Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 862/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 233/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.02.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung des ungeminderten Zugangsfaktors 1,0 zu berechnen ist oder wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente ein Zugangsfaktor von 0,856 zugrunde zu legen ist.
Der 1938 geborene Kläger war zuletzt bei der Firma S. GmbH in S. als Stanzer und Staplerfahrer beschäftigt. Am 18.10.1995 vereinbarten die Geschäftsführung und der Betriebsrat eine Personalreduzierung in der Abteilung des Klägers (Warehouse). Danach werde es im Warehouse zu einem erheblichen Personalüberhang kommen. Man war sich einig, dass für die in einer beigefügten Liste genannten Mitarbeiter (zu denen auch der Kläger zählte) das Arbeitsverhältnis in den Jahren 1996 und 1997 beendet werde; lediglich der genaue Austrittstermin werde im Einzelfall entsprechend dem Projektfortschritt (Einführung von "NEDS") festgelegt. Dazu haben die betroffenen Mitarbeiter (auch der Kläger) am 12.10.1995 ihr Einverständnis erklärt.
Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.12.1996 beendet. Am 12.12.1996 meldete sich der Kläger arbeitslos. Auf den Antrag vom 11.12.1997 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.1998 Altersrente mit Wirkung ab 01.04.1998 unter Zugrundelegung eines Rentenfaktors für die Altersrente 1,0.
Noch im Jahre 1998 führte die Beklagte eine Überprüfung von Amts wegen durch und stellte die Altersrente mit Bescheid vom 09.06.1998 mit Wirkung ab 01.04.1998 unter Berücksichtigung eines Rentenfaktors von 0,856 neu fest nach § 45 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für Zukunft.
Der gegen diesen Bescheid am 26.06.1998 erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.10.1998). Die Beklagte vertrat die Auffassung, bei einer Auflösungsvereinbarung komme es entscheidend darauf an, dass die jeweilige Vereinbarung spätestens im Verlauf des 13.02.1996 getroffen worden sei. Zudem sei erforderlich, dass sie bis zu diesem Tag auch wirksam zustande gekommen sei. Von einem solchen wirksamen Zustandekommen könne aber nur dann ausgegangen werden, wenn sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer bereits vor dem Stichtag darüber einig gewesen seien, dass das einzelne Beschäftigungsverhältnis zu einem eindeutig terminierten Zeitpunkt aufgelöst werde. Im Fall des Klägers fehle die übereinstimmende Willenserklärung beider Arbeitsvertragsparteien zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses, wodurch zumindest vereinbart worden sei, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Punkt enden solle. Bei dem Mitarbeitergespräch am 12.10.1995 sei offensichtlich ein genauer Termin, zu dem das einzelne Beschäftigungsverhältnis enden sollte, nicht vereinbart worden.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger im Termin vom 08.02.2001 vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) angegeben, dass zum Zeitpunkt der Betriebsvereinbarung bereits entschieden gewesen sei, den Bereich Warehouse nach Holland zu verlegen. Da diese Verlegung vorbereitet werden musste und diesbezüglich auch Umbaumaßnahmen erfolgten, habe man sich nicht auf einen bestimmten Termin zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse festgelegt, sondern lediglich darauf, dass bis Ende 1997 sämtliche Arbeitsverhältnisse beendet sein sollten.
Mit Urteil vom 08.02.2001 hat das SG die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten aufgehoben. Es ist zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte den früheren Rentenbescheid nicht nach § 45 SGB X zurücknehmen konnte. Insbesondere hat es sich gegen die Auffassung der Beklagten gewandt, nach der eine konkrete Vereinbarung im Einzelfall mit zeitlicher Festlegung des Beendigungszeitpunkts gefordert werde. Es war vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass das Wort "Befristung" in § 237 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach der Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ein bestimmter oder bestimmbarer Zeitraum sei, während ein fester Zeitpunkt mit dem Begriff "Terminierung" zu bezeichnen wäre. Da die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 vor dem 14.02.1996 abgeschlossen und darin festgelegt worden sei, die Arbeitsverhältnisse in den Jahren 1996 und 1997 zu beenden und lediglich der genaue Austrittstermin im Einzelfall entsprechend dem Projektfortschritt festzulegen sei, genüge diese Vereinbarung den gesetzlichen Anforderungen. Damit habe der Kläger Anspruch auf Gewährung von Altersrente ohne Abschläge.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die der Auffassung ist, es liege hier weder eine einvernehmliche Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsvertrages noch eine wirksame Befristung des Arbeitsvertrages vor dem 14.02.1996 vor. Es sei nicht sicher gewesen, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers tatsächlich nach dem 13.02.1996 enden würde. Auch aus diesem Grund könne Vertrauensschutz nicht angenommen werden. Im Übrigen könne eine Befristung, wie sie das SG angenommen habe, nur dann wirksam sein, wenn deren Ende zumindest hinreichend bestimmbar sei. Da vorliegend die Beendigung der Arbeitsverhältnisse durch einseitige Festlegung des Endzeitpunktes durch den Arbeitgeber erfolgt sei, habe es sich nicht um ein eindeutiges Ereignis (bestimmbar) gehandelt, das für alle Betroffenen Geltung besitze. Es hätte vielmehr entsprechend dem Projektfortschritt für jeden einzelnen Arbeitnehmer individuell ein Endzeitpunkt festgelegt werden müssen. Damit fehle es an der hinreichenden Bestimmbarkeit einer möglicherweise vorgenommenen Befristung der Arbeitsverträge. Es liege somit weder eine einvernehmliche Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsvertrages noch eine wirksame Befristung des Arbeitsvertrages vor dem 14.02.1996 vor.
Mit Beschluss vom 16.08.2001 hat der Senat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ausgesetzt. Beigezogen zum Verfahren hat der Senat die Personalakte des Klägers von der S. GmbH S. und die Leistungsakte des Arbeitsamtes S ...
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 08.02.2001 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 09.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1998 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten für rechtswidrig. Die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 sei eindeutig vor dem 14.02.1996 abgeschlossen. Sie habe sich auf eine vorher von den Mitarbeitern abgegebene Einverständniserklärung berufen. Damit sei festgelegt, dass die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter spätestens innerhalb einer bis zum 31.12.1997 vereinbarten Befristung endeten. Damit sei das Ende des Arbeitsverhältnisses des Klägers konkret bestimmt worden. Das bestimmbare Ereignis sei der Projektfortschritt gewesen, d.h. die Verlagerung des Warehouse an einen anderen Standort. Die Auslegung des Wortes "Befristung" entspreche damit sowohl der geläufigen Definition als auch dem Sinn und Zweck des § 237 Abs 4 SGB VI, wonach ein gleitender Übergang vom alten zum neuen Recht gewährleistet sein sollte, um die Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten. Der im früheren Bescheid vom 30.01.1998 ausgesprochene Vertrauensschutz sei damit nicht rechtswidrig gewesen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren außerdem die Streitakten erster und zweiter Instanz und die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Senat hat das von der Beklagten angefochtene Urteil des SG bestätigt, weil er die vom Kläger angegriffenen Bescheide der Beklagten ebenfalls als rechtswidrig ansieht. Denn die Beklagte hat den Zugangsfaktor für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu Unrecht mit 0,856 statt mit 1,0 festgesetzt. Der Kläger kann somit die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ungeschmälert beanspruchen.
Nach § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. wird bei vor 1941 geborenen Versicherten die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist, für eine Zeit nach dem 13.02.1996 beendet worden und der Versicherte anschließend arbeitslos geworden ist. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt: Der Kläger ist vor 1941 geboren, sein Arbeitsverhältnis wurde nach dem 13.02.1996 beendet (hier 31.12.1996) und er ist anschließend arbeitslos geworden (Arbeitslosmeldung am 12.12.1996). Entgegen der Auffassung der Beklagten beruht die nach dem 13.02.1996 eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist.
Zwar ist vorliegend die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1996 nicht auf eine Kündigung vor dem 14.02.1996 zurückzuführen. Gleichwohl ist das Arbeitsverhältnis des Klägers i.S. des Gesetzes "aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist", beendet worden. Der Senat tritt der Auffassung bei, dass "Vereinbarung" i.S. der genannten Vorschrift auch eine kollektiv-rechtliche Regelung wie ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung und ein Sozialplan sein kann. Offen bleiben durfte in diesem Zusammenhang, ob eine vor dem Stichtag geschlossene kollektiv-rechtliche Regelung, die die Beendigung der Arbeitsverhältnisse durch spätere Kündigung vorsieht, stets als Vereinbarung i.S. des Gesetzes ausreicht. Der Senat bejaht dies jedenfalls für den auch hier gegebenen Fall, dass im Anschluss an die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 und das Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer wie dem Kläger die Dispositionsmöglichkeiten der Beteiligten erschöpft waren. Denn vorgesehen war, die Arbeitsverhältnisse aller betroffenen Arbeitnehmer in den Jahren 1996 und 1997 zu beenden, so dass die Beteiligten davon ausgehen mussten, dass die Arbeitsverhältnisse in jedem Falle spätestens am 31.12.1997 enden. Für den Kläger und seinen Arbeitgeber war somit bindend festgelegt, dass das Arbeitsverhältnis auf keinen Fall länger als bis zum 31.02.1997 andauert.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass vorliegend eine vor dem Stichtag abgegebene individuelle Erklärung über das Arbeitsverhältnis des Klägers fehlt. Dieser Mangel wird jedoch vor dem Hintergrund des Zweckes der Vertauensschutzregelung durch die faktische Unverrückbarkeit aufgehoben, zu der es im Anschluss an die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 und das Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer hierzu gekommen war. Die Regelung infolge der geplanten Abteilungsauflösung (Warehouse) war für einen konkret definierten Personenkreis gedacht, so dass schließlich jeder einzelne Mitarbeiter feststand, dessen Arbeitsverhältnis durch die Betriebsvereinbarung beendet sein sollte. Für die Individualisierung war es nach Auffassung des Senats hinreichend, wenn die betroffenen Mitarbeiter in einer Liste einzeln aufgeführt waren.
Unschädlich für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Vereinbarung" i.S. des § 237 Abs 2 SGB VI a.F. war es, dass der genaue Beendigungszeitpunkt (hier der 31.12.1996) zum Zeitpunkt der Betriebsvereinbarung, also am 18.10.1995, noch nicht kalendermäßig feststand. Denn zum einen fordert das Gesetz lediglich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses "nach dem 13.02.1996", zum anderen war der Zeitpunkt, wie das SG im angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls bestimmbar, nämlich spätestens mit dem Tag der Auflösung der Abteilung Warehouse. Grundlage und Anknüpfung für den i.S. der Stichtagsregelung relevanten Tatbestand ist nämlich nicht die arbeitsrechtlich konkrete Beendigung, sondern die zugrunde liegende grundsätzliche Einigung der Arbeitsvertragsparteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nur diese Sicht trägt dem Schutzgedanken des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. (jetzt § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI) in ausreichendem Maße Rechnung. Denn der Kläger als Arbeitnehmer, der sich in dem Bewusstsein, sich auf Dauer nicht und vorübergehend nur unter Inkaufnahme einer Verschlechterung seiner Arbeitssituation seinem arbeitgeberseitig vorgesehenen Ausscheiden widersetzen zu können, zum Ausscheiden bereit erklärt, ist ebenso schutzwürdig wie der in § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. erkennbar angesprochene Personenkreis derer, bei denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer bereits vor dem 14.02.1996 geschlossenen individuellen Aufhebungsvereinbarung oder durch vorher ausgesprochene Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet worden war. Die Vorschrift des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. dient dem Vertrauensschutz von Versicherten, die am 14.02.1996 das 55. Lebensjahr vollendet hatten und zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslos waren oder als Inhaber einer Rentenanwartschaft und im Vertrauen auf die damaligen gesetzlichen Regelungen wegen Arbeitslosigkeit das Recht auf eine Altersrente bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres erlangen zu können, Dispositionen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten und später zur Arbeitslosigkeit führten. Unter dem Gesichtspunkt der verlangten Unumkehrbarkeit des Schrittes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht das in einer faktischen Zwangslage erteilte Einverständnis mit dessen Beendigung der rechtswirksamen Beendigung in seinen sozialen Auswirkungen gleich. Gerade diese soll jedoch die in § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. enthaltene Vertrauensschutzregelung abfedern. Denn die Übergangsregelung war im Hinblick auf das beabsichtigte und dann auch tatsächlich eingetretene schnelle Handeln des Gesetzgebers (Beschluss des Bundeskabinetts vom 14.02.1996, Verkündung des Gesetzes am 29.07.1996, In-Kraft-Treten mit Wirkung vom 01.08.1996) geschaffen worden. Geschützt werden sollten insbesondere die von der Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit künftig betroffenen rentennahen Jahrgänge, zu denen auch der Kläger zählte, denen nur relativ wenig Zeit zur Verfügung stand, ihre weitere Lebensplanung auf die neue Rechtslage einzustellen, um Einbußen beim Bezug der Rente zu vermeiden. Begünstigt werden sollten demnach auch diejenigen älteren Arbeitnehmer, die aufgrund der bisherigen Rechtslage Dispositionen getroffen hatten und diese nicht mehr rückgängig machen konnten, und die nach Eintritt der Arbeitslosigkeit wegen der Arbeitsmarktlage kaum noch eine Chance hatten, einen Arbeitsplatz zu finden. Geschützt werden sollten daher alle Arbeitnehmer, für die sich aufgrund vertraglicher, kollektiv-rechtlicher oder quasi-vertraglicher Vereinbarung auf dem Hintergrund eines faktischen Zwanges zum Ausscheiden vor dem 14.02.1996 keine Möglichkeit mehr bot, das Arbeitsverhältnis auf Dauer fortzusetzen und so - der Intention der Gesetzgebungsvorhaben an sich entsprechend - die Inanspruchnahme der vorgezogenen Rente wegen Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 08.02.2001 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass der Kläger obsiegt hat.
Für den Senat bestand auch kein Anlass zur Zulassung der Revision.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger bewilligte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Berücksichtigung des ungeminderten Zugangsfaktors 1,0 zu berechnen ist oder wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente ein Zugangsfaktor von 0,856 zugrunde zu legen ist.
Der 1938 geborene Kläger war zuletzt bei der Firma S. GmbH in S. als Stanzer und Staplerfahrer beschäftigt. Am 18.10.1995 vereinbarten die Geschäftsführung und der Betriebsrat eine Personalreduzierung in der Abteilung des Klägers (Warehouse). Danach werde es im Warehouse zu einem erheblichen Personalüberhang kommen. Man war sich einig, dass für die in einer beigefügten Liste genannten Mitarbeiter (zu denen auch der Kläger zählte) das Arbeitsverhältnis in den Jahren 1996 und 1997 beendet werde; lediglich der genaue Austrittstermin werde im Einzelfall entsprechend dem Projektfortschritt (Einführung von "NEDS") festgelegt. Dazu haben die betroffenen Mitarbeiter (auch der Kläger) am 12.10.1995 ihr Einverständnis erklärt.
Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.12.1996 beendet. Am 12.12.1996 meldete sich der Kläger arbeitslos. Auf den Antrag vom 11.12.1997 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.1998 Altersrente mit Wirkung ab 01.04.1998 unter Zugrundelegung eines Rentenfaktors für die Altersrente 1,0.
Noch im Jahre 1998 führte die Beklagte eine Überprüfung von Amts wegen durch und stellte die Altersrente mit Bescheid vom 09.06.1998 mit Wirkung ab 01.04.1998 unter Berücksichtigung eines Rentenfaktors von 0,856 neu fest nach § 45 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für Zukunft.
Der gegen diesen Bescheid am 26.06.1998 erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.10.1998). Die Beklagte vertrat die Auffassung, bei einer Auflösungsvereinbarung komme es entscheidend darauf an, dass die jeweilige Vereinbarung spätestens im Verlauf des 13.02.1996 getroffen worden sei. Zudem sei erforderlich, dass sie bis zu diesem Tag auch wirksam zustande gekommen sei. Von einem solchen wirksamen Zustandekommen könne aber nur dann ausgegangen werden, wenn sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer bereits vor dem Stichtag darüber einig gewesen seien, dass das einzelne Beschäftigungsverhältnis zu einem eindeutig terminierten Zeitpunkt aufgelöst werde. Im Fall des Klägers fehle die übereinstimmende Willenserklärung beider Arbeitsvertragsparteien zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses, wodurch zumindest vereinbart worden sei, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Punkt enden solle. Bei dem Mitarbeitergespräch am 12.10.1995 sei offensichtlich ein genauer Termin, zu dem das einzelne Beschäftigungsverhältnis enden sollte, nicht vereinbart worden.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger im Termin vom 08.02.2001 vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) angegeben, dass zum Zeitpunkt der Betriebsvereinbarung bereits entschieden gewesen sei, den Bereich Warehouse nach Holland zu verlegen. Da diese Verlegung vorbereitet werden musste und diesbezüglich auch Umbaumaßnahmen erfolgten, habe man sich nicht auf einen bestimmten Termin zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse festgelegt, sondern lediglich darauf, dass bis Ende 1997 sämtliche Arbeitsverhältnisse beendet sein sollten.
Mit Urteil vom 08.02.2001 hat das SG die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten aufgehoben. Es ist zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte den früheren Rentenbescheid nicht nach § 45 SGB X zurücknehmen konnte. Insbesondere hat es sich gegen die Auffassung der Beklagten gewandt, nach der eine konkrete Vereinbarung im Einzelfall mit zeitlicher Festlegung des Beendigungszeitpunkts gefordert werde. Es war vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass das Wort "Befristung" in § 237 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach der Definition des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ein bestimmter oder bestimmbarer Zeitraum sei, während ein fester Zeitpunkt mit dem Begriff "Terminierung" zu bezeichnen wäre. Da die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 vor dem 14.02.1996 abgeschlossen und darin festgelegt worden sei, die Arbeitsverhältnisse in den Jahren 1996 und 1997 zu beenden und lediglich der genaue Austrittstermin im Einzelfall entsprechend dem Projektfortschritt festzulegen sei, genüge diese Vereinbarung den gesetzlichen Anforderungen. Damit habe der Kläger Anspruch auf Gewährung von Altersrente ohne Abschläge.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die der Auffassung ist, es liege hier weder eine einvernehmliche Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsvertrages noch eine wirksame Befristung des Arbeitsvertrages vor dem 14.02.1996 vor. Es sei nicht sicher gewesen, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers tatsächlich nach dem 13.02.1996 enden würde. Auch aus diesem Grund könne Vertrauensschutz nicht angenommen werden. Im Übrigen könne eine Befristung, wie sie das SG angenommen habe, nur dann wirksam sein, wenn deren Ende zumindest hinreichend bestimmbar sei. Da vorliegend die Beendigung der Arbeitsverhältnisse durch einseitige Festlegung des Endzeitpunktes durch den Arbeitgeber erfolgt sei, habe es sich nicht um ein eindeutiges Ereignis (bestimmbar) gehandelt, das für alle Betroffenen Geltung besitze. Es hätte vielmehr entsprechend dem Projektfortschritt für jeden einzelnen Arbeitnehmer individuell ein Endzeitpunkt festgelegt werden müssen. Damit fehle es an der hinreichenden Bestimmbarkeit einer möglicherweise vorgenommenen Befristung der Arbeitsverträge. Es liege somit weder eine einvernehmliche Vereinbarung über die Auflösung des Arbeitsvertrages noch eine wirksame Befristung des Arbeitsvertrages vor dem 14.02.1996 vor.
Mit Beschluss vom 16.08.2001 hat der Senat die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ausgesetzt. Beigezogen zum Verfahren hat der Senat die Personalakte des Klägers von der S. GmbH S. und die Leistungsakte des Arbeitsamtes S ...
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 08.02.2001 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 09.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1998 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten für rechtswidrig. Die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 sei eindeutig vor dem 14.02.1996 abgeschlossen. Sie habe sich auf eine vorher von den Mitarbeitern abgegebene Einverständniserklärung berufen. Damit sei festgelegt, dass die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter spätestens innerhalb einer bis zum 31.12.1997 vereinbarten Befristung endeten. Damit sei das Ende des Arbeitsverhältnisses des Klägers konkret bestimmt worden. Das bestimmbare Ereignis sei der Projektfortschritt gewesen, d.h. die Verlagerung des Warehouse an einen anderen Standort. Die Auslegung des Wortes "Befristung" entspreche damit sowohl der geläufigen Definition als auch dem Sinn und Zweck des § 237 Abs 4 SGB VI, wonach ein gleitender Übergang vom alten zum neuen Recht gewährleistet sein sollte, um die Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten. Der im früheren Bescheid vom 30.01.1998 ausgesprochene Vertrauensschutz sei damit nicht rechtswidrig gewesen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren außerdem die Streitakten erster und zweiter Instanz und die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Senat hat das von der Beklagten angefochtene Urteil des SG bestätigt, weil er die vom Kläger angegriffenen Bescheide der Beklagten ebenfalls als rechtswidrig ansieht. Denn die Beklagte hat den Zugangsfaktor für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu Unrecht mit 0,856 statt mit 1,0 festgesetzt. Der Kläger kann somit die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ungeschmälert beanspruchen.
Nach § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. wird bei vor 1941 geborenen Versicherten die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist, für eine Zeit nach dem 13.02.1996 beendet worden und der Versicherte anschließend arbeitslos geworden ist. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt: Der Kläger ist vor 1941 geboren, sein Arbeitsverhältnis wurde nach dem 13.02.1996 beendet (hier 31.12.1996) und er ist anschließend arbeitslos geworden (Arbeitslosmeldung am 12.12.1996). Entgegen der Auffassung der Beklagten beruht die nach dem 13.02.1996 eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist.
Zwar ist vorliegend die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.1996 nicht auf eine Kündigung vor dem 14.02.1996 zurückzuführen. Gleichwohl ist das Arbeitsverhältnis des Klägers i.S. des Gesetzes "aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14.02.1996 erfolgt ist", beendet worden. Der Senat tritt der Auffassung bei, dass "Vereinbarung" i.S. der genannten Vorschrift auch eine kollektiv-rechtliche Regelung wie ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung und ein Sozialplan sein kann. Offen bleiben durfte in diesem Zusammenhang, ob eine vor dem Stichtag geschlossene kollektiv-rechtliche Regelung, die die Beendigung der Arbeitsverhältnisse durch spätere Kündigung vorsieht, stets als Vereinbarung i.S. des Gesetzes ausreicht. Der Senat bejaht dies jedenfalls für den auch hier gegebenen Fall, dass im Anschluss an die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 und das Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer wie dem Kläger die Dispositionsmöglichkeiten der Beteiligten erschöpft waren. Denn vorgesehen war, die Arbeitsverhältnisse aller betroffenen Arbeitnehmer in den Jahren 1996 und 1997 zu beenden, so dass die Beteiligten davon ausgehen mussten, dass die Arbeitsverhältnisse in jedem Falle spätestens am 31.12.1997 enden. Für den Kläger und seinen Arbeitgeber war somit bindend festgelegt, dass das Arbeitsverhältnis auf keinen Fall länger als bis zum 31.02.1997 andauert.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass vorliegend eine vor dem Stichtag abgegebene individuelle Erklärung über das Arbeitsverhältnis des Klägers fehlt. Dieser Mangel wird jedoch vor dem Hintergrund des Zweckes der Vertauensschutzregelung durch die faktische Unverrückbarkeit aufgehoben, zu der es im Anschluss an die Betriebsvereinbarung vom 18.10.1995 und das Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer hierzu gekommen war. Die Regelung infolge der geplanten Abteilungsauflösung (Warehouse) war für einen konkret definierten Personenkreis gedacht, so dass schließlich jeder einzelne Mitarbeiter feststand, dessen Arbeitsverhältnis durch die Betriebsvereinbarung beendet sein sollte. Für die Individualisierung war es nach Auffassung des Senats hinreichend, wenn die betroffenen Mitarbeiter in einer Liste einzeln aufgeführt waren.
Unschädlich für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Vereinbarung" i.S. des § 237 Abs 2 SGB VI a.F. war es, dass der genaue Beendigungszeitpunkt (hier der 31.12.1996) zum Zeitpunkt der Betriebsvereinbarung, also am 18.10.1995, noch nicht kalendermäßig feststand. Denn zum einen fordert das Gesetz lediglich eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses "nach dem 13.02.1996", zum anderen war der Zeitpunkt, wie das SG im angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls bestimmbar, nämlich spätestens mit dem Tag der Auflösung der Abteilung Warehouse. Grundlage und Anknüpfung für den i.S. der Stichtagsregelung relevanten Tatbestand ist nämlich nicht die arbeitsrechtlich konkrete Beendigung, sondern die zugrunde liegende grundsätzliche Einigung der Arbeitsvertragsparteien über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nur diese Sicht trägt dem Schutzgedanken des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. (jetzt § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI) in ausreichendem Maße Rechnung. Denn der Kläger als Arbeitnehmer, der sich in dem Bewusstsein, sich auf Dauer nicht und vorübergehend nur unter Inkaufnahme einer Verschlechterung seiner Arbeitssituation seinem arbeitgeberseitig vorgesehenen Ausscheiden widersetzen zu können, zum Ausscheiden bereit erklärt, ist ebenso schutzwürdig wie der in § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. erkennbar angesprochene Personenkreis derer, bei denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer bereits vor dem 14.02.1996 geschlossenen individuellen Aufhebungsvereinbarung oder durch vorher ausgesprochene Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet worden war. Die Vorschrift des § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. dient dem Vertrauensschutz von Versicherten, die am 14.02.1996 das 55. Lebensjahr vollendet hatten und zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslos waren oder als Inhaber einer Rentenanwartschaft und im Vertrauen auf die damaligen gesetzlichen Regelungen wegen Arbeitslosigkeit das Recht auf eine Altersrente bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres erlangen zu können, Dispositionen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten und später zur Arbeitslosigkeit führten. Unter dem Gesichtspunkt der verlangten Unumkehrbarkeit des Schrittes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht das in einer faktischen Zwangslage erteilte Einverständnis mit dessen Beendigung der rechtswirksamen Beendigung in seinen sozialen Auswirkungen gleich. Gerade diese soll jedoch die in § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 1b SGB VI a.F. enthaltene Vertrauensschutzregelung abfedern. Denn die Übergangsregelung war im Hinblick auf das beabsichtigte und dann auch tatsächlich eingetretene schnelle Handeln des Gesetzgebers (Beschluss des Bundeskabinetts vom 14.02.1996, Verkündung des Gesetzes am 29.07.1996, In-Kraft-Treten mit Wirkung vom 01.08.1996) geschaffen worden. Geschützt werden sollten insbesondere die von der Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit künftig betroffenen rentennahen Jahrgänge, zu denen auch der Kläger zählte, denen nur relativ wenig Zeit zur Verfügung stand, ihre weitere Lebensplanung auf die neue Rechtslage einzustellen, um Einbußen beim Bezug der Rente zu vermeiden. Begünstigt werden sollten demnach auch diejenigen älteren Arbeitnehmer, die aufgrund der bisherigen Rechtslage Dispositionen getroffen hatten und diese nicht mehr rückgängig machen konnten, und die nach Eintritt der Arbeitslosigkeit wegen der Arbeitsmarktlage kaum noch eine Chance hatten, einen Arbeitsplatz zu finden. Geschützt werden sollten daher alle Arbeitnehmer, für die sich aufgrund vertraglicher, kollektiv-rechtlicher oder quasi-vertraglicher Vereinbarung auf dem Hintergrund eines faktischen Zwanges zum Ausscheiden vor dem 14.02.1996 keine Möglichkeit mehr bot, das Arbeitsverhältnis auf Dauer fortzusetzen und so - der Intention der Gesetzgebungsvorhaben an sich entsprechend - die Inanspruchnahme der vorgezogenen Rente wegen Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 08.02.2001 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass der Kläger obsiegt hat.
Für den Senat bestand auch kein Anlass zur Zulassung der Revision.
Rechtskraft
Aus
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