L 11 AL 85/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 1066/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 85/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.11.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bemessung des Arbeitslosengeldes (Alg).

Der 1976 geborene Kläger war vom 10.07.1995 bis 30.04.1999 bei der P. Handels GmbH (B.) als Verkäufer mit einem Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 3.349,00 DM beschäftigt. Anschließend war er vom 01.05.1999 bis 31.03.2000 bei der Firma Auto-K. (N.) als Verkaufsberater tätig. Sein Bruttoarbeitsentgelt betrug ca. 4.665,00 DM. Vom 01.05.2000 bis 30.04.2002 arbeitete er bei der B. AG (N.) zunächst als Autoverkäufer und ab 01.04.2001 als Gebietsverkäufer. Das durchschnittliche monatliche Bruttoarbeitsentgelt betrug 3.026,83 EUR. Dieses Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 30.04.2002 durch Aufhebungsvertrag vom 11.03.2002. Den Eintritt einer Sperrzeit stellte die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht fest.

Am 02.05.2002 schloss der Kläger mit der Firmengruppe S. (N.) einen Arbeitsvertrag über die am 02.05.2002 aufzunehmende Tätigkeit als Assistent der Geschäftsleitung (Projektmanager, Leiter Verkauf). Als monatliches Arbeitsentgelt wurden 4.900,00 EUR brutto vereinbart. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers zum 31.08.2002, weil die Beklagte einen bereits mündlich zugesagten Lohnkostenzuschuss (LKZ-Jug) nicht gewährt habe.

Am 24.04.2002 meldete sich der Kläger durch persönliche Vorsprache mit Wirkung zum 01.05.2002 und am 30.08.2002 mit Wirkung zum 01.09.2002 erneut arbeitslos. Ihm wurden jeweils die Antragsunterlagen ausgehändigt. Beide Antragsformulare reichte er am 09.09.2002 bei der Beklagten ausgefüllt und unterschrieben zur Leistungsbewilligung ein.

Mit Bescheid vom 27.09.2002 bewilligte die Beklagte Alg ab 01.09.2002 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 700,00 EUR und mit weiterem Bescheid vom 24.10.2002 noch Alg für den 01.05.2002 in Höhe von 33,61 EUR.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass das in der Zeit vom 02.05.2002 bis 31.08.2002 bei der Firma S. erzielte Arbeitsentgelt irrig unberücksichtigt geblieben sei. Den ersten Alg-Antrag - betreffend den 01.05.2002 - nehme er zurück. Er habe nämlich für den gesamten Mai 2002 Arbeitsentgelt erhalten. Das für den 01.05.2002 bereits gewährte Alg zahlte er zurück.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2002 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 27.09.2002/24.10.2002 zurück. Das Alg sei zutreffend unter Heranziehung des vom 01.04.2001 bis 31.03.2002 (Bemessungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelts bemessen worden, da das Stammrecht auf Alg bereits am 01.05.2002 entstanden sei. Folglich sei ein Verzicht auf Alg mit dem Ziel einer höheren Bemessung nicht möglich.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, die Bescheide vom 27.09.2002/24.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.09.2002 Alg unter Berücksichtigung des in der Zeit vom 01.05.2002 bis 31.08.2002 erzielten Arbeitsentgelts zu bewilligen. Der Antrag auf Alg mit Wirkung ab 01.09.2002 sei von der Beklagten davon abhängig gemacht worden, dass er zugleich den Antrag vom 01.05.2002 unterzeichne, ohne dass er auf die Folgen für die Höhe des Alg hingewiesen worden sei. Diesen ihm aufgedrängten Antrag habe er zurückgenommen und das Alg für den 01.05.2002 zurückgezahlt.

Mit Urteil vom 18.11.2003 hat das SG den Bescheid vom "25.09.2002" (zutreffend Bescheid vom 27.09.2002) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, bei der Alg-Bemessung ab 01.09.2002 das Arbeitsentgelt der Beschäftigungszeit vom "01.05.2002 bis 31.08.2002" zu berücksichtigen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar gelte die persönliche Vorsprache des Klägers vom 24.04.2002 als Arbeitslosmeldung. Der Antragsfiktion des § 323 Abs 1 Satz 1 1.HS SGB III habe der Kläger jedoch widersprochen, indem er das ihm am 24.04.2002 ausgehändigte Antragsformular nicht ausgefüllt und abgegeben habe, sondern lediglich eine Zweitschrift vom 30.08.2002. Auch habe der Kläger mit dem Antrag auf Einarbeitungszuschuss (gemeint ist der Antrag des Arbeitgebers auf Lohnkostenzuschuss) zu erkennen gegeben, dass er den Antrag auf Alg nicht habe weiterbetreiben wollen. Außerdem habe er den Alg-Antrag bezüglich des 01.05.2002 wirksam zurückgenommen. Im Übrigen sei die Alg-Bewilligung für den 01.05.2002 bereits deshalb rechtswidrig, weil der Anspruch wegen des für diesen Tag bezogenen Arbeitsentgelts gemäß § 143 Abs 1 SGB III geruht habe. Ein Stammrecht habe der Kläger zum 01.05.2002 nicht erworben.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Das Stammrecht auf Alg sei bereits am 01.05.2002 entstanden, denn der Kläger habe sich am 24.04.2002 mit Wirkung zum 01.05.2004 arbeitslos gemeldet. Am 01.05.2002 habe tatsächlich Arbeitslosigkeit vorgelegen, weil das nächste Beschäftigungsverhältnis laut Arbeitsvertrag erst am 02.05.2002 begonnen habe. Die Erklärung der Beschäftigungslosigkeit sei nicht mit Rückwirkung korrigierbar. Das Stammrecht könne auch nicht mit einem rückwirkenden Verzicht auf die Antragstellung beseitigt werden. Die Antragstellung sei nämlich keine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung. Ein eventuelles Ruhen des Alg-Anspruchs wegen des Anspruchs auf Arbeitsentgelt für den 01.05.2002 berühre die Entstehung des Stammrechts nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.11.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Rücknahme des Alg-Antrags für den 01.05.2002 stelle keinen Verzicht auf ein bestandskräftiges Recht dar, denn der Bewilligungsbescheid vom 24.10.2002 sei wegen des Ruhens des Anspruchs rechtswidrig gewesen. Das mit diesem Bescheid für den 01.05.2002 bewilligte Alg habe allein der Schmälerung seiner Ansprüche gedient.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet, denn das SG hat den Bescheid vom 27.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2002 zu Unrecht abgeändert. Die Beklagte hat das dem Kläger ab 01.09.2002 bewilligte Alg zutreffend bemessen.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihre Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Gemäß § 129 SGB III beträgt das Alg 1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 % (erhöhter Leistungssatz), 2. für die übrigen Arbeitslosen 60 % (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Der Bemessungszeitraum umfasst die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem Versicherungsverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet waren (§ 130 Abs 1 SGB III).

Vorliegend ist der Anspruch auf Alg am 01.05.2002 entstanden. Der Anspruch entsteht zu dem Zeitpunkt, an dem alle Voraussetzungen des § 117 Abs 1 SGB III vorliegen. Das sind Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Erfüllung der Anwartschaftszeit. Unabhängig vom Alg-Antrag entsteht das Stammrecht (Grundanspruch) bereits mit der Erfüllung sämtlicher o.a. Anspruchsvoraussetzungen (BSG SozR 2200 § 1269 Nr 3). Das Stammrecht ist die rechtliche Wurzel, aus der - häufig wiederkehrend - Einzelansprüche auf konkrete Leistungen erwachsen (Niesel, SGB III, 2.Aufl, § 323 RdNr 10 unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3 S 5). Auch ein Ruhen des Alg-Anspruchs ab 01.05.2002 wegen des Anspruchs auf Arbeitsentgelt (§ 143 Abs 1 SGB III) beeinflusst die Entstehung des Stammrechts nicht.

Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger am 24.04.2002 mit Wirkung zum 01.05.2002 arbeitslos gemeldet; auch bestand am 01.05.2002 tatsächlich Arbeitslosigkeit, denn das Arbeitsverhältnis/Beschäftigungsverhältnis mit der Firmengruppe S. begann laut Arbeitsvertrag vom 02.05.2002 erst an diesem Tag.

Nach § 323 Abs 1 Satz 2 SGB III gilt mit der persönlichen Arbeitslosmeldung das Alg als beantragt (Antragsfiktion), wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt. Da das Gesetz für die Abgabe dieser Erklärung keine zeitliche Einschränkung vorsieht, kann sie grundsätzlich bis zur Bestandskraft des Alg-Bewilligungsbescheides abgegeben werden (Niesel aaO RdNr 17). Selbst wenn man eine insoweit wirksam abgegebene Erklärung des Klägers annimmt, ergeben sich hieraus keine Auswirkungen auf die Entstehung des Stammrechts, denn der Antrag ist - anders als früher nach § 100 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz - nicht mehr als Anspruchsvoraussetzung aufgeführt. Die Rücknahme des Antrags ist bis zum Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung über die Bewilligung der Leistung möglich (danach nur Anfechtung gemäß § 119 Bürgerliches Gesetzbuch).

Diese Grundsätze gelten jedoch nicht für die Arbeitslosmeldung. Diese ist eine Tatsachenerklärung. Sie unterliegt daher nicht den Gestaltungsmöglichkeiten einer Willenserklärung wie beim Antrag. Insbesondere kann sie nicht zurückgenommen werden (Brand in Niesel aaO § 122 RdNr 2).

Damit ist im vorliegenden Fall das Stammrecht auf Alg am 01.05.2002 entstanden, so dass von der Beklagten zutreffend das in der Zeit vom 01.04.2001 bis 31.03.2002 erzielte Arbeitsentgelt der Bemessung des Alg zugrunde gelegt wurde. Mit der späteren kurzen Beschäftigung (02.05.2002 bis 31.08.2002) ist kein neuer Anspruch auf Alg entstanden. Es fehlt insoweit bereits an einer neuen Anwartschaftszeit (§ 123 SGB III), denn die neue Rahmenfrist (mindestens 12 Monate, § 123 Abs 1 Nr 1 SGB III) reicht nicht in die vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Kläger eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 124 Abs 2 SGB III; BSG Urteil vom 04.09.1979 - 7 RAr 58/78).

Auf die Berufung der Beklagten ist daher das Urteil des SG Nürnberg vom 18.11.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 2 und 3 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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