L 5 KR 115/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 177/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 115/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Februar 2003 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1999 abgeändert, soweit eine Beitragsnachforderung von 50.311,12 EUR erhoben wird.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte erstattet der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung über eine Summe von 98.400,00 DM bzw. 50.311,12 EUR.

Die Klägerin, eine am 04.02.1992 vom Alleingesellschafter M. K. gegründete GmbH, betreibt einen Baumarkt und Baustoffhandel. Der Alleingesellschafter, der seit 03.03.1997 Generalvollmacht besitzt, bestellte den Beigeladenen zu 1), einen am 24.07.1960 geborenen Bürokaufmann, mit dem er nicht verwandt oder verschwägert ist, zum Geschäftsführer der Gesellschaft. Laut Gesellschaftsvertrag ist er stets alleinvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Klägerin und Beigeladener zu 1) hatten am 30.01.1992 einen Geschäftsführervertrag geschlossen, wonach das Aufgabengebiet des Geschäftsführers die selbständige und eigenverantwortliche Tätigkeit der Firma umfasst. Für beide Teile gelte eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Wirtschaftsjahres, der Beigeladene zu 1) verpflichte sich, seine gesamte Arbeitskraft dem Betrieb zu widmen und erhalte ein Gehalt von 10.000,00 DM, womit 250 Stunden Arbeitszeit abgegolten seien. Anfallende weitere Arbeitsstunden würden mit 40,00 DM je Stunde abgerechnet. Es bestehe kein Anspruch auf Weihnachtsgratifikation, auf bezahlten Urlaub oder auf Lohnfortzahlung.

Nach einer Betriebsprüfung am 30.04.1998 betreffend den Zeitraum vom 01.01.1994 bis 31.12.1997 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 02.10.1998 die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) und eine Beitragsforderung in Höhe von 99.029,14 DM fest. Sie berief sich hierbei auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.08.1973. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.1999 zurückgewiesen.

Mit der Klage vom 15.03.1999 hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 02.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 begehrt, soweit Beiträge in Höhe von 98.400,00 DM (= 50.311,12 EUR) nachgefordert werden. Der Beigeladene zu 1) sei kein versicherungspflichtiger Beschäftigter, da er nicht in den Betrieb der GmbH eingegliedert und hinsichtlich Ort und Art der Arbeitsausführung keinerlei Weisungen unterlegen sei. Die Tätigkeiten habe er häufig zu Hause und außerhalb der normalen Geschäftszeiten erledigt. Gegenüber den weiteren Mitarbeitern der Klägerin sei er weisungsbefugt gewesen, ohne an Maßgaben des Alleingesellschafters gebunden gewesen zu sein. Er habe von Beginn an keinerlei fremdbestimmte, sondern ausschließlich autonome Arbeit geleistet. Entgegen dem Geschäftsführervertrag sei er auch nicht verpflichtet gewesen, seine gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Er habe während seiner Tätigkeit für die Klägerin auch für andere Unternehmen der gleichen Branche gearbeitet.

Der Geschäftsführervertrag sei in Absprache mit Herrn F. von der DAK so gestaltet worden, dass der Beigeladene zu 1) als freier Mitarbeiter tätig sein konnte.

Am 27.08.2002 ist der Steuerberater des Alleingesellschafters der Klägerin, Herr P. , Bilanzbuchhalter, als Zeuge einvernommen worden. Dieser hat angegeben, Herrn Albert F. von der DAK den Geschäftsführervertrag zugefaxt und davor drei- bis viermal mit diesem telefoniert zu haben. Hintergrund sei gewesen, dass der Beigeladene zu 1) zunächst als Arbeitnehmer angemeldet worden war. Auf Betreiben des Beigeladenen zu 1), der sich wegen des Ausschlusses von Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüchen nicht für einen typischen Arbeitnehmer gehalten habe, sei mit der DAK Kontakt aufgenommen worden. Herr F. habe nach Prüfung des Vertrages gesagt, der Beigeladene zu 1) sei kein Arbeitnehmer, es bestehe keine Versicherungspflicht für den Beigeladenen zu 1). Daraufhin sei die Anmeldung wieder storniert worden.

Herr A. F. , Bezirksgeschäftsführer der DAK in G. , dem aus den Gesprächen im Jahr 1992 keine Aufzeichnungen vorliegen, ist ebenfalls als Zeuge gehört worden. Er hat sich noch daran erinnert, mit Herrn P. wegen der Frage telefoniert zu haben, ob der Geschäftsführer der Klägerin Arbeitnehmer ist oder nicht. Ob ihm der Geschäftsführervertrag zugefaxt worden sei, wisse er nicht mehr. Aufgrund des mitgeteilten Vertragsinhalts habe für ihn aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Versichertenberater der BfA eindeutig festgestanden, dass keine Versicherungspflicht bestanden habe. So habe er sich auch gegenüber Hern P. geäußert.

Der Alleingesellschafter und der Beigeladene zu 1) haben ergänzend erklärt, wenn sie von einer notwendigen Beteiligung des Geschäftsführers in der Gesellschaft gewusst hätten, um die Selbständigkeit zu gewährleisten, wäre eine derartige Vereinbarung gewählt worden.

Nach einer weiteren mündlichen Verhandlung am 25.02.2003 hat das Sozialgericht Augsburg die Klage auf Feststellung, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer für die Klägerin nicht versicherungspflichtig ist, hilfsweise Schadenersatz in Höhe von 50.311,12 EUR zu leisten ist, abgewiesen. Entsprechend höchstrichterlicher Rechtsprechung sei bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH regelmäßig von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Der Beigeladene zu 1) habe kein Unternehmerrisiko getragen, habe gemäß § 37 Abs.1 GmbH-Gesetz die Beschlüsse der Gesellschafter zu beachten gehabt und habe außerdem der Überwachung gemäß § 46 Nr.6 GmbH-Gesetz unterlegen. Nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung überwögen die Merkmale der abhängigen Beschäftigung. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei abzulehnen, da es mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar sei, den Gesellschaftsvertrag rückwirkend so zu verändern, dass der Beigeladene zu 1) Mitgesellschafter für den streitigen Beitragszeitraum werde.

Gegen das der Klägerin am 13.05.2003 zugestellte Urteil hat diese am 16.05.2003 Berufung eingelegt.

Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass Herr F. bereits 1992 Bezirksgeschäftsführer der Beigeladenen zu 2) und als solcher für Innen- und Außendienst verantwortlich gewesen ist. Die Beigeladene zu 2) hat eingeräumt, es sprächen keine Gründe dagegen, den einzelfallbezogenen Äußerungen des Bezirksgeschäftsführers im Jahr 1992 Regelungscharakter zuzusprechen. Demgegenüber hat die Beklagte der Beratung mit Herrn P. hoheitlichen Charakter abgesprochen und den Verdacht geäußert, Herr F. habe der Klägerin in der Absicht zur Seite gestanden, die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Deswegen sei auch kein schriftlicher Bescheid erteilt worden. Eine Schadensersatzforderung gegenüber der Beigeladenen zu 2) werde geprüft.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.10.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und weitgehend begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2003 und der Bescheid der Beklagten vom 02.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 sind abzuändern, soweit darin eine Beitragsnachforderung in Höhe von 50.311,12 EUR erhoben wurde. Die zugrunde liegende Feststellung, der Beigeladene zu 1) sei vom 01.01.1994 bis 31.12.1997 zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, ist rechtswidrig.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beigeladene zu 1) im strittigen Zeitraum als Fremdgeschäftsführer abhängig beschäftigt war, wie dies die Beklagte und das Sozialgericht beurteilen.

Jedenfalls steht einer Beitragsnachforderung die Bestandskraft der von der Beigeladenen zu 2) getroffenen Regelung aus dem Jahr 1992 entgegen. Die Beigeladene zu 2) hat entgegen der Annahme der Beteiligten und des Sozialgerichts 1992 nicht nur eine falsche Auskunft erteilt, sondern eine Einzelfallregelung getroffen, die Bestandskraft entfaltet.

Gemäß § 28h Abs.2 Satz 1 SGB IV entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Beigeladene zu 2) war 1992 die zuständige Einzugsstelle, da sie für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 1) zuständig war. An diese hat sich die Klägerin über ihren Steuerberater P. gewandt und um Beurteilung der sozialrechtlichen Verhältnisse des Beigeladenen zu 1) gebeten. Wie die Zeugen P. und F. übereinstimmend ausgesagt haben, hat die Beigeladene zu 2) nach der Prüfung des Geschäftsführervertrages festgestellt, dass für den Beigeladenen zu 1) keine Versicherungspflicht besteht. Damit hat die Beigeladene zu 2) nicht nur eine abstrakte Beurteilung eines Geschäftsführervertrages vorgenommen oder eine unverbindliche Auskunft erteilt, sondern einen Verwaltungsakt erlassen.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X). Demgegenüber handelt es sich bei der Auskunft um eine "Wissenserklärung", die sich in der Mitteilung des Wissens erschöpft und sich vom Verwaltungsakt durch das Fehlen eines Regelungswillens unterscheidet. Es fehlt der Verpflichtungswille, weil die Auskunft nicht auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Diese Auslegung, ob ein Verwaltungsakt erlassen werden sollte, richtet sich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen. Dabei ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere den Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte (BSG, Urteil vom 08.12.1993 in SozR 3-1300 § 34 Nr.2). Die Telefonate des Herrn P. als Bevollmächtigten der Klägerin mit Herrn F. , dem Angestellten der Beigeladenen zu 2), fanden zum Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin statt. Es ging um die Frage, ob der Beigeladene zu 1) anzumelden bzw. die Anmeldung zu stornieren war. Wenn Herr F. daher in Kenntnis des Geschäftsführervertrages die Aussage getroffen hat, es bestehe keine Versicherungspflicht, durfte die Klägerin dies dahin verstehen, dass im konkreten Einzelfall keine Meldung zu erfolgen hatte. Sie durfte diese Erklärung als verbindlich betrachten. Davon geht auch die erlassende Behörde, die Beigeladene zu 2), aus. Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden (§ 33 Abs.2 Satz 1 SGB X).

Die Bindungswirkung dieses Bescheides hat zur Folge, dass eine entgegenstehende Feststellung erst mit Wirkung für die Zukunft getroffen werden kann. Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, so- lange er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs.2 SGB X). Selbst wenn der streitgegenständliche Bescheid vom 02.10.1998 eine Aufhebung des mündlichen Verwaltungsaktes beinhalten sollte - mangels Kenntnis der Entscheidung der Beigeladenen zu 2) konnte die Beklagte keinen entsprechenden Gestaltungswillen haben -, kann die Aufhebung nur Wirkung für die Zukunft entfalten. § 45 SGB X gilt auch für feststellende Verwaltungsakte (von Wulffen, SGB X, 4. Auflage, § 45 Rz.2). Bei dem feststellenden Bescheid handelte es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne dieser Vorschrift, da mit ihm offensichtliche wirtschaftliche Vorteile verbunden waren. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, rechtswidrig ist, darf er nur unter Einschränkungen mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs.1 SGB X). Nur in den Fällen von Abs.2 Satz 3 und Abs.3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs.4 Satz 1 SGB X). Weil keiner dieser Tatbestände gegeben ist, genießt die Klägerin Vertrauensschutz. Ob Herrn F. schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann, hat keine entscheidungserhebliche Bedeutung.

Aus diesen Gründen waren das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.02.2003 und der Bescheid der Beklagten vom 02.10.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1999 aufzuheben, soweit darin eine Nachforderung in Höhe von 50.311,12 EUR erhoben wurde. Die Differenz zur geringfügig höheren Forderung im Ausgangsbescheid betrifft andere Arbeitnehmer der Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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