Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 178/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 390/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.07.2001 sowie der Bescheid vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widespruchsbescheides vom 18.03.1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 06.11.1996 bis 31.10.1997 und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 5.583,87 DM wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen streitig.
Die 1969 geborene und bis September 1993 als kaufmännische Angestellte tätige Klägerin beantragte nach Beendigung des Erziehungsurlaubes am 06.11.1996 Alg. Sie gab an, keine Nebenbeschäftigung auszuüben. Eigene Bewerbungen würden jedoch laufen, deren Ergebnisse werde sie mitteilen. Mit zwei Schreiben vom 06.11.1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine fiktive Einstufung des Bemessungsentgeltes nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden erfolgen werde, und bewilligte mit Bescheid vom 28.11.1996 Alg für die Zeit vom 06.11.1996 bis 04.11.1997.
Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung hinsichtlich des Leistungsbezuges mit einer geringfügigen Beschäftigung und entsprechender Angaben der Arbeitgeberin (Firma P. Consulting, i. F: Fa. P) hob die Beklagte ohne Anhörung mit Bescheid vom 01.02.1999 die Bewilligung von Alg für Dauer der Nebenbeschäftigung ab 06.11.1996 teilweise wegen Einkommensanrechnung auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 5.583,87 DM. Der Leistungsanspruch gelte damit für 240 Tage nicht als erfüllt, so dass sich die Anspruchsdauer auf Alg um 240 Tage verlängere.
Ihren Widerspruch dagegen begründete die Klägerin damit, erst nachdem sie die Schreiben vom 06.11.1996 erhalten habe, habe sich die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung ergeben. Dies habe sie der Beklagten telefonisch mitgeteilt. Ein paar Tage später habe sie den Bewilligungsbescheid erhalten und sei davon ausgegangen, alles hätte sich erledigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die telefonische Information sei anhand des zeitlichen Ablaufes nicht nachvollziehbar. Am Tag der Arbeitslosmeldung (06.11.1996) habe sie bereits die Nebentätigkeit aufgenommen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen: Die Nebentätigkeit habe sich nicht bereits im Zeitpunkt der Antragstellung, sondern erst am 14.11.1996 ergeben. Dies sowie die Tatsache, dass es sich um eine geringfügige Tätigkeit handele, habe sie der Beklagten telefonisch mitgeteilt. Aus dem hernach erlassenen Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 sei für sie die Nichtanrechnung von Nebenverdienst nicht erkennbar gewesen. Sie sei nach dem Telefonat davon ausgegangen, die Nebenbeschäftigung sei zur Kenntnis genommen und bei der Berechnung der Arbeitslosenunterstützung mit einbezogen worden. Weitere Nachfragen der Beklagten habe es nicht gegeben. Die Nebentätigkeit habe sie am 14.11.1996 aufgenommen. Dies hat die Fa. P bestätigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.07.2001 abgewiesen. Die Klägerin habe zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht erkannt. Aus dem Bewilligungsbescheid sowie dem erhaltenen Merkblatt habe sie unabhängig von einer telefonischen Mitteilung ohne tiefergreifende Überlegungen erkennen können, dass die exakte Höhe des Nebeneinkommens zur Berechnung erforderlich sei, zumal sich hierfür im Bewilligungsbescheid eine besondere Rubrik finde.
Die zum Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung hat die Klägerin damit begründet, sie habe bereits bei dem Telefonat Mitte November 1996 angegeben, innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze zu verdienen. Die Beklagte hätte von einem Einkommen in Höhe von 590,00 DM ausgehen können. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte ihre Angaben zutreffend verwende, das Nötige veranlasse und im Bewilligungsbescheid berücksichtige. Zur Vorlage von Schriftstücken sei sie nicht aufgefordert worden. Es sei ihr zugute zu halten, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen ihre Nebentätigkeit überhaupt mitgeteilt habe. Eine Interessenabwägung sei vorzunehmen, zumal ihr durch den unzutreffenden Bewilligungsbescheid die Möglichkeit genommen worden sei, Sozialhilfe zu beantragen. Sie habe vor Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung bei der Fa. P ab 14.11.1996 die Beklagte darüber informiert.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.07.2001 sowie den Bescheid vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Bei der Mitteilung einer Nebenbeschäftigung werde von ihren Mitarbeitern immer auf die vorzulegende Verdienstbescheinigung hingewiesen, insbesondere wenn - wie vorliegend - der Verdienst noch nicht festgestanden habe. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen können, allein aus ihren Angaben habe das Nebeneinkommen berechnet und im Bewilligungsbescheid berücksichtigt werden können. Die Anrechnung selbst sei der Klägerin aus dem ausgehändigten Merkblatt bekannt gewesen. Ermessenerwägungen seien nicht anzustellen.
Der Senat hat den Ehemann der Klägerin, der deren Telefonat mit der Beklagten im November 1996 und die Mitteilung der Aufnahme einer "Nebenbeschäftigung" bestätigt hat, als Zeugen vernommen. Auf dessen Aussage wird zur Ergänzung des Tatbestandes ebenso Bezug genommen wie auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des SG sowie der Bescheid vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1999 sind aufzuheben. Für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 28.11.1996 findet sich keine Rechtsgrundlage.
Die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Alg - eine Aufhebung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) scheidet vorliegend aus, denn der Bewilligungsbescheid war von Anfang an, dh bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen - kann nicht auf § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X gestützt werden. Nach dieser Regelung ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Ein Ermessen hat die Beklagte dabei nicht auszuüben (§ 330 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III), eine Interessenabwägung hat nicht zu erfolgen.
Unstreitig ist, dass das erzielte Nebeneinkommen auf das Alg anzurechnen (§ 115 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - in der vom 01.08.1994 bis 31.03.1997 bzw 01.04.1997 bis 31.12.1997 geltenden Fassung) und der Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 deshalb von Anfang an rechtswidrig war.
Die Klägerin hat allerdings diese Rechtswidrigkeit weder gekannt noch grob fahrlässig nicht gekannt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 HS 2 SGB X).
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jeden einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (so: BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 mwN). Entscheidend ist somit, ob die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Höhe des bewilligten Alges infolge der Nichtanrechnung von erzieltem Einkommen nicht erkannte. Dabei hat sie den Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl hierzu BSG aaO). Allerdings ist die Klägerin, die zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Sie darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt - hier: nach der Höhe des Einkommens - und wahrheitsgemäße Angaben - hier: Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung - zutreffend umsetzt. Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, weil sonst Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für eine sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet würde (vgl hierzu: BSG aaO).
Aus dem Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 kann die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Höhe der Alg-Bewilligung aufgrund der Nichtanrechnung von Nebeneinkommen nicht erkennen. Aufgrund der Schreiben vom 06.11.1996 zur fiktiven Feststellung des Bemessungsentgeltes nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und aufgrund des Fehlens einer gesonderten Spalte hinsichtlich eines Anrechnungsbetrages - im Bescheid vom 28.11.1996 findet sich lediglich eine Rubrik "Abzweigung" - kann die Klägerin, auch wenn ihr die Anrechnung von Nebeneinkommen aus dem ausgehändigten Merkblatt (Stand April 1996) bekannt gewesen sein sollte, nicht entnehmen, dass eine solche Anrechnung nicht erfolgt ist und sie daher zu hohes Alg erhält. Ein Hinweis auf die unterbliebene Anrechnung von Einkommen auf das Alg findet sich in dem Bescheid vom 28.11.1996 nicht.
Die ihr zunächst obliegende Pflicht zur Mitteilung der Aufnahme einer Nebentätigkeit (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -) hat sie - vor Aufnahme dieser Tätigkeit - erfüllt. Das Telefonat ist nämlich zur Überzeugung des Senats aufgrund der Aussage der Klägerin und des vernommenen Zeugen sowie deswegen nachgewiesen, weil die Klägerin dieses Telefonat von Anfang an bereits im Rahmen des Widerspruches - eine Anhörung vor Erlass des Bescheides ist nicht erfolgt - angegeben hat und die von ihr angegebene zeitliche Abfolge (Erhalt der Schreiben vom 06.11.1996, Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung ab 14.11.1996 und Information der Beklagten vor diesem Zeitpunkt, danach Erhalt des Bewilligungsbescheides) nachvollziehbar ist. Die Angaben der Klägerin sind in der zeitlichen Abfolge stimmig und werden durch die glaubhaften Ausführungen des Zeugen bestätigt. Allein das Fehlen eines Gesprächsvermerkes oder einer Übersendung eines Vordruckes für eine Verdienstbescheinigung durch die Beklagte lässt hieran keine Zweifel aufkommen. Ein solcher Vermerk kann im Rahmen einer Massenverwaltung versehentlich unterbleiben oder verlorengehen.
Die Klägerin kann davon ausgehen, dass die Beklagte, nachdem sie telefonisch - eine schriftliche Mitteilung ist nicht erforderlich - die Aufnahme einer vom Zeugen bestätigten "Nebenbeschäftigung" angegeben hat, das Weitere veranlassen wird. Sie kann dann, soweit die Beklagte nähere Angaben benötigt, abwarten, ob eventuell weitere Fragen gestellt oder entsprechende Fragebögen oder Vordrucke zu einer Verdienstbescheinigung übersandt werden.
Nachdem die Klägerin zutreffende Angaben gemacht hat, ist sie nicht gehalten, den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. Auch wenn ihr aufgrund des ausgehändigten Merkblattes, das sie, wie sie unterschriftlich bestätigt hat, zur Kenntnis genommen hat, bekannt war, dass eine Anrechnung von Nebeneinkommen erfolgt, so ergibt sich aus dem Merkblatt nicht, wer die Ermittlungen hinsichtlich der Höhe des Nebeneinkommens durchzuführen hat. Dazu ist vielmehr auf Seite 36 lediglich vermerkt, dass Nebenbeschäftigungen dem Arbeitsamt unverzüglich zu melden seien. Das hat die Klägerin zur Überzeugung des Senates getan.
Dem Leistungsempfänger aber, der die fehlerhafte Zuordnung nicht aus der Bescheidbegründung erkennen kann, wird daher grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen sein, wenn ihm der Fehler bei seiner subjektiven Erkenntnismöglichkeit aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt". Davon könnte auszugehen sein, wenn die bewilligte Lohnersatzleistung beispielsweise offensichtlich außer Verhältnis zu den zugrunde liegenden Arbeitsentgelt stände (vgl zum Ganzen BSG aaO). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Selbst wenn die Klägerin jedoch verpflichtet gewesen wäre, die einzelnen Merkmale sowie die Berechnung der Höhe des Alg zu überprüfen, hat sie nicht grob fahrlässig übersehen, dass eine Anrechnung von Nebeneinkommen nicht erfolgt ist. Wie bereits dargelegt, findet sich diesbezüglich keine entsprechende Rubrik im Bewilligungsbescheid. Die Berechnung des Anrechnungsbetrages selbst aber ist kompliziert und für einen Laien nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Dies ergibt sich bereits aus der Darlegung der Berechnung durch die Beklagte im Berufungsverfahren. Die Unrichtigkeit des Bescheides sprang der Klägerin damit nicht ins Auge.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme stellt auch nicht § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X dar. Hiernach hat eine Rücknahme zu erfolgen, wenn der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Unrichtige Auskünfte hat die Klägerin unstreitig nicht erteilt. Aber auch unvollständige Angaben hat sie nicht gemacht. Sie hat - wie es das entsprechende Merkblatt vorsieht - die Aufnahme der Nebenbeschäftigung am 14.11.1996 unverzüglich telefonisch mitgeteilt. Weitere Angaben werden von ihr zunächst nicht gefordert. Sie kann vielmehr Nachfragen der Beklagten abwarten. Solche haben nicht stattgefunden. Hierfür finden sich keinerlei Belege oder Anhaltspunkte (vgl oben).
Nach alledem ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Alg zu Unrecht erfolgt. Die entsprechenden Bescheide sind ebenso aufzuheben wie das Urteil des Sozialgerichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 06.11.1996 bis 31.10.1997 und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 5.583,87 DM wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen streitig.
Die 1969 geborene und bis September 1993 als kaufmännische Angestellte tätige Klägerin beantragte nach Beendigung des Erziehungsurlaubes am 06.11.1996 Alg. Sie gab an, keine Nebenbeschäftigung auszuüben. Eigene Bewerbungen würden jedoch laufen, deren Ergebnisse werde sie mitteilen. Mit zwei Schreiben vom 06.11.1996 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine fiktive Einstufung des Bemessungsentgeltes nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden erfolgen werde, und bewilligte mit Bescheid vom 28.11.1996 Alg für die Zeit vom 06.11.1996 bis 04.11.1997.
Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung hinsichtlich des Leistungsbezuges mit einer geringfügigen Beschäftigung und entsprechender Angaben der Arbeitgeberin (Firma P. Consulting, i. F: Fa. P) hob die Beklagte ohne Anhörung mit Bescheid vom 01.02.1999 die Bewilligung von Alg für Dauer der Nebenbeschäftigung ab 06.11.1996 teilweise wegen Einkommensanrechnung auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 5.583,87 DM. Der Leistungsanspruch gelte damit für 240 Tage nicht als erfüllt, so dass sich die Anspruchsdauer auf Alg um 240 Tage verlängere.
Ihren Widerspruch dagegen begründete die Klägerin damit, erst nachdem sie die Schreiben vom 06.11.1996 erhalten habe, habe sich die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung ergeben. Dies habe sie der Beklagten telefonisch mitgeteilt. Ein paar Tage später habe sie den Bewilligungsbescheid erhalten und sei davon ausgegangen, alles hätte sich erledigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die telefonische Information sei anhand des zeitlichen Ablaufes nicht nachvollziehbar. Am Tag der Arbeitslosmeldung (06.11.1996) habe sie bereits die Nebentätigkeit aufgenommen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen: Die Nebentätigkeit habe sich nicht bereits im Zeitpunkt der Antragstellung, sondern erst am 14.11.1996 ergeben. Dies sowie die Tatsache, dass es sich um eine geringfügige Tätigkeit handele, habe sie der Beklagten telefonisch mitgeteilt. Aus dem hernach erlassenen Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 sei für sie die Nichtanrechnung von Nebenverdienst nicht erkennbar gewesen. Sie sei nach dem Telefonat davon ausgegangen, die Nebenbeschäftigung sei zur Kenntnis genommen und bei der Berechnung der Arbeitslosenunterstützung mit einbezogen worden. Weitere Nachfragen der Beklagten habe es nicht gegeben. Die Nebentätigkeit habe sie am 14.11.1996 aufgenommen. Dies hat die Fa. P bestätigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.07.2001 abgewiesen. Die Klägerin habe zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides nicht erkannt. Aus dem Bewilligungsbescheid sowie dem erhaltenen Merkblatt habe sie unabhängig von einer telefonischen Mitteilung ohne tiefergreifende Überlegungen erkennen können, dass die exakte Höhe des Nebeneinkommens zur Berechnung erforderlich sei, zumal sich hierfür im Bewilligungsbescheid eine besondere Rubrik finde.
Die zum Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung hat die Klägerin damit begründet, sie habe bereits bei dem Telefonat Mitte November 1996 angegeben, innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze zu verdienen. Die Beklagte hätte von einem Einkommen in Höhe von 590,00 DM ausgehen können. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte ihre Angaben zutreffend verwende, das Nötige veranlasse und im Bewilligungsbescheid berücksichtige. Zur Vorlage von Schriftstücken sei sie nicht aufgefordert worden. Es sei ihr zugute zu halten, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen ihre Nebentätigkeit überhaupt mitgeteilt habe. Eine Interessenabwägung sei vorzunehmen, zumal ihr durch den unzutreffenden Bewilligungsbescheid die Möglichkeit genommen worden sei, Sozialhilfe zu beantragen. Sie habe vor Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung bei der Fa. P ab 14.11.1996 die Beklagte darüber informiert.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 10.07.2001 sowie den Bescheid vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Bei der Mitteilung einer Nebenbeschäftigung werde von ihren Mitarbeitern immer auf die vorzulegende Verdienstbescheinigung hingewiesen, insbesondere wenn - wie vorliegend - der Verdienst noch nicht festgestanden habe. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen können, allein aus ihren Angaben habe das Nebeneinkommen berechnet und im Bewilligungsbescheid berücksichtigt werden können. Die Anrechnung selbst sei der Klägerin aus dem ausgehändigten Merkblatt bekannt gewesen. Ermessenerwägungen seien nicht anzustellen.
Der Senat hat den Ehemann der Klägerin, der deren Telefonat mit der Beklagten im November 1996 und die Mitteilung der Aufnahme einer "Nebenbeschäftigung" bestätigt hat, als Zeugen vernommen. Auf dessen Aussage wird zur Ergänzung des Tatbestandes ebenso Bezug genommen wie auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des SG sowie der Bescheid vom 01.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1999 sind aufzuheben. Für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 28.11.1996 findet sich keine Rechtsgrundlage.
Die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Alg - eine Aufhebung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) scheidet vorliegend aus, denn der Bewilligungsbescheid war von Anfang an, dh bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen - kann nicht auf § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X gestützt werden. Nach dieser Regelung ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Ein Ermessen hat die Beklagte dabei nicht auszuüben (§ 330 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III), eine Interessenabwägung hat nicht zu erfolgen.
Unstreitig ist, dass das erzielte Nebeneinkommen auf das Alg anzurechnen (§ 115 Arbeitsförderungsgesetz - AFG - in der vom 01.08.1994 bis 31.03.1997 bzw 01.04.1997 bis 31.12.1997 geltenden Fassung) und der Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 deshalb von Anfang an rechtswidrig war.
Die Klägerin hat allerdings diese Rechtswidrigkeit weder gekannt noch grob fahrlässig nicht gekannt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 HS 2 SGB X).
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jeden einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (so: BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 mwN). Entscheidend ist somit, ob die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Höhe des bewilligten Alges infolge der Nichtanrechnung von erzieltem Einkommen nicht erkannte. Dabei hat sie den Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl hierzu BSG aaO). Allerdings ist die Klägerin, die zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Sie darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt - hier: nach der Höhe des Einkommens - und wahrheitsgemäße Angaben - hier: Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung - zutreffend umsetzt. Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, weil sonst Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für eine sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet würde (vgl hierzu: BSG aaO).
Aus dem Bewilligungsbescheid vom 28.11.1996 kann die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Höhe der Alg-Bewilligung aufgrund der Nichtanrechnung von Nebeneinkommen nicht erkennen. Aufgrund der Schreiben vom 06.11.1996 zur fiktiven Feststellung des Bemessungsentgeltes nach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und aufgrund des Fehlens einer gesonderten Spalte hinsichtlich eines Anrechnungsbetrages - im Bescheid vom 28.11.1996 findet sich lediglich eine Rubrik "Abzweigung" - kann die Klägerin, auch wenn ihr die Anrechnung von Nebeneinkommen aus dem ausgehändigten Merkblatt (Stand April 1996) bekannt gewesen sein sollte, nicht entnehmen, dass eine solche Anrechnung nicht erfolgt ist und sie daher zu hohes Alg erhält. Ein Hinweis auf die unterbliebene Anrechnung von Einkommen auf das Alg findet sich in dem Bescheid vom 28.11.1996 nicht.
Die ihr zunächst obliegende Pflicht zur Mitteilung der Aufnahme einer Nebentätigkeit (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -) hat sie - vor Aufnahme dieser Tätigkeit - erfüllt. Das Telefonat ist nämlich zur Überzeugung des Senats aufgrund der Aussage der Klägerin und des vernommenen Zeugen sowie deswegen nachgewiesen, weil die Klägerin dieses Telefonat von Anfang an bereits im Rahmen des Widerspruches - eine Anhörung vor Erlass des Bescheides ist nicht erfolgt - angegeben hat und die von ihr angegebene zeitliche Abfolge (Erhalt der Schreiben vom 06.11.1996, Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung ab 14.11.1996 und Information der Beklagten vor diesem Zeitpunkt, danach Erhalt des Bewilligungsbescheides) nachvollziehbar ist. Die Angaben der Klägerin sind in der zeitlichen Abfolge stimmig und werden durch die glaubhaften Ausführungen des Zeugen bestätigt. Allein das Fehlen eines Gesprächsvermerkes oder einer Übersendung eines Vordruckes für eine Verdienstbescheinigung durch die Beklagte lässt hieran keine Zweifel aufkommen. Ein solcher Vermerk kann im Rahmen einer Massenverwaltung versehentlich unterbleiben oder verlorengehen.
Die Klägerin kann davon ausgehen, dass die Beklagte, nachdem sie telefonisch - eine schriftliche Mitteilung ist nicht erforderlich - die Aufnahme einer vom Zeugen bestätigten "Nebenbeschäftigung" angegeben hat, das Weitere veranlassen wird. Sie kann dann, soweit die Beklagte nähere Angaben benötigt, abwarten, ob eventuell weitere Fragen gestellt oder entsprechende Fragebögen oder Vordrucke zu einer Verdienstbescheinigung übersandt werden.
Nachdem die Klägerin zutreffende Angaben gemacht hat, ist sie nicht gehalten, den Bewilligungsbescheid des Näheren auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. Auch wenn ihr aufgrund des ausgehändigten Merkblattes, das sie, wie sie unterschriftlich bestätigt hat, zur Kenntnis genommen hat, bekannt war, dass eine Anrechnung von Nebeneinkommen erfolgt, so ergibt sich aus dem Merkblatt nicht, wer die Ermittlungen hinsichtlich der Höhe des Nebeneinkommens durchzuführen hat. Dazu ist vielmehr auf Seite 36 lediglich vermerkt, dass Nebenbeschäftigungen dem Arbeitsamt unverzüglich zu melden seien. Das hat die Klägerin zur Überzeugung des Senates getan.
Dem Leistungsempfänger aber, der die fehlerhafte Zuordnung nicht aus der Bescheidbegründung erkennen kann, wird daher grobe Fahrlässigkeit nur vorzuwerfen sein, wenn ihm der Fehler bei seiner subjektiven Erkenntnismöglichkeit aus anderen Gründen geradezu "in die Augen springt". Davon könnte auszugehen sein, wenn die bewilligte Lohnersatzleistung beispielsweise offensichtlich außer Verhältnis zu den zugrunde liegenden Arbeitsentgelt stände (vgl zum Ganzen BSG aaO). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Selbst wenn die Klägerin jedoch verpflichtet gewesen wäre, die einzelnen Merkmale sowie die Berechnung der Höhe des Alg zu überprüfen, hat sie nicht grob fahrlässig übersehen, dass eine Anrechnung von Nebeneinkommen nicht erfolgt ist. Wie bereits dargelegt, findet sich diesbezüglich keine entsprechende Rubrik im Bewilligungsbescheid. Die Berechnung des Anrechnungsbetrages selbst aber ist kompliziert und für einen Laien nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Dies ergibt sich bereits aus der Darlegung der Berechnung durch die Beklagte im Berufungsverfahren. Die Unrichtigkeit des Bescheides sprang der Klägerin damit nicht ins Auge.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme stellt auch nicht § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X dar. Hiernach hat eine Rücknahme zu erfolgen, wenn der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Unrichtige Auskünfte hat die Klägerin unstreitig nicht erteilt. Aber auch unvollständige Angaben hat sie nicht gemacht. Sie hat - wie es das entsprechende Merkblatt vorsieht - die Aufnahme der Nebenbeschäftigung am 14.11.1996 unverzüglich telefonisch mitgeteilt. Weitere Angaben werden von ihr zunächst nicht gefordert. Sie kann vielmehr Nachfragen der Beklagten abwarten. Solche haben nicht stattgefunden. Hierfür finden sich keinerlei Belege oder Anhaltspunkte (vgl oben).
Nach alledem ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Alg zu Unrecht erfolgt. Die entsprechenden Bescheide sind ebenso aufzuheben wie das Urteil des Sozialgerichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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