L 17 U 16/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 180/87
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 16/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.01.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen nach ihrem 1938 geborenen und 23.07.1978 verstorbenen Ehemann E. S. hat.

Der Versicherte war nach einer Lehre als Former bei der Firma M. (L.) von 1955 bis 1963 als Kernmacher, von 1963 bis 1967 als Ofenführer im Elektroschmelzofenbetrieb und von 1967 bis 1977 als Vorarbeiter in der Kokillenfacongießerei beschäftigt. Er verstarb nach einjähriger Krankheit an einem metastasierenden Plattenepithelkarzinom des Oro- und Hypopharynxbereichs.

Am 03.09.1984 erfolgte vom Betrieb eine Unternehmeranzeige wegen des Verdachts einer Berufskrankheit (BK). Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte eine Auskunft über Krankheiten des Versicherten von der AOK W. - Geschäftsstelle L. - vom 17.09.1984, Befundberichte des HNO-Arztes Dr.H. vom 25.09.1984, Betriebsarztes Dr.B. vom 05.11.1984, Nervenarztes Dr.M. vom 30.11.1977 und der Poliklinik (HNO) W. vom 14.06.1978/21.03.1978 bei und ließ Gutachten des Prof. Dr.V. vom 04.04.1985/01.10.1986 und des Prof. Dr.G. vom 10.06.1987 erstellen. Prof. Dr.V. führte aus, den Trinkgewohnheiten des Versicherten (10 - 12 Flaschen Bier täglich) sei die wesentliche Ursache für die Erkrankung zugekommen. Prof. Dr.G. bemerkte, zwar sei der Versicherte niedrigen Konzentrationen von Mangansplit, Ferro-Phosphor, Nickel, Ferro-Molybden, Nickel-Magnesium-Legierungen und Ferro-Siliziumdämpfen ausgesetzt gewesen, jedoch habe aufgrund allgemeiner statistischer Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen beruflicher Exposition und der Entstehung eines Hypopharynx-Karzinoms nicht bestanden.

Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr.M. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.06.1987 die Anerkennung einer BK und damit die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 551 Abs 1 und 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) seien nicht gegeben.

Gegen den Bescheid hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, die Krebserkrankung des Versicherten im Bereich des Rachenraumes als BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Als Ursache der Krebserkrankung kämen in erster Linie Nickel-Chrom-Raucheinwirkungen in Betracht, die beim Sphäroguss entstanden seien sowie Crackprodukte in Form von polyzyklisch aromatischem Kohlenwasserstoff (PAK), inbesondere Benzo(a)pyrene.

Das SG hat die Messprotokolle der Beklagten sowie die Originalkrankengeschichte der Universitäts-HNO-Klinik W. beigezogen und am 18.04.1991 Messungen der als krebserzeugend in Betracht kommenden Schadstoffe im Rahmen eigens nach Angabe der Beteiligten nachgestellter historischer Arbeitsprozesse unter Abschaltung der Absaugung durchführen lassen (insbesondere Sphäroguss, Kokillenguss, Kokillenreinigung, Facon-Kokillenguss, Handguss, Block- und Plattenguss mit den früher gebräuchlichen Arbeitsstoffen). Eine relevante Nickel-Belastung der Atemluft konnte nicht bestätigt werden, PAK-Werte und Feinstaubkonzentration unterschritten die zulässigen Grenzwerte erheblich. Auf die Messprotokolle der beteiligten Institute (Bundesanstalt für Arbeitsschutz D. vom 02.11.1992, Institut F. , T. N. ; Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G. vom 06.10.1992) wird Bezug genommen. Eine ergänzende Messung des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitssicherheit (BIA) im Dezember 1994 zu dem bis 1974 in abnehmendem Maße in Halle 4 und 2 gebräuchlichen Formen-Trocknungsverfahren durch offenes Verschwelen von pechgebundenen Steinkohlenbriketts hat eine außergewöhnlich hohe Belastung der Luft mit polyzyklisch aromatischen Kohlewasserstoffen mit der Leitkomponente Benzo(a)pyren erbracht (Gutachten vom 08.02.1995).

Das SG hat sodann Gutachten der Arbeitsmediziner Prof. Dr.W. vom 09.09.1993, Prof. L. vom 22.05.1995 und gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. N. vom 24.09.1998 eingeholt. Prof. W. hat ausgeführt, der Versicherte sei in seiner 23-jährigen Tätigkeit in der Gießerei zwar einem gießereirelevanten Gefahrstoffgemisch von krebserzeugenden Gefahrstoffen, insbesondere PAK und Nickeloxyd, möglicherweise auch chromar- und asbestfaserhaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen. Dem stünden aber erhebliche private Schadstoffeinwirkungen in Form von Alkohol- und Nikotinmissbrauch gegenüber. Letztlich sei ausschlaggebend, dass es zur Zeit noch keine ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, dass Gießereibeschäftigte eindeutig vermehrt an Oro-Hypopharynx-Karzinomen erkranken. Prof. L. hat zwar eingeräumt, dass der Versicherte über 10 Jahre einer extrem hohen Benzo(a)pyren-Konzentration ausgesetzt gewesen sei, es lägen jedoch keine eindeutig gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, dass die berufliche Exposition mit der vom Gesetzgeber geforderten Wahrscheinlichkeit zu Oro- und Hypopharynx-Karzinomen führe. Prof. N. hat als wirksamste Risikofaktoren für ein Oro- oder Hypopharynx-Karzinom Alkohol- und Nikotin-Abusus sowie mangelnde Mundhygiene angesehen. Als wohl dominierende Ursache sei beim Versicherten der dokumentierte exzessive Alkoholabusus und der Zigarettenkonsum (20 - 30 Zigaretten täglich) für die Entstehung des Rachenkrebsleidens anzunehmen. Aufgrund der hohen Konzentration von Benzo(a)pyren iVm dem gießereitypischen Gefahrstoffgemisch mit Reizwirkungen auch auf Mundhöhle und Rachen sei aber der Schluss zu ziehen, dass die Krebserkrankung des Versicherten auch wesentlich durch die berufliche Exposition gefördert und beschleunigt worden sei. Die berufliche Belastung durch Benzo(a)pyren habe mindestens um etwa das 90-fache über dem Benzo(a)pyren-Gehalt des vom Versicherten im gleichen Zeitabschnitt angegebenen Zigarettenkonsums gelegen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung "wie eine Berufskrankheit nach § 551 Abs 2 RVO" seien erfüllt. Bei sachgerechter Prüfung sei zu erwarten, dass die Rachenkrebserkrankung bei der nächsten Novellierung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen werde.

Das SG hat mit Urteil vom 19.01.1999 die Klage abgewiesen und sich der Beurteilung der Prof. W. und L. angeschlossen. Zwar sei der Versicherte mehr als 10 Jahre einer extremen Benzo(a)pyren-Belastung beim Formentrocknen ausgesetzt gewesen. Bei Abwägung dieser Tatsache gegenüber dem außergewöhnlich hohen privaten Schadstoffgebrauch und der Lokalisation des Primärtumors sei aber ein ursächlicher Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Auffassung des Prof. N. könne im Hinblick auf die Bekanntmachung des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 06.01.1998 nicht gefolgt werden. Dieser sei in Bezug auf Kehlkopfkrebs zu der Bewertung gekommen, dass es zwar wichtige Hinweise für ein erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko von PAK-exponierten Beschäftigten gebe, dieses jedoch wegen widersprechender anderer Studien z.Z. als nicht gesichert angesehen werden könne. Dass eine Aufnahme der Rachenkrebserkrankungen in die BK-Liste vorgesehen sei, stelle nur eine Vermutung des Prof. N. dar.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgetragen, der Fall zeige bei extremen und seltenen Risikoüberschreitungen die Grenzen der Epidemiologie auf. Es sei dem Gutachten des Prof.N. zu folgen.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. W. vom 08.11.2001 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, es lägen neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die es rechtfertigten, die Erkrankung als Quasi-Berufskrankheit gemäß § 551 Abs 2 RVO anzusehen. Die extrem hohe PAK-Belastung sei ursächlich für die Tumorerkrankung im Alter von bereits 40 Jahren. Die genotoxische Vorschädigung der Zielzellen durch Alkohol und Rauch, insbesondere auch des Oro-Hypopharynx seien auf die Einwirkung von PAK zurückzuführen. Die neuen Erkenntnisse ergäben sich aufgrund der Ausführungen von Prof. N. auf dem 14. Duisburger Gutachten-Kolloqium des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Gewerblichen Berufsgenossenschaften.

Der HVBG hat der Beklagten mit Schreiben vom 26.03.2002 geantwortet, dass das Thema Krebserkrankungen im Kopf-/Halsbereich bislang nicht erneut im ärztlichen Sachverständigenbeirat beraten worden sei.

Mit Schreiben vom 13.08.2002 hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass die Frage eines erhöhten Kehlkopfkrebsrisikos PAK-exponierter Beschäftiger im ärztlichen Sachverständigenbeirat seit 1998 nicht mehr geprüft worden sei. Derzeit lägen hierzu keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse iSd § 9 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) vor. Im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen Prüfung eruiere der Beirat aber derzeit, ob seit 1998 neue Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft gewonnen werden konnten, insbesondere im Hinblick auf die Auffassungen von Prof. W. und N ...

Zuletzt hat das BMA mit Schreiben vomn 19.04.2004 mitgeteilt, dass der ärztliche Sachverständigenbeirat noch nicht aktiv iS der Rechtsprechung des BSG mit der Prüfung begonnen habe.

Mit Beschluss vom 12.06.2002 ist die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik wegen Betriebsüberweisung zum Verfahren beigeladen worden.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 19.01.1999 sowie des Bescheides vom 26.06.1987 zu verurteilen, die Krebserkrankung des Versicherten im Bereich des Rachenraumes als BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die Beklagte hat beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Würzburg vom 19.01.1999 zurückzuweisen.

Der durch einen Autostau an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verhinderte Bevollmächtigte der Klägerin und die im Termin anwesende Klägerin haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akten einverstanden erklärt.

Der Bevollmächtigte der Beklagten und der Beigeladenen beantragen, nach Lage der Akten zu entscheiden.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantragen.

In der Ladung zum Termin wurde auf die Möglichkeit der Entscheidung nach Aktenlage beim Ausbleiben von Beteiligten hingewiesen. Eine Verletzung des rechtlichen Gerhörs dadurch, dass der Senat die Verhandlung wegen der durch einen Autostau bedingten Nichtteilnahme des Bevollmächtigten der Klägerin am Termin nicht vertagt hat, liegt nicht vor, weil der Bevollmächtigte der Klägerin und die Klägerin einer Entscheidung nach Lage der Akten ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich zugestimmt haben.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat als Witwe des verstorbenen Versicherten keinen Anspruch auf Anerkennung der Krebserkrankung wie eine BK und Gewährung von Hinterbliebenenleistungen (§§ 551 Abs 1, 2, 589, 590 RVO).

Der Anspruch der Klägerin ist noch nach den Vorschriften der RVO zu beurteilen, da eine etwaige BK des Versicherten vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 01.01.1997 eingetreten wäre (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Unstreitig ist die beim Versicherten vorgelegene Oro-Hypopharynx-Krebserkrankung weder als solche in der BK-Liste als BK bezeichnet, noch liegt eine durch chemische oder physikalische Einwirkung verursachte Erkrankung iSd in der BK-Liste bezeichneten Stoffe vor.

Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Es sollen also nur Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten.

Selbst wenn man das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung aus § 551 Abs 1 Satz 3 RVO als erfüllt ansieht (Krankheiten, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind), kann die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit, hier des Plat- tenepithel-Carcinoms im Bereich des Oro-Hypopharynx, wie eine BK nur dann in Betracht kommen, wenn sich die diesbezüglich gewonnenen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse als "neu" iS von § 551 Abs 2 RVO erweisen. Nach dem Urteil des BSG vom 04.06.2002 - B 2 U 20/01 R; juris Nr KSRE032411522, sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dann "neu" iS von § 551 Abs 2 RVO, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch - also grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der BKV - hier Erlass der BKV - noch nicht berücksichtigt worden sind. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten BKV bzw etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BK-Liste gescheitert ist. Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzugekommenen Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben. Eine derartige Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK iS von § 551 Abs 1 Satz 2 RVO (jetzt § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) zu tragen. Ob und ggf inwieweit sich der Verordnungsgeber mit der betreffenden Krankheit und der zu ihr bestehenden wissenschaftlichen Erforschung befasst hat, kann an der Veröffentlichung von Empfehlungen des Sachverständigenbeirats im Bundesarbeitsblatt abgelesen werden. Ergibt sich bei diesen Feststellungen, dass sich der Verordnungsgeber erkennbar mit den betreffenden Erkenntnissen befasst und diese als unzureichend für die Einführung einer BK abgelehnt hat, ist die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK durch Verwaltung und Gerichte ausgeschlossen (BSG aaO; BSGE 79, 250).

Dies ist hier der Fall, da der Verordnungsgeber wenige Wochen nach In-Kraft-Treten der BKV vom 31.10.1997 und vor In-Kraft-Treten der BKV-Änderungsverordnung vom 05.09.2002 eine Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats "Lungenkrebs durch polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren" veröffentlicht hat (Bundesarbeitsblatt 1998, Heft 4, S 54 und Lauterbach/Koch, Unfallversicherung, § 9 SGB VII, RdNr 283). In der wissenschaftlichen Begründung hierzu (siehe Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, M 4110/1 S 1 ff) hält er eine Anerkennung von anderen Atemwegstumoren außer Lungenkrebs aufgrund Exposition mit PAK, insbesondere Benzo(a)pyren, nicht für zulässig. Er weist zwar in kritischer Würdigung verschiedener Studien auf wichtige Gesichtspunkte für ein erhöhtes Kehlkopfrisiko von PAK-orientierten Beschäftigten hin. Aufgrund widersprechender anderer Studienergebnisse könnte dies derzeit noch nicht als gesichert angesehen werden. Danach ist die Anerkennung und Entschädigung eines Plattenepithel-Carcinoms des Oro- und Hypopharynx wie eine BK derzeit ausgeschlossen.

Die Tatsache, dass seit 1998 diese Frage nicht mehr vom Sachverständigenbeirat geprüft wurde, wurde auch vom BMA (Schreiben vom 13.08.2002) auf Anfrage des Senats bestätigt. Neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse iS des § 551 Abs 2 RVO liegen daher nicht vor. Dies wurde nochmals durch das Schreiben des BMA vom 19.04.2004 untermauert, wonach eine Prüfung durch den Sachverständigenbeirat noch nicht aktiv iS der Rechtsprechung des BSG begonnen hat.

Prüfungen des Sachverständigenbeirats, ob seit 1998 neue Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft im Hinblick auf die Arbeiten der Prof. N. und W. gewonnen werden konnten, sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Für die Dauer des Entscheidungsprozesses sind diese etwaigen neuen Erkenntnisse einer Beurteilung durch das Gericht, ob eine Quasi-BK anzuerkennen und zu entschädigen ist, entzogen. Es tritt insoweit eine "Sperrwirkung" ein (BSG aaO; BSG vom 31.01.1984 - 2 RU 67/82; juris Nr KSRE030311105), während deren Dauer der Versicherte keine ihm positive Entscheidung über die Anerkennung einer Quasi-BK erwarten kann (Lauterbach aaO, RdNr 286). Sollte der Sachverständigenbeirat in der Zukunft zu einem positiven Ergebnis kommen, steht es der Klägerin frei, erneut Rentenantrag zu stellen.

Die Bescheide der Beklagten und das Urteil des SG Würzburg sind daher nicht zu beanstanden. Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iSd § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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