L 6 R 126/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 848/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 126/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Februar 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Februar 2003 zu leisten.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1943 geborene Klägerin hat in der Zeit vom 01.08.1957 bis 31.07.1960 den Beruf des Kaufmannsgehilfen erlernt. Anschließend war sie bis zur Geburt ihres ersten Kindes in diesem Beruf tätig. Die dafür entrichteten Pflichtbeiträge zur Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wurden ihr nach ihren Angaben erstattet. Nach einer Unterbrechung ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit wegen Kindererziehung nahm sie 1983 eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Zeitungsausträgerin an und hat von 01.07.1983 bis 31.03.2003 lückenlos Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet. Nach ihren Angaben hat die Tätigkeit als Zeitungsausträgerin etwa drei Stunden täglich in Anspruch genommen. Ferner hat sie zeitweise halbtags in der häuslichen Altenpflege gearbeitet.

Am 02.07.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Arzt für Allgemeinmedizin Dr.L. untersuchen und ihre Erwerbsfähigkeit begutachten. In seinem Gutachten vom 20.07.2001 stellte dieser als Gesundheitsstörungen chronisch wiederkehrende Verwachsungsbeschwerden am Unterbauch nach mehrmaligen operativen Eingriffen, ein chronisch degeneratives Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom sowie wiederkehrende wechselnde Gelenkbeschwerden und Übergewicht fest. Mit Rücksicht darauf sei die Klägerin noch zu körperlich leichten bis mittelschweren Arbeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr täglicher Arbeitszeit in der Lage. Ihre letzte Tätigkeit als Zeitungsausträgerin sei ihr nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich zumutbar. Die Beklagte lehnte darauf mit Bescheid vom 31.07.2001 den Rentenantrag ab. Es lägen bei der Klägerin weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) vor und auch keine Berufsunfähigkeit. Sie habe daher keinen Rentenanspruch.

Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 05.11. 2001 zurück.

Dagegen hat die Klägerin zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Gutachten zum beruflichen Leistungsvermögen der Klägerin von Dr.G. eingeholt, der in seinem schriftlichen Gutachten vom 08.04.2002 als Gesundheitsstörungen ein Halswirbelsäulen- sowie ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen, eine Trochantertendopathie rechts und Verschleißerscheinungen an den Kniegelenken und der rechten Kniescheibe festgestellt hat. Die Klägerin sei mit Rücksicht darauf noch zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von sechs Stunden und mehr täglich mit leichten Arbeiten in der Lage.

Auf den Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat Prof.Dr.F. , Chefarzt an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik R. am 14.07.2003 ein Gutachten zum beruflichen Leistungsvermögen der Klägerin auf Grund einer persönlichen Untersuchung der Klägerin vom 08.01.2003 erstattet. Darin hat er als Gesundheitsstörungen von Seiten seines Fachgebietes eine Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent und in Remission, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptom bzw. chronische Major Depression, mittelschwer, festgestellt. Mit Rücksicht darauf seien der Klägerin nicht einmal mehr drei Stunden täglicher Erwerbstätigkeit möglich. Nach den anamnestischen Angaben der Klägerin liege dieses Leitungsvermögen bereits seit ungefähr zwei Jahren vor. Eine begründete Aussicht, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sich in absehbarer Zeit durch Behandlung bessern würde, bestehe nicht.

Dagegen wendet sich Dr.W. in ihrer fachpsychiatrischen, psychologischen Stellungnahme für die Beklagte vom 10.11.2003. Die sozialmedizinische Leistungseinschätzung des Prof.Dr.F. sei auf der Grundlage der Vorgutachten, Vorgeschichte und Behandlungsanamnese in keiner Weise nachvollziehbar, schlüssig und validiert. Es seien im Rentenverfahren keine erheblichen und schweren seelischen Behinderungen festgestellt worden, die zu einer quantitativen Minderung des Leistungsvermögens führten. Sie bleibe daher bei der bisher getroffenen sozialmedizinischen Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin und halte eine Tätigkeit von sechs Stunden und mehr mit leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes für zumutbar.

Das Sozialgericht hat darauf ein weiteres nervenärztliches-sozialmedizinisches Gutachten von Dr.H. eingeholt, das dieser am 10.12.2003 erstattet hat. Zusammenfassend hat er als Gesundheitsstörungen allenfalls eine Dysthymie diagnostiziert, worunter eine chronisch depressive Verstimmung verstanden werde, die nach Schweregrad und Dauer nicht die Kriterien einer leichten oder gar mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung erfülle. Nach dem heutigen Befund sei nicht einmal eine leichte depressive Episode zu diagnostizieren. Eine zeitliche Leistungsminderung sei deshalb nicht begründbar. Es ergäben sich lediglich gewisse funktionelle Leistungseinschränkungen auf Grund des Lebensalters der Klägerin.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.02.2004 abgewiesen. Seine Entscheidung hat es insbesondere auf die Beurteilungen des beruflichen Leistungsvermögens durch Dr.H. gestützt. Angesichts ihrer zuletzt nachhaltig und vollwertig ausgeübten Tätigkeit der Zeitungsausträgerin sei die Klägerin höchstens den Arbeitnehmern mit der Qualifikation eines einfach angelernten Arbeitnehmers zuzuordnen und damit auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht aller einfachster Art verweisbar. Angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit bestehe daher kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung und auch nicht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr.F. insbesondere zu den Äußerungen von Dr.W. vom 10.11.2003 und im Gutachten von Dr.H. vom 10.12.2003 eingeholt. Darin führt der ärztliche Sachverständige im Einzelnen aus, weshalb er abweichend von den Dres. W. und H. zu einer schwerwiegenden Diagnose gekommen sei und diese die von ihm getroffene quantitative Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin begründe. Es bestehe bei der Klägerin ein schwer ausgeprägtes, komorbid psychosomatisches Krankheitsbild, das es der Klägerin unmöglich mach,e eine regelmäßige berufliche Erwerbstätigkeit auch nur von wenigen Stunden täglich auszuüben. Die bei der Klägerin bestehenden Beschwerden seien von den Dres. W. und H. medizinisch falsch zugeordnet worden, was deren Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens erkläre.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 10.02.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.02.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Beigezogen waren die Akten der Beklagten und die des Sozialgerichts Augsburg auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der Berufungsakte zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und entsprechend dem am Schluss der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auch begründet, weil sie ab 01.02.2003 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Für den Zeitraum bis Januar 2003 hat die Klägerin durch die Beschränkung ihres Antrags die Berufung nicht mehr aufrecht erhalten, weil die entscheidende Änderung ihres beruflichen Leistungsvermögens auf Grund ihres Gesundheitszustandes auch nach der Überzeugung des Senats erst durch die am 08.01.2003 durchgeführte Untersuchung in der Medizinisch-psychosomatischen Klinik R. nachgewiesen ist. Seit diesem Zeitpunkt ist die Klägerin nicht mehr zu einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit, auch nicht von bis zu drei Stunden täglich, in der Lage. Dies ergibt sich aus dem für den Senat überzeugenden eingehenden Gutachten des Prof.Dr.F. , dessen Leistungsbeurteilung auch nicht durch die Ausführungen der Dres. W. und H. infrage gestellt wird. Abgesehen davon, dass die Ausführungen von Dr.W. nicht geeignet sind die Beurteilungen von Prof.Dr.F. zu erschüttern, widerlegen auch die Ausführungen des Dr.H. nicht die von Prof.F. getroffene Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin. Insoweit erscheint dem Senat das Gutachten des Dr.H. den Beschwerden der Klägerin nicht gerecht zu werden und damit zumindest oberflächlich. Überzeugend weist Prof. Dr.F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 07.09.2004 darauf hin, dass Dr.H. sowie die übrigen Vorgutachter das Beschwerdebild der Klägerin diagnostisch falsch eingeordnet haben und deshalb deren divergierende Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin folgerichtig zu erklären ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die diagnostische Einordnung des Beschwerdebildes durch diese Gutachter für den Senat nicht nachvollziehbar und damit deren Beurteilung auch nicht begründet erscheint.

Der Senat ist daher zur Ansicht gelangt, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch Prof.F. im Januar 2003 deren berufliche Leistungsvermögen soweit gesunken war, dass zu diesem Zeitpunkt der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung auch begründet ist. Wenn Prof.Dr.F. in seinem Gutachten ausführt, dass der Gesundheitszustand wahrscheinlich bereits seit zwei Jahren in der gleichen Weise vorgelegen habe, mit der Folge, dass seine Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens bereits für den Zeitraum ab Rentenantragstellung gelte, so erscheint dies dem Senat nicht in einer den Vollbeweis begründeten Weise nachgewiesen. Prof.Dr.F. führt selbst aus, dass das Krankheitsbild der Klägerin wechselhaft gewesen sei und kann einen genauen Zeitpunkt nicht benennen, ab wann insbesondere eine irreversible Chronifizierung der Krankheitswert soweit gediehen war, dass eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens bei der Klägerin begründet werden könnte. Eine den Rentenanspruch begründende zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens ist damit erst zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr.F. als in einer Weise wahrscheinlich gemacht, dass ihr Vorliegen nicht bezweifelt werden konnte, was auch die Klägerin so gesehen hat.

Auf die Berufung der Klägerin war daher das Urteil des Sozialgerichts Augsburg sowie die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin - ab dem Folgemonat des Eintretens des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung - dem 01.02.2003, Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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