L 4 B 428/04 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 476/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 428/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 29. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die bei der Antragsgegnerin in der Krankenversicherung der Rentner (KVDR) versicherte Antragstellerin bezieht neben gesetzlichen Renten Versorgungsbezüge von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die von der Antragsgegnerin bis 31.12.2003 nach dem damals gültigen Recht mit der Hälfte des jeweils am 01.07. geltenden allgemeinen Beitragssatzes der Beitragsbemessung unterworfen wurden. Nach dem ab 01.01.2004 in Kraft getretenen neuen Recht wandte die Antragsgegnerin für die Beitragsbemessung dieser Bezüge den allgemeinen Beitragssatz (14,9 v.H.) an und erteilte hierüber am 08.01.2004 einen Beitragsbescheid, mit dem sie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 315,28 EUR monatlich geltend machte. Hiergegen legten die Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.03.2004 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2004 abgewiesen wurde. Dagegen ist am 05.05. 2004 Klage erhoben worden.

Gleichzeitig hat die Antragstellerin beim Sozialgericht München beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge aus den Versorgungsbezügen anzuordnen. Es sei nicht einzusehen, warum angesichts der rechtspolitischen Bedeutung dieser Angelegenheit und einer Vielzahl von Musterverfahren nicht auch der Beklagten daran gelegen sein solle, hier abzuwarten, bis in eindeutiger Art und Weise eine Klärung der anstehenden Rechtsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgt ist. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung solle nicht den Interessen der Antragsgegnerin Vorrang gegenüber denen der Antragstellerin gegeben werden.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 29.07.2004 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Selbst bei Annahme offener Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren sei im Rahmen einer Interessenabwägung den Interessen der Antragsgegnerin, die die der Solidargemeinschaft an zeitnaher Beitragsentrichtung und Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger vertritt, gegenüber denen der Antragstellerin der Vorzug zu gewähren. Im Falle des Obsiegens der Antragstellerin und Klägerin im Hauptsacheverfahren bzw. gemäß den Musterverfahren bestünden Rückforderungsansprüche gegen die Antragsgegnerin und Beklagte. Diese seien zu realisieren. Auch die sonstigen Interessen der Antragstellerin, bei gegebener eventueller Rechtsunsicherheit, auf die der Prozessbevollmächtigte verweist, zunächst von einer Beitragszahlung abzusehen, seien gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin als nachrangig anzusehen. Insoweit habe der Gesetzgeber mit § 86a Abs.2 Nr.1 SGG eine grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungsträger eine aufschiebene Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten entfalle. Davon im vorliegenden Fall abzuweichen bestünden keine ausreichenden Gründe, auch finanzielle Überlegungen sprächen nicht dagegen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 16.08.2004, zu deren Begründung vorgetragen wird, mit Rücksicht auf die anhängigen Musterverfahren erscheine es durchaus angezeigt und notwendig, bis zur Entscheidung die Vollstreckung der hier streitigen Beiträge auszusetzen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 29.07.2004 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 05.05.2004 gegen die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge aus ihren Versorgungsbezüge anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG), sie erweist sich aber als unbegründet. Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § § 86a Abs.2 Nr.1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG regelt, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließ- lich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt.

Der Senat hat aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechts- schutzes gebotenen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 08.01.2004 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 21.04.2004, soweit es um die hier streiti- ge Anwendung des Beitragssatzes geht. Gemäß § 248 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V in der Fassung des Gesetzes vom 14.01.2003 (in Kraft ab 01.01.2004), gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils am 01.07. geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Mit dieser Neufassung der gesetzlichen Regelung des Beitragssatzes aus Versorgungsbezügen hat der Gesetzgeber das bis zum 31.12.2003 geltende Recht des § 248 SGB V zum Nachteil der Versicherten geändert.

Es besteht kein Anlass, den Vollzug dieser gesetzlichen Regelung aufzuschieben, d.h. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da gemäß Art.20 Abs.3 Grundgesetz die vollziehende Gewalt (also auch die gesetzlichen Krankenkassen) und die Recht- sprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Damit scheidet die Möglichkeit aus, für die Antragstellerin weiterhin das frühere Recht anzuwenden, d.h. ihren Versorgungbezug nur mit dem halben Beitragssatz zu belasten. Die verfahrensrechtlich allein in Betracht kommende Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art.100 Abs.1 Grundgesetz (GG) wendet der Senat nicht an, da er von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung nicht überzeugt ist.

Normzweck der Neufassung des § 248 SGB V ist, Rentner, die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung ihr Leistungsaufwendungen zu beteiligen. Die Beitragszahlungen der Rentner deckten 1973 noch etwa 70 % der Leistungsaufwendungen ab, inzwischen decken die eigenen Beiträge der Rentner nur noch ca. 45 % der Leistungen ab, die für sie nötig sind. Es ist daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht höher werden zu lassen. Da die Empfänger von Versorgungsbezügen durch deren Zahlstellen lückenlos erfasst sind, erfolgt auch eine für sie alle gerechte Belastung, der sich niemand entziehen kann. Damit entsteht eine beitragsrechtliche Gleichbehandlung mit der Beitragsbemessung aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass gemäß §249a SGB V die Rentenversicherungsträger die Hälfte dieser Beiträge zahlen, ist eine Frage, die nicht die Beitragssätze, sondern die Tragung der Beiträge betrifft.

Der Senat sieht in der Änderung des § 248 Satz 1 SGB V ab 01.01. 2004 auch keine Verletzung des Vertrauensschutzes auf Gesetze unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung (Art.20 Abs.1, 3 GG). Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Hierunter fällt auch die Korrektur einer Dauerregelung für die Zukunft. Eine derartige unechte Rückwirkung ist in der Regel zulässig. D.h., der Gesetzgeber hat aufgrund der weiten Gestaltungsfreiheit im Sozialrecht die Möglichkeit, eine Rechtsposition zum Nachteil der Versicherten für die Zukunft zu ändern. Eine unechte Rückwirkung ist nur ausnahmsweise unzulässig, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen braucht, wobei das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht geschützt wird und außerdem das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdiger ist als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mussten aufgrund der seit langer Zeit eingeleiteten Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Abbau von Leistungen bzw. Beitragsvergünstigungen einzelner Gruppen und einer stärkeren Heranziehung zur Finanzierung der Leistungen für ihre Gruppe rechnen. Damit ist das Anliegen des Gesetzgebers, Beitragsvergünstigungen für eine Gruppe von Versicherten abzubauen, die einerseits hohe Leistungsausgaben verursacht, andererseits mit ihren Beiträgen weniger als die Hälfte finanziert, mit dem Grundsatz der solidarischen Finanzierung und dem Versicherungsprinzip zu vereinbaren. Der Gesetzgeber war also nicht gehindert, auch die Interessen der übrigen Versichertengemeinschaft an einer Beitragsstabilität zu berücksichtigen und insoweit einen Ausgleich herbeizuführen.

Die Vollziehung der Beitragsforderung stellt für die Antragstellerin keine unbillige Härte dar. Es ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin im Falle der rückwirkenden Aufhebung der Neuregelung des § 248 Satz 1 SGB V im bereits anhängigen Musterstreitverfahren der Antragstellerin die zu viel gezahlten Beiträge zurückerstatten wird.

Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprecender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved