L 2 U 354/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 601/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 354/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 01.10.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheit.

Der 1959 geborene Kläger ist seit 1978 berufstätig, seit 1980 als Fernsehtechniker und hat sich als solcher 1986 selbständig gemacht. Er führt sein Unternehmen noch weiter. Nach den Unterlagen der Beklagten war er in der selbständigen Tätigkeit erst seit 01.01.1990 freiwillig versichert. Eine Pflichtversicherung als Unternehmer sieht die Satzung der Beklagten seit 1986 nicht vor.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten sah die für eine Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur BKVO notwendige Arbeitsbelastung beim Kläger als gegeben an. Er zog dabei auch die Tätigkeit zwischen 1986 und 1990 ein.

Nachdem der Kläger im Januar 1999 die Anerkennung einer Berufskrankheit beantragt hatte, holte die Beklagte ein Gutachten des Orthopäden Dr.K. vom 13.10.1999 ein. Der Sachverständige fand beim Versicherten ein Lumbalsyndrom mit wiederkehrender Wurzelirritation L5 wechselseitig auf der Grundlage einer Osteo- chondrose und eines breitbasigen Bandscheibenvorfalles im Segment L4/5. Es handle sich um einen einsegmentalen Krankheitsprozess an der Lendenwirbelsäule. Biomechanische Untersuchungen hätten ergeben, dass bei der mechanischen Belastung der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen schwerer Lasten nicht nur das letzte Segment belastet werde. Die schädigende Lasteinwirkung verteile sich auf sämtliche Segmente, wobei noch die obere Bandscheibe 70 % der Einwirkungen abzufangen habe. Für eine berufsbedingte Schädigung sei deshalb eine mehrsegmentale Schadenssymptomatik zu fordern. Der Hauptanteil der degenerativen Veränderungen müsse an der unteren Lendenwirbelsäule zu beobachten sein und sich nach oben zu verringern. Ein solches Schadensbild lasse sich beim Versicherten nicht erkennen. Es sei einzig und allein das erste freie Bewegungssegment degenerativ verändert.

Es gebe jedoch Gerichtsentscheidungen, die auch einen einsegmentalen Krankheitsprozess an der unteren Lendenwirbelsäule als berufsbedingten Schaden anerkannt hätten. Ein Einsegmentschaden schließe also die Anerkennung nicht aus. In Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Lehrmeinung sei jedoch beim Vorliegen eines einsegmentalen Schadensbildes eine kritische Überprüfung der konkurrierenden Ursachen durchzuführen. Insoweit bestehe beim Versicherten ein ausgesprochener Flachrücken, der mit einer verminderten Belastbarkeit der Wirbelsäule einhergehe, da die physiologischen Abfangschwingungen, insbesondere an den unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule entfielen. Darüber hinaus würden Statik und Dynamik der Lendenwirbelsäule des Klägers schicksalshaft beeinträchtigt durch das Vorliegen einer Sakralisation von LWK 5, wobei dieser Wirbelkörper mit einer breiten Massa lateralis dem Kreubeinplateau hoch aufsitze. Hier bestehe eine anlagedingte Dysplasie des Wirbelkörpers L5 mit abfallender Deckplatte dieses Übergangswirbels, so dass insgesamt der statische Fehlaufbau der verbleibenden vier freien Segmente ungünstig angelegt sei. Dementsprechend stelle sich der Degenerationsprozess der Zwischenwirbelscheibe ausschließlich in dem ersten freien unteren Segment der Lendenwirbelsäule dar. Den genannten Faktoren komme die alleinige Bedeutung für die Entstehung der Bandscheibendegeneration bei L4/5 zu. Insbesondere dass an den mittleren und oberen Bandscheiben der Lendenwirbelsäule nicht die Spur degenerativer Veränderungen festgestellt worden seien, spreche dafür, dass einzig und allein der schicksalshafte Fehlaufbau der Lendenwirbelsäule und des lumbosakralen Überganges für die Entstehung der Bandscheibendegeneration verantwortlich sei.

Mit Bescheid vom vom 14.01.2000 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen wegen des Wirbelsäulenleidens ab. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein für ihn gefertigtes Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 12.04.2000 vor. Dort wurde ausgeführt, dass keine konkurrierenden Erkrankungen vorhanden seien, sondern im Gegenteil, durch den Übergangswirbel L5/S1 die Belastung des Zwischenwirbelraums L4/L5 noch verstärkt werde. Es liege zwar eine abgeflachte Lordose vor, keinesfalls jedoch eine massive Flachrückenbildung. Wegen des praktisch versteiften Wirbels L5 sowie der außergewöhnlichen Körpergröße des Klägers übertrügen sich Hebel- bzw. Scherkräfte im ganz überwiegenden Ausmaß auf das Segment L4/L5. Die Tätigkeit des Klägers beanspruche ganz besonders die untesten Segmente, wobei infolge der besonderen Verhältnisse bei L4/L5 die Funktion von L5/S1 mitübernommen werden müsse.

Hiergegen wandte Dr.K. ein, dass die von ihm vorgenommene Charakterisierung des Flachrückens sehr wohl berechtigt sei und dass Dr.L. die beim Kläger bestehenden konkurrierenden Faktoren als für den Ursachenzusammenhang sprechend statt dagegen heranziehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten des Orthopäden Dr.K. vom 13.01.2001 eingeholt. Das Gutachten kommt in allen Punkten zu demselben Ergebnis wie das des Dr.K ... Es wendet gegen Dr.L. ein, dass er das Prinzip konkurrierender Erkrankungsursachen nicht in korrekter Weise angewendet habe. Hierzu hat der Kläger zunächst ein Schreiben des Chirurgen Prof.Dr.B. vorgelegt, wonach die Interpretation des Prinzipes von den konkurrierenden Erkrankungsursachen unbillig sei, wenn man einen Patienten mit einer angeborenen anatomischen Variante im Bereich des Achsenskelettes vor Aufnahme einer die Wirbelsäule belastenden Tätigkeit nicht darauf hinweise, dass er beim Auftreten einer möglichen Berufskrankheit keine Leistungen erhalten werde.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten des Dr.L. vom 21.05.2001 eingeholt. Der Sachverständige wiederholt in seinem Gutachten im Wesentlichen die bereits von ihm vorgetragenen Argumente.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in der Begründung auf die angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Mit seiner Berufung beantragt der Kläger, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 01.10. 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2000 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKVO anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen hierfür zu gewähren. Hilfsweise beantragt er zum Beweis dafür, dass die Bandscheibenschädigung wesentlich durch die berufliche Belastung verursacht ist, ein weiteres ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Er stützt sich hierbei im Wesentlichen auf die Argumentation des Sachverständigen Dr.L ...

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Anerkennung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit abgelehnt hat.

Nach § 9 Abs.1 Satz 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule Berufskrankheiten, wenn sie durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden sind, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten bezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die schädigenden Einwirkungen müssen hierbei von solchen Tätigkeiten ausgegangen sein, bei denen der Versicherte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.

Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass er auch in seiner beruflichen Tätigkeit von 1986 bis 1990 in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war und insgesamt ein solches Ausmaß beruflicher Belastungen im versicherten Bereich anzunehmen ist, dass sie für die Annahme einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ausreichen, liegt bei ihm keine Berufskrankheit vor, weil die betreffenden Einwirkungen die Lendenwirbelsäulenerkrankung nicht wesentlich wenigstens mitverursacht oder eine vorbestehende Erkrankung verschlimmert haben. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den Gutachten der Sachverständigen Dr.K. und Dr.K ...

Die Sachverständigen sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass das bloße Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen und der als Berufskrankheit benannten Gesundheitsstörung zur Begründung eines Ursachenzusammenhanges noch nicht ausreichen (vgl. hierzu BSG, Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S.39). Es bedarf vielmehr der zusätzlichen Begründung für den Ursachenzusammenhang und zwar anhand der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles. Hierbei scheidet eine Begründung des Ursachenzusammenhanges im Falle des Klägers nach Meinung aller Sachverständigen dann aus, wenn zur Abgrenzung der beruflichen Bedingtheit des Krankheitsbildes von einem auch sonst allgemein anzutreffenden Krankheitsbild in der Gesamtbevölkerung ein mehrsegmentaler Schaden in der Lendenwirbelsäule mit einer belastungstypischen Schadensverteilung gefordert wird. Ein solches Schadensmuster weist der Kläger nicht auf.

Ein entsprechender Ursachenzusammenhang lässt sich jedoch auch für den beim Kläger vorliegenden monosegmentalen Schaden nicht begründen (zu den Anforderungen insoweit siehe Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.579). Auch und erst recht in diesem Fall sind, wie die Sachverständigen Dr.K. und Dr.K. darlegen, die für die Ursächlichkeit der beruflichen Einwirkungen und der Einwirkungen aus dem nicht versicherten Bereich sprechenden Gesichtspunkte sorgfältig abzuwägen. Hierbei fällt nach diesen Sachverständigen entscheidend ins Gewicht, dass beim Kläger eine anlagebedingte Aufbaustörung am Übergang zwischen LWS und Kreuzbein besteht. Daneben besteht eine leichte trapezförmige Deformierung des 4. Lendenwirbelkörpers. Diese haben zwangsläufig zu einem vorzeitigen Verschleiß des Bandscheibenfaches L4/L5 geführt. Zieht man in Betracht, dass die bloße Belastung noch keinen Ursachenzusammenhang begründen kann, dann bleiben nach den Gutachten sämtlicher Sachverständigen keine Kriterien mehr übrig, die den notwendigen Ursachenzusammenhang für den vorliegenden Fall begründen könnten. Solche Gesichtspunkte sind auch dem Gutachten des Dr.L. nicht zu entnehmen. Zu Recht weisen die Sachverständigen Dr.K. und Dr.K. darauf hin, dass der Sachverständige Dr.L. die anlagebedingten Aufbaustörungen der Lendenwirbelsäule des Klägers als Argument zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den beruflichen Einwirkungen und der Lendenwirbelsäulenerkrankung heranzieht, obwohl dieser Sachverhalt gegen die Begründung des Ursachenzusammenhanges sprechen müsste. Es handelt sich hierbei um eine Einwirkung aus dem persönlichen, nicht versicherten Bereich, die als Argument gegen ein beruflich bedingtes Schadensbild hätte gewertet werden müssen.

Gründe für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Der medizinische Sachverhalt ist durch die bereits eingeholten Gutachten ausreichend geklärt.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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