L 20 RJ 211/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 687/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 211/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 19.02.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1960 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seiner Heimat. Er hat in Deutschland mit Unterbrechungen vom 08.02.1979 bis 26.11.1996 versicherungspflichtig gearbeitet. Anschließend befand er sich vom 30.11.1996 bis 05.08.1999 im Strafvollzug, am Tag der Entlassung wurde er in die Türkei abgeschoben.

Der Kläger hat keinen Beruf erlernt und war in Deutschland immer nur kurzfristig als Hilfsarbeiter beschäftigt. Am 03.09.1999 beantragte er Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung verwies er auf das psychiatrische Gutachten vom 09.05.1997, das während des Strafvollzugs erstellt und in dem eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung aufgrund einer chronischen Konfliktspannung, eines Affektstaus und einer nicht mehr beherrschbaren Anspannung festgestellt worden sei. Außerdem leide er noch psychisch unter den Auswirkungen der Tat (er hat mit einem Küchenmesser auf die geschiedene Ehefrau eingestochen).

Die Beklagte ließ den Kläger in der Türkei von dem Psychiater und Neurologen Dr.S. untersuchen, der eine Angstreaktion feststellte und den Kläger für fähig hielt zu arbeiten (Gutachten vom 30.09.1999). Im Hinblick auf das Ergebnis dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2000 und Widerspruchsbescheid vom 28.08.2000 Rentenleistungen ab, weil der Kläger noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig verrichten könne.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) eine Arbeitgeberauskunft für die Zeit vom 16.08. bis 10.10.1991 (der Kläger war damals als Flämmer beschäftigt), einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr.L. , der den Kläger bis 1996 behandelte, eine Auskunft der AOK Rheinland und einen Versicherungsverlauf der Beklagten zum Verfahren beigezogen, außerdem das vom Kläger erwähnte Gutachten des Arztes für Psychiatrie Dr.M. vom 09.05.1997.

Der Neurologe und Psychiater Dr.A. (I.) ist im Gutachten vom 19.11.2002 zu der Beurteilung gelangt, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen der Türkei durch seine momentane psychische Belastbarkeit Schwierigkeiten haben würde, eine Arbeitsstelle zu finden. Dies sei vielleicht nach einer psychiatrischen Behandlung möglich. Weiter hat der Psychiater Dr.R. nach Aktenlage das Gutachten vom 08.07.2003 erstattet. Er hat eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung mit unsicher-empfindsamen (paranoiden) Zügen und eine Neigung zu psycho-vegetativen Beschwerden bei Belastungssituationen diagnostiziert. Gravierende psychische Erkrankungen lägen nicht vor. Die vorliegende Persönlichkeitsstörung bedinge nur eine geringe Einschränkung der psychischen Belastbarkeit. Der Kläger sei daher mindestens für mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus vollschichtig einsetzbar, soweit es sich um Tätigkeiten ohne besondere Ansprüche an die nervliche Belastbarkeit, ohne regen Publikumsverkehr und ohne besonderen Zeitdruck handele.

Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG angeschlossen und die Klage mit Urteil vom 19.02.2004 abgewiesen. Aus den Ausführungen von Dr.A. sowie von Dr.R. , unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens und der Ausführungen im psychiatrischen Gutachten des Dr.M. ergebe sich die vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers. Auch habe Dr.M. keineswegs eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit festgestellt. Dieser habe vielmehr schuldmindernde bzw schuldausschließende Kriterien ausgeschlossen. Auch die anderen ärztlichen Sachverständigen hätten keine gravierenden Gesundheitsstörungen feststellen können. Es sei auch nicht erforderlich, ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Denn der Kläger sei in den zurückliegenden Jahren häufiger ambulant begutachtet worden, wenigstens dreimal. Auf dieser Tatsachengrundlage habe Dr.R. ein psychiatrisch-sozialmedizinisches Gutachten ohne weitere eigene Untersuchung erstatten können. Bei einem vollschichtigen bzw über sechs Stunden möglichen täglichen Einsatz sei der Kläger weder erwerbsunfähig noch teilweise noch voll erwerbsgemindert. Die Auffassung von Dr.A. über die Schwierigkeiten des Klägers, in der Türkei einen Arbeitsplatz zu finden, sei sozialmedizinisch ohne Belang. Es komme auf die aus gesundheitlichen Gründen gegebene Leistungseinschränkung an. Dies gelte bei vollschichtigem bzw über sechsstündigem Leistungsvermögen auch bei einer Inlandsrente. Dies gelte im Hinblick auf § 112 Satz 1 SGB VI bei der begehrten Leistung an Berechtigte im Ausland um so mehr.

Mit der dagegen eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, er habe in Deutschland einen unendlichen Unterdrückungsterror erlebt und unschuldigerweise eine Gefängnisstrafe abgesessen. Das angefochtene Urteil sei falsch und nicht gerecht, da seine psychische Krankheit chronisch geworden sei und andauere. Weiter macht er geltend, dass ein Arbeitsversuch im November 2001 krankheitshalber gescheitert sei. Es sei ihm nicht möglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ihm stehe daher vorzeitige Berentung und Zuweisung seiner Rente zu.

Der Kläger, für den in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen war, beantragt sinngemäß das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 19.02.2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2000 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und die Streitakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 19.02.2004 zutreffend entschieden, dass der Kläger nicht berufs- oder erwerbsunfähig iS der §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung war und auch eine Erwerbsminderung nach der seit 2001 geltenden Neuregelung nicht vorliegt. Aus den von der Beklagten und vom SG eingeholten Gutachten wie auch aus den Ausführungen von Dr.M. im Gutachten vom 09.05.1997 ergibt sich für den Senat, dass der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit nicht in einem rentenrechtlich relevanten Ausmaß beeinträchtigt ist. Bezogen auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung waren beim Kläger bereits die versicherungsrechtlichen Erfordernisse nach § 43 Abs 2 SGB VI für eine Rentengewährung nicht mehr erfüllt. Aus dem aktenkundigen Versicherungsverlauf ergibt sich nämlich, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit letztmals im Dezember 1998 erfüllt waren. Insoweit hat das Berufungsverfahren keine neuen medizinischen Gesichtspunkte erbracht, so dass bis zu diesem Zeitpunkt der Leistungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit noch nicht eingetreten ist. Der Kläger hat gegen diesen Versicherungsverlauf auch keine begründeten Einwendungen erhoben. Zu Recht hat das SG auch darauf hingewiesen, dass es für die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Hinblick auf § 112 Satz 1 SGB VI bei vollschichtigem Leistungsvermögen nicht auf die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in der Türkei ankommt. Auch der Senat hält eine nochmalige Untersuchung des Klägers - etwa in Deutschland wie von ihm beantragt - nicht für erforderlich, nachdem eine solche Untersuchung neue Erkenntnisse bzgl der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers bis Ende 1998 nicht ergeben könnte. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird gemäß § 153 Abs 2 SGG abgesehen, da die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet ist.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass der Kläger auch in der Berufung unterlegen war.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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