L 2 U 114/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 214/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 114/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27.02.2003 und der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2001 bezüglich der Gewährung von Verletztengeld in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2001 werden aufgehoben, soweit es die Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 07. bis 30.09.1999 betrifft. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für diesen Zeitraum Verletztengeld zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Verletztengeld für eine Arbeitsunfähigkeit vom 07.09.1999 bis 10.04.2000.

Der Kläger war bei der Beklagten als selbständiger Kaufmann versichert. Am 31.08.1999 stellte er sich bei den behandelnden Lungenärzten vor, die u.a. über eine Tachykardie und Schweißneigung sowie teilweise Dyspnoe berichteten, von pulmologischer Seite jedoch im Augenblick keine Therapiekonsequenz sahen. In der Röntgenthoraxaufnahme und auch sonographisch erkannten sie jedoch eine pleurale Schwielenbildung und meinten, zusammen mit der Anamnese sei eine Asbestose nicht auszuschließen. Sie veranlassten deshalb eine Computertomographie des Thorax. Die Tomographie am 02.09.1999 ergab einen Befund, der gut mit einer Asbestose vereinbar sei. Die Lungenärzte hielten auf Grund der pulmonalen Situation mit Verdacht auf Asbestose eine Krankenhauseinweisung für dringend nötig und der Kläger begab sich am 07.09.1999 in das Krankenhaus D ... Dort wurde ein beidseitiger Pleuraerguss kardialer Genese festgestellt. Der Verdacht auf Asbestose sei durch den mikroskopischen Nachweis von Asbestfasern bestätigt worden. Der Lungenrundherd rechts basal konnte in dem Krankenhaus nicht abgeklärt werden, der Kläger wurde deshalb in das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder R. verlegt, wo er bis 30.09.1999 stationär war. Da weder bioptisch noch bronchoskopisch eine Ätiologie gewonnen werden konnte, wurde am 17.09.1999 eine Thorakotomie durchgeführt. Der entfernte Unterlappentumor konnte als nichtmaligner Tumor bestätigt werden. Der postoperative Verlauf gestaltete sich weitgehend unauffällig. Der Kläger wurde bei reizlosen Wundverhältnissen am 30.09.1999 aus der stationären Behandlung entlassen. Anschließend wurde er bei ambulanter Behandlung arbeitsunfähig geschrieben.

Die Beklagte holte zur Frage einer Asbestose ein Gutachten des Direktors des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität E. Prof. Dr.D. vom 18.10.2000 ein. Zum stationären Aufenthalt und der Arbeitsunfähigkeit war der Sachverständige nicht befragt.

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine durch berufliche Asbeststaubeinwirkung verursachte Erkrankung der Pleura gemäß Berufskrankheitennummer 4103 vorliege. Die für die Einschätzung einer eventuellen MdE maßgeblichen lungenfunktionsanalytischen Parameter lieferten derzeit keinen Hinweis auf eine berufskrankheitenbedingte Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsbreite. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden schienen vielmehr in der berufskrankheitenunabhängigen Herzerkrankung begründet zu sein. In der Begründung des Gutachtens wurde u.a. ausgeführt, die pleuralen Verkalkungen könnten nicht von dem im September 1999 diagnostizierten Pleuraerguss herrühren. Die pleuralen Veränderungen fänden sich vorwiegend in den basalen Lungenabschnitten. Dieser Befund spreche auf Grund der für asbestbedingte pleurale Läsionen typischen Lokalisation für einen ursächlichen Zusammenhang dieser Veränderungen mit der stattgehabten Asbestexposition. Da es sich bei dem beschriebenen Pleuraerguss nachweislich um ein Transsudat gehandelt habe und die Ursache somit in der Herzerkrankung gesehen worden sei, bestehe derzeit kein Hinweis auf den Verdacht einer Asbestpleuritis. Da Pleuraergüsse aber generell auch Vorboten asbestbedingter bösartiger Veränderungen sein könnten, sei dem Versicherten empfohlen worden, Kontrollen in jährlichen Abständen durchzuführen.

Die Beklagte erkannte daraufhin mit Bescheid vom 12.12.2000 eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura als Berufskrankheit an, verweigerte aber die Gewährung von Verletztenrente, weil keine rentenberechtigende MdE vorliege.

Im Januar 2001 beantragte der Kläger die Gewährung von Verletztengeld ab 07.09.1999.

Mit Bescheid vom 23.01.2001 verweigerte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld, weil die stationäre Behandlung wegen einer Erkrankung kardialer Genese notwendig gewesen sei und keinen Zusammenhang mit der Berufskrankheit gehabt habe. Den anschließenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2001 als unbegründet zurück.

Die anschließende Klage hat sich neben dem Begehren auf Verletztengeld auch auf eine stationäre Heilbehandlung erstreckt, die mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage abgelehnt worden war. Bezüglich letzteren Begehrens ist die Klage zurückgenommen worden. Mit Urteil vom 27.02.2003 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich wie die Beklagte auf das Gutachten des Prof. Dr.D. gestützt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren auf Gewährung von Verletztengeld weiter.

Auf seinen Antrag nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr.P. vom 01.03.2004 eingeholt. Der Sachverständige führt, u.a. mit Hinweis auf die vorbehandelnden Ärzte und das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.L. , im Wesentlichen aus, die Notwendigkeit des stationären Aufenthaltes im Krankenhaus D. habe sich aus dem Verdacht auf Asbestose ergeben, nachdem im CT vom 02.09.1999 diffuse Pleuraverdickungen beschrieben worden seien, ebenso Schwartenbildungen und interseptal einstrahlende Schwarten, welche als Brückensymptome für eine Asbestose gelten könnten. Gestützt worden sei diese Annahme nochmals durch den Nachweis von Asbestkörperchen in der broncho-alveolären Lavage vom 08.09.1999. Aus diesem Grund sei die Notwendigkeit zur Abklärung einer vermuteten Asbestose gegeben gewesen, wobei sich zum damaligen Zeitpunkt lungenfunktionsanalytisch keine relevante restriktive oder obstruktive Belüftungsstörung gezeigt habe. In Zusammenschau der Befunde sei die stationäre Behandlung im Krankenhaus D. zumindest teilursächlich durch die Berufskrankheit bedingt gewesen. Während des gleichen stationären Aufenthaltes sei die Verdachtsdiagnose der Schlafapnoe bestätigt und gleichzeitig eine entsprechende Behandlung eingeleitet worden. Die im Zusammenhang mit der Schlafapnoe stehenden Untersuchungen seien sicherlich nicht als berufskrankheitsbedingt erforderlich zu werten. Da sich im CT vom 02.09.1999 ein Lungenrundherd rechts basal dargestellt habe, sei auf Grund der Asbestexposition eine weitere, dringliche Abklärung mittels chirurgischer Maßnahmen notwendig gewesen, da die konventionellen Untersuchungstechniken keine abschließende Klärung des solitären Lungenrundherdes zugelassen hätten.

Der Krankenhausaufenthalt vom 07. bis 16.09.1999 sei durch das Schlafapnoe-Syndrom allein nicht gerechtfertigt gewesen, zumindest 50 % des stationären Aufenthalts seien berufskrankheitsbedingt gewesen. Der stationäre Aufenthalt im Krankenhaus der barmherzigen Brüder sei notwendig gewesen, um ein malignes Geschehen als Folge einer Asbestexposition auszuschließen.

In welchem Umfang und auf Grund welcher Befunde der Kläger im Anschluss an die stationären Behandlungen arbeitsunfähig gewesen sei, lasse sich schwer beurteilen. Der Sachverständige stellt im weiteren dar, dass aussagekräftige Lungenfunktionsprüfungen bzw. Belastungsuntersuchungen bis 03.05.2000 fehlten und die angegebenen Beschwerdebilder und Diagnosen sich nicht von dem Zustand vor der stationären Behandlung unterschieden. Lediglich der behandelnde Arzt, der inzwischen verstorben war, spreche von einem verzögerten Heilverlauf. Im Ergebnis ist dem Gutachten zu entnehmen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf die Berufskrankheit gestützt werden könne und dass postoperativ sicherlich mit einer durchaus längeren Rekonvaleszenzzeit, auch bei komplikationsfreiem postoperativem Verlauf zu rechnen sei. Hier sei sicherlich eine individuelle Zeitspanne zu berücksichtigen, jedoch erscheine eine Rekonvaleszenzzeit bis 05/2000 als nicht gerechtfertigt. Es erscheine durchaus eine Leistungsminderung bis acht Wochen postoperativ auf Grund des chirurgischen Eingriffs gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27.02.2003 sowie den Bescheid vom 23.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Verletztengeld für die Zeit vom 07.09.1999 bis 10.04.2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung des Klägers ist begründet, soweit es um einen Verletztengeldanspruch für die Zeit vom 07. bis 30.09.1999 geht. Darüberhinaus ist die Berufung unbegründet, denn es ist nicht hinreichend nachgewiesen, dass eine Arbeitsunfähigkeit über den 30.09.1999 hinaus entweder als Folge der Berufskrankheit oder als Folge des operativen Eingriffs bestanden hätte.

Die Beklagte hat den Kläger nach § 48 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 ihrer Satzung i.V.m. § 45 Abs.1 Nr.1 SGB VI durch Gewährung von Verletztengeld zu entschädigen, weil er infolge des Versicherungsfalls der anerkannten Berufskrankheit während der stationären Behandlung vom 07. bis 30.09.1999 arbeitsunfähig war.

Zu den mittelbaren Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, für die die Klägerin durch Leistungen einzustehen hat, gehört auch eine Arbeitsunfähigkeit, die wesentlich durch den operativen Eingriff zur Abklärung einer Berufskrankheit wenigstens mitverursacht ist. Durch ärztliche Eingriffe hervorgerufene Gesundheitsstörungen sind mittelbare Unfallfolgen, wenn die Eingriffe dazu gedient haben, Art, Umfang und Ausmaß von Unfallfolgen festzustellen (BSG SozR 2200 § 539 Nr.47; § 548 Nr.59). Der Kläger ist, wie sich aus der Vorgeschichte in Gestalt der Berichte der behandelnden Ärzte und aus dem Gutachten des Prof.Dr.P. ergibt, wesentlich wegen des abklärungsbedürftigen Verdachts auf eine Asbestose in stationäre Behandlung eingewiesen worden. Aus eben diesem Grunde ist die Operation am 07.09.1999 durchgeführt worden. Beides, sowohl die Einweisung zur stationären Behandlung als die operative Abklärung sind damit mittelbare Folgen der Berufskrankheit. Zu ihnen gehört mithin auch die Arbeitsunfähigkeit, die wesentlich durch die stationären Untersuchungen und den operativen Eingriff zur Abklärung einer Berufskrankheit wenigstens mitverursacht sind. Dies trifft zweifelsfrei nach dem Gutachten des Prof.Dr.P. für die Dauer der stationären Behandlung vom 07. bis 30.09.1999 zu.

Für die Folgezeit kann dies jedoch nicht mehr angenommen werden. Nach dem Gutachten des Prof. Dr.P. lässt sich nicht mehr ermitteln, auf Grund welcher Befunde und Leistungseinschränkungen der Kläger in der Folgezeit arbeitsunfähig geschrieben war. Fest steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht auf der anerkannten Berufskrankheit selbst basieren konnte. Dass sie Folge der durchgeführten Operation gewesen sei, lässt sich jedoch nicht begründen. Insoweit stehen nur Beschwerdeangaben und Diagnosen des behandelnden Arztes zur Verfügung, die sich von denen vor der stationären Einweisung nicht unterschieden haben. Auf die Annahme der sonst üblichen Rekonvaleszenzzeit durch den Sachverständigen Prof.Dr.P. lässt sich jedoch im konkreten Fall eine berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit für die Folgezeit nicht stützen. Die bereits in sehr relativierenden Aussagen des Sachverständigen vorgebrachte Annahme kann sich, wie seinem eigenen Gutachten zu entnehmen ist, nicht auf konkrete Befunde stützen. Dies wäre um so notwendiger, als diesem Gutachten selbst zu entnehmen ist, dass die nicht durch die Berufskrankheit oder die Operation bedingten Gesundheitsstörungen des Klägers bestimmend für seinen Gesundheitszustand waren und weiter sind. Es lässt sich somit, selbst bei Unterstellung einer weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht mehr feststellen, welche gesundheitlichen Verhältnisse wesentlich oder allein wesentlich für das angenommene eingeschränkte Leistungsvermögen gewesen sind. Es kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit gesagt werden, dass der durch die Operation bedingte Zustand wesentlich wenigstens mitursächlich für eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Auch wenn sich üblicherweise an einen solchen operativen Eingriff eine Arbeitsunfähigkeit anschließt, läßt sich im vorliegenden Fall nicht hinreichend belegen, dass dies auch beim Kläger gegolten hat und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, könnten die übrigen Gesundheitsstörungen im Verhältnis hierzu immer noch die allein wesentliche Ursache gewesen sein. In Ansehung des an den stationären Aufenthalt anschließenden Zeitraums konnte der Berufung deshalb nicht stattgegeben werden.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und entspricht dem teilweisen Obsiegen des Klägers.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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