L 14 RJ 131/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 1004/01 A-FdV
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RJ 131/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. September 2003 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 7. Juni 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. September 1993 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten ein Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1942 geborene Kläger, der in seiner Heimat Montenegro keine Versicherungszeiten zurückgelegt hat, entrichtete in der Bundesrepublik insgesamt 167 Kalendermonate lang Pflichtbeiträge. Diese entfielen auf den Zeitraum November 1969 bis Dezember 1983. Nach einer Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt Köln vom 01.01. bis 27.07.1984 arbeitete er noch einmal im März/April 1985 als Waldarbeiter im Akkord. Dies waren seine letzten beiden Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung.

Ein im Juli 1985 gestellter Rentenantrag blieb bis zum zurückweisenden Berufungsurteil des BayLSG vom 06.11.1990 erfolglos, wobei der Kläger im Ablehnungsbescheid vom 12.08.1986 mit Merkblatt 6 über die Entrichtung freiwilliger Beiträge belehrt worden war.

Seinen Rentenantrag vom 17.04.1991 lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17.06.1993 ab, da der Kläger noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen verfüge. Daneben war auch auf die fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hingewiesen. Der Widerspruch blieb erfolglos (zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 08.09.1993).

Das Klageverfahren war seit März 1994 im Hinblick auf die kriegs- bedingte Unterbrechung des Postverkehrs nach Montenegro ausgesetzt. Einen im November 1995 gestellten Antrag auf Beitragserstattung hatte die Beklagte abgelehnt (Bescheid vom 17.11.1995, zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 14.02.1996), das Sozialgericht die dagegen gerichtete Klage mit Urteil vom 20.09. 1996 abgewiesen.

Auf die Zurückverweisung der Sache des erkennenden Senats mit Urteil vom 17.06.1998 trat das Sozialgericht in die Prüfung des noch offenen Rentenantrags ein und ließ den Kläger orthopädisch, internistisch und nervenärztlich untersuchen. Nach dieser Sachaufklärung anerkannte die Beklagte das Vorliegen voller Erwerbsminderung des Klägers ab November 2002, lehnte aber die Gewährung von Rentenleistungen ab, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlten.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2003 erklärte der Kläger, sich zwischen Juli 1984 und März 1985 zu Hause bei seiner Famlie aufgehalten zu haben, wobei die finanzielle Situation sehr ungünstig gewesen sei. Wenn ihn das Arbeitsamt seinerzeit über die Gefahr eines Verlustes der Rentenanwartschaft aufgeklärt hätte, so wäre er in Deutschland geblieben und hätte sich weiterhin arbeitslos gemeldet bis zur Vermittlung einer neuen Beschäftigung.

Mit Urteil vom gleichen Tage verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung der zugrunde liegenden Bescheide zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.12.2002 und wies im Übrigen die Klage ab. In den Gründen führte es im Wesentlichen aus, dass der Kläger in zweifacher Hinsicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfülle. Einmal gehe die Kammer davon aus, dass es nicht zu einer entsprechenden Lücke im damaligen Versicherungsverlauf gekommen wäre, wenn das Arbeitsamt den Kläger seinerzeit über den drohenden Verlust der Rentenanwartschaft aufgeklärt hätte. Damit komme es auf die Frage, ob der Kläger auch freiwillige Beiträge entrichtet hätte, nicht mehr an. Zum anderen hätte die Beklagte im Anschluss an das Berufungsverfahren im November 1990 den Kläger aufklären müssen, rechtzeitig einen neuen Rentenantrag zu stellen. Folglich wäre der Kläger jeweils zur Entrichtung freiwilliger Beiträge hinsichtlich der entstandenen Lücken berechtigt gewesen mit der Folge, dass sie nunmehr nach dem Gesetz als entrichtet gelten würden.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung rügt die Beklagte, dass das Sozialgericht die erforderliche Kausalität zwischen fehlerhafter Beratung und unterbliebener Beitragsentrichtung ungeprüft gelassen habe, zumal der Kläger bereits in der Vergangenheit seine finanzielle Notlage, u.a. im Zusammenhang mit der Beitragserstattung, bekundet habe. Im Übrigen erscheine das Beschreiten des Rechtsweges allein zum Zwecke der Unterbrechungen der Fristen des § 1418 Reichsversicherungsordnung (RVO) rechtsmissbräuchlich.

Auf gezielte Anfrage des Senats teilte der Kläger mit Schreiben vom 17.05.2004 mit, dass er für den Zeitraum der Jahre 1985 bis 1990 nicht in der Lage gewesen sei, freiwillige Beiträge zu entrichten, weil seine wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse "am Rande der Existenz" gewesen und auch jetzt noch seien.

Trotz Hinweises des Senats an die Bevollmächtigte des Klägers, der Senat habe in gleich gelagerten Fällen bereits mehrfach die Urteile des Sozialgerichts aufgehoben, wurde auf einer streitigen Entscheidung bestanden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.09.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Rentenakte der Beklagten, die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die erledigten Gerichtsakten des Sozialgerichts Landshut Az.: S 12 Ar 5680/86 Ju und des BayLSG Az.: L 6 Ar 82/89 vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch sachlich begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, auch nicht ab 01.12.2002, da das Sozialgericht rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches unterstellt hat.

Zwar hat das Sozialgericht erkannt, dass der Kläger bei der Entrichtung des letzten Pflichtbeitrags im April 1985, vorausgehenden Beitragslücken und Rentenantragsstellung erst im April 1991 einen Rentenanspruch nur mit Hilfe eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches verwirklichen kann, erst recht bei einem anerkannten Leistungsfall im November 2002. Denn der Kläger konnte die rechtliche Voraussetzung für eine Berentung, innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Leistungsfalles mindestens für drei Jahre Pflichtbeiträge entrichtet zu haben, bei weitem nicht mehr erfüllen.

Unter bestimmten Umständen kann im Wege einer Art von Naturalrestitution ein sozialrechtlicher Nachteil ausgeglichen werden, den ein Versicherter dadurch erleidet, dass ein Versicherungsträger einen unrichtigen Rat gegeben oder einen gebotenen Rechtshinweis unterlassen hat. Zwar erkennt das Sozialgericht in diesem Zusammenhang für die Zeit unmittelbar nach Juli 1984 keinen Beratungsfehler der Beklagten, weil der Kläger gar nicht an sie herangetreten war. Es unterstellt aber einen Beratungsfehler des Arbeitsamtes ohne weitere Prüfung, ob sich die Beklagte einen solchen, sollte er vorliegen, zurechnen lassen müsste. Diese Konstruktion des Sozialgerichts ist unüberlegt und entbehrt jeglicher Substanz. Für das Arbeitsamt war zur damaligen Zeit keinerlei Beratung angezeigt. Unabhängig davon, ob der Kläger für das Arbeitsamt überhaupt erreichbar gewesen wäre - dies ist rückblickend nicht mehr aufklärbar -, ist bei einem damals 42-jährigen ausländischen Versicherten, der sich in seine Heimat begibt, zu erwarten, dass er versucht, dort sein Erwerbsleben fortzusetzen. Diese Bemühungen sind dadurch aktenkundig, dass der Kläger im Frühjahr 1985 noch einmal Beiträge entrichtet hat und zwar sogar in der Bundesrepublik Deutschland. Bei diesen Gegebenheiten einen Beratungsmangel des Arbeitsamtes zu konstatieren, ist abwegig.

Dessen ungeachtet wären die Voraussetzungen für das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gleichwohl noch nicht erfüllt. Denn nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, an die die Landessozialgerichte und die Sozialgerichte gebunden sind, kann ein eventueller Verstoß des Rententrägers gegen Beratungs- und Betreungspflichten nur dann zu einem Herstellungsanspruch führen, wenn er ursächlich dafür gewesen ist, dass der Versicherte die notwendige Beitragszahlung unterlassen hat. Dies verlangt gerichtliche Ermittlungen dahin, dass der Versicherte bei rechtzeitigem Hinweis sowohl bereit als auch in der Lage gewesen wäre, über einen langen, nicht absehbaren Zeitraum hinweg freiwillige Beiträge zu erbringen.

Vorliegend bedarf es gar nicht des Hinweises, dass dem Senat kein einziger Fall bekannt ist, ein jugoslawischer Staatsangehöriger hätte nach Rückkehr in seine Heimat periodisch über einen nicht abschätzbaren langen Zeitraum freiwillige Beiträge in Vorsorge der späteren Berentung gezahlt. Vielmehr hat der Kläger, wie schon in der Vergangenheit erkennbar, unmissverständlich erklärt, dass ihm seine damalige wie heutige sehr schlechte wirtschaftliche Lage keinerlei Beitragsentrichtung erlaubt hätte. Damit erübrigen sich für den Senat weitere Ausführungen.

Den zwischenzeitlich 62-jährigen Kläger auf die Altersrente des 65-jährigen Versicherten zu verweisen erübrigt sich, da die Beklagte nach Verkündung des Urteils angezeigt hat, dass der Kläger zwischenzeitlich verstorben ist und die Ehefrau bereits Witwenrente beantragt hat.

Nach all dem war auf die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 193 SGG das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage - wie tenoriert - abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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