L 4 KR 228/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 11/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 228/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 08. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten für privatärztlich verordnete Medikamente zu erstatten.

Die 1948 geborene Klägerin ist freiwilliges Mitglied der Beklagten und beihilfeberechtigt. Sie hat keine Kostenerstattung gewählt. Die Klägerin war in der Vergangenheit mehrfach an Krebs erkrankt, so wurden ihr im September 1990 Eierstöcke und Gebärmutter entfernt. Im Mai 1997 musste ein Mammacarcinom entfernt werden. Die dann auftretenden Lebermetastasen wurden in der Universitätsklinik des S. mit Kryochirurgie therapiert. 1998 führte Dr.K. eine Immuno-augmentative Behandlung durch, an deren Kosten von insgesamt 57.496,07 DM sich die Beihilfe zur Hälfte beteiligte.

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 10.04.1999 an die Beklagte mit dem Antrag, ihr die Kosten für das Medikament Herceptin zu erstatten. Sie legte hierzu Unterlagen vor, wonach Dr.K. durch molekulares Staging disseminierender Tumorzellen am 22.01.1999 die Indikation für die Applikation des Medikamentes Herceptin festgestellt hatte. Das Anbahnen eines allerdings erst mikroskopisch kleinen Rezidivs könne nach diesem Befund nicht ausgeschlossen werden. Beschafft hatte sich die Klägerin drei Ampullen Herceptin bereits am 29.01.1999, wofür ihr 13.197,30 DM von einer F. Apotheke berechnet worden waren.

Die Beklagte hörte zur Kostenübernahme den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) an. Die Gutachterin Dr.S. führte am 17.05.1999 aus, eine Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Herceptin, der bisher in den USA für zwei Indikationen zugelassen sei, müsse aufgrund der bescheidenen Erfolgsraten und der nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkung Einzelfällen vorbehalten bleiben. Im Falle der Klägerin sei eine immunhistochemische Untersuchung am Primärtumorgewebe erforderlich, um eine Aussage zum Einsatz der Behandlung mit Herceptin machen zu können.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Kostenübernahmeantrag mit Bescheid vom 01.06.1999 ab. Die Klägerin legte Widerspruch ein. Dazu bezog sie sich auf den Befund von Prof.Dr.L. vom 13.07.1999 mit dem Ergebnis einer eindeutigen Überexpression des HER-2/neu¬Onkoproteins in dem primären Mammacarcinom links und der metastatischen Lymphknoten-Infiltration.

Mit Schreiben vom 24.09.1999 führte dann Dr.K. aus, um ein sich anbahnendes Rezidiv rechtzeitig abzufangen, sei erneut eine Herceptin-Infusion und eine Behandlung mit dem Antikörper Panorex erforderlich gewesen. Hierfür legte die Klägerin eine Rechnung für Panorex in Höhe von 9.196,06 DM vor sowie eine weitere Rechnung für Herceptin in Höhe von 13.188,00 DM. Die Rechnung datiert vom 28.09.1999.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1999 zurück. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 SGB V seien nicht gegeben. Die Gründe für die Inanspruchnahme privatärztlicher Behandlung einschließlich verordneter Leistungen seien nicht in den äußeren, unabwendbaren Umständen einer unvorhergesehenen Notfallsituation oder in einem Systemversagen zu sehen, sondern darin, einen außerhalb des Vertragssystems stehenden Leistungserbringer zu konsultieren und die Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die streitige Behandlung sei außerdem nicht durch die Leistungsablehnung verursacht worden, da sie bereits vorher begonnen worden sei.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht Regensburg erhobenen Klage trug der Bevollmächtigte der Klägerin vor, die durch das molekulare Staging festgestellte akute Gefahr des Bestehens und/ oder der Bildung eines Rezidivs sowie die bisherige Krankengeschichte habe zum einen bei der Klägerin eine objektiv und subjektiv nachvollziehbare Notfallsituation erzeugt. Zum anderen liege bei der Beklagten ein Systemversagen vor, weil das für die Erkrankung der Klägerin spezifische, erfolgversprechende wichtige Medikament noch keinen offiziellen Eingang in das System der Beklagten gefunden habe. Es sei kein Kassenarzt bereit gewesen, der Klägerin das Medikament zu verschreiben. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin durch Herceptin geheilt worden sei und das billiger als durch eine Chemotherapie.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 08.10.2002 abgewiesen. Die Voraussetzungen der als einzige Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Norm des § 13 Abs.3 SGB V seien nicht gegeben. Die Beklagte habe die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Sie habe vielmehr zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin deshalb keinen Sachleistungsanspruch gehabt habe, weil Dr.K. nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme. Außerdem fehle es an der notwendigen Kausalität. Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehe dahin, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung im Regelfall nicht zu erstatten sind, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne zuvor mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten. Die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, die Klägerin habe einen Antrag nicht vorher stellen müssen, weil sie von einer Ablehnung ausgehen musste, gelte nicht mehr seit dem Inkrafttreten des SGB V.

Auch ein Notfall sei nicht gegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der weiterhin die Kostenerstattung für Herceptin und Panorex beantragt wird. Die Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V seien gegeben. Die Beklagte habe eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen können. Das Sozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte von vornherein nicht gewillt gewesen sei, diese Medikamente der Klägerin zur Verfügung zu stellen, weil die Diagnose des möglichen Rezidivs und der Behandlungsvorschlag mit Herceptin und Panorex von dem seitens der Beklagten nicht akzeptierten Arzt Dr.K. stammte. Alle anderen Ärzte hätten die Medikamente eindeutig als im konkreten Fall indiziert angesehen.

Es müsse auch von einer Notfallbehandlung ausgegangen werden, weil die beiden Medikamente schon seit langem und mit ausgezeichnetem Erfolg zur Behandlung, insbesondere aber auch zur Nachbehandlung bei Brustkrebs angewendet würden und damit Eingang in die ärztliche Praxis gefunden hätten. Unter Berücksichtigung der ablehnenden Haltung der Beklagten seien deshalb der Klägerin keinerlei Bemühungen zuzumuten, sich mit der Beklagten in Verbindung zu setzen. Der Klägerin sei objektiv und subjektiv die Zeit davongelaufen.

Die Beklagte habe die Leistung zu Unrecht abgelehnt. Die Verabreichung von Herceptin und Panorex verhüte im Sinne von § 27 Abs.1 SGB V eine Verschlimmerung einer Krankheit und lindere die Krankheitsbeschwerden. Die unverzügliche Behandlung mit beiden Medikamenten sei aus medizinischen Gründen erforderlich gewesen.

Rechtsfehlerhaft habe das Sozialgericht auch unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin nur um die Erstattung der Medikamentenkosten ersuche, nicht aber um sonstige Behandlungskosten.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 08.10.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 01.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Arzneimittel Herceptin und Panorex in einer Gesamthöhe von 18.192,77 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Unabhängig davon, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V nicht gegeben seien, sei die Ablehnung der Kostenerstattung für die Medikamente Panorex und Herceptin auch deshalb rechtmäßig gewesen, weil Panorex zwar Ende 1994 in Deutschland die Zulassung für die postoperative adjuvante Behandlung des Coloncarcinoms im Stadium Dukes C gehabt habe, Panorex zwischenzeitlich jedoch vom Markt genommen worden sei. Eine Zulassung zur Behandlung von Brustkrebs habe nie bestanden. Die Zulassung von Herceptin in Deutschland sei zum 01.10.2000 erfolgt. In Amerika sei Herceptin seit Herbst 1998 zugelassen. Das Präparat spreche nur bei einer eng begrenzten Patientengruppe an, die Wirksamkeit sei nach den Ausführungen des Bundesausschusses eher marginal. Die Zulassung von Herceptin lasse dessen Einsatz nur bei einem metastasierenden Mammacarcinom zu, ein rein prophylaktischer Einsatz sei von der Zulassung nicht umfasst.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung nach § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass als einzige Anspruchsgrundlage § 13 Abs.3 SGB V in Betracht kommt. Die Klägerin ist zwar freiwilliges Mitglied der Beklagten, sie hat jedoch nicht gem. § 13 Abs.2 SGB V Kostenerstattung gewählt.

Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 SGB V sind nicht erfüllt. Ein auf diese Vorschrift gestützter Anspruch scheitert schon daran, dass die Klägerin die streitige Behandlung begonnen hat, ohne sich vorher mit der Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und ihr die Gewährung als Sachleistung zu ermöglichen. § 13 Abs.3 SGB V gewährt einen Kostenerstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Die Kosten müssen dadurch entstanden sein, dass die Krankenkasse entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder dass sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. An dem erforderlichen Kausalzusammenhang fehlt es regelmäßig, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, siehe Urteil vom 19.06.2001, SozR 3-2500 § 28 Nr.6 m.w.N.). Es ist unbestritten, dass sich die Klägerin weder im Januar 1999, als Dr.K. Herceptin verordnete und dies von der Apotheke mit 13.197,90 DM in Rechnung gestellt wurde, noch im November 1999, als erneut Herceptin verordnet und diesmal von einer anderen Apotheke mit 13.188,00 DM in Rechnung gestellt wurde, vorher mit der Beklagten in Verbindung gesetzt hat. Dies trifft auch zu für die Verordnung und in Rechnungstellung von Panorex am 24.09.1999, wofür jetzt 9.196,06 DM Erstattung verlangt werden.

Auch wenn die Klägerin oder ihr Bevollmächtigter der Auffassung waren, die Kasse werde die Leistung von vornherein verweigern, muss der Antrag vor Inanspruchnahme der Leistung gestellt werden. Das Bundessozialgericht hat zwar zum früheren Recht der RVO die Auffassung vertreten, der Versicherte brauche die Leistung dann nicht vorher zu beantragen, wenn von vornherein feststehe, dass die Kasse sie ihm verweigern werde. Diese Rechtsprechung kann indessen für das geltende Recht nicht übernommen werden. Abgesehen davon, dass sie schwierige Abgrenzungsprobleme aufwirft, weil unklar ist und sich kaum abstrakt festlegen lässt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der Versicherte von einer als sicher zu erwartenden Ablehnung ausgehen darf, lässt der jetzige eindeutige Gesetzeswortlaut eine solche Ausnahme nicht mehr zu. (BSG, Urteil vom 15.04.1997, SozR 3-2500 § 13 Nr.15). Dies bedeutet, die Klägerin hätte sich, bevor sie jeweils Herceptin und Panorex gekauft hat, mit der Kasse in Verbindung setzen müssen. Nach Auffassung des Senats trifft dies auch für die zweite Beschaffung von Herceptin zu, weil geänderte gesundheitliche Verhältnisse gerade bei der Erkankung der Klägerin eine erneute Überprüfung der Behandlung erforderlich machen.

Die Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V sind auch bereits deshalb nicht gegeben, weil § 13 Abs.3 SGB V nur in Zusammenhang mit § 13 Abs.1 SGB V Anwendung findet. Nach § 13 Abs.1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten erstatten, soweit es dieses Buch vorsieht. Dies setzt voraus, dass auf die zu erstattende Leistung ein Sachleistungsanspruch besteht. Zur streitgegenständlichen Zeit bestand weder auf Herceptin noch auf Panorex ein Sachleistungsanspruch für die Klägerin. Versicherte haben zwar gemäß § 27 Abs.1 Ziff.3 i.V.m. § 31 Abs.1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, solange ein nach dem Arzneimittelgesetz zulassungspflichtiges Arzneimittel jedoch nicht zugelassen ist, darf es in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden (BSG, Urteil vom 23.07.1998, SozR 3-2500 § 31 Nr.5). Bei Herceptin handelt es sich um ein der arzneimittelrechtlichen Zulassung bedürftiges Fertigarzneimittel. Es war in Deutschland im Jahr 1999 noch nicht zugelassen.

Das Medikament Panorex wurde von Dr.K. außerhalb der Zulassung eingesetzt, so dass es ebenfalls nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörte.

Die Erwägungen des Klägerbevollmächtigten zum Vorliegen eines Notfalls oder zur Unaufschiebbarkeit der Leistung sind deshalb nicht entscheidungserheblich, vom Sozialgericht wurde zutreffend eine Begutachtung nicht für erforderlich gehalten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Klägerin.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind aufgrund der gefestigten Rechtsprechung des BSG nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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