L 4 KR 261/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 KR 32/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 261/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 8. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung einer stationären Rehabilitation.

Bei dem 1961 geborenen und bei der Beklagten als Rentner versicherten Kläger liegen u.a. eine rezidivierende Lumboischialgie, Cervicobrachialgien, Brachialgien bei Bandscheibenvorfällen und Schulterbeschwerden vor. Er erhielt in den Jahren 1997 bis 1998 eine akute Schmerztherapiebehandlung und weitere Behandlungen im Klinikum E. sowie vom 03.07. bis 14.08.1997 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im L.bad (M.). Vom 13.02.2002 bis 06.03.2002 wurde eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme mit 12 Therapieeinheiten im Rehazentrum M. durchgeführt. Daran schlossen sich vom 18.03. bis 27.11.2002 58 Heilmittelkombinationen u.a. durch Krankengymnastik an. Vom 04.12.2002 bis 26.02.2003 erhielt der Kläger eine kontinuierliche Krankengymnastik mit verschiedenen Kombinationen (Physiotherapie, Elektrotherapie und Packungen).

Er ließ bei der Beklagten am 10.04.2002 über die orthopädische Gemeinschaftspraxis Dres.O. und W. unter Beifügung von Nebenbefunden eine stationäre Kur beantragen. Die hierzu von Dr.W. am 25.03. und 28.03.2002 ausgestellten ärztlichen Atteste enthielten den Zusatz "Diktat des Patienten".

Die LVA Schwaben lehnte mit Bescheid vom 06.05.2002 eine medizinische Rehabilitation ab. Nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) lehnte auch die Beklagte mit Bescheid vom 18.09.2002 den Kurantrag ab. Der Kläger machte mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch vom 14.10.2002 unter Vorlage ärztlicher Atteste geltend, die Kur sei zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit erforderlich.

Nach Anhörung des MDK (Stellungnahme vom 24.10.2002) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2002 erneut die stationäre Rehabilitationskur ab; eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit falle nicht in den Leistungsbereich der Krankenkasse. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 18.11.2002 geltend gemacht hatte, er sei wegen der beiden Bandscheibenvorfälle behandlungsbedürftig (z.B. in einer Spezialklinik) hörte die Beklagte den MDK ein weiteres Mal, der am 28.11.2002 eine ambulante Rehabilitation am Wohnort empfahl. Mit Bescheid vom 28.11.2002 sicherte die Beklagte dem Kläger die Kostenübernahme für eine ambulante Kurmaßnahme in einem anerkannten Kurort zu, lehnte aber die Kostenübernahme einer stationären Kur wieder ab. Außerdem hob sie den Bescheid vom 18.09.2002 auf. Der Kläger erwiderte am 30.11.2002, er nehme die ambulante Kur nicht in Anspruch. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2003 den Widerspruch zurück. Der Gutachter des MDK habe festgestellt, dass für die beantragte Reha-Maßnahme keine medizinische Notwendigkeit vorliege. Die bestehenden Erkrankungen und Beeinträchtigungen seien durch ambulante Behandlungsmöglichkeiten an einem anerkannten Kurort ausreichend zu behandeln. Mit Bescheid vom 28.11.2002 sei hierfür eine Kostenübernahme bewilligt worden. Der Verwaltungsakt vom 18.09.2002 sei rechtmäßig ergangen.

Der Kläger hat dagegen am 14.02.2003 Klage beim Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben und zur Begründung auf die Ansicht des behandelnden Orthopäden Dr.S. verwiesen, der ein stationäres Heilverfahren befürworte.

Das SG hat Befundberichte von Dr.S. und von Dr.W. eingeholt. Das hierzu von der Beklagten eingeholte sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 24.03.2003 hat eine akute Schmerzsymptomatik verneint. Heilmittel wie z.B. Krankengymnastik am Gerät seien ausreichend, eine stationäre Heilbehandlung mit Unterschreiten des Vier-Jahres-Zeitraums erscheine medizinisch nicht erforderlich. Das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten des Neurochirurgen und Orthopäden Dr.G. (Oberarzt der Ersten Orthopädischen Klinik, Hessing Stiftung Augsburg) vom 29.04.2003 kommt zu dem gleichen Ergebnis, eine ambulante Krankenbehandlung des Klägers sei aus orthopädischer Sicht ausreichend. Der Kläger hat am 18.05. und 26.05.2003 den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das SG hat mit Beschluss vom 18.06.2003 diese Anträge des Klägers abgelehnt und das Bayer. Landessozialgericht hat mit Beschluss vom 05.08.2003 die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.

Das SG hat mit Urteil vom 08.10.2003 die Klage abgewiesen. Nach § 40 Abs.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) könne die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V bestehe, erbringen, wenn bei Versicherten eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreiche, um die in § 11 Abs.2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen. Danach haben Versicherte Anspruch auf medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Reiche ambulante Rehabilitation nicht aus, könne die Krankenkasse stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen (§ 40 Abs.2 SGB V). Nach § 40 Abs.3 Satz 4 SGB V können Leistungen der ambulanten, stationären oder teilstationären Rehabilitation nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden seien, es sei denn, eine vorzeitige Leistung sei aus medizinischen Gründen dringend erforderlich. Dies sei nur der Fall, wenn anderenfalls, d.h. bei Durchführung der Kur nach Ablauf der Wartezeit erhebliche gesundheitliche Schäden oder Nachteile zu befürchten wären. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (Sachverständigengutachten Dr.G. vom 29.04.2003) liege beim Kläger zum einen ein chronisches Cervicalsyndrom ohne wesentliche Bewegungseinschränkung bzw. neurologische Defizite vor. Ferner bestehe ein chronisches Lumbalsyndrom, gleichfalls ohne wesentliche Bewegungseinschränkungen und neurologische Defizite. Der Kläger erhalte ständig intensiv ambulante Heilmittel, wie Gerätegymnastik, Packungen, Elektrotherapie, Massagen und Physiotherapie. Im Hinblick auf die Schilderung der chronischen Rückenschmerzen und die von den behandelnden Ärzten und von dem Sachverständigen erhobenen Befunde sei das Gericht überzeugt, dass eine Maßnahme der medizinisch-stationären Rehabilitation nicht erforderlich sei und eine ambulante Behandlung weiterhin vorrangig genutzt werden sollte und auch ausreichend sei. Gegen die Gewährung der Maßnahme der medizinischen Rehabilitation spreche auch, dass der Kläger erst im Februar/März 2002 eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme erhalten hat.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 04.11.2003, mit der er geltend macht, nur durch eine stationäre Kur sei eine wesentliche Besserung seiner Gesundheit zu erzielen. Es sei ein neues Sachverständigengutachten einzuholen. Der Kläger hat radiologische Befunde vom 26.03.2002 sowie einen vorläufigen Befundbericht des Klinikum A. vom 24.11.2003 vorgelegt, in dem als weitere Therapie die Behandlung mit Analgetika, Arzneimitteln und die Physiotherapie vorgeschlagen wird. Der gleichfalls eingereichte radiologische Sofortbericht vom 02.12.2003 stellt fest, die auffällige Gangstörung entspreche nicht der diskreten lumbalen Discopatie. Der Arztbrief der Nervenärzte und Neurologen Dres.B. vom 18.06.2003 verneint Paresen sowie Geh- und Stehstörungen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 08.10.2003 sowie der Bescheide vom 12.11.2002 und 28.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2003 zu verurteilen, über den Antrag vom 10.04. 2002 auf Bewilligung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungssniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes - das heißt die Kosten einer drei- bis vierwöchigen stationären Kur - übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG mit zutreffender und ausführlicher Begründung die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme (§ 40 Abs.2 Sozialgesetzbuch V in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.1999 [BGBl.1 S.2626] - SGB V -). Da es sich hierbei um eine im Ermessen der Beklagten liegende Leistung handelt, hat der Senat nur zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind und ob die Beklagte ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt hat (§ 54 Abs.2 SGG). Die Beklagte hat von ihrem Ermessen den rechten Gebrauch gemacht.

Da der Kläger ausschließlich eine stationäre Kurmaßnahme begehrt, ist allein auf diese Leistung abzustellen und nicht auf andere Maßnahmen der Vorsorge- bzw. Rehabilitationsleistungen in ambulanter Form (§§ 23 Abs.1, 40 Abs.1 SGB V).

§ 40 Abs.2 SGB V hat mit Wirkung vom 01.01.2000 die hier einschlägige Rechtsgrundlage des § 40 SGB V neu gefaßt bzw. geändert. Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen sind vom 01.01.2000 den ambulanten Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten nach § 23 Abs.2 SGB V zugeordnet, die auch Leistungen zur Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit umfassen. In § 40 Abs.1 SGB V ist seitdem die Rechtsgrundlage für die ambulante wohnortnahe Rehabilitation geregelt. Mit der ambulanten Rehabilitation sollen nur noch die in § 11 Abs.2 SGB V genannten Ziele der Rehabilitation erreicht werden. Diese bestehen in der Abwendung einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sowie deren Beseitigung, Minderung, Ausgleich, Verhütung ihrer Verschlimmerung oder Milderung ihrer Folgen. Die hier streitige stationäre Rehabilitation in einer Rehabilitationseinrichtung gem. § 40 Abs.2 SGB V setzt voraus, dass eine Behinderung vorliegt, das heißt eine medizinische Regelwidrigkeit und funktionelle Einschränkungen in Form von Gesundheitsstörungen und Beeinträchtigungen, die oben genannten Behandlungsziele im Sinne des § 11 Abs.2 SGB V mit der beantragten Maßnahme erreicht werden können und dass eine ambulante Rehabilitation nicht ausreichend ist. Diese in § 40 Abs.2 SGB V ausdrücklich genannte Voraussetzung ergibt sich im Übrigen auch aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des Krankenversicherungsrechts in § 12 Abs.1 SGB V, das vorsieht, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die aufwändigere Leistung der stationären Rehabilitation ist damit erst dann zweckmäßig und notwendig, wenn weniger aufwendige Maßnahmen, wie z.B. ambulante Maßnahmen der Rehabilitation, nicht ausreichen. Anspruchsschädlich ist es auch, wenn ambulante Krankenbehandlungen genügen, weil dann schon eine ambulante Rehabilitation nach § 40 Abs.1 Satz 1 SGB V nicht gewährt werden darf (Kassler Kommentar - Höfler, § 40 SGB V, Rdnr.14, 15).

Das vom SG eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten von Dr.G. vom 29.04.2003 einschließlich dessen ergänzender Stellungnahme vom 10.06.2003 sowie das im Klageverfahren vorgelegte sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 24.03.2003 verneinen für den Senat gleichfalls überzeugend die medizinische Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsleistung zu Lasten der Beklagten und bestätigen somit die im Verwaltungsverfahren eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen des MDK. Die auf diesen gutachtlichen Stellungnahmen beruhenden, vom Kläger angefochtenen Bescheide haben den Leistungsantrag des Klägers ermessensfehlerfrei abgelehnt. Der Senat verweist im Hinblick auf die Beweiswürdigung auf die eingehende und zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs.2 SGG).

Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Befunde. Denn sie enthalten, soweit sie für die beantragte Leistung von Bedeutung sind, keine Diagnosen oder Befunde, also keine Tatsachen, die auf einen Fehlgebrauch des Ermessens der Beklagten, etwa bei Annahme eines unrichtigen Sachverhalts, hindeuten können (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 54, Rn 25, 29 b m.w.N.). Der radiologische Befund vom 26.03.2002 hat bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegen und ist vom MDK gewürdigt worden. Der vorläufige Befundbericht des Klinikum Augsburg vom 24.11.2003 hält eine konservative Therapie mit Analgetika und Physiotherapie für ausreichend; von einer stationären Rehabilitation ist nicht die Rede. Der Sofortbericht der Praxisgemeinschaft für Radiologie und Nuklearmedizin vom 02.12.2003 (aufgrund eines CT der Lendenwirbelsäule) stellt im Ergebnis fest, dass die auffällige Gangstörung des Klägers nicht mit der diskreten lumbalen Discopathie übereinstimmt. Dies ist kein neuer Sachverhalt; denn in diesem Zusammenhang ist auch der Arztbrief der Nervenärzte und Neurologen Dres.B. u.a. vom 18.06.2003 zu würdigen. Danach zeigten sich bei der aktuellen neurologischen Untersuchung an beiden Beinen keine Paresen, die erschwerten Stand- und Gangversuche wurden regelrecht durchgeführt bei regelrechten Muskeleigenreflexen und seitengleicher Sensibilität. Die Schwäche im linken Bein habe sich seit dem Vortag wieder gegeben, so dass die Verdachtsdiagnose von Manierismen weiter aufrechterhalten werden sollte. Schließlich enthält auch der orthopädische Befundbericht der Gemeinschaftspraxis S./P. vom 26.01.2004 keine neuen Diagnosen, die von dem Sachverständigen und dem Gutachter des MDK nicht gewürdigt worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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