L 16 RJ 249/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 342/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 249/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§§ 43, 44 Sechstes Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.) bzw. Rente wegen Erwerbsminderung (§§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung n.F.).

Die 1947 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben von 1962 bis 1965 den Beruf einer Elektromotorenbauerin erlernt und diesen auch mit einer Prüfung abgeschlossen. Sie war dann mit unterschiedlichsten Tätigkeiten außerhalb des Berufs beschäftigt, z.B. 1990 als Buchbinderin, Bürokraft, Krankengymnastin, in der Getränkeausgabe, im Rechnungswesen und in der Inventur. Zuletzt war sie von 1991 bis November 1997 Leiterin einer Spielhalle. Seit November 1997 ist sie arbeitslos gemeldet.

Den Rentenantrag bei der Beklagten stellte sie am 10.05.1999.

Eine Untersuchung wurde von Dr.L. am 10.09.1999 durchgeführt. Dabei stellte er die Diagnosen: 1. Gemischtförmiges Lungenasthma und sinobronchiales Syndrom mit Nasen- und Nasennebenhöhlenpolypen bei polyvalenter Sensibilisierung. Multiple Nahrungsmittelallergien.

2. Sehschwäche rechtes Auge (seit Jugend an), wiederkehrende migräneartige Kopfschmerzen.

Dr.L. war der Auffassung, dass leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar sind, sofern Tätigkeiten mit Gefährdung durch Kälte, Nässe, Zugluft und starken Temperaturschwankungen sowie der Kontakt mit Reizstoffen, u.a. Parfum, Rauch, Staub und Klimaanlagen und besonderer Zeitdruck ausgeschlossen sind.

Aus einem Heilverfahren im Mai 1998 war die Klägerin als ar- beitsfähig im Beruf als Datenverarbeiterin entlassen worden.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 26.10. 1999 ab, mit der Begründung, es liege weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vor, da die Klägerin vollschichtig noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten ausüben könne.

Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, es sei versäumt worden, ärztliche Unterlagen vom Augenarzt anzufordern. Ihr Sehvermögen betrage weniger als 50 Prozent. Außerdem bestünden Veränderungen an der Wirbelsäule, am rechten Knie und am linken Zehen. Unterlagen der behandelnden Orthopäden seien nicht angefordert worden. Die Arbeitsbedingungen in der Spielhalle seien für sie schwierig gewesen, zum einen wegen der körperlichen Belastungen, zum anderen aufgrund des Publikums. Zuletzt sei sie am Arbeitsplatz gemobbt worden und sei jetzt gesundheitlich und nervlich nicht mehr in der Lage, zu arbeiten.

Der Arbeitgeber teilte in der Auskunft vom 16.12.1999 mit, die Klägerin habe Aufsichtstätigkeiten an den Geldspielautomaten sowie Kassenbuchführung, Personaleinteilung und Getränkeeinkauf verrichtet. Erforderlich sei eine betriebliche Einarbeitung von drei Tagen gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei im beidseitigen Einvernehmen gelöst worden; besondere Voraussetzungen seien Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit gewesen.

In einer ärztlichen Stellungnahme vom 31.03.2000 hat Dr.G. die vorgelegten ärztlichen Unterlagen ausgewertet. Danach ergäben sich keine Hinweise auf das Vorliegen von Ge- sundheitsstörungen von rentenberechtigendem Grade. Auch nach dem letzten HNO-ärztlichen Attest stehe fest, dass die Klägerin leichte Arbeiten vollschichtig verrichten könne.

Nach Aufklärung durch die Beklagte über die Sach- und Rechtsla- ge teilte die Klägerin mit, dass sie Geschäftsführerin und nicht ungelernte Arbeiterin gewesen sei. Die Beklagte habe im Übrigen die Augenbehandlungen noch nicht auswerten können, da sie sich derzeit noch in der Augenklinik M. zur Behandlung befinde. Außerdem leide sie an Gallenblasenentzündungen und eine Kieferhöhlenoperation stehe bevor. Deshalb sei sie nicht in der Lage, vollschichtig zu arbeiten.

Die Beklagte zog einen Bericht der HNO-Klinik der Uni M. bei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Klägerin könne auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden und dort noch leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung der Einschränkungen vollschichtig verrichten.

Zur Begründung ihrer Klage und trug die Klägerin vor, seit Mai 1999 habe sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert, so dass sie nach 33 Berufsjahren nicht mehr erwerbsfähig sein könne. Sie müsse das ganze Jahr hindurch Ärzte konsultieren, nicht zuletzt wegen der gehäuften Asthmaanfälle, der Sehschwäche am linken Auge und der jetzt erfolgten Konjunktivitis epidemica des rechten Auges. Sie legte Atteste des Internisten Dr.P. , der Orthopäden Dres.G. und D. und der Augenklinik M. vor.

Die Beklagte beantragte, die Klage als unzulässig, hilfsweise unbegründet, abzuweisen.

Die Klägerin trug vor, der Brief der Beklagten sei am 05.05. 2000 abgestempelt gewesen, sie selbst habe ihre Klage am 05.06.2000 zur Post gebracht. Durch Krankheit, bewiesen durch die Notarzteinsätze vom 04.06. und 12.06. und ständige Arztbesuche sei sie nicht in der Lage gewesen, die Klage früher zu erheben.

Ausweislich des Auslieferungsbeleges der Deutschen Bundespost wurde der Widerspruchsbescheid am 06.05.2000 ausgeliefert. Zur Post war er am 05.05.2000 gegeben worden.

Nach Einholung von Befundberichten bei den Dres.P. (Internist), Dr.S. (Allgemeinmedizin) und Dres.G. , D. (Orthopäden) und deren Auswertung durch die Beklagte beauftragte das Sozialgericht den Internisten Dr.A. mit der Begutachtung der Klägerin. Nach Untersuchung am 13.09.2001 erstellte dieser das Gutachten mit folgenden Diagnosen: 1. Sinobrachiales Syndrom mit chronischer Bronchitis Polyposis

2. nasi, Anosmie (Fehlen des Geruchsvermögens)

3. Pseudoallergie auf verschiedene Nahrungsmittel

4. Behandelte Konjunktivitis vernalis

5. Visusminderung beidseits rechst 0,5, links 0,1

6. Chronisches Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates

7. Funktionelle Oberbauchbeschwerden

8. Postmenopausales Syndrom.

Nach Auffassung des Dr.A. sind die geäußerten Beschwerden anhand der klinischen und apparativen Untersuchungsergebnisse nur teilweise nachvollziehbar. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine gravierende organische Erkrankung, die zu einer nennenswerten Beeinträchtigung des körperlichen Leistungsvermögens führen würde. Die Klägerin sei voll erwerbsfähig.

Als weiterer Gutachter wurde der Orthopäde Dr.H. gehört. Dieser hat nach Untersuchung am 10.12.2002 sein Gutachten erstattet und dabei folgende Diagnosen gestellt:

1. Fibromyalgiesyndrom

2. Chronisches pseudoradikuläres Wirbelsäulensyndrom bei leichtem Hohlrundrücken und muskulärer Dysbalance

3. Beginnende Arthrose der Hüftgelenke beidseits

4. Chronische Bronchitis

5. Chronische Rhinitis und Poliposis nasii

6. Nahrungsmittelallergie.

Dr.H. hat die im Rentenverfahren gestellten Diagnosen als zutreffend bezeichnet. Die rheumatologische Hauptdiagnose, näm- lich das Fibromyalgiesydrom, sei jedoch nicht aufgeführt wor- den. Objektiv habe sich seither nichts geändert, denn die Klä- gerin schildere subjektiv eine Schmerzhaftigkeit an Sehnen und Muskeln. Es bestehe eine Unzumutbarkeit für schwere und mittel- schwere Arbeiten, von längeren Anmarschwegen zur Arbeit, von Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord oder taktgebunden. Die Klä- gerin könne nicht in Zwangshaltung sowie verbunden mit häufigem Bücken, Treppen- oder Leiternsteigen arbeiten und sollte nicht häufig schwer heben und tragen müssen. Die einfach zumutbare Wegstrecke betrage 1000 m. Unter Berücksichtigung der Ein- schränkungen könne die Klägerin sechs Stunden und mehr erwerbs- tätig sein. Dieses Leistungsbild bestehe seit dem Rentenverfah- ren. Leichte Arbeiten seien noch vollschichtig zumutbar.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 13.03.2003 ab. Zur Begründung führte es aus, dass nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen bei der Klägerin noch ein voll- schichtiges Leistungsvermögen bestehe und sie, da sie zuletzt eine ungelernte Tätigkeit verrichtet habe, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Dort könne sie noch vollschichtig tätig sein und erfülle deshalb weder die Voraussetzungen nach §§ 43, 44 SGB VI a.F., ebenso aber auch nicht die Voraussetzungen des § 43 SGB VI n.F.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wendet sich zunächst gegen die Behauptung, keinen Beruf erlernt zu haben. Sie habe neben dem erlernten Beruf auch jahrelang als Datenerfasserin im EDV-Rechnungswesen sowie als technische Zeichnerin gearbeitet, insgesamt habe sie in vielen Berufen gearbeitet. Sie erwarte eine Änderung des Bescheides, da sie an Rheuma leide und außerdem das Sehvermögen eingeschränkt sei.

Der Senat holte Befundberichte ein und beauftragte mit der Begutachtung den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H ... Dieser hat nach Untersuchung der Klägerin am 17.12.2003 sein Gutachten erstellt und dabei folgende Diagnosen genannt:

1. Somatisierungsstörung

2. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung

3. Wirbelsäulensyndrom bei muskulärer Dysbalance ohne wesentliche Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Symptomatik

4. Asthma bronchiale bei sinubronchialem Syndrom (derzeit nicht aktiv)

5. Angeborene Sehminderung links

6. Anosmie.

Dr.H. konnte eine Veränderung des Gesundheitszustandes weder im Sinne einer Verbesserung noch einer Verschlechterung feststellen. Es bestehe mit dem Rentengutachten von Dr.L. vom September 1999 Übereinstimmung, obgleich dort die somatoforme Störung nicht berücksichtigt wurde. Das Leistungsvermögen sei zeitlich nicht eingeschränkt, weitere fachärztliche Gutachten seien nicht erforderlich.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgericht Augsburg vom 13.03.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Rente wegen Erwerbsminderung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Augsburg und des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klage nicht verfristet, da der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Beklagte hat zwar darauf hingewiesen, dass der Widerspruchsbescheid der Klägerin am 06.05.2000 zugegangen, die Klageschrift aber erst am 09.06.2000 beim Sozialgericht eingegangen ist. Nach dem Vermerk ist der Bescheid am 05.05. 2000 zur Post gegeben worden, und gilt als am 3. Tag, also dem 08.05.2000, als zugegangen. Die Klage ist am 09.06.2000 (Freitag) beim SG eingegangen, allerdings schon am 06.06.2000 abgestempelt. Somit ist die Klage verspätet eingegangen.

Eine Entscheidung des Sozialgerichts über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs.1 SGG wäre gemäß § 67 Abs.4 SGG für Berufungsgericht zwar verbindlich, eine solche Entscheidung kann jedoch nicht unterstellt werden. Eine Entscheidung des Sozialgerichts über die Wiedereinsetzung liegt nicht vor, da es sich mit keinem Wort, weder in den Entscheidungsgründen noch in einem Beschluss mit dieser Frage auseinander gesetzt hat. Wenn es auch ausreichen würde, die Wiedereinsetzung in den Entscheidungsgründen zu begründen, so ist doch nach allgemeiner Meinung (Jens Meyer-Ladewig, SGG, § 67 Anm.18) eine stillschweigende Wiedereinsetzung nicht möglich.

Die Wiedereinsetzung kann aber vom Senat gewährt werden, denn die Klägerin hat beim SG geltend gemacht, sie habe auf Grund einer Erkrankung die Klage nicht vor dem 06.06.2000 zur Post geben können. Während sich eine Notarztbehandlung nicht hat nachweisen lassen, kann aber von einer unerwartet langen Postlaufzeit ausgegangen werden. Beim 09.06.2000 handelte es sich um einen Freitag, das Schreiben der Klägerin war am 05.06.2000 datiert und ist am 06.06. 2000 in K. abgestempelt. Die Klägerin konnte damit rechnen, dass ein am 06.06. in K. abgestempeltes Schreiben rechtzeitig beim Sozialgericht eingehen würde.

Damit war Wiedereinsetzung zu gewähren.

Die Berufung ist aber unbegründet, da die Beklagte zu Recht wegen fehlender Erwerbsunfähigkeit keine Rente bewilligt hat.

Es ist festzustellen, dass Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder teilweise oder volle Erwerbsminderung im Sinne von §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung a.F. bzw. § 43, §§ 240, 241 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) bei der Klägerin nicht vorliegt.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht (vgl. § 300 Abs.2 SGB VI). Für den Anspruch der Klägerin sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, so weit sinngemäß auch vorgetragen ist, dass jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben sei (vgl. § 300 Abs.1 SGB VI).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs.1 SGB VI a.F., da sie ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags bis jetzt nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs.2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Diese Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen bei der Klägerin nicht vor.

Das Gutachten Dr.H. bestätigt die vom SG eingeholten Gutachten des Internisten Dr.P. und des Orthopäden Dr.H ... Im Wesentlichen konnte keines der Gutachten organisch schwerwiegende Gesundheitsstörungen feststellen. Es besteht das seit Jugend eingeschränkte Sehvermögen sowie die Nahrungsmittelallergie, die Veränderungen der Nasenscheidewand und das Fehlen des Geruchssinnes. Schwerwiegende Veränderungen an der Wirbelsäule konnten weder von den gerichtlichen Sachverständigen noch bei den Reha-Verfahren festgestellt werden, so dass insgesamt zwar Einschränkungen der Leistungsfähigkeit auf nur leichte und zeitweise mittelschwere Arbeiten bestehen, aber die Einschränkungen nicht derart vielfältig sind, dass nicht zahlreiche Tätigkeiten denkbar sind, die die Klägerin bei vollschichtigem Leistungsvermögen noch verrichten kann.

Dr.H. bestätigt die Übereinstimmung mit den Entlassungsberichten nach stationärer medizinischer Reha-Maßnahmen vom Juni 1998 und November 2002. Auch mit den Beurteilungen der internistischen bzw. des orthopädisch-rheumatologischen Gutachtens von Dr.A. und Dr.H. besteht Übereinstimmung, allerdings wurden dort die seelischen Faktoren nicht geprüft. Dr.H. nimmt Bezug auf einen Bericht des HNO-Arztes über die operative Nasenseptumrevision im Mai 2003, wo es heißt: "Im Prinzip geht es der Patientin eigentlich optimal, sie kann es leider aus grundsätzlichen Gründen jedoch nicht zugeben." Bei der Untersuchung durch Dr.H. fand sich kein fassbarer Organbefund weder neurologisch noch internistisch, abgesehen von der fehlenden Geruchsfähigkeit. Es fand sich weder eine schwerwiegende Funktionseinschränkung der Wirbelsäule noch gab es Hinweise auf eine radikuläre Symptomatik von Seiten der HWS oder LWS, nicht einmal die sog. Tenterpoints waren bei gezielter Prüfung druckschmerzhaft. Feststellbar war lediglich ein leichter Druckschmerz bei etwas verspannter Muskulatur. Auch die Zusatzdiagnostik wie EEG, Echoenzephalogramm und Dopplersonographie der hirnversorgenden Arterien und die EMG-Ableitung aus den unteren Extremitäten waren ohne pathologischen Befund. Im psychischen Befund fand sich kein Hinweis auf das Vorliegen einer tiefergehenden depressiven Verstimmung, einer Psychose oder eines hirnorganischen Psychosyndroms. Im Vordergrund steht eine tiefe Enttäuschung über die Lebenssituation. Vor diesem Hintergrund haben sich vielfältige körperliche Befindlichkeitsstörungen entwickelt. Nicht zutreffend ist es, bei der Klägerin von einer Fibromyalgie zu sprechen.

Eine Leistungsminderung lässt sich sozialmedizinisch durch die objektiven Befunde nicht begründen. Die Klägerin ist somit für leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Gehen, Stehen und Sitzen und in wechselnder Körperhaltung noch geeignet. Zumutbar sind auch Arbeiten an laufenden Maschinen, auch an Büromaschinen oder Bildschirmgeräten. Die angeborene Visusminderung steht dem nicht entgegen; die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände ist vorhanden. Sie ist auch in der Lage, mit Publikumsverkehr zu arbeiten. Grundsätzlich sind auch die üblichen Anmarschwege zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel können benutzt werden. Die Klägerin besitzt darüber hinaus einen Führerschein. Auch zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich. Nicht verlangt werden können dagegen schwere und mittelschwere Arbeiten oder Arbeiten im Freien unter Einwirkung von Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen oder verbunden mit Heben und Tragen von Lasten ohne Hilfsmittel sowie unter besonderer Einwirkung von Staub, Gas, Dampf und Reizstoffen, am Fließband oder in Wechselschicht. Die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit ist andererseits altersgemäß erhalten.

Wenn der Klägerin allerdings die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Spielhallenaufsicht, wegen der damit verbundenen Notwendigkeit, Getränkekisten zu heben und zu tragen nicht mehr zugemutet werden kann, so liegt trotzdem keine Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes vor, denn die Klägerin kann zumutbar auf andere Tätigkeiten verwiesen werden.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbi1dungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des ange1ernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließ1ich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn.27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr.5).

Als angelernter Arbeiterin des unteren Bereichs ist der Klägerin die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernten - Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen sie körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es grundsätzlich nicht. Auch liegt bei der Klägerin weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einer Versicherten erforderlich machen würde, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs.2 Satz 4 SGB VI, dass nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und dass hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr.8).

Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts hat die Klägerin zwar einen Beruf erlernt, sich, wie sie selber schildert, aber von diesem Beruf bereits seit langem gelöst und andere Tätig- keiten, zuletzt die einer Geschäftsführerin einer Spielhalle, ausgeübt. Damit hat sie nur ganz einfach angelernte Tätigkeiten zuletzt ausgeübt und ist somit breit auf den allgemeinen Ar- beitsmarkt verweisbar. Bei den geschilderten, nicht schwerwie- genden Leistungseinschränkungen sind nach den Gutachten der ge- richtlichen Sachverständigen, an deren Richtigkeit auch auf- grund der Befundberichte der behandelnden Ärzte nicht gezwei- felt werden kann, nur geringfügige Einschränkungen feststell- bar, so dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig entsprechende Tätigkeiten ausüben kann.

Die Klägerin, die keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs.1 SGB VI a.F., weil sie die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI a.F. sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie die Klägerin - (irgend)eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn eine Versicherte - wie die Klägerin - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen mehr als sechs Stunden täglich ausüben kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 Ziff. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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