L 3 U 123/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 634/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 123/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 05.02.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger aufgrund der bei ihm anerkannten Berufskrankheit (BK) der Nr.4103 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) - Asbeststaub- Lungenerkrankung - Asbestose - oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura - Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1938 geborene Kläger, zwischenzeitlich Rentner, führte nach einer Lehre als Schlosser und Beschäftigungen als Schlosser und Eisenbieger bei verschiedenen Firmen in Frankreich, von 1973 bis 1989 in Deutschland, fast ausschließlich Fenstereinbauten durch. Bei dieser Tätigkeit lag eine Asbeststaubexposition vor. Nach Einholung eines Gutachtens des Prof.Dr.W. , Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universitäts G. , vom 07.01.1991, der eine BK nach der Nr.4103 der Anlage 1 der BKVO annahm, jedoch nur eine geringe Restriktion in der Lungenfunktion feststellte und daher die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf unter 20 v.H. einschätzte, anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27.05.1991 beim Kläger eine BK nach der Nr.4103, lehnte jedoch Rentenleistungen ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 04.09.1991).

Am 08.06.1998 beantragte der Kläger eine Überprüfung und legte einen Bericht des Dr.F. , Allgemeinarzt vom 28.05.1998 vor. Dieser bestätigte eine Verschlimmerung der Asbestose und eine Zunahme des restriktiven Atmungssyndroms. Die Beklagte legte einen Befundbericht des Dr.W. vom 03.08.1998 vor und holte ein Gutachten des Dr.L. vom 04.01.1999 ein. Dieser kam darin zu dem Ergebnis, dass die leichtgradigen Pleuraveränderungen keine funktionelle Störung verursachen und die MdE unter 10 v.H. läge. Mit Bescheid vom 28.01.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.1999 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag auf Rentengewährung ab.

Mit seinem Einspruch hiergegen, der von der Beklagten dem Sozialgericht München (SG) als Klage zugeleitet worden war, hat der Kläger sinngemäß weiterhin die Gewährung von Verletztenrente wegen der anerkannten BK Nr.4103 begehrt.

Das SG hat zur Sachaufklärung einen Befundbericht des Dr.S. vom 13.01.1999 beigezogen und von Amts wegen ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr.W. vom 18.01.2001 eingeholt. Das Gutachten wurde aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am 31.10.2000 erstattet. Dr.W. hat darin eine wesentliche Verschlimmerung der BK verneint. Die asbestbedingten Veränderungen hätten nicht erkennbar zugenommen. Die in wechselndem Ausmaß nachweisbare restriktive Ventilationsstörung sei weiterhin nicht als BK-Folge anzusehen. Die BK-bedingte MdE liege unter 20 v.H.

Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung im Wege eines Gerichtsbescheides hat das SG sodann mit Gerichtsbescheid vom 05.02.2002 die Klage abgewiesen: Rentenleistungen könnten nach § 56 SGB VII aufgrund der anerkannten BK nicht erbracht werden. Das SG hat sich dabei vor allem auf das Gutachten des Dr.W. gestützt. Die BK-bedingten Pleuraveränderungen seien geringgradig, die restriktive Ventilationsstörung sei nicht durch die BK verursacht. Zu berücksichtigen sei, dass beim Kläger weitere, BK-fremde Gesundheitsstörungen vorliegen, die zur Einschränkung der Lungenfunktion führen (Asthma bronchiale, koronare Herzkrankheit bei arterieller Hypertonie und Fettstoffwechselstörung, Diabetes mellitus, erhebliche Adipositas).

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sein Begehren wiederholt. Im Laufe des Verfahrens hat die Beklagten, die den Kläger in jährlichen Abständen untersuchen lässt, weitere Befundberichte vorgelegt, und zwar von Dr.G. vom 30.07.2002/15.07.2003 und Dr.B. vom 16.06.2003. Der Kläger hat Berichte des behandelnden Arztes Dr.F. vom 14.12.2001 und 17.01.2003, des Prof.Dr.W. nach stationärem Aufenthalt vom 01.03.2003 bis 10.03.2003 in der Universitätsklinik S. und des Dr.H. vom 04.06.2004/ 07.05.2004 vorgelegt. Der Senat hat eine Stellungnahme des Prof.Dr.F. vom 01.07.2004 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass beim Kläger weiterhin keinerlei Hinweise für das Vorliegen einer (intra)pulmonalen Asbestose bestünden. Eine Verschlimmerung der anerkannten BK sei nicht zu objektivieren, es ergebe sich weiterhin kein Anhalt für eine rentenberechtigende MdE wegen der Folgen der Asbestose. Eine Verschlechterung der Lungenfunktionswerte sei nicht BK-bedingt.

Der Kläger beantragt - sinngemäß -, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 05.02.2002 und des Bescheides vom 28.01.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.06.1999 zu verurteilen, ihm wegen der anerkannten BK nach der Nr.4103 der Anlage 1 zur BKVO Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 05.02.2002 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat mit Recht die Klage abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen der anerkannten BK-Nr.4103, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 56 Abs.1 Satz 1 SGB VII nicht erfüllt sind.

Nach der vorgenannten Vorschrift haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Gemäß Abs.2 der vorgenannten Vorschrift richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge der anerkannten BK - wie sich aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Dr.L. , dem vom SG eingeholten Gutachten des Dr.W. und der vom Senat eingeholten Stellungnahme des Prof.Dr.F. ergibt, nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert. Beim Kläger besteht eine geringgradige Pleuraasbestose links ohne wesentliche Folgeerscheinungen. Die durch diese BK verursachte MdE ist aufgrund nicht nachweisbarer Folgeerscheinungen nach den derzeit allgemein gültigen gutachterlichen Kriterien mit unter 20 v.H. einzuschätzen. Aufgrund der wiederholten Röntgen- und auch computertomographischen Untersuchungen handelt es sich nur um Pleuraveränderungen geringen Ausmaßes, die auch nur linksseitig nachweisbar sind. Schwere und ausgeprägte Verdichtungen des Brustfells, die die Ausdehnung der Lunge einengen und zu einer restriktiven Ventilationsstörung führen, liegen beim Kläger nicht vor. Hierzu wäre eine wesentlich stärkere Brustfell-/Rippenfell-Verdichtung erforderlich, als sie asbestbedingt einseitig beim Kläger vorliegt. Die meisten ärztlichen Beurteilungen führen, soweit sie überhaupt eine restriktive Ventilationsstörung des Klägers feststellen, diese nicht auf die asbestbedingten Pleuraveränderungen, sondern auf die Adipositas zurück. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Diagnose einer restriktiven Ventilationsstörung stark mitarbeitsabhängig ist. Daraus erklärt sich die große Schwankungsbreite der für eine pulmonale Restriktion typischen Messgröße, nämlich der Vitalkapazität. Eine Einschränkung derselben bis zu 15 % des errechneten Normwerts wird allgemein noch nicht als manifeste Ventilationsstörung gewertet, höchstens als Hinweis auf eine solche. Bei dem Kläger liegen die gemessenen Einschränkungen der Vitalkapazität gegenüber dem Normwert bei etwa 15 %. Eine restriktive Ventilationsstörung kann auch durch Veränderungen des Lungengewebes selbst entstehen. Beim Kläger bestehen jedoch keinerlei Hinweise für das Vorliegen einer (intra)pulmonalen Asbestose. Röntgenbild, Computertomogramm und die wiederholt normalen Ergebnisse der Diffusionsmessung mittels Kohlenmonoxyd lassen eine relevante Lungenasbestose ausschließen. Gegenteiliges wurde von keinem der hier mit dem Kläger befassten Ärzte behauptet. Wie Prof. Dr.F. unter Auswertung der in dem Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Befunde ausführte, ergeben sich beim Kläger auch weiterhin keinerlei Hinweise für eine relevante, rentenberechtigende Lungenasbestose. Soweit im vorliegenden Fall eine Verschlechterung der Lungenfunktionswerte angeführt wurde, ist diese nicht Folge der geringgradigen Pleuraasbestose, sondern wird durch die bekannte obstruktive Ventilationsstörung hervorgerufen bzw. durch nicht optimale Atemmanöver vorgetäuscht. Soweit der behandelnde Dr.F. eine Verschlechterung der Asbestose mit Zunahme von Thoraxschmerzen und ein restriktives Syndrom anführt, ist zu berücksichtigen, dass der von ihm vermerkte Abfall der Vitalkapazität von 2960 auf 2850 die Zunahme einer restriktiven Ventialtionsstörung ausschließt. Die Abnahme liegt im Streubereich. Das maximal in einer Sekunde ausstoßbare Atemvolumen (VEMS) ist kein Parameter für die Wertung einer restriktiven Ventilationsstörung. Somit ergibt sich hieraus kein Anhalt für eine rentenberechtigende MdE wegen Folgen der Asbestose. Letztlich ist allein der von der BG hinzugezogene Dr.W. der Auffassung, dass beim Kläger eine beidseitige Asbestose der Pleura und ein Verdacht auf eine Asbestose der Lungen vorliegt. Nachdem die Feststellungen des Dr.W. in mehreren Punkten gravierend von der Mehrzahl der aktenkundigen Feststellungen der übrigen Ärzte abweichen, kann im Ergebnis ein relevanter Hinweis auf das Vorliegen einer rentenberechtigenden MdE wegen der Folgen der Asbestose nicht begründet werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die von Dr.W. abnorm tief gemessene Vitalkapazität mit 1,81/l erheblich außerhalb des Rahmens der Befunde der anderen involvierten Untersucher liegt. Hinzu kommt, dass auf der rechten Seite keine Krankheitszeichen einer Asbestose, wohl aber Folgeerscheinungen einer vor der Asbestexposition durchgemachten tuberkulösen Pleuritis vorhanden sind. Auch die von ihm beschriebenen unverändert schwerwiegenden, multiplen calcifizierten Pleuraplaques, besonders auf der linken Seite seitlich wie beidseits im Zwerchfellschatten, konnten andere Untersucher, die zugezogenen Fach- radiologen und Prof.Dr.F. nicht erkennen. Ein widerspruchsfreier Nachweis für eine relevante Lungenfunktionsstörung ist damit nicht geführt. Die Verschlechterung der respiratorischen Situation (vgl. S.) war vorübergehend, sie wurde von Dr.S. zudem nicht ursächlich auf die Asbestose zurückgeführt. Die von Dr.F. hervorgehobene Verschlechterung spricht für eine Zunahme einer obstruktiven Ventilationsstörung, ebenso wie der erwähnte Rückgang der Ausatmungsmenge. Diese Veränderungen sind Hinweise auf eine obstruktive Ventilationsstörung und nicht Folgen der geringgradigen Pleurasbestose. Hinzu kommt, dass der Messwert besonders hohen Schwankungen unterworfen ist und dabei zu berücksichtigen ist, dass die im Mai 2004 von Dr.H. erhobenen Befunde - der Abfall der totalen Lungenkapazität - sich wieder gebessert haben. Aufgrund der Angaben des Dr.F. vom 14.12.2001 und 17.01.2003 lassen sich im Ergebnis keine Anhaltspunkte objektivieren, welche auf eine rentenberechtigende MdE wegen der Folgen der Asbestose schließen lassen. Eine Verschlechterung der Lungenfunktionswerte ist nach allem nicht Folge der geringgradigen Pleuraasbestose, sondern wird durch die bekannte obstruktive Ventilationsstörung hervorgerufen oder durch nicht optimale Atemmanöver vorgetäuscht. Auch anlässlich der stationären Behandlung vom 01.03. bis 10.03.2003 (Prof.Dr.W.) ergab sich keine Verschlechterung der Vitalkapazität, lediglich eine gewisse Verschlechterung der obstruktiven Ventilationsstörung. Bezüglich der radiologischen als auch der lungenfunktionsanalytischen Ergebnisse konnte eine Verschlechterung der Pleuraasbestose eindeutig ausgeschlossen werden. Auch die von Dr.G. vorgeschlagene und dann am 15.06.2004 durchgeführte Spiroergometrie des Klägers ergab keinen Anhalt für eine erkennbare pulmonale Limitierung.

Nach allem ist daher davon auszugehen, dass weiterhin keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine rentenberechtigende MdE wegen der Folgen der Asbestose des Klägers vorliegt. Zusätzliche Maßnahmen zu einer weiteren Abklärung sind, wie Prof.Dr.F. ausführt, nicht erforderlich. Spirometrische Untersuchungen des Klägers sind zahlreich durchgeführt und ihre Ergebnisse aktenkundig dokumentiert worden. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Spiroergometrie nur Auskunft über das globale Leistungsvermögen von Herz-Kreislauf und Lungenfunktion gibt. Sie ermöglicht eine Beurteilung des cardialen, pulmonalen und peripheren Sauerstoffversorgungssystems. Dagegen gestattet sie über die einfachen spirographischen Messmethoden hinaus nicht sicher die zusätzliche Abgrenzung einer respiratorischen von einer Herz-Kreislauf-Insuffizienz. Da aber beim Kläger wiederholt erhöhte Blutdruckwerte, erhebliche Gefäßveränderungen und Herzfunktionsstörungen bekannt sind, hilft in seinem Fall die Anwendung einer Spiroergometrie für die streitgegenständliche Beurteilung nicht weiter. Die inzwischen durchgeführte Spiroergometrie ergab tatsächlich keine weiterführenden Ergebnisse. Im Gegenteil, die bisherige Beurteilung wurde bestätigt. Er ergaben sich Anzeichen für eine Herzleistungsstörung, nämlich durch beginnende descendierende ST-Strecken im Elektrokardiogramm unter Belastung. Dagegen konnte keine pulmonale Limitierung erkannt werden, schon gar nicht im Sinne von BK-Folgen. Eine Compliance-Untersuchung ist zwar nicht durchgeführt worden, kann aber, wie Prof.Dr.F. im Einzelnen darlegte, zur Aufklärung der Funktionsstörungen beim Kläger nicht beitragen. Denn bei der letzteren kann ausschließlich die Dehnbarkeit der Lunge gemessen werden, mit dieser Methode können aber nicht Funktionsstörungen durch krankhafte Veränderungen des Brustfells erfasst werden.

Nach allem konnte daher die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben, sie ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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