L 18 SB 100/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 SB 449/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 100/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.06.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin das Merkzeichen RF zusteht.

Bei der 1915 geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 14.10.1999 als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt: 1. Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinde rung beider Kniegelenke, Instabilität beider Kniegelenke, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, Funktionsstö rung durch Zehenfehlform beidseits 2. Zuckerkrankheit (mit Diät und oralen Antidiabetika ein stellbar). Die Merkzeichen B und G waren zuerkannt.

Am 20.12.2001 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB und die Eintragung des Merkzeichens RF. Der Beklagte holte einen Befundbericht des Dipl.Mediziners G. vom 03.01.2002 ein und zog einen Arztbrief des Priv.Doz. Dr.H. vom 28.12.2000 sowie ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 17.08.2001 bei. Mit Änderungsbescheid vom 14.02.2002 stellte der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage des Allgemeinarztes Dr.H. vom 11.04.2002 einen GdB von 90 fest. Der Stellungnahme des Dr.H. lag nunmehr auch eine arterielle Verschlusskrankheit zugrunde. Die Gewährung des Merkzeichens RF lehnte der Beklagte ab.

Im Widerspruchsverfahren stellte der Beklagte nach Einholung weiterer Arztbriefe des Priv.Doz. Dr.H. vom 01.03.2002 und 19.04.2002 sowie einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie B. vom 04.08.2002 mit Teilabhilfebescheid vom 13.08.2002 als weitere Behinderungen Herzrhythmusstörungen und eine Herzleistungsminderung fest, erhöhte den GdB auf 100 und erkannte das Merkzeichen aG zu. Den Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 03.09.2002 im Übrigen mit der Begründung zurück, der Klägerin könne laut versorgungsärztlicher Berurteilung zugemutet werden mit Hilfe eines Rollstuhles und einer Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth hat die Klägerin beantragt, ihr das Merkzeichen RF zuzuerkennen. Das Sozialgericht (SG) hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach Hausbesuch durch den Internisten Dr.T. (Gutachten vom 03.01.2003). Dieser hat als weitere Gesundheitsstörungen festgestellt: Lungenemphysem, Bronchitis, Zustand nach Lungenembolie, Schwerhörigkeit beidseits, Verformung der Wirbelsäule, Periarthropathia humeroscapularis, Heberden- und Bouchardarthrose, kompensierte Niereninsuffizienz und Gefäßsklerose mit Aortenstenose und Neigung zu Hirndurchblutungsstörungen. Die Klägerin sei wegen dieser Erkrankungen zum Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen auf einen Rollstuhl und eine Hilfsperson angewiesen. Die örtlichen Verhältnisse seien für die Kompensierbarkeit der bestehenden Behinderungen zum Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen aber außerordentlich ungünstig. Das Wohnhaus der Klägerin habe keinen direkten Fahrwegzugang, sondern könne nur über einen gewendelten Stufenweg mit ca. 30 flacheren und 3 hohen Steinstufen erreicht werden. Zum Verlassen des Hauses sei deshalb eine Hilfsperson nicht ausreichend, sondern die örtlichen Verhältnisse erforderten dazu zwei Hilfspersonen. Dr.T. hat deshalb die Zuerkennung des Merkzeichens RF empfohlen.

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 03.06.2003 verurteilt, bei der Klägerin das Merkzeichen RF anzuerkennen. Es hat eine Überschreitung der Zumutbarkeitsmaßstäbe darin gesehen, dass die Klägerin zum Verlassen des Hauses eine zweite Hilfsperson benötigt.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt und gerügt, das Sozialgericht habe gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verstoßen. Danach müsse die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt und nicht wohnungs- oder witterungsbedingt unmöglich sein.

Der vom Senat zum gerichtlichen Sachverständigen bestellte Arzt für öffentliches Gesundheitswesen Dr.H. hat in seinem Gutachten vom 18.10.2004 nach Hausbesuch die Auffassung vertreten, dass - sofern die örtlichen Wohnverhältnisse unberücksichtigt blieben - die Voraussetzungen für das Vorliegen des Merkzeichens RF nicht hinreichend begründet werden könnten. Er hat berichtet, dass die Klägerin, die seit Juni 2004 in einem Altenheim lebe, infolge Veränderungen von inneren Organen und am Bewegungsapparat zum Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen auf einen Rollstuhl und eine Hilfsperson angewiesen sei. Seit ihrem Aufenthalt im Altenheim nehme die Klägerin unter Verwendung eines Rollstuhls und mit Unterstützung durch eine Pflegeperson an Kirchenbesuchen, Basteln und sonstigen üblichen Heimveranstaltungen teil. Nach Angaben des Heimpersonals werde die Klägerin mit dem Rollstuhl noch zur Bank gefahren und könne 1 - 2 Stunden im Rollstuhl sitzen.

Der Beklagte hat im Hinblick auf das Gutachten des Dr.H. die Voraussetzungen für die Gewährung des Mz RF weiterhin verneint. Die Klägerin hat sich hierzu nicht geäußert.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.06.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.06.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des begehrten Nachteilsausgleichs, die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei ihr vorliegen.

Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Anspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen gemäß § 69 Abs 4 SGB IX die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen. Demgemäß entscheiden diese Behörden auch darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen der von der Klägerin beanspruchten Förderung gegeben sind. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen RF einzutragen, wenn dem Schwerbehinderten ein GdB um wenigstens 80 zusteht und er wegen der bestehenden Leiden an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann.

Das Bundessozialgericht hat in seinen Urteilen vom 03.06.1987 (Az: 9a RVs 27/85), 10.08.1993 (Az: 9/9a RVs 7/91) und 16.03.1994 (Az: 9 RVs 3/93) die allgemeinen Bestimmungen über das Merkzeichen RF konkretisiert. Danach sind die Vorschriften über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht eng auszulegen und muss der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden "allgemein" und "umfassend" von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, verbietet. Der Betroffene muss vielmehr behinderungsbedingt am Besuch eines nennenwerten Teiles aller üblichen Veranstaltungen gehindert sein. Es können nur die funktionellen Auswirkungen der anerkannten Behinderungen, soweit sie für die Fähigkeit, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, bedeutsam sind, berücksichtigt werden. Wohnungsbedingte Einschränkungen, wie das Risiko der räumlichen Entfernung sei, ähnlich wie das schlechter Witterungsverhältnisse, sind von jedermann selbst zu tragen.

Die Klägerin erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichends RF trotz ihrer schweren Bewegungstörungen und inneren Leiden nicht. Sie kann nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Dr.T. und Dr.H. noch an öffentlichen Veranstaltungen mit einem Rollstuhl und einer Hilfsperson teilnehmen. Nach den Bekundungen des Sachverständigen Dr.H. kann sie im Rollstuhl und mittels Begleitperson Bankgeschäfte erledigen und noch zwei Stunden im Rollstuhl sitzen. Dies zeigt, dass der Klägerin auch der Besuch öffentlicher Veranstaltungen nicht verschlossen ist. Sie ist nicht behinderungsbedingt am Besuch eines nennenswerten Teiles aller üblichen Veranstaltungen gehindert (vgl BSG SozR 3870 § 3 Nrn 15 und 24).

Das SG ist zu Unrecht der Empfehlung des Dr.T. gefolgt und hat wegen der örtlichen Wohnverhältnisse der Klägerin die Zumutbarkeitsmaßstäbe für das Aufsuchen öffentlicher Veranstaltungen als überschritten angesehen. Die bis Juni 2004 bestehende ungünstige Wohnlage war für die Frage der Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht zu berücksichtigen, da nur behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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