L 16 R 189/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 424/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 189/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 167/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 5. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1950 geborene Kläger ist bosnischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in Kroatien. Er bezieht vom bosnischen Versicherungsträger in M. seit 19.09.1996 Invalidenrente. In der Zeit vom 22.07.1974 bis 18.09.1996 hat er dort insgesamt 23 Jahre, 9 Monate, 28 Tage Beitragszeit zurückgelegt.

Beitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung wurden von 1966 bis 1974 für 44 Monate zurückgelegt.

Mit dem Rentenantrag vom 23.05.1996 wurde vom bosnisch-herzegowinischen Versicherungsträger ein Untersuchungsbericht der Untersuchungsstelle in M. vom 22.11.2000 vorgelegt. Danach leidet der Kläger an den Folgen einer Magenresektion wegen Magengeschwürs, einem Zustand nach 1983 durchgemachter aktiver Lungen-Tbc mit chronischer Bronchitis und einem psychoorganischen Syndrom mit Chronifizierung und Persönlichkeitsstrukturen der aggressiven Tendenz und Depression. Nach Auffassung der Ärzte in M. kann der Kläger seit Aufgabe der Beschäftigung am 18.09.1996 keine Tätigkeit mehr ausüben. In der Anamnese ist vermerkt, er habe in Deutschland als Bauarbeiter, Zimmermann gearbeitet. Die Arbeitgeber wurden nicht bekannt gegeben.

Auf Veranlassung der Beklagten fand am 17.09.2001 in der Ärztlichen Gutachterstelle in R. eine Untersuchung des Klägers durch Dr.A. statt. Dort gab der Kläger an, keine berufliche Ausbildung gemacht und in der Bundesrepublik zwischen 1969 und 1974 als Bauarbeiter schwere Arbeiten verrichtet zu haben. Nach Rückkehr in seine Heimat habe er bis Mai 1996 gearbeitet und beziehe seither eine geringe bosnische Rente. Dr.A. beschreibt den Gedankengang als formal geordnet ohne psychotische Phänomene, die intellektuelle Leistung liege im Bereich der Norm, Störungen der Auffassungs-, Kritik- und Urteilsfähigkeit, des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Konzentration konnten nicht festgestellt werden. Als Diagnosen wurden genannt: 1. Angststörung 2. Zustand nach Magenresektion ohne Auswirkung auf den Ernäh rungszustand 3. Zustand nach Lungen-Tbc ohne funktionelle Störung. Als besondere Belastung wurden der tödliche Unfall des Sohnes sowie die Angst vor einem neuen Krieg genannt. Dr.A. beurteilte das Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit mit weniger als zwei Stunden, während auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig gearbeitet werden könne, wobei nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar seien.

Mit Bescheid vom 22.10.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Es liege weder teilweise Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit noch volle Erwerbsminderung vor, da der Kläger, der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, noch acht Stunden erwerbstätig sein könne.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, in Jugoslawien bereits 1996 die Rente erhalten zu haben, weil er wegen der Magen- und Lungenerkrankung sowie des hohen Blutdrucks und der psychischen Beschwerden wie Depression und Aggressivität keinerlei Arbeit mehr nachgehen könne. Weiter machte er in verschiedenen Schreiben eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes geltend, besonders des psychischen Zustandes.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die Auswertung der Unterlagen keine Änderung ergebe.

Die dagegen gerichtete Klage begründete der Kläger mit schweren psychischen Beschwerden, die sich in letzter Zeit verschlechtert hätten und ihn an einer Erwerbstätigkeit hinderten.

Das Sozialgericht beauftragte den Neurologen und Psychiater Dr.Dr.W. mit der Begutachtung des Klägers. Dieser erstellte sein Gutachten am 30.10.2003. Nach dem Ergebnis der Begutachtung liegen beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen vor: - wirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne Nervenwurzelreizer- scheinungen, - mittelgradige Dysthymie bei histrionischer Persönlichkeitsstörung und besonders expressivem Darstellungsmodus. Kognitive Störungen von Gewicht konnten ebenso wenig nachgewiesen werden wie Vitalstörungen. Der Gutachter hielt leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen, ohne schweres Heben und Tragen von Lasten, ohne Zwangshaltung, nicht im Akkord und ohne Zeitdruck für vollschichtig bzw. mehr als sechs Stunden täglich möglich und stimmte dem Gutachten der Untersuchungsstelle in R. ausdrücklich zu.

Das Sozialgericht wies die Klage wegen fehlender Erwerbsminderung durch Gerichtsbescheid vom 05.02.2004 ab.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Seit der Untersuchung in R. bei Dr.Dr.W. habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Man solle ihm die Rente ab 23.05. 1996 bzw. zumindest ab 31.12.2000 gewähren. Medizinische Unterlagen aus den Jahren 2003 und 2004 fügte er bei.

Dr.Dr.W. konnte bei erneuter Untersuchung des Klägers am 18.10.2004 weder weitere Gesundheitsstörungen noch eine Verschlechterung feststellen. Das zeitliche Leistungsvermögen beschrieb er weiterhin als zeitlich uneingeschränkt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.02. 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bzw. Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit ab Antrag zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut und des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), erweist sich jedoch als unbegründet.

Weder der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut noch der angefochtene Bescheid der Beklagten erweisen sich als rechtswidrig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach §§ 43, 240 SGB VI n.F. noch nach §§ 43, 44 SGB VI a.F.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001, nämlich seit 23.05.1996, besteht (vgl. § 300 Abs.2 SGB VI). Für den Anspruch des Klägers sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch vorgetragen ist, dass jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben sei (vgl. § 300 Abs.1 SGB VI).

Das Sozialgericht hat unter Beachtung aller rechtlichen Gesichtpunkte die Anspruchsvoraussetzungen auf Rente aus der deutschen Versicherung zu Recht verneint und in seiner Begründung die Anspruchsvoraussetzungen ausführlich dargestellt. Insoweit wird nach § 153 Abs.2 SGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, da der Senat aus den dort genannten Gründen den Rentenanspruch des Klägers verneint.

Auch die vom Senat selbst veranlasste Untersuchung des Klägers ergab keine Änderung im Gesundheitszustand und somit keine Änderung in der Beurteilung des Rentenanspruchs. Dr.Dr.W. hat erneut keine Verschlechterung des Gesundheitszustands feststellen können und kam, wie bereits Dr.A. im Verwaltungsverfahren und er selbst im sozialgerichtlichen Verfahren, zum Ergebnis, dass der Kläger zwar für Tätigkeiten als Bauhelfer nur noch eingeschränkt einsetzbar ist, im Übrigen aber leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten noch vollschichtig, zumindest aber mehr als sechs Stunden täglich, seit Antragstellung verrichten konnte und kann.

Dass beim Kläger noch eine ausreichende Leistungsfähigkeit vorhanden ist, hat der Gutachter, der den Kläger mit zeitlichem Abstand zweimal untersucht und begutachtet hat, gut nachvollziehbar begründet. Dr.Dr.W. stellt vor allem dar, dass im Leben des Klägers die schweren existenziellen Sorgen und der Verlust des Sohnes im Vordergrund stehen und er unter Eindruck dieses Drucks, unter dem er leidet, seine Beschweren überdeutlich darstellt. Von einer gravierenden Antriebsbeeinträchtigung kann aber nicht die Rede sein und die psychische Modulationsfähigkeit wird von Dr.Dr.W. als noch ausreichend bezeichnet. Dr.Dr.W. setzt sich mit den zahlreichen Befunden aus der Heimat des Klägers inhaltlich auseinander und stellt dar, dass der Kläger zwar psychisch unter der Trauerreaktion seit dem Tod des Sohnes 1997 leidet. Gegenüber der Voruntersuchung ergaben sich aber keine neuen Gesichtspunkte. Nach wie vor war die Kognition ungestört in dem Sinne, dass der Kläger Aufforderungen korrekt und folgerichtig befolgen konnte. Die Stimmungslage war zwar gedrückt durch die Zunahme der materiellen Not im Heimatland, es zeigte sich aber eine erhaltene Resonanzfähigkeit, wobei weiterhin ein sehr klar erkennbarer Durchsetzungswille materieller Versorgungswünsche aus naheliegenden und nachvollziehbaren Gründen im Vordergrund stand. Die erhebliche innere Anspannung zeigte sich erneut in theatralischer Darstellung und lebhafter, durchaus auch als kämpferisch zu bezeichnender Gestik. Befragt nach den schriftlich vorgetragenen Panikattacken spielen diese offenbar keine wesentliche Rolle. Der Gutachter betont aber, dass die psychische Befindlichkeit Ausfluss der ungünstigen wirtschaftlichen und durch die Kriegssituation aufgeheizten Situation im Heimatland, für das Leistungsvermögen aber ohne gravierenden Einfluss ist. Er konnte zusammenfassend zwar eine situativ gebundene Dysthymie, nicht aber eine eigenständige psychische Erkrankung im technischen Sinn der Psychiatrie feststellen, und zwar weder nach der Ausprägungsform, noch nach dem klinischen Bild, noch nach den Behandlungsoptionen. Bei Fehlen schwerwiegender depressiver Störungen handelt es sich um eine gedankliche Fixierung auf die soziale Bedrohungssituation und die existenzielle Not, sodass neben den in der Vorgeschichte zu berücksichtigten Folgen der Tuberkulose, dem Alkoholismus und wirbelsäulenabhängigen Beschwerden im bekannten Umfang keine weitergehende Leistungseinschränkung vorhanden ist. Der Gutachter blieb daher bei seiner Leistungsbeurteilung, dass der Kläger noch vollschichtig tätig sein könne.

Auch ließ sich eine Verschlechterung des Gesundheitszustands seit August 2003 nicht feststellen, es besteht weiterhin die mittelgradige Dysthymie. Wesentliche Anteile eines schwerwiegenden depressiven Geschehens fehlen aber, sodass Antrieb und Intentionalität nicht gemindert und durchaus adäquate, das heißt auch positive oder freudige Regungen möglich sind. Die gedankliche Fixierung ist auf die soziale Bedrohungssituation und die existenzielle Not gerichtet, nicht aber auf eigentliche psychiatrische Befindlichkeiten. Nach dem klinischen Bild haben sich die Kognition sowie die affektive Beweglichkeit und die Antriebslage nicht gravierend verschlechtert. Insgesamt bestehen neben den psychischen Leistungseinschränkungen die in der Vorgeschichte beschriebene Tuberkulose, die nicht aktiv ist und die wirbelsäulenabhängigen Beschwerden in bekanntem Umfang.

Zur beruflichen Ausbildung des Klägers wurde nichts Neues bekannt. Er selbst hat vorgetragen, keinen Beruf erlernt zu haben und in der Bundesrepublik als Bauhelfer beschäftigt gewesen zu sein. Er hat eingeräumt, überwiegend körperlich schwere Arbeiten verrichtet zu haben, sodass der Senat von einer Tätigkeit des Klägers als ungelernter Arbeiter, zumindest aber nur einfach angelernter Tätigkeit, ausgeht. Eine gewisse Qualifikation im Beruf hat der Kläger erst nach seiner Rückkehr nach Jugos- lawien erfahren, als er als Busfahrer oder Kontrolleur oder auch Speditionsarbeiter tätig wurde. Ein sog. Berufsschutz nach deutschem Recht lässt sich deshalb nicht begründen, denn es ist durch die fehlende Berufsausbildung und den fehlenden Nachweis einer qualifizierten Beschäftigung nicht erkennbar, dass der Kläger einem deutschen gelernten Facharbeiter vergleichbar gearbeitet hat und bezahlt wurde. Der Senat musste sich in Hinblick auf die vom Kläger selbst eingeräumte Tätigkeit als Bauhelfer zu keiner weiteren Sachaufklärung gedrängt fühlen. Für den Kläger als bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger ist trotz seines Wohnsitzes in Kroatien nicht das deutsch-kroatisches Sozialversicherungsabkommen vom 24.11.1997 (BGBl.1998 II S.2034) anwendbar, da nach dem persönlichen Geltungsbereich (Art.3) das Abkommen die Staatsangehörigen eines Vertragsstaates erfasst sowie Flüchtlinge und Staatenlose oder Personen, die Rechte von diesen ableiten. Der Kläger ist nach den bestätigten Angaben im Verwaltungsverfahren aber bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger und er erhält seine eigene Rentenleistung ja auch nicht vom kroatischen, sondern vom bosnischen Versicherungsträger. Für ihn findet deshalb weiter das deutsch-jugoslawisches Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (BGBl.II 1969, 1438 und BGBl.II 1975, 389) Anwendung, das im Verhältnis zur Republik Bosnien und Herzegowina so lange Anwendung findet, bis beide Seiten etwas Abweichendes vereinbaren (siehe Bekanntmachung vom 16.11.1992, BGBl.II 1196). Daher ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit nur die in der Bundesrepublik ausgeübte Bauhelfertätigkeit zu Grunde zu legen. Da er als einfach Angelernter also auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann, die er gesundheitlich noch in der Lage ist auszuüben, muss ihm nach der ständigen Rechtssprechung des BSG keine sog. Verweisungstätigkeit benannte werden. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen, wie es Dr.Dr.W. zuletzt im Gutachten für den Senat festgestellt hat, kann er zumindest leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten noch acht Stunden täglich verrichten.

Damit erfüllt er unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Voraussetzung für den Rentenbezug, sodass weder die Entscheidung der Beklagten noch der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 05.02.2004 zu beanstanden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 Ziffer 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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