L 13 R 4244/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RA 4/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 4244/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 74/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. September 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der 1938 geborenen Klägerin auf Altersrente für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1998.

Mit Schreiben vom 14. Januar 1999 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei der Landesversicherungsanstalt Niederbayern/Oberpfalz (LVA) für die Klägerin eine Altersrente für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 39 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung (a.F.).

Die LVA leitete den Antrag an die Beklagte als zuständigen Rentenversicherungsträger weiter. Diese bewilligte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 15. Juni 1999 die beantragte Altersrente ab 1. Januar 1999.

Dagegen erhoben die Prozessbevollmächtigten Widerspruch mit der Begründung, die Anspruchvoraussetzungen für die begehrte Altersrente seien bereits seit Mai 1998 erfüllt, die Beklagte habe es jedoch schuldhaft versäumt, die Kläger rechtzeitig zur Rentenantragstellung aufzufordern. Sie sei daher im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie fristgerecht für einen Rentenbeginn zum 1. Juni 1998 Rentenantrag gestellt.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 9. Dezember 1999). Sie sei weder nach § 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) noch nach § 115 Abs. 6 SGB VI verpflichtet gewesen, die Klägerin ohne konkretes Beratungsbegehren vor Vollendung des 60. Lebensjahres auf eine mögliche Antragstellung nach § 39 SGB VI (a.F.) hinzuweisen. Die Möglichkeit zur Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrente könne nicht allein auf Grund des Versicherungskontos eines Versicherten und der Vollendung des 60. Lebensjahres festgestellt werden.

Die dagegen am 11. Januar 2000 zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 17. September 2002). Das SG hat ausgeführt, die Klägerin habe gemäß § 99 SGB VI lediglich Anspruch auf Rente ab Januar 1999. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme nicht in Betracht, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, die Klägerin auf ein mögliches Antragsrecht nach § 237a SGB VI (richtig: § 39 SGB VI a.F.) hinzuweisen.

Gegen das am 9. Oktober 2000 zugestellte Urteil haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11. November 2002 (Eingang beim SG) Berufung eingelegt mit der Begründung, die Beklagte sei gemäß § 115 Abs. 6 SGB verpflichtet gewesen, die Klägerin rechtzeitig vor Vollendung des 60. Lebensjahres auf ihr Antragsrecht nach § 39 SGB VI SGB VI (a.F.), die rechtlichen Folgen einer solchen Antragstellung und alternative Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme von Altersrente, hinzuweisen. Dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für die bewilligte Altersrente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres erfüllt habe, sei aus dem Versicherungskonto ersichtlich gewesen. Die Vertretung der Klägerin durch einen Rechtsanwalt entlaste die Beklagten nicht von ihrer Beratungspflicht. Jedenfalls sei der Klägerin die Altersrente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf Grund des Antrags vom 15. Januar 1999 bereits ab 1. November 1998 zu gewähren, da die Anspruchsvoraussetzungen auch im Oktober 1998 bereits erfüllt gewesen seien.

Im Rahmen eines Erörterungstermins gab die Klägerin an, sie habe ihre Prozessbevollmächtigten bereits mit einem Schreiben vom 23. Februar 1998 beauftragt, für sie bei der Beklagten einen Antrag auf Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres zu stellen.

Zwischen der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten ist vor dem Landgericht Landshut (Aktenzeichen 44 O 2255/02) ein Rechtsstreit bezüglich der durch die verspätete Antragstellung entgangenen Rentenzahlungen für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1998 anhängig.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG vom 17. September 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1999 zu verurteilen, ihr Altersrente für Frauen bereits ab 1. Juni 1998, hilfsweise ab 1. November 1998, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, des SG und des Landgerichts L. beigezogen. Zu Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen (Zahlungs)Anspruch auf Altersrente für Frauen nach § 39 SGB VI (a.F.) für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1998. Zwar erfüllt die Klägerin, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit Mai 1998 (Vollendung des 60. Lebensjahres) die Voraussetzungen für die begehrte Altersrente, doch wurden monatliche Zahlungen aus diesen Stammrecht erst mit dem Rentenantrag vom 15. Januar 1999 und somit nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt, indem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Bei späterer Antragstellung ist eine Rente aus eigener Versicherung erst von dem Kalendermonat an zu leisten, in dem die Rente beantragt wird, hier ab 1. Januar 1999 (Satz 2 a.a.O.).

Eine Rentenzahlung ab 1. November 1998 kommt nicht in Betracht. Zwar räumt das Gesetz dem Versicherten die Möglichkeit ein, den frühesten Zahlungsbeginn (im Sinne der Entstehung des ersten monatlichen Zahlungsanspruchs) einer Altersrente durch entsprechend späte Antragstellung oder eine in die Zukunft gerichtete Erklärung selbst zu bestimmen. § 99 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB VI stellt aber für die Fristberechnung auf den Monat ab, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erstmals (im Sinne der Entstehung des Stammrechts) erfüllt waren (vgl. BSG SozR 3-2600 § 100 Nr. 1).

Die Klägerin ist auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie die Antragsfrist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eingehalten. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass - der Anspruchsteller ein bestimmtes soziales Recht (oder ein bundesgesetzlich ausgestaltetes Verfahrensrecht) innehat (oder innegehabt hat), das sich gerade gegen den Leistungs träger richtet, von dem er Herstellung begehrt, - er in diesem sozialen Recht dadurch beeinträchtigt worden ist, dass der verpflichtete Leistungsträger durch ein ihm so zialrechtlich zuzurechnendes rechtswidriges Verhalten (Ein griff, Behinderung oder Unterlassen einer gebotenen Förde rung) eine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem jeweiligen Sozi alrechtsverhältnis verletzt hat, die ihm gerade gegenüber dem Anspruchsteller zum Schutz des Rechts oblag und - die Pflichtverletzung die wesentliche, d.h. zumindest gleichwertige Bedingung dafür gewesen ist, dass das beein trächtigte Recht (ggf. für den jeweiligen Zeitraum) dem Rechtsinhaber nicht, nicht mehr oder nicht in dem vom Primär recht bezweckten Umfang zusteht.

Allein aus der Verletzung einer Nebenpflicht (hier: Hinweis auf ein Antragsrecht wegen Vollendung des 60. Lebensjahres) kann somit nicht bereits auf die Entstehung eines Herstellungsrechts geschlossen werden. Es muss im Einzelfall im Sinne des Vollbeweises feststehen, dass sie (als zumindest gleichwertige Bedingung) auch kausal für die Beeinträchtigung des sozialen Rechts (oder Verfahrensrechts) gewesen ist (vgl. BSGE 91, 1).

An einer solchen Kausalität fehlt es hier. Die Klägerin macht geltend, sie sei von der Beklagten nicht rechtzeitig und umfassend über ihr Antragsrecht, die (renten)versicherungsrechtlichen Folgen einer Antragstellung und alternative Gestaltungsmöglichkeiten (insb. eine spätere Inanspruchnahme der Altersrente) informiert worden. Unterstellt, die Beklagte sei vor Vollendung des 60. Lebensjahres zu einer solchen Beratung der Klägerin verpflichtet gewesen und habe gegen diese aus dem Sozialversicherungsverhältnis erwachsende Nebenpflicht objektiv verstoßen, war dieser Pflichtenverstoß keine wesentliche Bedingung für die verspätete Antragstellung. Auf Grund der von der Klägerin erst im Berufungsverfahren mitgeteilten Tatsache, dass sie ihre Prozessbevollmächtigten bereits mit Schreiben vom 23. Februar 1998 beauftragt hat, für sie "Rente zum 60. Lebensjahr", also eine vorgezogene Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahr, zu beantragen, steht fest, dass der Klägerin ihr Antragsrecht unabhängig von einer Beratung durch die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt und bewusst war und sie ihr Recht auf Altersrente ab Juni 1998 in Anspruch nehmen wollte. Dass die Antragstellung durch die gerichtsbekannt im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung versierten Prozessbevollmächtigten dennoch nicht rechtzeitig vor Vollendung des 60. Lebensjahres (am 10. Mai 1998) bzw. vor Ablauf der Dreimonatsfrist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (am 31. August 1998) erfolgt ist, beruht ebenfalls nicht auf einer fehlenden Beratung oder einer sonstigen schuldhaften Pflichtverletzung seitens der Beklagten. Laut Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 12. Januar 1999 wurde der Antrag von diesen ohne Rücksprache mit der Klägerin und ohne Kontakt zur Beklagten bewusst nicht gestellt, weil die Prozessbevollmächtigten der Ansicht waren, die Klägerin erfülle erst bei einem (frühesten) Rentenbeginn im Januar 1999 die Voraussetzungen für eine (freiwillige) Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl die Klägerin den Auftrag zur Rentenantragstellung erkennbar nicht von der Erfüllung dieser Voraussetzungen ab dem von ihr genannten Rentenbeginn (im Juni 1998) abhängig gemacht hatte. Allein dieses, dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzurechnende Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten war die wesentliche Bedingung für die nicht rechtzeitige Antragstellung.

Bei dieser Sachlage bedarf die vom SG - auf Grund der ihm vorgetragenen Tatsachen zu Recht - als entscheidungserheblich angesehene Frage, ob und in welchem Umfang die Beklagte im Hinblick auf die Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin verpflichtet war, diese über ihre rentenversicherungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu beraten (vgl. hierzu BSGE 91, 1), keiner Prüfung. Ob eine solche Beratungspflicht neben dem Antragsrecht nach § 39 SGB VI (a.F.) auch alternative Gestaltungsmöglichkeiten, insbesondere eine spätere Inanspruchnahme von Altersrente, umfasst hätte, kann im Übrigen schon deshalb dahinstehen, weil die Klägerin im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs solche alternativen Gestaltungsmöglichkeiten gerade nicht geltend macht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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