L 8 AL 60/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 AL 1408/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 60/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 2003 und unter Aufhebung des Bescheides vom 2. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2001 verpflichtet, den Bescheid vom 20. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1995 zurückzunehmen und der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten H. S. dem Grunde nach ab 15. Februar 1995 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergericht- lichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Beklagte hat der Staatskasse Gerichtskosten in Höhe von 2.000,00 EUR zu zahlen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rücknahme eines Ablehnungsbescheides gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 15.02.1995 streitig.

Der 1940 geborene und am 07.05.1999 verstorbene Ehemann der Klägerin war vom 07.04.1985 bis 30.09.1991 selbständig tätig und vom 01.10.1991 bis 30.06.1992 sowie vom 21.09.1992 bis 31.08.1993 als Maurermeister bzw. Polier beschäftigt. Ab 01.09.1993 bezog er Krankengeld und wurde am 06.02.1995 ausgesteuert. Am 15.02.1995 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg. In dem Antrag ist die Frage, ob er von einem Arzt arbeitsunfähig krankgeschrieben sei, bejaht, ebenso die Frage, ob ihm die letzte Tätigkeit zu schwer gewesen sei. Die Frage, ob ausschließlich Teilzeitarbeit in Betracht käme und wie viele Stunden wöchentlich er arbeiten könne, wurde jeweils verneint. Unter der Rubrik, welche Tätigkeiten noch in Betracht kämen, findet sich der Eintrag "keine", der vom Antragsannehmer angebracht wurde.

Der Versicherte legte einen Bescheid der BfA vom 06.02.1995 vor, mit dem der Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit (BU/EU) mit der Begründung abgelehnt worden war, er sei seit 09.08.1993 erwerbsunfähig, erfülle aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht, da in dem maßgeblichen Zeitraum 09.08.1988 bis 08.08.1993 nur 17 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien.

Mit Bescheid vom 20.04.1995 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg mit der Begründung ab, der Versicherte habe erklärt, erwerbsunfähig zu sein; damit stehe er der Arbeitsvermittlung nicht zu Verfügung und habe keinen Leistungsanspruch. Eine Zahlung gemäß § 105a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) sei nicht möglich, da der Rentenantrag wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen abgelehnt worden sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.1995 zurück. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 09.06.1997 meldete sich der Versicherte erneut arbeitslos und beantragte Leistungen. Gesundheitliche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit verneinte er.

Mit Bescheid vom 15.07.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Anwartschaftszeit sei nicht gegeben.

Mit seinem Widerspruch legte der Versicherte die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17.07.1997 in dem vor dem Sozialgericht München (SG) gegen die BfA geführten Klageverfahren S 16 An 663/95 vor, in er die Klage gegen den Bescheid der BfA vom 06.02.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.1995 zurückgenommen hatte, nachdem der Vorsitzende darauf hingewiesen hatte, dass nach dem Ergebnis der gerichts- ärztlichen Begutachtungen kein Rentenanspruch bestehe, da dem Versicherten seit 1994 wieder vollschichtige Arbeiten möglich seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist vom 09.06.1994 bis 08.06.1997 habe der Versicherte nur in der Zeit vom 09.06.1994 bis 06.02.1995 eine anwartschafts- begründende Zeit von 243 Kalendertage zurückgelegt.

Mit seiner zum SG erhobenen Klage machte der Versicherte geltend, im Rentenverfahren habe sich herausgestellt, dass ihm ab 1994 wieder vollschichtige Tätigkeiten möglich gewesen seien, weshalb ihm ab Arbeitslosmeldung am 15.02.1995 Alg hätte zuerkannt werden müssen. Der seinen Antrag aufnehmende Sachbearbeiter habe erklärt, Alg brauche er gar nicht zu beantragen, da er erklärt habe, dass sein Verrentungsverfahren laufe, weil er arbeitsunfähig sei. Mit Urteil vom 28.01.2000 wies das SG die Klage S 35 Al 1683/97 ab. Diese sei unzulässig, soweit sie ge- gen den Bescheid vom 20.04.1995 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 25.07.1995 erhoben worden sei. Bezüglich des Bescheides vom 15.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.1997 sei die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet, da der verstorbene Versicherte innerhalb der Rahmenfrist nicht wenigstens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe. In dem anschließenden Berufungsverfahren L 9 AL 121/00 wies laut Protokoll das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 25.01.2001 darauf hin, dass in dem Klageschriftsatz vom 03.11.1997 ein Antrag nach § 44 SGB X zu sehen sei. Im Hinblich auf das Urteil des BSG vom 12.06.1992, 11 RAr 35/91, SozR 3-4100 § 105a Nr.4, sei der Senat der Auffassung, die Beklagte hätte die objektive Verfügbarkeit selbst prüfen müssen und sei durch die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit im ablehnenden Bescheid der BfA daran nicht gehindert gewesen. Wegen der Gutachtensergebnisse im Rentenverfahren vor dem SG sei anzunehmen, dass der Ärztliche Dienst der Beklagten die objektive Verfügbarkeit des Versicherten bejaht und dieser sich diesen ärztlichen Feststellungen angeschlossen hätte, weshalb dann objektive und subjektive Verfügbarkeit vorgelegen hätten. Die Beteiligten schlossen sodann einen Vergleich, in dem sich die Beklagte bereit erklärte, den Klageschriftsatz vom 03.11.1997 als Antrag auf Zugunstenbescheid nach § 44 SGB X anzusehen und über das Begehren auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ab 15.02.1995 rechtsbehelfsfähig zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 02.03.2001 lehnte die Beklagte eine Rücknahme nach § 44 SGB X ab. Der Versicherte habe bei der Arbeitslosmeldung am 15.02.1995 selbst angegeben, keine Arbeiten verrichten zu können, und dies auch unterschriftlich bestätigt. Er sei somit nicht bereit gewesen, eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2001 als unbegründet zurück.

Mit der zum SG erhobenen Klage hat die Klägerin angegeben, der Versicherte habe am 15.02.1995 angegeben, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei ihm zu schwer gewesen. Die Beklagte habe zu keiner Zeit eigenständige Prüfungen angestellt. Der Eintrag, wonach keine Tätigkeit mehr in Betracht käme, stamme nachweislich nicht von ihm, sondern von dem Sachbearbeiter.

Die Beklagte hat vorgetragen, der Versicherte sei am 15.02.1995 "objektiv und subjektiv in einer Vermittlungsfähigkeit" aufgrund seines Gesundheitszustandes soweit eingeschränkt gewesen, dass er keine Tätigkeit mehr habe verrichten können.

Mit Urteil vom 17.12.2003 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten ab 15.02. 1995 Alg zu bewilligen. Bejahe der Rentenversicherungsträger das Vorliegen von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, bedeute dies nicht in jedem Fall den Verlust des Alg-Anspruches, da die Beklagte zunächst nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln habe, ob der Arbeitslose mit seinem Restleistungsvermögen noch ver- fügbar im Sinne des § 103 AFG sei. Die Feststellung von Erwerbs- unfähigkeit wegen einer Leistungsminderung im letzten Beruf aufgrund eines Geschwüres am linken Vorfuß sei nicht nachvollziehbar, zumal dieser Vorfall im Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 1 1/2 Jahre zurückgelegen habe. Deshalb wäre die Beklagte berechtigt und verpflichtet gewesen, eigene Feststellungen zur Erwerbsunfähigkeit zu treffen. Es sei davon auszugehen, dass die Begutachtung durch den ärztlichen Dienst der Beklagten die objektive Verfügbarkeit des Versicherten entsprechend den Feststellungen in den ärztlichen Gutachten des rentenrechtlichen Verfahrens S 15 An 663/95 gezeigt hätte. Danach sei der Versicherte seit Dezember 1994 wieder in der Lage gewesen, vollschichtig leichte, bedingt mittelschwere Arbeiten zu verrichten.

Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, im Zeitpunkt der Alg-Antragstellung habe eine eindeutige Feststellung von Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 105a AFG vorgelegen. Die Beklagte sei nach der Rechtsprechung des BSG insbesondere dann gehalten, eigene Ermittlungen zur Erwerbsunfähigkeit anzustellen, wenn der Arbeitslose geltend mache, die Feststellungen des Rentenversicherungsträgers beruhten auf einer Fehldiagnose oder der Gesundheitszustand habe sich entscheidend gebessert. Der Versicherte habe zu keinem Zeitpunkt eine Untersuchung durch den arbeitsamtsärztlichen Dienst begehrt oder geltend gemacht, die Feststellungen des Rentenversicherungsträgers seien fehlerhaft oder veraltet. Die Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr.L. bezögen sich auf eine sozialmedizinische Beurteilung der Reha-Klinik W. , aus der sich nicht zwingend folgern lasse, die BfA habe diese Beurteilung ihren Bescheiden über die Reha- und Rentenablehnung zugrunde gelegt. Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes in Verbindung mit einem halb- bis untervollschichtigen Leistungsvermögens sei nicht thematisiert worden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

In dem Erörterungstermin am 03.08.2004 ist die Beklagte auf die Feststellungen in dem Gutachten des Dr.L. , die BfA sei entsprechend einer Bewertung der Reha-Klinik vom 13.07.1994 von einem halb- bis untervollschichtigen Leistungsvermögen ausgegangen, hingewiesen worden. Auf ihren Antrag hin ist der Antragsannehmer, der Verwaltungsangestellte F., am 16.09.2004 als Zeuge vernommen worden; bezüglich seiner Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der Verfahrensakten beider Rechtszüge und der Klageakte S 16 An 663/95 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Das Urteil des SG ist lediglich insoweit abzuändern, als die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2001 zu verpflichten ist, den Bescheid vom 20.04.1995 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 25.07.1995 zurückzunehmen und der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ab 15.02.1995 Alg zu bewilligen, da das auf eine Entscheidung nach § 44 SGB X gerichtete Begehren der Klägerin eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs.1 Satz 1 und Abs.4 SGG) darstellt (BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 62/02 R). Der Klägerin steht der Anspruch auf Alg ab 15.02.1995 als Sonderrechtsnachfolgerin gemäß § 56 Abs.1 Nr.1 SGB I zu. Die ursprünglich verkündete Urteilsformel, der Klägerin ab 16.02.1995 Alg zu bewilligen, war zu berichtigen, da unstreitig der Versicherte sich bereits ab 15.02.1995 arbeitslos gemeldet hatte und insoweit eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 138 SGG vorliegt, die noch vor der mündlichen Urteilsbegründung durch Beschluss berichtigt wurde.

Der Versicherte hatte am 15.02.1995 durch die innerhalb der Rahmenfrist vom 15.02.1992 bis 14.02.1995 (§ 104 Abs.3 AFG) bis 30.06.1992 und vom 21.09.1992 bis 31.08.1993 ausgeübten Beschäftigungen sowie durch den anschließenden Krankengeldbezug bis 06.02.1995 (§ 107 Abs.1 Nr.5a AFG) die Anwartschaftszeit von wenigstens 360 Kalendertagen erfüllt. Zudem war er arbeitslos, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet, Alg beantragt und stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, weshalb auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 100 Abs.1 AFG gegeben waren.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stand er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, da er gemäß § 103 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AFG in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.1988 (BGBl.I S.2343) in der Lage war, eine zumutbare, nach § 168 die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und darüber hinaus nach § 103 Abs.1 Satz 1 Nr.2a AFG bereit war, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben konnte und durfte.

Die objektive Verfügbarkeit im Sinne des § 103 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AFG war gegeben, da der Versicherte eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung im Sinne des § 102 Abs.1 Satz 1 AFG in der Fassung des Gesetzes vom 14.12.1987 (BGBl.I S.2602), nämlich eine solche von wenigstens 18 Stunden pro Woche umfassende und damit beitragspflichtige im Sinne der §§ 168 Abs.1 Satz 1, 169a Abs.1 Satz 1 AFG ausüben konnte. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der in dem Rentenklageverfahren S 16 An 663/95 eingeholten schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Internisten Dr.M. vom 30.10.1996 und des Leitenden Oberarztes der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Dr.L. vom 05.03.1997 fest. Wie Dr.M. darlegte, waren aus internistischer Sicht ab Dezember 1994 dem Versicherten sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in dem zuletzt ausgeübten Beruf des Maurer/Poliers leichte, bedingt mittelschwere Arbeiten in wechselnder Ausgangsposition, im Freien und in geschlossenen Räumen vollschichtig ohne ständiges Treppensteigen, nicht auf Leitern und Gerüsten möglich. Unter Einbeziehung der Gesundheitsstörungen des chirurgischen Fachgebietes war laut Dr.L. der Beruf des Maurers ab Dezember 1994 nicht ohne Schaden für die Restgesundheit vollschichtig ausübbar, jedoch waren dem Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte, kurzfristig mittelschwere Arbeiten vollschichtig möglich. Im Übrigen war auch die BfA von Anfang an der Auffassung, dass dem Versicherten zumindest halbschichtige Beschäftigungen und damit solche von wenigstens 18 Stunden pro Woche möglich waren; auch wenn die medizinischen Unterlagen der BfA bereits vernichtet sind, ergibt sich dies aus den Feststellungen in den Gutachten des Dr.M. und vor allem des Dr.L. , wonach für die Entscheidung der BfA im Rentenverfahren das Gutachten der Rehabilitationsklinik W. vom 13.07.1994 maßgebend war mit der sozialmedizinischen Beurteilung einer Leistungsfähigkeit für halb- bis untervollschichtige Beschäftigungen. Dies beweist auch der Umstand, dass die BfA, wie sich aus ihrem Widerspruchsbescheid vom 21.09.1995 ergibt, Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 09.08.1993 bis 27.02.1997 angenommen hat entsprechend § 102 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB VI in der damals geltenden Fassung, wonach Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet werden, wenn der Anspruch auch von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig ist; nach der ständigen Praxis der Rentenversicherungsträger und der Gerichte bestand bei einem halb- bis untervollschichtigen Leistungsvermögen ein Anspruch auf die sog. Arbeitsmarktrente, weil von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Teilzeitbeschäftigungen auszugehen war.

Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 20.04.1995 und sich fort- setzend in den Klageerwiderungen vom 29.10.2002 und 10.03.2003 sowie in der Berufungsbegründung die unrichtige Auffassung vertreten, die Feststellung von Erwerbsunfähigkeit durch den Ren- tenversicherungsträger schließe objektiv Verfügbarkeit aus, weil sie bedeute, dass keine mehr als kurzzeitige Beschäftigung mehr ausgeübt werden könne. Grundlage dieser unrichtigen Auffassung war die Tatsache, dass die Beklagte weder beim Rentenversicherungsträger anfragte, von welchem Leistungsvermögen dieser bei der Feststellung von Erwerbsunfähigkeit ausging, noch diesbezüglich die erforderlichen eigenen Feststellungen zu dem Leistungsvermögen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 105a Nr.4) traf, die ergeben hätten, dass der Versicherte zumindest eine Beschäftigung von 18 Stunden pro Woche ausüben konnte.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch von der subjektiven Verfügbarkeit des Versicherten im Sinne des § 103 Abs.1 Satz 1 Nr.2a AFG auszugehen. Wie der Zeuge F. bei seiner Vernehmung einräumte, wurde das Wort "keine" von ihm eingefügt. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Versicherte bei entsprechender Aufklärung über die Rechtslage nicht bereit war, Beschäftigungen entsprechend dem vom Rentenversicherungsträger damals und einem auch vom Ärztlichen Dienst der Beklagten - wäre eine solche Begutachtung erfolgt - festgestellten Leistungsvermögen anzunehmen, zumal eine diesbezügliche Bereitschaft oder ein diesbezügliches Leistungsvermögen nicht im Widerspruch zu seinem im Rentenverfahren verfolgten Begehren gestanden hätte, da für letzteres jedes untervollschichtige Leistungsvermögen den Anspruch begründete. Aus den Schriftsätzen des Versicherten in dem Rentenverfahren S 16 An 663/95 ergeben sich keine Hinweise darauf, dass er mit dem von der BfA festgestellten Leistungsvermögen nicht einverstanden war; mit seiner Klage machte er vielmehr geltend, die Minderung seiner Leistungsfähigkeit sei nicht bereits am 09.08.1993, sondern erst im Dezember 1994 eingetreten. Im Übrigen darf Verfügbarkeit nicht immer schon dann verneint werden, wenn ein Beschäftigungsloser bei seiner Arbeitslosmeldung unter Vorlage eines ärztlichen Attestes darauf hinweist, arbeitsunfähig zu sein. Zum einen bezieht sich der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der Regel auf die letzte Beschäftigung und enthält keine Aussage zur Fähigkeit, Beschäftigungen anderer Art halb- oder vollschichtig verrichten zu können. Zum anderen ist in solchen Fällen durch eine sachgerechte, belehrende Befragung des Beschäftigungslosen zu klären, ob er sich im Rahmen seiner verbleibenden gesundheitlichen Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt (so auch Wissing in PK-SGB III, § 27 Rz.100, 2. Auflage). Eine solche Aufklärung ist im vorliegenden Fall ganz offensichtlich nicht erfolgt. Dies ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Zeugen F., wonach er sich in den Fällen, in denen Antragsteller erklären, keine Arbeit mehr verrichten zu können, nicht veranlasst sehe, noch extra zu fragen und zu prüfen, von welchem Restleistungsvermögen der Rentenversicherungsträger ausgegangen sei. Da die Beklagte hier ihre Beratungspflicht verletzt hat, ist es ihr verwehrt, sich auf das nicht bewiesene Fehlen der subjektiven Verfügbarkeit zu berufen, zumal aus den dargelegten Gründen davon auszugehen ist, dass der Versicherte bereit war, Beschäftigungen in dem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Umfang anzunehmen und auf entsprechende Belehrung hin diese Bereitschaft auch erklärt hätte.

Somit war die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 17.02.2003 und unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2001 zu verpflichten, den Bescheid vom 20.04.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.1995 zurückzunehmen und die Klägerin als Rechtsnachfolgerin dem Grunde nach ab 15.02.1995 Alg zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Beklagten waren gemäß § 192 Abs.1 Satz 1 Nr.2 i.V.m. Satz 2 SGG in der Fassung des Gesetzes vom 17.08.2001 (BGBl.I S.2144) Gerichtskosten in Höhe von 2.000,00 EUR aufzuerlegen. Die Beklagte hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihr in den Erörterungsterminen am 03.08. und 16.09.2004 sowie in der mündlichen Verhandlung am 28.01.2005 die Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage und die hieraus resultierende Missbräuchlichkeit der weiteren Rechtsverfolgung dargelegt worden war. Zudem war die Beklagte schon im Rahmen des Berufungsverfahrens L 9 AL 121/00 in der mündlichen Verhandlung am 25.01.2001 auf die Sach- und Rechtslage und insbesondere auf das Vorliegen von objektiver und subjektiver Verfügbarkeit hingewiesen worden, ohne dass diese in dem anschließenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren hiergegen schlüssige Einwendungen vorgebracht hätte. Hinzu kommt, dass der ablehnenden Entscheidung in dem Bescheid vom 20.04.1995 eine Verletzung der Beratungspflicht nach § 14 SGB I vorausgegangen ist und diese letztlich Grundlage der folgenden ablehnenden Entscheidungen war, die die Durchführung zweier Klage- und Berufungsverfahren erforderlich machte.

Hinsichtlich der Höhe des von der Beklagten verursachten Kostenbetrages war eine Beschränkung gemäß § 192 Abs.1 Satz 2 SGG auf die für die jeweilige Instanz nach § 184 Abs.2 SGG maßgebenden Beträge nicht angezeigt; hierbei handelt es sich um Mindestbeträge. Ausgehend von den Kosten einer Richterstunde von ca. 250,00 EUR (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rz.17 zu § 192 m.w.N.) und der Tatsache, dass nach dem ersten Erörterungstermin ein weiterer Erörterungstermin und eine weitere mündliche Verhandlung erforderlich waren sowie unter Einbeziehung der allgemeinem Gerichtshaltungskosten waren die von der Beklagten verursachten Kosten gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 ZPO im vorliegenden Fall auf 2.000,00 EUR zu schätzen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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