L 3 U 359/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 819/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 359/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.07.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und zu entschädigen hat.

Der 1956 geb. Kläger war nach dem Abschluss einer Landmaschinen-Mechanikerlehre im Jahre 1975 ab dem 01.01.1976 als Mechaniker bei der Fa. D. Bahnbaumaschinen GmbH in M. beschäftigt. Seine Wirbelsäulenbeschwerden, deretwegen er sich im März 2001 einer Bandscheibenoperation im Klinikum M. unterziehen musste, führt er auf diese Tätigkeit zurück. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte die Demontage und Reparatur von Stopfaggregaten der Gleisbaumaschinen in der Werkstatt. Zum Transport standen ein Portalkran und ein Gabelstapler zur Verfügung. In Ausnahmesituationen konnte der Kran nicht eingesetzt werden; dann mussten abgebaute Pickelarme, die ein Gewicht von 60 kg hatten, von zwei Personen getragen werden. Insgesamt war der Kläger zu 90 % seiner Arbeitszeit mit derartigen Reparaturarbeiten beschäftigt. In der übrigen Zeit musste er einen Gabelstapler und Maschinen in anderen Bereichen bedienen oder Reparaturen bei Kunden vor Ort ausführen.

Auf die Anzeige der AOK über das Vorliegen einer BK der Nr. 2108 leitete die Beklagte Ermittlungen ein. Sie zog Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. H. und des Krankenhauses M. bei, holte eine Auskunft der AOK über Vorerkrankungen ein und befragte den Kläger über die Arbeitsbedingungen. Sie beauftragte ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD), eine Arbeitsplatz- und Belastungsanalyse zu erstellen. Hierzu suchte der TAD am 08.03.2002 den Beschäftigungsbetrieb und am 13.03.2002 den Kläger selbst auf. Dieser bestätigte die vom TAD festgehaltenen Arbeitsbelastungen. Der TAD kam am 18.03.2002 zum Ergebnis, der Kläger sei lediglich zu 14 % der Tagesdosis, ab der nach dem sog. Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) eine wirbelsäulenbelastende Hebe- bzw. Tragetätigkeit vorliege, ausgesetzt gewesen; die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK der Nr. 2108 lägen nicht vor. Der Gewerbearzt stimmte dieser Auffasung zu, zumal Befunde, wie eine seit 1993 bekannte Steilstellung der LWS und ein Wirbelgleiten dokumentiert seien, die gegen einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Belastung sprächen.

Mit Bescheid vom 22.07.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung der LWS-Erkrankung des Klägers als BK ab. Der Widerspruch, mit dem der Kläger vorbrachte, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass er 26 Jahre lang Schwerstarbeit verrichtet habe, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28.10.2002).

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2002 zu verurteilen, seine LWS-Erkrankung als BK nach der Nr. 2108 zu entschädigen. Das SG hat die einschlägigen medizinischen Unterlagen einschließlich Röntgen- und Kernspin- aufnahmen beigezogen und den Chirurgen Dr.K. zum Sachverständigen bestellt. Am 25.04.2003 hat dieser dargelegt, zwar fänden sich an der Hals- und Brustwirbelsäule keine altersunüblichen Verschleißanzeichen sondern nur an der LWS, jedoch lasse das Verteilungsmuster dieser Veränderungen keinen zwingenden Schluss auf berufliche Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen zu. Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz ) sind die Beweisfragen dem Orthopäden Dr. S. vorgelegt worden. Dieser hat am 23.07.2003 die Meinung vertreten, das Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS sei belastungskonform und das Vorliegen konkurrierender Faktoren sei eher unsicher. Zumindest komme der beruflichen Belastung neben anlagebedingten Faktoren (noch) eine Mitursache zu. Es liege eine BK nach der Nr.2108 vor, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 26.06.1989 um 30 v.H. mindere.

Mit Urteil vom 08.07.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat darauf abgestellt, dass nach dem Gutachten des Dr. K. , das es im Gegensatz zu dem des Dr. S. für überzeugend halte, ein belastungskonformes Schadensbild an der LWS nicht festzustellen sei.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und eingewandt, das Gutachten des Dr. K. genüge nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Es basiere auf der - unbewiesenen - Annahme und damit auf einer Spekulation, dass konkurrierende Ursachen vorhanden seien. Im Übrigen bestreite er, dass es Statistiken oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gebe, wonach Bandscheibenbeschwerden berufsbedingt seien, wenn sie ca. zehn Jahre vor dem altersgemäß zu erwartenden Beginn einsetzten. Die Frage der Kausalität habe nicht nur der Gutachter, sondern auch das Erstgericht falsch beantwortet. Es komme nur darauf an, ob das schädigende Ereignis mindestens gleichwertige Ursache sei. Dies habe Dr. S. zutreffend bejaht.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 08.07.2004 und des Bescheids vom 22.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2002 zu verurteilen, ihm wegen einer BK nach der Nr. 2108 der Anlage zur BKV Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.07.2004 zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit schriftlicher Entscheidung einverstanden erklärt.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gem. § 124 Abs. 2 SGG im schriftlichen Verfahren entscheiden.

Zutreffend verneinte das SG einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner Beschwerden im LWS-Bereich als BK der Nr. 2108 der Anlage zur BKV i.V.m. §§ 9 Abs. 1, 56 Abs. 1 des Siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Denn der Kläger leidet nicht an einer der in der Nr. 2108 bezeichneten Erkrankung der LWS. Maßgebend für die hier zu treffende Entscheidung sind die Vorschriften des ab dem 01.01.1997 geltenden SGB VII, weil der Kläger sich frühestens ab 12.03.2001 von seinem - schädigenden - Beruf trennte.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind BKen solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber als entschädigungswürdig erachteten BKen gehören nach der Nr. 2108 der BKV "bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Die Anerkennung und Entschädigung einer solchen BK der Nr. 2108 setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen, nämlich bandscheibenschädigendes langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten, erfüllt sind, zum anderen das typische Kranheitsbild der BK vorliegt und dieses i.S.d. unfallversicherungsrechtlichen Kausallehre mit Wahrscheinlichkeit auf die wirbelsäulenbelastende berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

Dem SG ist beizupflichten, dass der Nachweis, beim Kläger handle es sich um Bandscheibenschäden an der LWS, die durch langjähriges schweres Heben und Tragen - eine schädigende Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung scheidet bereits nach den Schilderungen der Arbeitsbedingungen des Klägers aus - verursacht wurden, nicht zu führen ist. Denn die Tätigkeiten, die ihm während seiner - ohne Zweifel langjährigen - Beschäftigung bei der Demontage und Reparatur von Gleisbaumaschinen abverlangt wurden, waren nur zu 14 % einer Tagesschicht mit entsprechend schwerem Heben und Tragen verbunden. Dies entnimmt der Senat den Feststellungen des TAD vom 18.03.2002, die er im Urkundenbeweis (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. § 118 Anm. 12 b) verwerten kann. Grundlage der Einschätzung durch den TAD sind die tatsächlichen Arbeitsvorgänge, die im Zusammenwirken mit der Geschäftsleitung des Beschäftigungsbetriebes und dem Kläger ermittelt wurden sowie eine Berechnung nach dem MDD. Die Richtigkeit der einzelnen Tätigkeiten, die der Bewertung des Belastungsprofils zu Grunde gelegt wurden, bestätigte der Kläger durch seine Unterschrift. Sein Vorbringen ist wohl dahin zu verstehen, dass er sich gegen die Anwendung des MDD wendet, wenn er meint, es gäbe keine Statistiken über einerseits arbeitsbedingte und andererseits altersübliche Bandscheibenabnutzungen.

In seinen Entscheidungen vom 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R - und 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R - legte das Bundessozialgericht (BSG) ausführlich dar, dass Berechnungen der beruflichen Belastungen nach dem MDD zulässig sind und dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand entsprechen. Das MDD basiere, so führt das BSG aus, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und sei eine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen. Es liefere zumindest derzeit ein geeignetes Modell zur Beschreibung der versicherten Einwirkung i.S. der BK Nr. 2108.

Nach den Berechnungen entsprechend dem MDD machten beim Kläger die Hebe- und Tragetätigkeiten, die nach dem vorgenannten wissenschaftlichen Erkenntnisstand als bandscheibenschädigend gelten, nur 14 % seiner täglichen Arbeitszeit aus. Anders als der Kläger meint, kommt es nur auf solche Hebe- und Trageverrichtungen an und nicht darauf, dass er körperlich schwere Arbeiten, wie der Senat ohne weitere Überprüfung zu seinen Gunsten annimmt, zu erbringen hatte. Die i.S.d. BK der Nr. 2108 relevanten Hebe- und Tragetätigkeiten erreichten - dies ist wohl dem Einsatz von Hebevorrichtungen zuzuschreiben - über den Tag gesehen kein gravierendes Ausmaß. Wenn nicht einmal die Hälfte der nach dem MDD als schädigend zu qualifizierenden Dosis erreicht wurde, kann - so das BSG in den vorgenannten Entscheidungen - auf eine medizinische Abklärung im Einzelfall verzichtet werden. Nach dieser Auffassung, der sich der Senat anschließt, wäre es daher nicht erforderlich gewesen, ärztliche Gutachten einzuholen.

Diese belegen allerdings zusätzlich, dass beim Kläger keine solchen Bandscheibenschäden im LWS-Bereich zu erkennen sind, die zu dem Schluss zwingen, sie seien wesentlich durch berufliche Hebe- und Tragetätigkeiten verursacht worden. Denn, wie vom SG zutreffend und ausführlich dargestellt, liegen bei ihm anlagebedingte Veränderungen vor, wie eine Skoliose und ein Wirbelgleiten, die allein geeignet sind, seine Beschwerden zu erklären. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Auseinandersetzung des SG mit den unterschiedlichen Meinungen der Sachverständigen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Für den Senat bestand insbesondere kein Anlass, ein weiteres medizinisches Gutachten einzuholen. Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung seiner LWS-Erkrankung als BK der Nr. 2108 der Anlage zur BKV ist nicht zu begründen. Seine Berufung gegen das Urteil des SG vom 08.07.2004 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Senat nicht von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweicht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved