L 17 U 18/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 187/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 18/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.11.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 30.10.1998 als Arbeitsunfall streitig.

Der 1941 geborene Kläger, der von Beruf Reisender im Außendienst war, schilderte am 27.09.2000 folgenden Unfall: Er habe am 30.10.1998 einen Rollenkleiderständer aus seinem Fahrzeug herausgenommen, ihn aufgebaut, und auf ihn vier im Kofferraum befindliche Kleidersäcke aufgehängt. Hierzu habe er vorher die beiden Rollbremsen des Kleiderständers gesperrt. Bei der Absicht, den Kleiderständer in ein Ladenlokal zu schieben, habe er - wie üblich - mit dem linken Fuß die Rollbremsen wieder lösen müssen. Bei dieser Entsperrungsbewegung sei er mit dem linken Fuß am Kleiderständer hängen geblieben. Er habe plötzlich einen Riss und stärkste Schmerzen im Bereich des linken Kniegelenkes verspürt. Unmittelbar darauf sei er mit samt dem Kleiderständer gestürzt und mit diesem und den Kleidersäcken auf den Boden aufgeschlagen. Im Durchgangsarzt- und Ergänzungsbericht vom 03.11.1998 wird der Unfall wie folgt geschildert: Bei Aussteigen aus Pkw Knie verdreht, dann Krachen und Schmerzen im linken Kniegelenk. Der Arbeitgeber gab im Bericht vom 21.02.2000 an, der Kläger habe beim Herausnehmen der Kleidersäcke aus dem Kofferraum durch Belastung einen Riss im linken Knie erlitten und sei zu Boden gestürzt. Der Chirurg PD Dr.S. nahm einen Verdacht auf Innenbandläsion des linken Knies an (Durchgangsarztbericht vom 03.11.1998). Der Orthopäde Dr.S. diagnostizierte in seinem Befundbericht vom 29.02.2000 aufgrund einer am 13.11.1998 durchgeführten Computertomographie (CT) eine komplette vordere Kreuzbandruptur mit Einriss an der femoralen Ansatzstelle sowie Einriss im mittleren Drittel des Außenmeniskus. Arbeitsunfähig krank war der Kläger bis 16.11.1998.

Die Beklagte zog einen Befundbericht des Dr.S. vom 11.03.2000 sowie ein Kernspin des linken Kniegelenkes vom 12.11.1998 (Dr.F.) bei. Sodann erstellte der Chirurg Dr.B. ein Gutachten am 23.05.2000, in dem er am linken Kniegelenk eine klinisch verifizierbare vordere Schublade bei Zustand nach vorderer Kreuzbandruptur links, Muskelverschmächtigung des Musculus quadrizeps links um minus 1 cm, Bewegungseinschränkung für Flexion um minus 10 Grad sowie subjektive Schmerzangabe in einem Areal außerhalb der Kniescheibe über dem körperfernen Oberschenkeldrittel bei Meniskusstress annahm. Der Gutachter ging davon aus, dass das bloße Schieben eines beladenen Kleiderständers ein typischer Mechanismus für die Spontanruptur eines bereits degenerativ vorgeschädigten Meniskus sei. Die Schmerzen seien als unfallunabhängig zu werten. Es habe sich um einen Sturz aus innerer Ursache gehandelt.

Mit Bescheid vom 14.06.2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 30.10.1988 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, das Ereignis stelle lediglich eine Gelegenheitsursache dar. Ein wesentlich mitwirkendes äußeres Unfallereignis, das die Beschwerden im linken Kniegelenk verursacht haben könne, fehle.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2001 zurück. Sie führte aus, dass die Schädigung des Innenbandes sowie die Ruptur des vorgeschädigten vorderen Kreuzbandes des linken Knies auch bei jeder anderen unversicherten Tätigkeit hätte auftreten können. Das bloße Gehen, Lösen der Rollbremse sowie Schieben eines beladenen Kleiderständers stelle keinen Unfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung dar.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum SG Nürnberg erhoben und beantragt, den Vorgang vom 30.10.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechende Leistungen zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass die Bewegung mit dem Fuß gegen das Arbeitsgerät, das damit verbundene Verhaken mit der Folge einer Fallbewegung und der daraus folgenden Verletzung als ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis iS des § 8 SGB VII anzusehen sei.

Mit Urteil vom 22.11.2001 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe verschiedene Unfallversionen geschildert (Herausnehmen des Kleiderständers aus dem Kofferraum, bei dem es plötzlich einen Stich bzw Riss im linken Knie gegeben habe - Riss beim Lösen der Bremse des Rollkleiderständers). Ein ganz normaler und dem Kläger geläufiger Bewegungsablauf habe den Stich und Schmerz im linken Knie verursacht. Dies stelle einen Sturz aus innerer Ursache dar. Zudem lägen degenerative Veränderungen vor. Da der Vorgang beim Kläger als alltäglich einzustufen sei, hätte unter vergleichbaren Umständen im Privatleben dasselbe Ergebnis herbeigeführt werden können.

Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, selbst wenn der Vorgang der Entsperrung des Kleiderständers als ein für ihn natürlicher Vorgang anzusehen sei, habe er sich dennoch verhakt, worauf er infolge des Risses im Knie gestürzt sei.

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat der Senat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.M. vom 01.10.2002 und des Dr.S. vom 06.12.2002, die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes N. sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Orthopäde Dr.W. am 24.03.2003 ein Gutachten von Amts wegen erstellt. Er hat das Ereignis vom 30.10.1998 als nicht geeignet angesehen, eine frische, unfallbedingte, vordere Kreuzbandverletzung oder frische Meniskusverletzung ursächlich hervorzurufen. Auch habe nicht sofort eine schwere Funktions- und Belastungseinschränkung des verletzten Kniegelenkes vorgelegen. Es sei von einem - vom Ereignis vom 30.10.1998 unabhängigen - bereits vorbestehenden krankhaften Zustand am linken Kniegelenk auszugehen.

Nach Vorlage eines Arztberichtes des Dr.S. vom 30.04.2003 hat der Orthopäde Dr.D. am 14.04.2004 ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellt. Er hat einen Zustand nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes mit verbliebener einfacher vorderer Instabilität als unfallbedingt angesehen. Dadurch seien aber nicht die aktuellen Beschwerden des Klägers zu erklären. Diese seien zum einen auf die schicksalhaften degenerativen Veränderungen im Bereich der Menisken zurückzuführen, zum anderen liege eine ausgeprägte Aggravationstendenz vor. Die MdE sei bis zum 6.Monat nach dem Unfallereignis mit einer MdE von 20 vH, danach mit 10 vH einzuschätzen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 22.11.2001 sowie des Bescheides vom 14.06.2000 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2001 zu verurteilen, das Ereignis vom 30.10.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 22.11.2001 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegt Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger am 30.10.1998 keinen Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII erlitten hat.

Die Anerkennung eines Arbeitsunfalles setzt nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass es sich um Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) handelt. Unfälle sind zeitlich begrenzte von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist, dass zum einen zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht (haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität).

Zur Überzeugung des Senats ist ein Arbeitsunfall iS der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nachgewiesen. Die Unfallschilderung des Klägers vom 27.09.2000, beim Entsperren der Rollbremse einen Riss und starke Schmerzen im Bereich des linken Kniegelenkes verspürt zu haben, nachdem er mit dem linken Fuß am Kleiderständer hängengeblieben sei, stellt keinen Vorgang dar, der geeignet ist, eine vordere Kreuzbandruptur zu verursachen. Bei einem unfallbedingten Riss des vorderen Kreuzbandes muss nach den Feststellungen des Dr.W. ein Unfallmechanismus iS einer aktiven oder passiven Überstreckung kombiniert mit einer Drehbewegung bei festfixiertem Fuß bzw Unterschenkel mit hoher kinetischer Energie vorliegen (vgl Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.684). Auch wenn man die Unfallschilderungen vom 03.11.1998 und 21.02.2000 zugrundelegt, hat kein Vorgang mit erheblicher kinetischer Energie vorgelegen. Der linke Fuß war weder vollständig fest fixiert, noch wurde das linke Kniegelenk aktiv oder passiv massiv überstreckt.

Gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 30.10.1998 und dem Zustand nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes mit verbliebener einfacher vorderer Instabilität spricht auch, dass der Kläger mit seinem Pkw nach dem Ereignis noch selbst nach Hause fahren konnte und erst 3 Tage später, also am 02.11.1998 erstmals ärztliche Hilfe in Anspruch nahm. Dies entspricht nicht einer frischen unfallbedingten Kreuzband- oder Meniskusverletzung, da bei einer frischen unfallbedingten Verletzung ein sofortiger Funktionsverlust sowie eine schwere Funktions- und Belastungseinschränkung des verletzten Kniegelenkes eintritt und kurzfristig ärztliche Hilfe erforderlich ist. Auffällig ist, dass sich im Erstbefund vom 03.11.1998 eine aktiv und passiv nahezu freie Beweglichkeit, kein Kniegelenkserguss, ein Druckschmerz am hinteren inneren Oberschenkelknorpel bzw Schienbeinkopf sowie eine innenseitig nachweisbare Aufklappbarkeit mit symmetrisch ausgebildeter vorderer Kniegelenksinstabilität fand. Auch im Erstbefund von Dr.S. vom 09.11.1998 zeigte sich kein Hinweis für eine unfallbedingte schwere Funktions- und Belastungseinschränkung bzw vorliegenden Funktionsverlust des linken Kniegelenkes. Beschrieben wird vielmehr eine deutliche Streck- und Beugehemmung mit vorderer, seitlicher Kniegelenksinstabilität, vereinbar mit einer alten, vorderen Kreuzbandschädigung. Auf dem Röntgenbild des linken Kniegelenkes vom 02.11.1998 ist ebenfalls kein Hinweis für eine frische knöcherne Verletzung, insbesondere für einen knöchernen Kreuzbandausriss ersichtlich. Vielmehr ist ein sogenanntes Rauber sches Zeichen am inneren und äußeren Schienbeinkopf, diskret ausgebildet, erkennbar als Hinweis für eine schicksalhaft degenerative Meniskuserkrankung. Nicht zuletzt ist das Kernspintomogramm des linken Kniegelenkes vom 12.11.1998 vereinbar mit einem alten, vorderen Kreuzbandschaden sowie schicksalhaft degenerativen Innen- und Außenmeniskusveränderungen. Beschrieben wird ein geringgradiger Kniegelenkserguss. Bei einer frischen, vorderen Kreuzbandverletzung wäre ein ausgeprägter Kniegelenkserguss zu erwarten gewesen. Nachweisen lässt sich aber am vorderen Kreuzband als krankhafter Befund nur eine Defektbildung am körpernahen Kreuzbandansatz ohne vermehrte Flüssigkeitseinlagerung im Sinne einer Einblutung im vorderen Kreuzbandrestgewebe. Auch die nachgewiesene Baker-Zyste des linken Kniegelenkes spricht für ein chronisches, bereits länger zurückliegendes Krankheitsgeschehen mit rezidivierenden Reizzuständen des linken Kniegelenkes, verursacht durch eine degenerative Meniskopathie, sowie alter Kniegelenksinstabilität. Es ist somit ein eindeutiger Vorschaden des linken Kniegelenkes im Sinne eines Schlottergelenkes dokumentiert. Dies ist ein vom Ereignis vom 30.10.1998 unabhängiger, bereits vorbestehender, krankhafter Zustand am linken Kniegelenk sowie eine schicksalhafte degenerative Meniskuserkrankung. Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger am 30.10.1998 keinen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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