Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 34/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 534/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. August 2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger am 1. März 1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1943 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro. Er weist bisher ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung auf, wobei die Zeiten vom 27.05.1971 bis 29.06.1980 auf versicherungspflichtigen Beschäftigungen beruhen. Anschließend ist der Kläger arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos (mit entsprechender Pflichtbeitragszahlung in den Jahren 1981/82) gewesen; ab 15.06.1983 bis 31.12.1991 hat er von der Landesversicherungsanstalt Württemberg Rente auf Zeit wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen (Versicherungsfall vom 14.12. 1982). Seither ist der Kläger nicht mehr erwerbstätig gewesen (ausgenommen geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungen ab 01.04.1999).
In seiner Heimat hat der Kläger den Beruf eines Schleifers erlernt (Prüfung am 27.04.1970, Urkunde vom 23.03.1971). Nach seinen Angaben und ausweislich seines Versicherungsverlaufs hat er in Deutschland in verschiedenen Branchen gearbeitet. Zuletzt - vom 22.04.1980 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit am 29.06.1980 - ist er bei der Firma Dr. K. H. GmbH in U. (Fa. H.) als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen (Umsetzen und Einstapeln von bedruckten Kartonbögen; Auskunft der Fa. H. vom 27.10.1999).
Den Antrag des Klägers vom 11.10.1991 (Eingang bei der LVA Württemberg: 16.10.1991) auf Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.12.1991 hinaus lehnte die LVA Württemberg mit Bescheid vom 21.10.1993 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorlägen.
Nachdem die LVA Württemberg den Widerspruch gegen diesen Bescheid mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.1993 zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger am 02.06.1993 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG Ulm, Az.: S 8 J 717/93). Dieses erhob über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen des Klägers im Wesentlichen Beweis durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. (Gutachten vom 24.09.1993 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.1994) und - aufgrund eines Antrags des Klägers nach § 109 SGG - von dem Neurologen und Psychiater - Sozialmedizin Prof. Dr. A. (Gutachten vom 13.01.1994). Nachdem beide Sachverständige übereinstimmend ein vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen des Klägers festgestellt hatten, wies das SG Ulm die Klage mit Urteil vom 28.10.1994 ab.
Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg; Az.: L 11 J 1/95) wurde von diesem ein Gutachten von dem Internisten/Rheumatologen Dr. S. erholt (vom 04.08.1995 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.01.1996 sowie eines psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. K. vom 16.05.1995), der den Kläger für vollschichtig leistungsfähig erachtete für leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Arbeiten aus ungünstiger Haltung, ohne häufiges Bücken sowie ohne Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Schicht- oder Nachtarbeit.
Mit Urteil vom 13.05.1996 (dem Kläger am 21.05.1996 zugestellt) wies das LSG Baden-Württemberg die Berufung gegen das Urteil des SG Ulm vom 28.10.1994 zurück. Der Kläger genieße als ungelernter Arbeiter keinen Berufsschutz und könne nach dem Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung (Gutachten Dr. S.) noch vollschichtig arbeiten.
Die zum Bundessozialgericht (BSG) wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde nahm der Kläger mit Schreiben vom 22.07.1996 zurück.
Am 13.03.1997 beantragte der Kläger erneut Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die (jetzt zuständige) Beklagte mit Bescheid vom 13.06.1997 und Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 ab, weil der Versicherte weder erwerbs- noch berufsunfähig sei. Unter diesen Umständen könne dahinstehen, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung noch erfüllt seien. Bezüglich des Gesundheitszustands des Klägers stützte sich die Beklagte auf die bisher vorliegende medizinische Dokumentation und auf ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 05.06.1997.
Mit der am 20.01.1999 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter. Er begehrte sinngemäß, aufgrund seines Antrags vom 13.03.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu leisten.
Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG Ulm Az.: S 9 J 935/89, S 9 J 1042/92 und S 8 J 717/93), die Berufungsakte des LSG Baden-Württemberg Az.: L 11 J 1/95 sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (AVF) bei; aus letzterer ist zu entnehmen, dass beim Kläger seit 15.07.1993 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt ist (Bescheide vom 27.09.1993 und vom 11.09.2003). Außerdem erholte das SG Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E. , Befundbericht vom 23.10.1999; Fachärzte für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Rheumatologie Dres. H. und F. , Befundbericht vom 10.12.1999). Zur Feststellung des Berufsbildes des Klägers holte es die bereits erwähnte Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers, der Fa. H., ein.
Das SG erholte sodann medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. V. (Gutachten vom 29.09.2000), von dem Neurochirurgen/Orthopäden Dr. G. (Gutachten vom 15.11.2000) und - aufgrund eines entsprechenden Antrags des Klägers - nach § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. (Gutachten vom 24.01.2002).
Dr. V. stellte beim Kläger folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen fest:
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung im Wirbelsäulenbereich und möglicherweise eine Dysthyma.
- Klinisch relevante Persönlichkeitszüge, jedoch keine Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne.
- Zervikobrachialgie beidseits infolge einer zervikalen Bandscheibenprotrusion in Höhe C 6/C 7 bei engem Spinalkanal und Spondylolysthesis in Höhe der Halswirbelsäule.
- Tendomyopathie sowie multiple kleinere orthopädische Beschwerden.
- Chronische Bronchitis.
Das Leistungsbild des Klägers habe sich in den vergangenen 20 Jahren nicht geändert. Eine Erwerbstätigkeit sei nur theoretisch möglich, jedenfalls benötige der Kläger zusätzliche Arbeitspausen. In den früheren Gutachten sei die Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung nicht genügend gewürdigt worden.
Das SG erholte sodann ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Neurochirurgen/Orthopäden Dr. G. (vom 15.11.2000), der den Kläger für vollschichtig leistungsfähig erachtete. Insbesondere reichten aus orthopädischer Sicht die üblichen Arbeitspausen aus, sofern ein Wechsel der Körperhaltung möglich sei.
Nunmehr wurde vom SG aufgrund eines entsprechenden Antrags des Klägers nach § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. , dem Praxisnachfolger des seit 1982 behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. , ein weiteres Gutachten eingeholt (vom 24.01.2002).
Dr. R. führte aus, der Kläger leide an einem algogenen Psychosyndrom und an einer Dysthymie. Es bestehe ein zervikales und ein lumbales Wurzelreizsyndrom und ein sensibles Wurzelausfallsyndrom bei Bandscheibenvorfällen im Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenbereich. Die in den bisherigen Verfahren gestellten vielen Diagnosen beträfen einzelne Teilaspekte der Situation des Klägers, jedoch sei die ursächliche psychiatrische Störung nicht deutlich geworden. Die Gutachten von Dr. V. und Dr. G. höben zwar die wesentliche Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung hervor, jedoch bleibe offen, wodurch diese Schmerzstörung verursacht werde. Im Grunde beschreibe die gestellte Diagnose lediglich einen Schmerzzustand bei unzureichendem körperlichen Korrelat. Allerdings sei es schwierig, eine Dysthymie bei einer eintägigen Begutachtung zu diagnostizieren, da diese Diagnose vor allem im Längsverlauf deutlich werde. Der Kläger sei demgegenüber in der vom Sachverständigen übernommenen Praxis Dr. R. seit 1982 bekannt. Die Symptomatik der körperlichen Beschwerden habe sich seit 1980 auf den gesamten Körper ausgebreitet, wie dies bei chronischen Schmerzzuständen häufiger zu sehen sei. Die psychischen Veränderungen seien chronisch mit einer Tendenz zur weiteren Verschlechterung. Die chronischen Schmerzen sowie die reduzierte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit beeinträchtigten die Einsatzfähigkeit des Klägers erheblich. Das Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt betrage bis höchstens drei Stunden täglich. Dieses Leistungsbild bestehe seit etwa 1982, es handle sich um einen Dauerzustand. Das Restleistungsvermögen des Klägers könne nicht mehr für eine regelmäßige berufliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Häufigere Arbeitspausen seien notwendig. Begründete Aussicht, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers bei Durchführung von Heilmaßnahmen in absehbarer Zeit gebessert werde, bestehe nicht. Der Kläger könne seine seelischen Hemmungen gegen eine Arbeitsleistung aus eigener Kraft oder unter Mitwirkung ärztlicher Hilfe nicht überwinden.
Hierauf anerkannte die Beklagte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit (erst) seit März 1997 (Schriftsatz vom 29.04.2002); eine Rentenleistung könne nicht erfolgen, weil die dafür erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Ihr sozialmedizinischer Dienst/Internist - Sozialmedizin Dr. S. hatte dem Gutachten von Dr. V. ein halb- bis unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen des Klägers ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 13.03.1997 entnommen. Der Auffassung von Dr. R. könne nicht gefolgt werden, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Gutachten stehe.
Mit Urteil vom 13.08.2002 wies das SG die Klage ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien und diesbezüglich kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe.
Am 21.10.2002 (Montag) ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 20.09.2002 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.
Der Senat zog die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG Ulm Az.: S 9 J 935/89, S 9 J 1042/92 und S 8 J 717/93), die Berufungsakte des LSG Baden-Württemberg Az.: L 11 J 1/95, die das vorliegende Verfahren betreffende Klageakte des SG Augsburg Az.: S 6 RJ 34/99 sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (AVF) bei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.08.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.03.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise ab 01.01.2001 eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.08.2002 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet, weil der Kläger gegen die Beklagte ab 01.03.1997 Anspruch auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI in der vom 08.05.1996 bis 31.03.1999 geltenden Fassung hat, welche vorliegend aufgrund des Zeitpunkts des Rentenbeginns nach § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI anwendbar ist.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Nach Abs. 2 Satz 2 ist jedoch nicht erwerbsunfähig, wer 1. eine selbständige Tätigkeit ausübt oder 2. eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger ist im Anschluss an die bis 31.12.1991 gewährte Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit weiter erwerbsunfähig gewesen. Er hat nämlich ab 01.01.1992 nur weniger als vier Stunden täglich arbeiten können. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten, das das SG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. nach § 109 SGG eingeholt hat und dem sich der Senat anschließt, aber auch aus dem zunächst vom SG nach § 106 SGG erholten Gutachten des Arztes für Psychiatrie/ Psychotherapie Dr. V ... Letzteres Gutachten wird auch vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten, dem Internisten - Sozialmedizin Dr. S. , zustimmend so verstanden, dass beim Kläger schon seit längerem kein vollschichtiges Leistungsvermögen mehr vorliegt. Wenn Dr. S. dann aber nur bis zum Zeitpunkt des Rentenantrags vom 13.03.1997 zurückgeht, bedient er sich dabei eines ohne weitere Überlegung gegriffenen (oft aus Vereinfachungsgründen verwendeten) Datums (des Rentenantrags), wie sich auch daraus ergibt, dass Dr. S. den von ihm gewählten Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit nicht näher begründet.
Beim Kläger liegen als wesentliche Gesundheitsstörung ein algogenes Psychosyndrom und eine Dysthymie vor. Diesbezüglich sind sich Dr. R. und Dr. V. grundsätzlich einig; weitere Einigkeit besteht darin, dass sich weder an diesen Gesundheitsstörungen noch an deren Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit in den letzten rund zwanzig Jahren (somit jedenfalls seit Ablauf der Zeitrente) etwas Entscheidendes geändert hat. Auch stimmen diese Sachverständigen darin überein, dass in den früheren Gutachten die Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung verkannt worden ist. Die einzige Differenz zwischen den beiden Gutachten scheint in der Frage der zeitlichen Belastbarkeit des Klägers zu bestehen, was aber letztlich - bei aufmerksamer Lektüre der Gutachten - im Ergebnis nicht der Fall ist.
Dr. V. ist zunächst einmal der Auffassung, dass etwa alle zwanzig Minuten unübliche Arbeitspausen von etwa fünf Minuten erforderlich sind, in welchen der Kläger durch vorsichtige Bewegungen die durch die Tendomyopathie und die radikuläre Reizung empfundenen Schmerzen etwas lindern kann. Bei der Notwendigkeit unüblicher Arbeitspausen ist aber der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen, so dass arbeitsmarktunabhängige Erwerbsunfähigkeit vorliegt; ein Beruf, der dem Kläger ohne besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers solche zusätzlichen Pausen ermöglichen würde, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu KassKomm-Niesel § 43 SGB VI, Stand Januar 2002, Rdnr. 40 m.w.N.). Wenn Dr. S. meint, dass diese unüblichen Pausen nicht erforderlich seien, sofern der Kläger nur noch halb- bis unter vollschichtige arbeite, so übersieht diese Meinung die Tatsache, dass die Schmerzempfindungen des Klägers ständig vorhanden sind, also auch schon zu Beginn des Arbeitstags, so dass er auch bereits in den ersten Stunden die zusätzlichen Unterbrechungen benötigt. Dr. V. ist aber über die Frage zusätzlicher Arbeitspausen hinaus der Auffassung, dass die - seit vielen Jahren vorliegende - Störung der Schmerzwahrnehmung so erheblich ist, die Einengung des Erlebenshorizonts sowie die Deformation der Beziehung zur Arbeitsfähigkeit so extrem, dass es psychiatrischerseits sehr unwahrscheinlich ist, dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers jemals wieder eine Konstanz aufzeigen könnte. Sofern der Kläger Arbeit aufnehmen würde, müsste er aus psychischer Sicht das Gefühl des Gewürdigt Werdens spüren, was bei dem bisherigen Verlauf und bei der Fixierung durch die komplexe Entwicklung des Rentenverfahrens eher nicht zu erwarten ist, ansonsten würde er sofort in eine subjektiv empfundene handlungsunfähige Situation geraten. Dies bedeutet, dass es auch nach Auffassung von Dr. V. dem Kläger aus psychischen Gründen seit vielen Jahren nicht möglich ist, eine Arbeitsleistung mit gewisser Regelmäßigkeit zu erbringen, er somit arbeitsmarktunabhängig erwerbsunfähig ist (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, vgl. oben). Im Ergebnis liegt somit Erwerbsunfähigkeit vor, ob man nun mit Dr. V. davon ausgeht, dass es dem Kläger nicht möglich ist, eine Arbeitsleistung mit gewisser Regelmäßigkeit zu erbringen, und dass er darüber hinaus unübliche Arbeitspausen benötigt, oder ob man mit Dr. R. eine höchstens dreistündige tägliche Belastbarkeit als Konsequenz aus den jedenfalls seit dem Ende der Zeitrente unverändert vorliegenden psychischen Befunden zieht.
Sowohl Dr. R. als auch Dr. V. sind weiter übereinstimmend der Auffassung, dass die früheren Begutachtungen dem Leidensbild des Klägers in keiner Weise gerecht geworden sind. Dem ist zuzustimmen, denn bei Betrachtung der älteren Gutachten fällt auf, dass immer wieder die psychische Auffälligkeit des Klägers beschrieben und betont wird, dass mit einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht zu rechnen sei, dabei aber nicht diskutiert wird, dass der Kläger ein Schmerzpatient sein könnte, dessen Zustand infolge jahrelanger Verfestigung weder durch ihn selbst noch mit ärztlicher Hilfe überwindbar ist. Dies gilt insbesondere für das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 24.09.1993. Aber auch das Gutachten des Neurologen und Psychiaters - Sozialmedizin Prof. Dr. A. vom 13.01.1994 geht in diese Richtung, wobei es bereits erkennt, dass der Kläger nicht aggraviert, aber dann davon ausgeht, dass der Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung wesentliche Teile seiner seelischen Beschwerden überwinden könne. Einschränkend fügt Prof. Dr. A. diesbezüglich aber hinzu, dass es für die Frage der Überwindbarkeit nur die - im Fall des Klägers durch seine Leidensgeschichte offensichtlich widerlegte! - ärztliche Erfahrung, aber keine objektiven Parameter gebe. Besonders bemerkenswert ist, dass der Internist/Rheumatologe Dr. S. in seinem Gutachten vom 04.08.1995 aus seiner ärztlichen Erfahrung davon ausgeht, dass bei einer Patientenkarriere wie der des Klägers eine Besserung des subjektiven Empfindens nicht erwartet werden könne. Wenn er dann hinzufügt, dass dem Kläger zumutbar sei, seinen Zustand aus eigenem Willen zu ändern, dann widerspricht er sich letztlich selbst.
Damit ist der Kläger über den 31.12.1991 hinaus unbefristet erwerbsunfähig, weil seine Erwerbsunfähigkeit nicht auf den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes beruht und keine Besserungsaussicht besteht, vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 01.01. 1992 bis 31.12.2000 geltenden Fassung.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles erfüllt.
Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beginnt gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI mit dem Beginn des Antragsmonats, somit am 01.03.1997.
Auf die Berufung des Klägers waren somit das Urteil des SG Augsburg vom 13.08.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12. 1998 aufzuheben und die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger ab 01.03.1997 unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1943 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro. Er weist bisher ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung auf, wobei die Zeiten vom 27.05.1971 bis 29.06.1980 auf versicherungspflichtigen Beschäftigungen beruhen. Anschließend ist der Kläger arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos (mit entsprechender Pflichtbeitragszahlung in den Jahren 1981/82) gewesen; ab 15.06.1983 bis 31.12.1991 hat er von der Landesversicherungsanstalt Württemberg Rente auf Zeit wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen (Versicherungsfall vom 14.12. 1982). Seither ist der Kläger nicht mehr erwerbstätig gewesen (ausgenommen geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungen ab 01.04.1999).
In seiner Heimat hat der Kläger den Beruf eines Schleifers erlernt (Prüfung am 27.04.1970, Urkunde vom 23.03.1971). Nach seinen Angaben und ausweislich seines Versicherungsverlaufs hat er in Deutschland in verschiedenen Branchen gearbeitet. Zuletzt - vom 22.04.1980 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit am 29.06.1980 - ist er bei der Firma Dr. K. H. GmbH in U. (Fa. H.) als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen (Umsetzen und Einstapeln von bedruckten Kartonbögen; Auskunft der Fa. H. vom 27.10.1999).
Den Antrag des Klägers vom 11.10.1991 (Eingang bei der LVA Württemberg: 16.10.1991) auf Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.12.1991 hinaus lehnte die LVA Württemberg mit Bescheid vom 21.10.1993 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorlägen.
Nachdem die LVA Württemberg den Widerspruch gegen diesen Bescheid mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.1993 zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger am 02.06.1993 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG Ulm, Az.: S 8 J 717/93). Dieses erhob über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen des Klägers im Wesentlichen Beweis durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. (Gutachten vom 24.09.1993 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.1994) und - aufgrund eines Antrags des Klägers nach § 109 SGG - von dem Neurologen und Psychiater - Sozialmedizin Prof. Dr. A. (Gutachten vom 13.01.1994). Nachdem beide Sachverständige übereinstimmend ein vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen des Klägers festgestellt hatten, wies das SG Ulm die Klage mit Urteil vom 28.10.1994 ab.
Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg; Az.: L 11 J 1/95) wurde von diesem ein Gutachten von dem Internisten/Rheumatologen Dr. S. erholt (vom 04.08.1995 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 02.01.1996 sowie eines psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. K. vom 16.05.1995), der den Kläger für vollschichtig leistungsfähig erachtete für leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Arbeiten aus ungünstiger Haltung, ohne häufiges Bücken sowie ohne Akkordarbeit, Fließbandarbeit, Schicht- oder Nachtarbeit.
Mit Urteil vom 13.05.1996 (dem Kläger am 21.05.1996 zugestellt) wies das LSG Baden-Württemberg die Berufung gegen das Urteil des SG Ulm vom 28.10.1994 zurück. Der Kläger genieße als ungelernter Arbeiter keinen Berufsschutz und könne nach dem Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung (Gutachten Dr. S.) noch vollschichtig arbeiten.
Die zum Bundessozialgericht (BSG) wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde nahm der Kläger mit Schreiben vom 22.07.1996 zurück.
Am 13.03.1997 beantragte der Kläger erneut Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die (jetzt zuständige) Beklagte mit Bescheid vom 13.06.1997 und Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 ab, weil der Versicherte weder erwerbs- noch berufsunfähig sei. Unter diesen Umständen könne dahinstehen, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentenleistung noch erfüllt seien. Bezüglich des Gesundheitszustands des Klägers stützte sich die Beklagte auf die bisher vorliegende medizinische Dokumentation und auf ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 05.06.1997.
Mit der am 20.01.1999 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter. Er begehrte sinngemäß, aufgrund seines Antrags vom 13.03.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu leisten.
Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG Ulm Az.: S 9 J 935/89, S 9 J 1042/92 und S 8 J 717/93), die Berufungsakte des LSG Baden-Württemberg Az.: L 11 J 1/95 sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (AVF) bei; aus letzterer ist zu entnehmen, dass beim Kläger seit 15.07.1993 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt ist (Bescheide vom 27.09.1993 und vom 11.09.2003). Außerdem erholte das SG Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E. , Befundbericht vom 23.10.1999; Fachärzte für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie, Rheumatologie Dres. H. und F. , Befundbericht vom 10.12.1999). Zur Feststellung des Berufsbildes des Klägers holte es die bereits erwähnte Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers, der Fa. H., ein.
Das SG erholte sodann medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. V. (Gutachten vom 29.09.2000), von dem Neurochirurgen/Orthopäden Dr. G. (Gutachten vom 15.11.2000) und - aufgrund eines entsprechenden Antrags des Klägers - nach § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. (Gutachten vom 24.01.2002).
Dr. V. stellte beim Kläger folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen fest:
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung im Wirbelsäulenbereich und möglicherweise eine Dysthyma.
- Klinisch relevante Persönlichkeitszüge, jedoch keine Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne.
- Zervikobrachialgie beidseits infolge einer zervikalen Bandscheibenprotrusion in Höhe C 6/C 7 bei engem Spinalkanal und Spondylolysthesis in Höhe der Halswirbelsäule.
- Tendomyopathie sowie multiple kleinere orthopädische Beschwerden.
- Chronische Bronchitis.
Das Leistungsbild des Klägers habe sich in den vergangenen 20 Jahren nicht geändert. Eine Erwerbstätigkeit sei nur theoretisch möglich, jedenfalls benötige der Kläger zusätzliche Arbeitspausen. In den früheren Gutachten sei die Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung nicht genügend gewürdigt worden.
Das SG erholte sodann ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Neurochirurgen/Orthopäden Dr. G. (vom 15.11.2000), der den Kläger für vollschichtig leistungsfähig erachtete. Insbesondere reichten aus orthopädischer Sicht die üblichen Arbeitspausen aus, sofern ein Wechsel der Körperhaltung möglich sei.
Nunmehr wurde vom SG aufgrund eines entsprechenden Antrags des Klägers nach § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. , dem Praxisnachfolger des seit 1982 behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. , ein weiteres Gutachten eingeholt (vom 24.01.2002).
Dr. R. führte aus, der Kläger leide an einem algogenen Psychosyndrom und an einer Dysthymie. Es bestehe ein zervikales und ein lumbales Wurzelreizsyndrom und ein sensibles Wurzelausfallsyndrom bei Bandscheibenvorfällen im Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenbereich. Die in den bisherigen Verfahren gestellten vielen Diagnosen beträfen einzelne Teilaspekte der Situation des Klägers, jedoch sei die ursächliche psychiatrische Störung nicht deutlich geworden. Die Gutachten von Dr. V. und Dr. G. höben zwar die wesentliche Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung hervor, jedoch bleibe offen, wodurch diese Schmerzstörung verursacht werde. Im Grunde beschreibe die gestellte Diagnose lediglich einen Schmerzzustand bei unzureichendem körperlichen Korrelat. Allerdings sei es schwierig, eine Dysthymie bei einer eintägigen Begutachtung zu diagnostizieren, da diese Diagnose vor allem im Längsverlauf deutlich werde. Der Kläger sei demgegenüber in der vom Sachverständigen übernommenen Praxis Dr. R. seit 1982 bekannt. Die Symptomatik der körperlichen Beschwerden habe sich seit 1980 auf den gesamten Körper ausgebreitet, wie dies bei chronischen Schmerzzuständen häufiger zu sehen sei. Die psychischen Veränderungen seien chronisch mit einer Tendenz zur weiteren Verschlechterung. Die chronischen Schmerzen sowie die reduzierte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit beeinträchtigten die Einsatzfähigkeit des Klägers erheblich. Das Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt betrage bis höchstens drei Stunden täglich. Dieses Leistungsbild bestehe seit etwa 1982, es handle sich um einen Dauerzustand. Das Restleistungsvermögen des Klägers könne nicht mehr für eine regelmäßige berufliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Häufigere Arbeitspausen seien notwendig. Begründete Aussicht, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers bei Durchführung von Heilmaßnahmen in absehbarer Zeit gebessert werde, bestehe nicht. Der Kläger könne seine seelischen Hemmungen gegen eine Arbeitsleistung aus eigener Kraft oder unter Mitwirkung ärztlicher Hilfe nicht überwinden.
Hierauf anerkannte die Beklagte das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit (erst) seit März 1997 (Schriftsatz vom 29.04.2002); eine Rentenleistung könne nicht erfolgen, weil die dafür erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Ihr sozialmedizinischer Dienst/Internist - Sozialmedizin Dr. S. hatte dem Gutachten von Dr. V. ein halb- bis unter vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen des Klägers ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom 13.03.1997 entnommen. Der Auffassung von Dr. R. könne nicht gefolgt werden, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Gutachten stehe.
Mit Urteil vom 13.08.2002 wies das SG die Klage ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien und diesbezüglich kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe.
Am 21.10.2002 (Montag) ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 20.09.2002 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein.
Der Senat zog die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakten des SG Ulm Az.: S 9 J 935/89, S 9 J 1042/92 und S 8 J 717/93), die Berufungsakte des LSG Baden-Württemberg Az.: L 11 J 1/95, die das vorliegende Verfahren betreffende Klageakte des SG Augsburg Az.: S 6 RJ 34/99 sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (AVF) bei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.08.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.03.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise ab 01.01.2001 eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.08.2002 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet, weil der Kläger gegen die Beklagte ab 01.03.1997 Anspruch auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI in der vom 08.05.1996 bis 31.03.1999 geltenden Fassung hat, welche vorliegend aufgrund des Zeitpunkts des Rentenbeginns nach § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI anwendbar ist.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Nach Abs. 2 Satz 2 ist jedoch nicht erwerbsunfähig, wer 1. eine selbständige Tätigkeit ausübt oder 2. eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger ist im Anschluss an die bis 31.12.1991 gewährte Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit weiter erwerbsunfähig gewesen. Er hat nämlich ab 01.01.1992 nur weniger als vier Stunden täglich arbeiten können. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten, das das SG von dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Suchtmedizin Dr. R. nach § 109 SGG eingeholt hat und dem sich der Senat anschließt, aber auch aus dem zunächst vom SG nach § 106 SGG erholten Gutachten des Arztes für Psychiatrie/ Psychotherapie Dr. V ... Letzteres Gutachten wird auch vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten, dem Internisten - Sozialmedizin Dr. S. , zustimmend so verstanden, dass beim Kläger schon seit längerem kein vollschichtiges Leistungsvermögen mehr vorliegt. Wenn Dr. S. dann aber nur bis zum Zeitpunkt des Rentenantrags vom 13.03.1997 zurückgeht, bedient er sich dabei eines ohne weitere Überlegung gegriffenen (oft aus Vereinfachungsgründen verwendeten) Datums (des Rentenantrags), wie sich auch daraus ergibt, dass Dr. S. den von ihm gewählten Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit nicht näher begründet.
Beim Kläger liegen als wesentliche Gesundheitsstörung ein algogenes Psychosyndrom und eine Dysthymie vor. Diesbezüglich sind sich Dr. R. und Dr. V. grundsätzlich einig; weitere Einigkeit besteht darin, dass sich weder an diesen Gesundheitsstörungen noch an deren Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit in den letzten rund zwanzig Jahren (somit jedenfalls seit Ablauf der Zeitrente) etwas Entscheidendes geändert hat. Auch stimmen diese Sachverständigen darin überein, dass in den früheren Gutachten die Bedeutung der somatoformen Schmerzstörung verkannt worden ist. Die einzige Differenz zwischen den beiden Gutachten scheint in der Frage der zeitlichen Belastbarkeit des Klägers zu bestehen, was aber letztlich - bei aufmerksamer Lektüre der Gutachten - im Ergebnis nicht der Fall ist.
Dr. V. ist zunächst einmal der Auffassung, dass etwa alle zwanzig Minuten unübliche Arbeitspausen von etwa fünf Minuten erforderlich sind, in welchen der Kläger durch vorsichtige Bewegungen die durch die Tendomyopathie und die radikuläre Reizung empfundenen Schmerzen etwas lindern kann. Bei der Notwendigkeit unüblicher Arbeitspausen ist aber der Zugang zum Arbeitsmarkt verschlossen, so dass arbeitsmarktunabhängige Erwerbsunfähigkeit vorliegt; ein Beruf, der dem Kläger ohne besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers solche zusätzlichen Pausen ermöglichen würde, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu KassKomm-Niesel § 43 SGB VI, Stand Januar 2002, Rdnr. 40 m.w.N.). Wenn Dr. S. meint, dass diese unüblichen Pausen nicht erforderlich seien, sofern der Kläger nur noch halb- bis unter vollschichtige arbeite, so übersieht diese Meinung die Tatsache, dass die Schmerzempfindungen des Klägers ständig vorhanden sind, also auch schon zu Beginn des Arbeitstags, so dass er auch bereits in den ersten Stunden die zusätzlichen Unterbrechungen benötigt. Dr. V. ist aber über die Frage zusätzlicher Arbeitspausen hinaus der Auffassung, dass die - seit vielen Jahren vorliegende - Störung der Schmerzwahrnehmung so erheblich ist, die Einengung des Erlebenshorizonts sowie die Deformation der Beziehung zur Arbeitsfähigkeit so extrem, dass es psychiatrischerseits sehr unwahrscheinlich ist, dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers jemals wieder eine Konstanz aufzeigen könnte. Sofern der Kläger Arbeit aufnehmen würde, müsste er aus psychischer Sicht das Gefühl des Gewürdigt Werdens spüren, was bei dem bisherigen Verlauf und bei der Fixierung durch die komplexe Entwicklung des Rentenverfahrens eher nicht zu erwarten ist, ansonsten würde er sofort in eine subjektiv empfundene handlungsunfähige Situation geraten. Dies bedeutet, dass es auch nach Auffassung von Dr. V. dem Kläger aus psychischen Gründen seit vielen Jahren nicht möglich ist, eine Arbeitsleistung mit gewisser Regelmäßigkeit zu erbringen, er somit arbeitsmarktunabhängig erwerbsunfähig ist (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, vgl. oben). Im Ergebnis liegt somit Erwerbsunfähigkeit vor, ob man nun mit Dr. V. davon ausgeht, dass es dem Kläger nicht möglich ist, eine Arbeitsleistung mit gewisser Regelmäßigkeit zu erbringen, und dass er darüber hinaus unübliche Arbeitspausen benötigt, oder ob man mit Dr. R. eine höchstens dreistündige tägliche Belastbarkeit als Konsequenz aus den jedenfalls seit dem Ende der Zeitrente unverändert vorliegenden psychischen Befunden zieht.
Sowohl Dr. R. als auch Dr. V. sind weiter übereinstimmend der Auffassung, dass die früheren Begutachtungen dem Leidensbild des Klägers in keiner Weise gerecht geworden sind. Dem ist zuzustimmen, denn bei Betrachtung der älteren Gutachten fällt auf, dass immer wieder die psychische Auffälligkeit des Klägers beschrieben und betont wird, dass mit einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht zu rechnen sei, dabei aber nicht diskutiert wird, dass der Kläger ein Schmerzpatient sein könnte, dessen Zustand infolge jahrelanger Verfestigung weder durch ihn selbst noch mit ärztlicher Hilfe überwindbar ist. Dies gilt insbesondere für das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 24.09.1993. Aber auch das Gutachten des Neurologen und Psychiaters - Sozialmedizin Prof. Dr. A. vom 13.01.1994 geht in diese Richtung, wobei es bereits erkennt, dass der Kläger nicht aggraviert, aber dann davon ausgeht, dass der Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung wesentliche Teile seiner seelischen Beschwerden überwinden könne. Einschränkend fügt Prof. Dr. A. diesbezüglich aber hinzu, dass es für die Frage der Überwindbarkeit nur die - im Fall des Klägers durch seine Leidensgeschichte offensichtlich widerlegte! - ärztliche Erfahrung, aber keine objektiven Parameter gebe. Besonders bemerkenswert ist, dass der Internist/Rheumatologe Dr. S. in seinem Gutachten vom 04.08.1995 aus seiner ärztlichen Erfahrung davon ausgeht, dass bei einer Patientenkarriere wie der des Klägers eine Besserung des subjektiven Empfindens nicht erwartet werden könne. Wenn er dann hinzufügt, dass dem Kläger zumutbar sei, seinen Zustand aus eigenem Willen zu ändern, dann widerspricht er sich letztlich selbst.
Damit ist der Kläger über den 31.12.1991 hinaus unbefristet erwerbsunfähig, weil seine Erwerbsunfähigkeit nicht auf den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes beruht und keine Besserungsaussicht besteht, vgl. § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 01.01. 1992 bis 31.12.2000 geltenden Fassung.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalles erfüllt.
Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beginnt gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI mit dem Beginn des Antragsmonats, somit am 01.03.1997.
Auf die Berufung des Klägers waren somit das Urteil des SG Augsburg vom 13.08.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12. 1998 aufzuheben und die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger ab 01.03.1997 unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
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