L 4 B 62/04 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 300/03 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 62/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
BI. Die Beschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Würzburg vom 8. Januar 2004 werden zurückgewiesen.
III. Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird nicht bewilligt.
IV. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Versorgung des Antragstellers mit einer ambulanten neuropsychologischen Therapie bei dem Dipl.-Psychologen M ...

Der 1943 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin versichert. Er leidet an einem organischen Psychosyndrom, einer rechtsbetonten schlaffen Tetraparese, Dysphagie, Anarthrie und Aphonie. Dies bedingt bei ihm verbale und visuelle Gedächtnisstörungen, Störungen bei der Orientierung, Aufmerksamkeit und der Exekutivfunktionen. Der Antragsteller befand sich vom 03.07. bis 01.09.2003 in stationärer neurologisch-neurochirurgisch-frührehabilitativer Behandlung in der neurologischen Klinik Bad N ... Dort wurde eine weitere neurophysiologische Behandlung für zwingend notwendig gehalten, ergotherapeutische Behandlung würde bei weitem nicht ausreichen. Der Antragsteller hat sich nach dem Klinikaufenthalt bei dem Dipl.-Psych. G. M. zur ambulanten neurophysiologischen Weiterbehandlung angemeldet. Die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Kostenübernahme dieser Behandlung mit Bescheid vom 14.10.2003 abgelehnt. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, die nach den vorliegenden Erkenntnissen und ärztlichen Aussagen nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Kenntnisse entspreche. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2003 zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat am 04.12.2003 beim Sozialgericht Würzburg beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine neuropsychologische Behandlung durch das Zentrum für klinische Neuropsychologie (Dipl.-Psych. G. M.) zunächst für die Dauer von mindestens 25 Behandlungsstunden zu übernehmen. Die fehlende Anerkennung der Therapie durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sei ein Systemversagen, da der Arbeitsausschuss "Psychotherapie" des Bundesausschusses im Jahr 2000 die Befassung mit der Therapieform der Neuropsychologie mit der Begründung abgelehnt habe, der wissenschaftliche Beirat habe die Anerkennung nach dem Psychotherapeutengesetz mangels Wirksamkeitsnachweis verneint. Die nachgewiesene Wirksamkeit der Neuropsychologie für Fälle wie dem vorliegenden werde er vom wissenschaftlichen Beirat in einer Stellungnahme aus dem Jahre 2000 ausdrücklich bestätigt. Auf einen entsprechenden Antrag vom Juli 2003 habe sich der gemeinsame Bundesausschuss erneut mit der Überprüfung der Behandlungsmethode befasst, aber noch keine Entscheidung gefällt. Die Verzögerung von mehr als drei Jahren sei eine Systemstörung. Der Antragsteller sei derzeit auf die Durchführung der Behandlung angewiesen und könne nicht warten, bis der Bundesausschuss in ferner Zukunft entscheiden werde. Der Antragsteller hat außerdem Prozesskostenhilfe beantragt.

Die Antragsgegnerin hat in der Stellungnahme vom 12.12.2003 darauf hingewiesen, dass weder in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) noch in den Richtlinien über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinien) die neuropsychologische Behandlung als Behandlungsverfahren anerkannt werde. Ein Systemmangel sei nicht ersichtlich, es sei erstmals am 08.07.2003 ein Antrag auf Bewertung durch den Bundesausschuss gestellt worden. Der zuständige Arbeitsausschuss "Psychotherapie-Richtlinien" habe sich im Jahre 2000 eigeninitiativ mit der Beurteilung der neuropsychologischen Therapie durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie beschäftigt. Der Bundesausschuss habe hierzu festgestellt, dass der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie im Gutachten der neuropsychologischen Therapie keine Anerkennung als Therapieverfahren ausgesprochen habe. Damit entfalle die Voraussetzung zur weiteren Prüfung auf Anerkennung der Neuropsychologie als innerhalb der Psychotherapie-Richtlinien anerkanntes Verfahren durch den Bundesausschuss bwz. den von ihm eingesetzten Arbeitsausschuss.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 04.12.2003 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Aufgrund der hier zulässigen summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass keine Verpflichtung der Antragsgegenerin bestehe, beim Antragsteller die Kosten für die Durchführung einer Neuropsychologischen Therapie durch das Zentrum für klinische Neuropsychologie zu übernehmen. Es könne offen bleiben, ob die neuropsychologische Therapie als ärztliche Behandlung, als psychotherapeutische Behandlung oder als Heilmittel zu qualifizieren sei. Wegen offensichtlicher Abgrenzungsschwierigkeiten hätten sich die Arbeitsausschüsse "Psychotherapie-Richtlinien" und "Heil- und Hilfsmittel" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen mit der Therapie befasst. In allen genannten Erscheinungsformen sei jedoch die Leistungspflicht der Antragsgegnerin ausgeschlossen, da es sich um eine neue Behandlungsform und -methode handele. Neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen bzw. ab 01.01.2004 der gemeinsame Bundesausschuss u.a. Empfehlungen abgegeben habe über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung. Auch wenn der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der Bundesärztekammer in dem Gutachten vom 06.08.2000 die neuropsychologische Therapie teilweise anerkannt habe, sei zu berücksichtigen, dass in den "Psychotherapie-Richtlinien" diese Therapie ausdrücklich nicht enthalten sei. In der Anlage I zu diesen Richtlinien sei eine entsprechende Feststellung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nicht enthalten. Auch als Heilmittel könne die neuropsychologische Therapie derzeit nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. In den "Heilmittel-Richtlinien" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen würden Maßnahmen der Ergotherapie im Zusammenhang mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems als Hirnleistungstraining/neuropsychologisch-orientierte Behandlung bezeichnet. Von ihren Vertretern werde die neuropsychologische Therapie jedoch nicht als Ergotherapie, sondern als eigenständiges Therapieverfahren aufgefasst. Bis zur Anerkennung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen dürften jedoch neue Heilmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erbracht werden. Die bisher fehlende Anerkennung der Therapieform sei kein Systemmangel. Weder habe der wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der Ärztekammer eine umfassende Anerkennung der neuropsychologischen Therapie vorgenommen, noch könne aus der Zeit von der Vorlage des Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie der Bundesärztekammer vom 08.06.2000 bis zur Einleitung eines Verfahrens des Arbeitsausschusses Psychotherapie-Richtlinien im Jahr 2000 bzw. des Arbeitsausschusses Heil- und Hilfsmittel sowie erneut Psychotherapie-Richtlinien am 08.07.2003 ein Systemmangel hergeleitet werden. Es liege bisher lediglich ein partieller Wirksamkeitsnachweis der Behandlungsmethode vor, der nicht derart zwingend sei, dass eine auch in Teilbereichen positive Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorweg nehmen könne. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die streitige Therapie nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit darstelle. Dem Antragsteller stehe ein anerkanntes Heilmittel der Ergotherapie in Form des Hirnleistungstrainings/neuropsychologisch fundierte Behandlung zur Verfügung, das jetzt schon zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung zähle.

Das Sozialgericht hat mit weiterem Beschluss vom 08.04.2004 Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht des zugrundeliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

Der Antragsteller hat gegen beide Beschlüsse am 28.01.2004 Beschwerde eingelegt und für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe beantragt. Andere Sozialgerichte hätten ein Systemversagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen angenommen und vorläufigen Rechtsschutz gewährt sowie Prozesskostenhilfe bewilligt. Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts handele es sich nicht um ein Heilmittel, sondern um eine Behandlungsmethode, die durch Psychologen angewandt werde, die über eine entsprechende Qualifikation verfügen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschlüsse des Sozialgerichts Würzburg vom 08.01.2004 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für eine neuropsychologische Therapie durch das Zentrum für klinische Neuropsychologie (Dipl.-Psych. M.) zu übernehmen (mindestens für 25 Stunden) und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für das Verfahren der ersten und zweiten Instanz zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen in der Vorinstanz.

Beigezogen wurden die Akten der Antragsgegnerin und des Sozialgerichts, auf deren Inhalt im übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden, denen das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§§ 172, 173, 174 SGG) sind zulässig. Sie werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 113 Abs. 1 SGG).

Die Beschwerden sind unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung im beantragten Umfang abgelehnt und Prozesskostenhilfe nicht gewährt.

Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnisses zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten der einstweiligen Anordnungen setzen einen Anordnungsanspruch - dies ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht - und einen Anordnungsgrund voraus, der insbesondere in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung besteht. Diese Voraussetzungen sind, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden und eingehend begründet hat, nicht erfüllt.

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zulässigen summarischen und pauschalen Prüfung der Rechtslage hat der Antragsteller unter keinem rechtlichen Aspekt Anspruch auf Erstattung bzw. künftige Übernahme der Kosten für die neuropsychologische Therapie durch das Zentrum für klinische Neuropsychologie (Dipl.-Psych. M.). Soweit das Sozialgericht in diesem Zusammenhang ein Systemversagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (ab 01.01.2004 gemeinsamer Bundesausschuss) verneint hat, hält der Senat diese Ausführungen für zutreffend und weist die Beschwerde aus den selben rechtlichen und tatsächlichen Gründen zurück. Insofern wird gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Der Senat nimmt auf die ausführliche Begründung des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss Bezug.

Zur Systemstörung sei noch ergänzend ausgeführt, dass der Senat auch in Kenntnis des Beschlusses des Bundessozialgerichts vom 19.03.2004 (1 BvR 131/04) im vorliegenden Fall keine weiteren Aufklärungspflichten im Anordnungsverfahren sieht. Die Tatbestände sind nicht vergleichbar. Beim hiesigen Antragsteller handelt es sich zwar auch um eine schwere Krankheit, nicht aber um eine seltene Krankheit. Behandlungsmöglichkeiten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind gegeben. Hinzuweisen ist auf die in den Heilmittelrichtlinien enthaltene Behandlung Hirnleistungstraining/neuropsychologisch orientierte Behandlung.

Damit fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, da der Antragsteller diese Therapie von einem zugelassenen Ergotherapeuten erhalten kann. Der Behandlungsanspruch beschränkt sich auf eine ausreichende, zweckmäßige Behandlung, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf (§ 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Welche Behandlung im Einzelfall in Frage kommt, wird allgemein durch die einschlägigen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen geregelt, die Bestandteil der Bundesmantelverträge sind und damit das Leistungsspektrum im Einzelnen bestimmen, sowie die Leistungskonkretisierung des Vertragsarztes im jeweiligen Behandlungsfall.

Die Beschwerde ist damit auch insoweit unbegründet, als der Antragsteller Prozesskostenhilfe für den vorläufigen Rechtsschutz im Sozialgerichtsverfahren beantragt hat. Es fehlt an einer hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO). Wegen fehlender Erfolgsaussicht ist Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO nicht zu gewähren.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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