L 10 AL 51/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 Al 93/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 51/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 90/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27. November 1997 abgeändert und festgestellt, dass die in der Anlage ASt 5 aufgeführten Fahrer zukünftig keiner Arbeitserlaubnis bedürfen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1 ist ein türkisches Unternehmen mit Sitz in I. , das hauptsächlich im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr tätig ist. Für den Transport vom Bundesgebiet in die Türkei und umgekehrt werden türkische Fahrer eingeteilt, die in der Türkei wohnen. Die eingesetzten LKW sind in Deutschland auf die B. S. zugelassen. Die Kläger begehren die Feststellung der Arbeitserlaubnisfreiheit für folgende in der Anlage ASt 5 aufgeführten 15 Fahrer, darunter die Kläger zu 2 und 3, die alle mindestens seit 1995 im grenzüberschreitenden Verkehr bei der Klägerin zu 1 tätig sind: S. E. , I. K. , C. S. , O. T., K. A., M. A., M. A., D. E., R. G. , F. K. , V. C. , A. E., H. T. , Ö. F. C. , H. S ... Diese 15 Fahrer dürfen auf Grund eines im Wege der einstweiligen Anordnung am 29.04.1997 erlassenen Beschlusses des Sozialgerichts (SG) Nürnberg vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ohne Arbeitserlaubnis tätig sein.

Am 10.02.1997 hat die Klägerin zu 1 Klage erhoben mit dem Ziel, die Arbeitserlaubnisfreiheit der oben aufgeführten Fahrer festgestellt zu bekommen. Die Fahrer zu 2 und 3 verfolgen jeweils für sich das gleiche Ziel.

Zur Begründung haben die Kläger auf den im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Beschluss verwiesen. Die vom Verordnungsgeber gewählte Unterscheidung zwischen Personen- und Güterverkehr in § 9 Nr 2 Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) erscheine hinsichtlich der Arbeitserlaubnisfreiheit willkürlich.

Nach der Rechtsauffassung der Beklagten kann das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.03.1994 (BSGE 74,90 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1)) nicht zur Befreiung von der Arbeitserlaubnispflicht herangezogen werden, denn die Arbeitnehmer seien nicht seit einem Zeitpunkt vor dem 01.09.1993 durchgehend bei der B. beschäftigt gewesen. Der Firmensitz der Klägerin zu 1 befinde sich außerhalb des Geltungsbereiches des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Tatbestände nach den §§ 2-10 der Anwerbestopp-Ausnahmeverordnung lägen nicht vor. Die Klage sei auch unzulässig, da eine Arbeitserlaubnis nur für Arbeitnehmer erteilt werden könne und eine Bevollmächtigung der Klägerin zu 1 für ihre Arbeitnehmer nicht erkennbar sei.

Mit Urteil vom 27.11.1997 hat das Sozialgericht (SG) festgestellt, dass die für die Klägerin zu 1 auf den LKW der B. im Grenzverkehr tätigen türkischen Arbeitnehmer nach der Anlage ASt 5, insbesondere die Kläger zu 2 und 3, bis zum 31.03.1998 keiner Arbeitserlaubnis bedürfen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die Klägerin zu 1, die notwendige Arbeitserlaubnisse für ihre Arbeitnehmer in deren Auftrag beantragen könne, sei auch berechtigt, den Feststellungsantrag zu stellen. Die Zulässigkeit der Antragstellung bei den Klägern zu 2 und 3 ergebe sich aus dem Umstand, dass sie als Fahrer eingesetzt gewesen sind und ihre Tätigkeit fortführen wollen. Es erscheine geboten, bei der Neuregelung ab 30.09.1996 die vom BSG in seinem Urteil vom 10.03.1994 entwickelten Grundgedanken zu übertragen, also stillschweigend eine Übergangsregelung zugrunde zu legen. Das sei erforderlich, um den Belangen der betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen, auch könnten sich die Arbeitnehmer als ausländische natürliche Personen auf den Schutz der Art 14 und 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) berufen. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzgesichtspunkte sei von einer Übergangsregelung bis zum 31.03.1998 auszugehen. Damit hätten die Beteiligten seit Änderung der Verordnung ausreichend Zeit, sich auf die veränderte Rechtslage einzustellen.

Gegen das ihnen am 26.01.1998 zugestellte Urteil haben die Kläger am 26.02.1998 Berufung eingelegt mit dem Begehren, die Arbeitserlaubnisfreiheit ohne zeitliche Einschränkung festzustellen.

Sie stützen sich dabei insbesondere auf das Verbot des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei, neue Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten und der Türkei einzuführen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in seinem Urteil vom 11.05.2000 - Rs. C-37/98 - (S.) die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls bestätigt. Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls verbiete auch die Einführung neuer Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs. Dienstleistung sei auch die Tätigkeit von Spediteuren. Sie werde durch die Einführung der Arbeitserlaubnispflicht erschwert. Darüberhinaus sei die Arbeitserlaubnispflicht im grenzüberschreitenden Güterfernverkehr auch wegen eines Verstoßes gegen Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei (ARB 1/80) unanwendbar. Nachdem der Wortlaut des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls und des Art 13 ARB 1/80 sich entsprächen, sei auch die unmittelbare Anwendbarkeit der letzteren Vorschrift zu bejahen. Folgerichtig wiederhole der EuGH im Urteil vom 11.05.2000, Rn.49 seine schon früher geäußerte Auffassung von der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 13 ARB 1/80.

Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.11.1997 abzuändern und die Arbeitserlaubnisfreiheit für die in der Anlage ASt 5 aufgeführten Fahrer für die Gegenwart und die Zukunft festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Weitere Ausführungen hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht gemacht.

Beigezogen sind die die Kläger betreffenden Akten des SG im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz und im Hauptsacheverfahren. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die von den Klägern erhobene Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG). Für die die Zukunft betreffende Klage ist ein Feststellungsinteresse gegeben. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) für einen Arbeitgeber in einem insofern vergleichbaren Fall schon festgestellt (BSG SozR 3-4210 § 9 Nr 1). Es gilt aus den gleichen Gründen erst recht für die Kläger zu 2 und 3, die unmittelbar bei ihrer Beschäftigung in Deutschland von der Frage der Erlaubnisfreiheit betroffen sind. Zwischen den Beteiligten ist die Anwendung öffentlich- rechtlicher Normen, nämlich von Normen des Arbeitserlaubnis-Genehmigungsrechts, auf einen konkreten Sachverhalt streitig. Die Kläger können ihr Klageziel nicht mit Hilfe einer Gestaltungs- oder Leistungsklage erreichen.

Die Berufung ist auch begründet. Nach der zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgeblichen Sach- und Rechtslage (BSG aaO) bedürfen die oben aufgeführten Fahrer der Klägerin zu 1 (auch) zukünftig keiner Arbeitserlaubnis bei ihrer Tätigkeit im grenzüberschreitenden Verkehr für die in Deutschland zurückgelegten Strecken, solange der die Arbeitserlaubnisfreiheit gewährende Rechtszustand andauert.

Die rechtliche Grundregelung für die Frage, ob die in Rede stehende Fahrertätigkeit eines türkischen Fahrers im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf dem deutschen Teilstück seiner Frachtfahrt arbeitsgenehmigungsfrei ist, geben die §§ 284 ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), das insoweit am 01.01.1998 in Kraft getreten ist (AFRG vom 24.03.1997, Art 83, BGBl I 594 ff [721]).

Nach § 284 SGB III dürfen Ausländer nur mit Genehmigung des Arbeitsamtes eine Beschäftigung im Inland ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen. Keiner Genehmigung bedürfen ua Ausländer, wenn dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, auf Grund eines Gesetzes oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist (§ 284 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III).

Letzteres ist hier der Fall. Die Kläger können sich als türkische Arbeitnehmer, die Klägerin zu 1 als Arbeitgeberin, auf die zwischenstaatlichen Vereinbarungen berufen, die die Europäische Gemeinschaft mit der Türkei abgeschlossen hat. Diese Vereinbarungen konservieren den Rechtszustand, der zu Beginn der Beschäftigung der türkischen Fahrer in Deutschland bestanden hat (Stillhalteklausel).

Grundlegend ist das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz zum Assoziierungsabkommen vom 13.05.1964 (BGBl II S 509). Die Vertragsparteien haben in Art 12 des Abkommens vereinbart, sich von den Art 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft (EGV) leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind (Art 6 des Abkommens). Art 22 des Abkommens befugt den Assoziationsrat, zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen Beschlüsse zu fassen.

Unter dieser Voraussetzung und unter Beachtung des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.09.1963, transformiert durch das Gesetz vom 19.05.1972 (BGBl II S 385), hat der Assoziationsrat (gem Art 12 des Abkommens und Art 36 des Zusatzprotokolls) den Beschluss Nr 1/80 vom 19.09.1980 (ANBA 1981 S 4 bis 6) erlassen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass einige Bestimmungen des ARB 1/80 unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht sind und sich ein türkischer Arbeitnehmer unmittelbar darauf berufen kann (zB im Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/75 "T." in NVwZ 1997 S 677 RdNr 15 bis 18, 22, vgl auch BVerwGE 98, 31 [33]). So entfaltet auch die in Art 13 ARB 1/80 enthaltene Stillhalteklausel zwischen den Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung (EuGH, Urteil vom 11.05.2000, C-37/98, S., RdNr 49). Art 13 ARB 1/80 lautet: Die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Die Stillhalteklausel des Art 13 ARB erfasst auch die streitrelevante Beschäftigung der türkischen Fahrer auf den deutschen Teilstrecken ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit.

Seinem eindeutigen Wortlaut nach setzt Art 13 ARB nur voraus, dass Aufenthalt und Beschäftigung des türkischen Arbeitnehmers im Inland des Mitgliedsstaates ordnungsgemäß sind. Dabei kann ordnungsgemäß keine weitere Bedeutung als legal haben. Legal sind eine Beschäftigung und der Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates, wenn Aufenthalt und Beschäftigung im Einklang mit den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Mitgliedsstaates erfolgen (EuGH Urteil vom 26.11.1998 - Rs. C-1/97 [B.] Rdnrn 50, 51, 52 = NVwZ 1999, 1099; BVerwGE 98, 31 [34]).

Die auf die deutschen Teilstrecken entfallende Beschäftigung der türkischen Fahrer, um die es hier geht, war ursprünglich ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80. Denn die türkischen Fahrer bedurften nach § 9 Nr 2 der am 01.04.1971 in Kraft getretenen AEVO vom 02.03.1971 (BGBl I S 152) idF der 10.Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) als fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr keiner Arbeitserlaubnis.

Die Fahrer hielten sich während ihrer Arbeit in Deutschland auch mit Visa der dafür zuständigen Behörden ordnungsgemäß iS des Art 13 ARB 1/80 im Bundesgebiet auf.

Schließlich gehört die Tätigkeit der türkischen Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf den deutschen Teilstrccken auch zu dem in Art 13 ARB 1/80 benannten Arbeitsmarkt. Diese Regelung erfasst vom Wortlaut her jede Beschäftigung eines türkischen Arbeitnehmers in einem Mitgliedsstaat, auch zB eine geringfügige oder eine solche, die ihren tatsächlichen oder arbeitsrechtlichen Schwerpunkt in der Türkei hat. Denn der Begriff "ordnungsgemäße Beschäftigung" knüpft an das inländische Recht an (BVerwGE 98, 31 [34, 35]). Nach inländischem (deutschem) Recht werden vom Arbeitserlaubnisrecht ausnahmslos alle Arbeitsverhältnisse von Ausländern im Inland erfasst. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 284 SGB III, der uneingeschränkt alle Beschäftigungen von Ausländern im Inland erfasst und auch aus der Verordnungsermächtigung des § 288 Abs 1 SGB III, wonach durch Verordnung ausnahmsweise bestimmte Ausländerbeschäftigungen von der Genehmigungspflicht ausgenommen werden dürfen. Dh, auch soweit Arbeitsgenehmigungsfreiheit besteht, basiert diese auf einer Arbeitserlaubnisregelung. Folgerichtig hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung über die in Rede stehende Beschäftigung von türkischen LKW-Fahrern Regelungen im § 9 Nr 2 AEVO bzw § 9 Nr 3 Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) getroffen. § 13 ArGV stellt systemkonsequent regelnd klar, dass im Vergleich zu den Bestimmungen der ArGV günstigere Regelungen des ARB 1/80 über den Zugang türkischer Arbeitnehmer ... zum Arbeitsmarkt unberührt bleiben.

Eine neue Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde jedoch für ausländische, somit auch türkische Arbeitnehmer, die im grenzüberschreitenden LKW-Verkehr eingesetzt sind, durch die am 10.10.1996 in Kraft getretene Verordnung (BGBl I S 1491) zur Änderung des Arbeitserlaubnisrechts vom 30.09.1996 geschaffen, indem § 9 Nr 2 der AEVO nochmals verändert wurde.

Die AEVO in ihrer Ursprungsfassung regelte in § 9 Nr 2, dass "keiner Arbeitserlaubnis bedürfen ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr ..." Die 10. Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 (BGBl I S 1527) legte mit Wirkung vom 01.09.1993 fest, dass "keiner Arbeitserlaubnis bedürfen ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland". Damit wurde geregelt, dass die Arbeitserlaubnisfreiheit nur im Falle der "Einstrahlung" der Tätigkeit auf deutsches Gebiet bei Beschäftigung durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer gewährt wird. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 10.03.1994 (SozR 3-4210 § 9 Nr 1) klargestellt, dass die Normänderung zum 01.09.1993 nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Bedeutung hatte und eine materiell-rechtliche, einengende Modifizierung der bisherigen Vorschrift gebracht hat. In der Folgezeit haben sich Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der ab 01.09.1993 gültigen Neufassung des § 9 Nr 2 AEVO ergeben. Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass die Vorschrift des § 9 Nr 2 AEVO nur für ausländische Kraftfahrer gelten könne, die bei einem im Ausland ansässigen Unternehmer beschäftigt sind und wenn zudem die benutzten Fahrzeuge im Sitzstaat des Unternehmers zugelassen seien. Nicht unter die Befreiungsvorschrift sollten nach Meinung der Beklagten im Ausland wohnende Kraftfahrer fallen, die LKW von einem in Deutschland ansässigen Unternehmen fahren. Die Beklagte hat den betroffenen Unternehmen bzw ausländischen Arbeitnehmern, soweit in Deutschland zugelassene LKW gefahren wurden, jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Übergangsfrist für die Umstellung auf die ihrer Ansicht nach schon ab 01.09.1993 auch insofern geänderte Rechtslage eingeräumt und den betroffenen ausländischen Arbeitnehmern ab Mitte 1995 bis insgesamt 30.04.1997 Arbeitserlaubnisse gewährt. Diese Verwaltungspraxis beruhte auf Weisungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.

Mit der Änderung der AEVO vom 30.09.1996, die mit Wirkung vom 10.10.1996 in Kraft trat, wurde der Wortlaut des § 9 Nr 2 AEVO an die schon zuvor vom Verordnungsgeber vertretene Rechtsmeinung angepasst und noch enger gefasst. Danach bedarf nun nur noch "keiner Arbeitserlaubnis ... 2. das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, sofern a) das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist ..." Die AEVO ist schließlich durch die ArGV vom 17.09.1998 (BGBl I S 2899) mit Wirkung vom 25.09.1998 abgelöst worden. Die Bestimmung des § 9 Nr 2a AEVO im hier relevanten Umfange findet sich inhaltsgleich nunmehr in § 9 Nr 3a ArGV.

Mit der Neufassung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 trat auch für türkische Arbeitnehmer formal eine wesentliche Beschränkung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ein. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Übergangsregelung in die Verordnung hätte aufgenommen werden müssen. Eine solche Übergangsregelung wäre heute in jedem Falle abgelaufen. Der VO-Geber hat durch seine Weisung an die Beklagte und durch die Wiederholung der Neuregelungen vom 10.10.1996 in der ArGV ca zwei Jahre später zu erkennen gegeben, dass er allenfalls eine knappe und keinesfalls über den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der ArGV zum 25.09.1998 hinaus geltende Übergangsregelung wollte.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass eine wesentliche Einschränkung des Zugangs der in Rede stehenden türkischen LKW-Fahrer zum deutschen Arbeitsmarkt ab 10.10.1996, allenfalls wegen einer etwa notwendigen Übergangsregelung etwas später, eingetreten ist.

Die Neuregelung war - anders als die Beklagte meint - konstitutiv und nicht nur deklaratorisch. Die bis zum 10.10.1996 gültige Fassung des § 9 Nr 2 AEVO war mit der Neuregelung nicht identisch. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Vergleich des Wortlauts beider Regelungen. Zudem kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass bei Rechtsminderungen diese über ihren Wortlaut hinaus auszulegen sind. Zumal wenn - wie im vorliegenden Regelungstatbestand - die beiden Änderungen - jeweils für sich gesehen - wesentliche Rechtsminderungen für die Betroffenen brachten. Für eine konstitutive Änderung des § 9 Nr 2a AEVO zum 10.10.1996 spricht auch die vorher nicht gegebene Differenzierung in § 9 Nr 2b AEVO. In der letztgenannten Vorschrift wird auch - wie bisher - ab 10.10.1996 nicht zur Voraussetzung einer Arbeitserlaubnisfreiheit gemacht, dass die Fahrzeuge (hier Omnibusse) im Ausland zugelassen sind.

Diese Einschränkung der Arbeitserlaubnisfreiheit ab 10.10.1996 verstößt gegen das Assoziationsrecht und ist deshalb für die verfahrensbetroffenen türkischen LKW-Fahrer unbeachtlich. Für sie gilt die bis zum 09.10.1996 gültige Regelung weiter, so dass die Kläger zu 2 und 3 und die bezeichneten Arbeitskollegen auf den deutschen Teilstrecken ihrer grenzüberschreitenden Frachtrouten weiterhin arbeitserlaubnisfrei fahren dürfen. Die ArGV stellt in § 13 klar, dass günstigere Regeln des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates den Bestimmungen der ArGV vorgehen.

Der Schutzbereich des Art 13 ARB erfasst nicht nur seinem Wortlaut nach, sondern auch von Sinn und Zweck her den Schutz der im grenzüberschreitenden Verkehr eingesetzten türkischen Arbeitnehmer. Der Beschluss 1/80 ARB beinhaltet einen weiteren durch die Art 48, 49 und 50 EGV geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen der Türkei und den Mitgliedsstaaten (EuGH Urteil vom 23.01.1997 - Rs. C-171/95 [T.] Rdnrn 19, 20 = NVwZ 1997, 677). Im Lichte dieses Normzweckes erlaubt es der Schutz des inländischen Arbeitsmarktes in Fällen wie den vorliegenden, bei denen der inländische Arbeitsmarkt nur marginal berührt wird, nicht, die Stillhalteklausel restriktiv zu interpretieren, etwa dergestalt, dass nur solche Arbeitsverhältnisse darin einzubeziehen wären, die ihren arbeitsrechtlichen oder ihren faktischen Schwerpunkt im Inland eines Mitgliedsstaates haben. Im Gegenteil sind solche Arbeitsverhältnisse in den Schutzbereich des Art 13 ARB einzubeziehen, die nur eine Ausstrahlung eines türkischen Arbeitsverhältnisses in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates bedeuten. Der Beschluss 1/80 ARB ist offensichtlich ein Kompromiss zwischen den Vertragspartnern des Assoziierungsabkommens. Damit sollte ein wesentlicher Schritt der Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Türkei und der Mitgliedsstaaten herbeigeführt werden (EuGH Urteil vom 20.09.1990 - Rs. C-192/89 [S.] Rdnr 20 = NVwZ 1991 S 255). Hintergrund dieses Kompromisses war, dass einerseits die volle Freizügigkeit von der Türkei für ihre Arbeitnehmer begehrt wurde und andererseits die Mitgliedsstaaten ihren Arbeitsmarkt vom vollen Zugang aller türkischen Arbeitnehmer schützen wollten. Unter diesen Voraussetzungen gibt es offensichtlich keinen Sinn, die Freizügigkeit von türkischen Arbeitnehmern, die den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten nur - wie im vorliegenden Fall - marginal berühren, stärkeren Einschränkungen zu unterwerfen, als die Freizügigkeit für jene Arbeitnehmer, die ihren arbeitsrechtlichen oder faktischen Schwerpunkt in einem Mitgliedsstaat haben. Die letztgenannten Arbeitnehmer stellen nämlich für den Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates eine weit größere Belastung dar als die Arbeitnehmer im vorliegenden Falle.

Dahingestellt bleibt, ob, wie die Beklagte geltend macht, Fahrer wie die Kläger zu 2 und 3 oder die Klägerin zu 1 oder ihr deutscher Auftraggeber gegen das deutsche Güterkraftverkehrsrecht verstoßen. Etwaige derartige Verstöße zu ahnden oder zu unterbinden ist den für das Güterkraftverkehrsrecht zuständigen Behörden und Gerichten aufgegeben und vorbehalten.

Eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung liegt nicht vor. Die türkische Firma (Klägerin zu 1) ist Arbeitgeber der Fahrer und erbringt mit ihren Arbeitnehmern die von ihr der deutschen Auftraggeberin geschuldete Leistung, die LKW an die vereinbarten Ziele zu fahren. Gegen eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung spricht auch grundsätzlich die Regelung in § 9 Nr 3b ArGV, die die Arbeitserlaubnisfreiheit für das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Personenverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland feststellt, wenn das Fahrzeug im Inland zugelassen ist für eine Tätigkeit der Arbeitnehmer im Linienverkehr mit Omnibussen. Der Senat sieht keinen Unterschied, was die Frage der Arbeitnehmerüberlassung angeht, zwischen Güter- und Personenverkehr. Er geht auch davon aus, dass der Verordnungsgeber in § 9 Nr 3b ArGV keine Arbeitserlaubnisfreiheit in Fällen unzulässiger Arbeitnehmerüberlassung gewähren wollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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