvollziehbar sei und nochmals recherchiert werden müsse.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Landshut vom 17.09.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.12.1997 und den Änderungsbescheid vom 27.10.1998 - jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Landshut vom 17.09.2003 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten des Rechtsstreits S 1 SF 25/99 ER. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unzulässig, soweit Beitragsnachforderungen aus Einmalzahlungen für den Beigeladenen zu 6) betroffen sind, im Übrigen ist sie unbegründet.

Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 11.02.1998 und 18.02. 1998 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass die Beitragsnachforderungen hinsichtlich des Beigeladenen zu 6) in Ordnung seien und die Nachforderung auch aus ihrer Sicht gerechtfertigt wäre. Dementsprechend hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 29.01.1999 hierüber nicht mehr entschieden. Folgerichtig hat auch die Klage vom 16.02.1999 keine Angriffe bezüglich der Behandlung der Einmalzahlungen für den Beigeladenen zu 6) enthalten. In dieser Hinsicht sind die Ausführungen des SG Landshut so zu verstehen, dass die entsprechende Forderung nicht Gegenstand der Klage geworden ist. Weil die Klägerin insoweit weder Widerspruch (§ 78 ff. Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegt noch Klage (§ 87 ff. SGG) erhoben hat, ist der entsprechende Bescheidanteil bestandskräftig geworden (§ 77 SGG); er kann mit der Berufung nicht mehr angegriffen werden. Insoweit wird die Berufung als unzulässig verworfen.

Soweit die Berufung die Beitragsnachforderungen der Beklagten aus Beschäftigung der Beigeladenen zu 2) bis 5) angreift, bleibt sie ohne Erfolg. Zu Recht hat die Beklagte insoweit mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.12.1997/Änderungsbescheid vom 27.10.1998, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.1999, Beitragsnachforderungen über DM 114.115,46 aus abhängiger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung dem Grunde und der Höhe nach zutreffend geltend gemacht. Dies hat auch das SG Landshut im angegriffenen Urteil vom 17.09.2003 zutreffend festgestellt.

In dem von der Beklagten überprüften Zeitraum vom 01.01.1993 bis 31.12.1996 unterlagen die Beigeladenen zu 2) bis 5) in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und in der Zeit vom 01.01.1995 bis 31.12.1996 auch in der Pflegevesicherung der Versicherungs- und Beitragspflicht (§ 5 Abs.1 Nr.1 SGB V, § 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI, § 168 Abs.1 Satz 1 AFG, § 20 Absatz 1 SGB XI).

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs.1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in der hier anzuwendenden bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (jetzt § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV - vor der Änderung durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999, BGBl I Seite 2). Nach dieser Vorschrift ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach den Gesetzesmaterialien zum Entwurf eines SGB IV stellt diese Norm klar, dass eine Beschäftigung dann vorliegt, wenn eine Arbeit unselbständig, d.h. mit dem Weisungsrecht eines Arbeitgebers ausgeübt wird.

Nach der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb - wie streitgegenständlich in den Geschäftsräumen der Klägerin - ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnisses ab, geben letztere den Ausschlag (vgl. BSG SozR 2200 § 1227 Nr.8; SozR 3-2400 § 7 Nr.13 Seite 31 ff; zur Verfassungsmäßigkeit insoweit BVerfG, SozR 3-2400 § 7 Nr.11; ferner BSG, Urteil vom 10.08.2000, B 12 KR 21/98 R).

Diese Grundsätze hat das SG Landshut zutreffend angewandt und richtigerweise die Beschäftigung der Beigeladenen zu 2) bis 5) als versicherungspflichtig qualifiziert. Insoweit weist der Senat die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs.2 SGG).

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass Anhaltspunkte für eine Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) bis 5) als Handelsvertreter gemäß § 84 Abs.1 Satz 2 Handelsgesetzbuch - HGB - nicht erkennbar sind und ebenso wenig dafür, dass eine nicht versicherungspflichtige lediglich geringfügige Beschäftigung (§ 8 SGB IV) vorgelegen hätte. Dies ergibt sich zusätzlich zu dem vom SG Ausgeführten auch daraus, dass Ansprechpartner für Gewährleistungsansprüche die Klägerin war und nicht die Beigeladenen zu 2) bis 5). Schließlich ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass die Frage der abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht dem Belieben der Beteiligten anheimgestellt ist, sondern aus den zwingenden gesetzlichen Vorschriften folgt.

Die Berufung musste damit in vollem Umfang ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.2 und 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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