L 12 KA 107/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 45 KA 2209/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 107/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die gegen ihn verhängte Regressmaßnahme bei den Einzelverordnungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise von Immunglobulinen bei HIV-Patienten.

Der Kläger ist als praktischer Arzt in M. niedergelassen und nimmt seit April 1993 an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Beigeladene zu 2) mit Schreiben vom 24. Juni 1998 und die Beigeladene zu 3) mit Schreiben vom 25. Juni 1998 haben Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Verordnungsweise des Klägers für das Quartal 3/97 gestellt.

Der Kläger hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 18. September 1998 geäußert. Seit 1986 bestehe der Schwerpunkt seiner ärztlichen Tätigkeit in der Behandlung und Betreuung von HIV-Infizierten und AIDS-Patienten, zunächst im S. Krankenhaus, dann vier Jahre in der internistischen HIV-Schwerpunktpraxis Dr.L. in M. und seit April 1993 in eigener Praxis. Er sei Mitglied der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte (BAGNÄ) und Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte (DAGNÄ). Die DAGNÄ-Vorstands-Empfehlung zur Immunglobulintherapie bei HIV-Infektion sei von Beginn an kontrovers diskutiert worden. Bei erfahrenen HIV-Behandlern im gesamten Bundesgebiet sei dann auch die Indikationsbreite ausgeweitet worden. Immunglobuline würden von ihm eingesetzt zur Behandlung des sekundären Immunmangelsyndroms bei fortgeschrittener HIV-Infektion mit deutlicher Krankheitssymptomatik als Folge des humoralen Immundefizits bei Thrombopenie. Das Schwergewicht des Immunglobulineinsatzes liege also besonders bei Patienten mit rezidivierenden bakteriellen Infektionen. Eine zusätzliche Besonderheit seines HIV-Patientenklientels bestehe in der Doppelinfektion durch das Hepatitis-C-Virus. HIV- und HCV-Doppelinfizierte seien durch Interferon nur sehr schlecht zu therapieren und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt gebe es keine gültigen Therapierichtlinien. Immunglobuline setze er nur bei Langzeitinfizierten mit Krankheitssymptomatik und antiviraler Therapie ein. Der erhöhte Anteil seiner Patienten unter Immunglobulintherapie erkläre sich aus seiner Praxisstruktur, bestehend aus HIV-, HCV-Doppelinfizierten, Drogenbenutzern oder Substituierten, Langzeit-HIV-Erkrankten und seiner Stellung als Einzigbehandler. Fast sämtliche Patienten würden nur von seiner Praxis wegen ihrer HIV-Infektion betreut und suchten nicht mehrere Zentren gleichzeitig auf. Klinikeinweisungen von HIV-Patienten würden in der Regel nicht nötig. Zu den Prüfanträgen der AOK Bayern und des VdAK hat der Kläger einzelne Fälle mit Diagnosen dargestellt.

Der Prüfungsausschuss Ärzte München Stadt und Land hat mit Bescheid vom 3. Februar 1999 gegen den Kläger einen Regress bei den Einzelverordnungen in Höhe von DM 189.379,61 festgesetzt. Der Kläger überschreite mit einem Arzneikostenfallwert von DM 2.067,46 den Fallwert der Arztgruppe mit DM 78,04 um + 2.549,1 %. Damit würden die durchschnittlichen Verordnungskosten des Klägers je Behandlungsfall den Durchschnittwert der Vergleichsgruppe in einem offensichtlichen Missverhältnis übersteigen. Der Vertragsarzt habe neben der Verordnung von Immunglobulinen auch eine antiretrovirale Therapie durchgeführt. Die Kombination von Immunglobulinen mit antiretroviralen Substanzen entspreche nicht den Empfehlungen der DAGNÄ zur HIV-Therapie, der Kläger habe deshalb unwirtschaftliche Verordnungen getätigt.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 1. März 1999. Die Feststellungen in dem Prüfbescheid würden neben der Sache liegen, da seinem Praxisschwerpunkt auf dem Gebiet der HIV-Behandlung nicht entsprechend Rechnung getragen werde. Seine Verordnungsweise sei wirtschaftlich, da die verordneten Therapien sowohl durch die Besonderheiten des Praxisschwerpunktes als auch durch die Struktur des Patientenstammes bedingt seien. Der Einwand, dass eine Kombination von Immunglobulinen mit antiretroviralen Substanzen nicht den Empfehlungen der DAGNÄ zur HIV-Therapie entsprechen würde, könne keine Regressforderung begründen, da es sich bei den Vorgaben der DAGNÄ um eine "Empfehlung" ohne jeglichen Rechtscharakter mit verbindlicher Bindungswirkung handle.

Auf Anforderung des Beklagten hat der Internist und Leiter der Klinischen Abteilung des Tropeninstituts H. , Prof. Dr.M. D. , das Sachverständigengutachten vom 12. Oktober 1999 abgegeben. Darin befasst sich Prof.Dr.D. mit den einzelnen Fällen der AOK Bayern und einem Fall der Ersatzkassen und kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Gabe von Immunglobulinpräparaten bei den angeführten Patienten mit Ausnahme des Patienten W. M. in keinem einzigen Fall indiziert gewesen sei. Im Falle von W. M. könne durchaus eine Indikation vorgelegen haben, es hätte jedoch erkannt werden müssen, dass nach Einsatz von mehreren Immunglobulinpräparaten eine Besserung des Zustands nicht erreicht worden sei und daher eine Immunglobulingabe spätestens nach zwei bis drei Wochen hätte abgebrochen werden müssen. Die übrigen Begründungen seien nicht stichhaltig.

Die Klägerseite hat hierzu ein Gutachten des Privatdozenten Dr.R. (Medizinische Klinik und Poliklinik I B.) vom 15. August 2000 vorgelegt, in dem dieser ausführt, dass unter Gesamtschau der vorgelegten Fälle einer Immunglobulinsubstitution durch den Kläger festzuhalten bleibe, dass es sich ausschließlich um Patienten handle, die entweder bereits manifest AIDS-erkrankt oder durch eine ausgeprägte humorale und zelluläre Immundefizienz gekennzeichnet gewesen seien. Andererseits sei sicher mit den Fortschritten antiretroviraler Therapien und der damit verbundenen Immunrekonstitution die Gabe von Immunglobulinen bei der Betreuung HIV-infizierter Patienten deutlich in den Hintergrund getreten. Es sollte nicht unbeachtet bleiben, dass entsprechende Therapieformen erst ab 1996 zur Verfügung gestanden hätten und insbesondere bei bereits vorbehandelten Patienten oder bereits AIDS-erkrankten Patienten mit multiplen Resistenzen unter den vorher durchgeführten Mono- oder Nukleosid-Kombinationstherapien nur bedingt wirksam gewesen seien. Festzuhalten sei, dass der Kläger sich klar an die Empfehlung zur Immunglobulintherapie des Vorstands der DAGNÄ in der Versorgung HIV-Infizierter gehalten habe. Im Wesentlichen seien von ihm manifest AIDS-erkrankte Patienten sowie Patienten mit fortgeschrittener zellulärer Immundefizienz und Helferzellen kleiner als 50 absolut/µ l sowie Patienten mit Immunthrombozytopenien und Thrombozytenwerten kleiner als 30.000/µ l sowie Patienten mit rezidivierenden bakteriellen Infektionen mit Immunglobulinen behandelt worden. Die damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers haben den Widerspruch mit Schreiben vom 21. November 2000 näher begründet. Die in der medizinischen Wissenschaft umstrittene Frage, welchen Nutzen die Immunglobulintherapie bei der Behandlung von HIV-Patienten habe, zeige, dass es sich hierbei nicht um einen eindeutigen Fall der Unwirtschaftlichkeit jenseits der Bandbreite offener Wertungen handle. Bislang sei die Unwirtschaftlichkeit der Anwendung der Immunglobulintherapie auch nicht vom Bundesausschuss als zuständiger Instanz in den vom Prüfungsausschuss beanstandeten Fällen festgestellt worden. Vielmehr ergebe sich aus den "alten" (in der Fassung vom 31. August 1993) und "neuen" (in der Fassung vom 8. Januar 1999) Arzneimittelrichtlinien, dass polyvalente Immunglobuline bei Immunsuppression und Immundefekt weiterhin verordnet werden dürften, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Aus der Regel-Ausnahmesystematik der neuen Arzneimittelrichtlinien ergebe sich vielmehr, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Verordnung von Immunglobulinen bei Immunsuppression und Immundefekt unter Berücksichtigung der Nr.4.1 AMR für zulässig erachte. Nach den neuen AMR sei für die Beurteilung der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen die AMR-Nummer 8.1.2 maßgeblich. Hiernach sei die Verordnung von Arzneimitteln unwirtschaftlich, bei denen das angestrebte Behandlungsziel mit anderen medikamentösen Maßnahmen medizinisch zweckmäßiger oder kostengünstiger zu erreichen sei. Von dieser grundsätzlichen Verordnungseinschränkung habe der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen jedoch bestimmte Ausnahmen statuiert. Danach seien Immunglobuline bei den nachstehenden spezifischen Indikationen/Kriterien von der Verordnungseinschränkung ausgenommen: 1. Polyvalente Immunglobuline bei Immunsuppression und Immundefekt unter Berücksichtigung der Nr.4.1 AMR. 2. Nach Exposition: 2.1 sofern diese mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schädigendenden Infektion führe bzw. geführt habe (z.B. Hepatitis, CMV, Tetanus), 2.2 von Personengruppen, bei denen eine Infektion besondere Risiken beinhalte (z.B. Röteln bei Schwangeren, Varizellen bei Neugeborenen), 3. Rhesussensibilisierung. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtung gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die neuen AMR die Empfehlung der DAGNÄ-e.V. aufgenommen hätten. Allgemein sei festzuhalten, dass die verbindliche Auslegung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach § 12 Abs.1 SGB V durch den Prüfungsausschuss unter Berufung auf die DAGNÄ-Empfehlung rechtswidrig sei, da das Rechtskonkretisierungskonzept des SGB V für den Prüfungsausschuss keine Ermächtigung vorsehe, die offenen Wertungsnormen des § 12 Abs.1 und des § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V konstitutiv zu konkretisieren und das Rahmenrecht der Versicherten auf Leistungen so faktisch zu verengen. Aber selbst bei unterstellter Rechtsverbindlichkeit der DAGNÄ-Empfehlung ergäbe sich für die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Immunglobulinen keine andere Beurteilung. Zum Beleg hierfür sei auf das Gutachten zur Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Patienten in den Quartalen 3/97 bis 1/98 von Prof.Dr.R. verwiesen. Im Übrigen belege eine Auswertung der jüngsten Studienergebnisse, dass aus wissenschaftlich medizinischer Sicht die Behandlung von HIV-Patienten mit der intravenösen Immunglobulintherapie zweckmäßig im Sinne des § 12 Abs.1 SGB V sei, auch im Falle einer parallel laufenden antiretroviralen Therapie (Hinweis auf Studie von M.Kiehl und die Veröffentlichung von Valdez et.al.). Vor dem Hintergrund dieser Studienergebnisse habe in den vom Prüfungsausschuss bezeichneten Fällen nicht auf eine Behandlung der HIV-kranken Patienten mit einer Immunglobulintherapie verzichtet werden können.

Der Beklagte hat mit Bescheid vom 22. Juni 2001 den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 3. Februar 1999 insoweit abgeändert, als bei den Einzelverordnungen ein Arzneiregress in Höhe von DM 127.032,48 festgesetzt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch abgewiesen. Im Interesse des Vertragsarztes sei nicht eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 14, sondern eine detaillierte Einzelfallprüfung nach § 15 der Prüfungsvereinbarung durchgeführt worden. Der Beklagte habe sich für eine Einzelfallprüfung nach § 15 der Prüfungsvereinbarung entschieden, um die Praxisstruktur mit den gehäuften HIV-Fällen und die Argumentation des Klägers angemessen berücksichtigen zu können. Der Kläger überschreite bei 210 Behandlungsscheinen mit Gesamtarzneikosten in Höhe von DM 2.067,46 pro Fall den Vergleichswert der Fachgruppe in Höhe von DM 78,04 pro Fall um DM 1.989,42 bzw. 2.549,1 %. Diese Überschreitung liege im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses. Der Kläger verwende eine in einigen Fällen unzureichende antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit intravenösem Immunglobulin (IVIG). Bereits die DAGNÄ-Empfehlungen vom Oktober 1996 würden den Einsatz von IVIG auf bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränken. Diese Empfehlungen würden den damaligen Diskussionsstand der HIV-Behandlung mit Immunglobulinen wiedergeben. Nicht der hohe Preis der IVIG-Therapie, sondern der fehlende Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV bei Erwachsenen ohne Thrombozytopenie und Antikörpermangel würden diese Therapie unwirtschaftlich machen. Der Immunglobulinspiegel im Blut von HIV-Patienten sei nach übereinstimmender Aussage von Prof. D. und dem Kläger wegen der chronischen Entzündung bei HIV-Patienten meist erhöht. Die häufige Diagnose "sekundärer Antikörpermangel" sei daher unverständlich. Die Substitution von IVIG bei Antikörpermangel und bei entsprechender Symptomatik (rezidivierende Infektionen) sei eine zugelassene Indikation, deren Notwendigkeit sich anhand von Laborwerten ebenso wie durch die Symptombesserung begründen bzw. belegen lasse. Demgegenüber sei eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit nicht geeignet, die Kriterien dieser Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Die Grundsatzstellungnahme des MDK/MDS von Herrn Wolfgang Wilms, Referat Pharmakologie des MDK NO und stellvertretenden Leiters der AG M5 (Arzneimittel) der MDK-Gemeinschaft vom 1. Oktober 1999 zur Verordnung von i.v. Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten in der GKV, gebe die Auffassung der Krankenkasse wieder. Die Anwendung von Immunglobulinen für bestimmte HIV-/AIDS-assoziierte Krankheitsbilder bei Erwachsenen sei keine zugelassene Indikation. Die zugelassenen Gaben von IVIG bei "kongenitaler HIV-Infektion bei Kindern", dem objektivierten Antikörpermangel oder anderen zugelassenen Anwendungsgebieten, wie z.B. ITP, "Guillain-Barre-Syndrom", würden bei der Betrachtung ausgeklammert. Voraussetzung für die Leistungspflicht der GKV sei der vom Bundessozialgericht präzisierte Begriff des "allgemein anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse" unter "Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts". Das "Jomol-Urteil" des BSG vom 23. Juli 1998 nenne als konkrete Bedingung für die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV die "arzneimittelrechtliche Zulassung". Dem PEI (Paul-Ehrlich-Institut) als zuständiger Bundesoberbehörde für die Zulassung dieser Präparatgruppe liege kein Antrag auf Zulassung in der fraglichen Indikation vor. Der Beklagte erkenne an, dass die DAGNÄ-Empfehlungen zwar in gewisser Hinsicht den Stand der medizinischen Erkenntnisse widerspiegeln würden, allerdings in einem recht komplexen Geschehen, und nur ein Aufgreifkriterium für die Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellten. Die internationale Studienliteratur belege Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen. Dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. Das Ergebnis des Gutachtens von Prof.Dr.D. stütze in allen Punkten die Einschätzung des Beklagten und übertreffe diese sogar in der wissenschaftlichen Bewertung. In der Grundtendenz seien die Schlussfolgerungen des Gegengutachters PD.Dr.R. nicht grundlegend anders als die Folgerungen von Prof.Dr.D ... Eine detaillierte Bewertung werde nicht vorgenommen. Die Gegendarstellung bringe lediglich eine Auflistung der Indikationen, ohne auf die Zulassung einzugehen. In dem Bescheid des Beklagten werden sodann in 24 Fällen (AOK Bayern 14 Fälle, Barmer Ersatzkasse 5 Fälle, Kaufmännische Krankenkasse 1 Fall, Deutsche Angestelltenkrankenkasse 3 Fälle und Hamburg Münchner Ersatzkasse 1 Fall) die beanstandeten Patienten nach Kassenzugehörigkeit erfasst, danach die Verordnungszeiträume und die Diagnosen benannt, die gutachterlichen Stellungnahmen gegenübergestellt und aus dieser Gesamtübersicht trifft der Beklagte in den einzelnen Fällen seine Entscheidungen. Bis auf einen Fall (Barmer Ersatzkasse) wurden in den übrigen 23 Patientenfällen die Regresse bestätigt.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 16. Juli 2001 zum Sozialgericht München. Im angefochtenen Widerspruchsbescheid werde die verfügte Kürzung in Höhe von DM 127.032,48 weiterhin im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger unter Verstoß gegen die DAGNÄ-Empfehlung Immunglobulinpräparate verordnet habe, wo- raus gefolgert werde, dass der Kläger unwirtschaftliche Verordnungen getätigt habe. Der Bescheid des Prüfungsausschusses sei bereits deswegen rechtswidrig, da dieser unter Bezug auf die DAGNÄ-Empfehlung das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs.1 SGB V mangels Kompetenz in unzulässiger Weise konkretisiert habe. Hätte der Beklagte die DAGNÄ-Empfehlungen tatsächlich als ein Aufgreifkriterium angesehen, dann hätte der Beklagte sich auch mit den Ausführungen in der Widerspruchsbegründung auf S.11 ff. auseinander setzen müssen, in denen die von M.Kiehl et.al. im Zeitraum von 1991 bis 1994 durchgeführte Studie vorgestellt worden sei. Aus dieser Studie lasse sich ableiten, dass durch eine prophylaktische Immunglobulintherapie die Zahl der schweren und tödlichen Infektionen sowie die mittlere Hospitalisierungszeit signifikant habe vermindert werden können. Abschießend sei darauf hinzuweisen, dass die Feststellung eines "sonstigen Schadens" gemäß § 20 der Prüfungsvereinbarung voraussetze, dass der Vertragsarzt "bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer Acht" gelassen habe. Hierzu hat sich der Beklagte mit dem am 3. April 2002 eingegangenen Schriftsatz geäußert. Die vom Kläger in den streitgegenständlichen Quartalen durchgeführte Immunglobulin-Gabe habe zum Zeitpunkt der Verordnung nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprochen. Der Kläger müsse sich hier mit den übrigen Münchner HIV-Schwerpunktpraxen vergleichen lassen. Diese hätten im Jahre 1997 die Therapie mit IVIG (intravenöse Immunglobulin-Therapie) bereits weitgehend zu Gunsten der HAART (hoch aktive antiretrovirale Therapie) verlassen. Nach Aussage von Dr.J. , einem der bekanntesten HIV-Behandler in Deutschland, sei die IVIG nur noch bei etwa 2 bis 3 % der Patienten angewandt worden. Weiterhin spiele die DAGNÄ in dem Widerspruchsbescheid des Beklagten nur eine untergeordnete Rolle. Grundlage der Einzelfallprüfung seien vielmehr die Gutachten von Prof.Dr.D. sowie von PD.Dr.R. gewesen. Erneut sei darauf hinzuweisen, dass die Anwendung von Immunglobulinen für bestimmte HIV-assoziierte Krankheitsbilder bei Erwachsenen keine zugelassene Indikation habe. Aus einem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts zum Präparat Sandoglobulin (B 1 KR 36/00 R) würden deutlich die Kriterien hervorgehen, bei deren Vorliegen ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Krankenkassen für eine Arzneitherapie außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete bestehe. Neben einer schwerwiegenden lebensbedrohlichen Erkrankung, die hier gegeben sein dürfte, dürfe zudem keine andere Therapie zur Verfügung gestanden haben. Genau dies sei aber hier nicht der Fall gewesen. Auch das dritte Kriterium des BSG sei nicht erfüllt, dass nämlich auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg zu erzielen. Dazu müsste die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sein oder es müssten außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Dies treffe vorliegend nicht zu. Weder sei eine Erweiterung der Zulassung beantragt worden noch lägen hinreichend gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Immunglobulinen bei HIV-Patienten vor. Der Beklagte habe dargelegt, dass es Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen gegeben habe, allerdings wenig erfolgreich. Außerdem würden einige Untersuchungen wie die zitierte Kiehl-Studie aus der Zeit von Anfang bis Mitte der Neunzigerjahre stammen, in der sich noch keine Standardtherapie etabliert gehabt habe. Auf Grund dieser Studien könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die durchgeführte Therapie in den hier streitgegenständlichen Quartalen 3/97 und 4/97 dem geltenden Standard der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprochen habe.

Hierauf haben die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 2. September 2002 erwidert. Die Therapie mit Immunglobulinen sei im Rahmen der zugelassenen Indikation angewendet worden, sodass es sich daher schon gar nicht um einen Off-Label-Use handle. Der Kläger wende die streitgegenständlichen Immunglobuline in den Fällen an, in denen auf Grund der Grunderkrankungen ein erhöhter Immunglobulin-Spiegel aufrechterhalten werden müsse. Bei HIV-Infektionen bilde der Körper vermehrt eigene Immun- globuline, die jedoch funktionale Defizite aufweisen würden. Dies führe zu einer vermehrten Infektanfälligkeit und zu bakteriellen Infektionen. Es würde daher ein "relativer" Antikörpermangelzustand vorliegen, der durch die Substitution mit Immunglobulinen notwendig auszugleichen gewesen sei. Dieser relative Mangel an Antikörpern sowie die resultierende Notwendigkeit der Immunglobulingabe werde durch die als Anlage beigefügte ergänzende Stellungnahme von Dr.R. näher dargelegt. Weiterhin lägen selbst dann, wenn man bei der streitgegenständlichen Therapie von einem Off-Label-Use ausgehen wolle, die Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des BSG hierfür vor. Dass die HIV-Erkrankung eine lebensbedrohliche Krankheit sei, dürfte unstreitig sein. Es hätten in den konkreten Fällen auch keine Alternativbehandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden. Richtig sei zwar, dass die HAART-Therapie zu dieser Zeit bereits durchgeführt worden sei. Es könne aber nicht jeder HIV-Patient in jedem Stadium der Erkrankung mit dieser Therapie behandelt werden. Die Kombinationstherapie mit Proteasehemmern und Nukleosid-Analoga sei zwar in der Regel effizient, doch könne sie auf Grund der erheblichen Nebenwirkungen nicht bei jedem Patienten uneingeschränkt angewendet werden. So habe der Kläger in Fällen, in denen Patienten z.B. auf Grund einer zusätzlichen Hepatitis eine sehr stark geschädigte Leber gehabt hätten, auf diese Therapie verzichten müssen, da gerade die die Leber betreffenden Nebenwirkungen auf Grund der Vorschädigung zum Zeitpunkt der streitigen Behandlung nicht zu verantworten gewesen seien. Schließlich sei die Wirksamkeit der Therapie mit Immunglobulinen in der Wissenschaft auch anerkannt gewesen. Dabei sei unerheblich, welcher Prozentsatz der Patienten durchschnittlich mit der HAART-Therapie behandelt worden sei und welcher Prozentsatz mit Immunglobulinen. Die Entscheidung, welche Therapie anzuwenden gewesen sei, habe im Einzelfall getroffen werden müssen.

In der Streitsache hat sich auch die Beigeladene zu 2) mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2002 geäußert. Die Schlussfolgerungen des Klägers aus den Ausführungen im Gutachten von Dr.R. seien nicht richtig. Dort werde erläutert, auf Grund welcher Überlegungen man historisch zu der Hypothese gelangt sei, die therapeutische Zufuhr von Immunglobulinen könne für HIV-infizierte Patienten nützlich sein, obwohl bei diesen bereits ein krankheitsbedingtes Überangebot an Immunglobulinen vorliege. Diese Hypothese, die sich, wie seit 1996 bekannt, letztlich nicht bestätigt habe, dürfe nicht mit den zugelassenen Indikationsgebieten verwechselt werden. Im Übrigen hätten anerkannte Behandlungsalternativen existiert, und zwar in Form einer ganzen Reihe von verschiedenen Therapieschemata mit Kombinationen aus Proteasehemmern und Reverse-Transskriptase-Hemmern. Ein bestehender Leberschaden verkompliziere zwar die Behandlung, führe aber nicht zu einem Entfall aller therapeutischen Möglichkeiten.

Auf Anfrage der Kammer hat sich auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 geäußert. Intraglobin F und Octagam gehörten zur Arzneimittelgruppe der intravenös zu verabreichenden Immunglobuline. Für keines der in Deutschland zugelassenen Immunglobuline sei die Indikation der Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten zugelassen. Die Indikation gelte weltweit als nicht durch klinische Studien belegt. Eine unkritische Anwendung von Immunglobulinen zur Substitution von Antikörpern bei erworbenen Antikörpermangelzuständen habe sich nicht durchgesetzt, da sie sich nur zur Vorbeugung schwerer, wiederholt auftretender, die Gabe von Antibiotika erfordernder bakterieller Infektionen als wirksam erwiesen hätte, wie sie z.B. im Zusammenhang mit dem multiplen Myelom oder der chronisch lymphatischen Leukämie aufträten. Daher sei es weltweit anerkannter Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass Immunglobuline zur Substitution von Antikörpermangel ausschließlich bei bestimmten primären, also angeborenen, Immundefekterkrankungen sowie bei den sekundären, also erworbenen, Mangelzuständen unter dem multiplen Myelom oder der chronisch lymphatischen Leukämie angewendet würden. Die genannten Produkte seien bei dieser Indikation zugelassen. Es sei betont, dass diese Indikation nicht eine pauschale Ausdehnung auf jegliche Zustände oder Erkrankungen erlaube, die mit Antikörpermangel einhergehen, wie es z.B. bei der AIDS-Erkrankung bei Erwachsenen der Fall sei. Immunglobuline seien für Kinder mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen zugelassen. Hier würden die Kinder mit einem B-Zellen-Defekt geboren und könnten somit funktionell intakte Antikörper nicht in ausreichender Menge bilden. Dieser Mangel werde durch die Gabe der Immunglobuline substituiert. Dagegen würden bei erwachsenen AIDS-Patienten zunächst funktionell intakte B-Zellen sowie Memory-Zellen vorliegen und die Störung der Funktion der B-Zellen setze erst mit fortschreitender Erkrankung ein. Erkenntnisse aus neueren klinischen Studien, die die Annahme einer Wirksamkeit der Immunglobuline bei erwachsenen AIDS-Patienten belegen, lägen nicht vor. In Anbetracht der unterschiedlichen Charakteristik des klinischen Verlaufes der AIDS-Erkrankung sowie der heute verfügbaren Medikamente sei eine pauschale Zulassung der Immunglobuline in dieser Erkrankung von vornherein auszuschließen. Ein Antrag zur Ausdehnung der Zulassung auf erwachsene AIDS-Patienten liege nicht vor. Die Entscheidung über die Anwendung eines Immunglobulins in der nicht zugelassenen Indikation AIDS-Erkrankung bei Erwachsenen solle daher eine Einzel-Fall-Entscheidung sein, die in die Therapiefreiheit des behandelnden Arztes fallen solle.

Die Beigeladene zu 2) hat sich mit Schriftsatz vom 22. November 2002 der Auffassung des PEI angeschlossen. Auch der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2002 vollinhaltlich den Ausführungen des PEI angeschlossen. Der Beklagte stehe einer Immunglobulin-Therapie im Einzelfall bei entsprechender Dokumentation auf Grund der Schwere der Erkrankung (spätes Stadium bei HIV) verbunden mit entsprechender Schweresymptomatik (Infektionen etc.) nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Allerdings sei im Einzelfall zu verlangen, dass eine ausreichende und fundierte Dokumentation positive Auswirkungen dieser Therapie individuell belege. Im Vorfeld einer solchen Behandlung müsse zudem der Vertragsarzt auf zugelassene Therapieoptionen zurückgegriffen und nachgewiesen haben, dass der gewünschte therapeutische Erfolg ausgeblieben sei. Der Kläger habe eine solche Dokumentation nicht vorlegen können.

Die Klägerseite hat mit Schriftsatz vom 7. Februar 2003 geltend gemacht, dass sowohl der Beklagte als auch das PEI bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von nicht den Tatsachen entsprechenden Voraussetzungen ausgehen würden. Am Beispiel einer Patientin wird ausgeführt, dass diese neben anderen Erkrankungen auch unter einer manifesten AIDS-Erkrankung, chronischer Hepatitis C und rezidivierenden bakteriellen Infektionen mit chronischer Bronchitis und Sinusitis gelitten habe. Die Zulassung des eingesetzten Immunglobulins Octagam erstrecke sich auf die Indikationen "Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie Prophylaxe und Therapie von Infekten, die bei diesen Erkrankungen auftreten würden. Im Rahmen dieser Indikation sei das Arzneimittel eingesetzt worden. Einerseits habe auf Grund der großen Anzahl geschädigter Antikörper ein relativer Antikörpermangel vorgelegen. Andererseits sei der Einsatz auch zur Prophylaxe wie zur Therapie von Infekten indiziert gewesen. Durch den Einsatz von Immunglobulinen hätte daher den bakteriellen Infektionen vorgebeugt werden müssen. Es sei nicht primär um eine Therapie der ebenfalls vorliegenden AIDS-Erkrankung gegangen. Deshalb helfe die Stellungnahme des PEI vorliegend nicht weiter, da diese davon ausgehe, der Einsatz der Immunglobuline sei zur Therapie der AIDS-Erkrankung erfolgt. Darüber hinaus sei erneut hervorzuheben, dass selbst dann, wenn man einen Einsatz der Immunglobuline außerhalb der zugelassenen Indikation annehmen wollte, kein Regress ausgesprochen werden könne. Selbst wenn die Verordnung nicht nach den Kriterien des Off-label-Urteils des BSG vom 19. März 2002 erfolgt sei, würde es an einem Verschulden des Klägers fehlen.

Das PEI hat auf Nachfrage durch das SG mit Schreiben vom 20. März 2003 ergänzend Stellung genommen. Die Stellungnahme von 30. Oktober 2002 sei nach wie vor gültig. Das Zitat des Klägerbevollmächtigten, "Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie Prophylaxe und Therapie von Infekten, die bei diesen Erkrankungen auftreten", solle begründen, dass Immunglobuline in dieser Indikation im vorliegenden Fall eingesetzt würden. Das Zitat sei insofern korrekt, als Immunglobuline nicht zur Behandlung einer bestimmten Erkrankung, sondern zur Behandlung von Infekten angewendet würden, es sei aber nicht korrekt, als es nicht isoliert zitiert werden dürfe, sondern nur im Zusammenhang mit der Gesamtliste der Indikationen der Immunglobuline. Demnach beziehe sich die Zulassung von Immunglobulinen ausdrücklich auf die Prophylaxe und Therapie von Infekten, die bei primären (also angeborenen) oder bestimmten sekundären Immundefekterkrankungen, nämlich multiplem Myelom oder chronisch lymphatischer Leukämie (CLL), auftreten würden. Es bleibe demzufolge festzustellen, dass die Anwendung eines Immunglobulins zur Therapie eines Antikörpermangels bei einem erwachsenen AIDS-Patienten außerhalb der Zulassung (Off-Label) erfolgt sei.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, Arbeitsausschuss "Arzneimittel" hat auf Nachfrage durch das SG mit Schreiben vom 28. April 2003 mitgeteilt, dass die Verordnung der Präparate Intraglobin F und Octagam bei erwachsenen HIV-Patienten außerhalb der zugelassenen Indikation erfolgt sei. Die Verordnung eines in Deutschland zugelassenen Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Indikation sei arzneimittelrechtlich möglich und liege in der alleinigen Verantwortung des Vertragsarztes. Die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV richte sich nach den Kriterien der BSG-Rechtsprechung zum Off-Label-Use (BSG-Urteil vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R), die kumulativ erfüllt sein müssten. Es müsse sich um eine "schwerwiegende Erkrankung" handeln, es dürfe "keine andere Therapie verfügbar" sein und es müsse zwingend auch ein valider Wirksamkeitsnachweis aus kontrollierten Studien mit angemessener Fallzahl vorliegen. Diese Kriterien habe der verordnende Vertragsarzt zu beachten. Nach Auffassung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen seien die oben angegebenen Kriterien des BSG-Urteils zum Off-Label-Use nicht erfüllt. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die europäische Zulassungsbehörde EMEA nach Diskussion in der "Blood Products Working Group" zu den Immunglobulinen die Indikation HIV bei Erwachsenen nicht aufgenommen habe. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat auf nochmalige Anfrage der Kammer mit Schreiben vom 16. Mai 2003 mitgeteilt, dass auch aus der Nummer 20 der Arzneimittelrichtlinien sich keine Rechtsgrundlage für die Verordnung von Immunglobulinen außerhalb der zugelassenen Indikation bei HIV-Patienten zu Lasten der GKV ergebe. Die AMR würden den wirtschaftlichen Einsatz von nach dem AMG verkehrsfähigen Arzneimitteln, allerdings nur im Rahmen des Anwendungsgebietes, für das das Arzneimittel zugelassen sei, regeln. Die AMR würden an die Zulassung nach dem AMG anknüpfen. Sie könnten nicht als Rechtsgrundlage für einen zulassungserweiternden Einsatz von Arzneimitteln herangezogen werden. Des weiteren findet sich auf Seite 211 der Akte ein Vermerk eines Telefongesprächs mit Herrn Wedekind vom PEI vom 19. Mai 2003. Danach sei das Präparat Intrimun für folgende Indikationen zugelassen (Stand Juli 1998, 2001 erloschen): Substitution bei primären Antikörpermangelkrankheiten, - angeborene Agamma-Globulinämie und Hypogammaglobulinämie - variables Immunmangelsyndrom (CVID), schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten, Wiskott-Aldrich-Syndrom.

Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 19. Mai 2003 die Klage mit dem Aktenzeichen S 45 KA 2209/01 abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten, im konkreten Fall eine detaillierte Einzelfallprüfung durchzuführen, um die Praxisstruktur mit den gehäuften HIV-Fällen angemessen berücksichtigen zu können, sei nicht zu beanstanden. Der Bescheid sei nicht deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte eine andere Prüfmethode als der Prüfungsausschuss angewendet habe. Die Prüfgremien seien nämlich bei der Auswahl ihrer Prüfmethoden weitgehend frei und könnten diese grundsätzlich entsprechend den sachlichen Erfordernissen im Einzelfall festlegen. Ausgehend von der medizinischen Indikation, der Vormedikation und dem Behandlungsverlauf habe der Beklagte hier eine eingeschränkte Einzelfallprüfung unter Heranziehung von Sachverständigen durchgeführt und in geeigneter und zulässiger Weise die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise des Klägers überprüft. Bei der Festsetzung des streitigen Arzneimittelregresses handle es sich nicht um die Feststellung eines sonstigen Schadens. Im Ergebnis zu Recht habe der Beklagte die im Quartal 3/97 verordneten Immunglobuline wie Octagam, Intraglobin F und Intrimun bei den geprüften Einzelfällen regressiert. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehle es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedürfe und die Zulassung nicht erteilt werden könne (BSG, Az.: B 1 KR 19/96 R = SozR 3-2500 § 31 Nr.5). Eine fehlende Zulassung eines zulassungspflichtigen Arzneimittels schließe die Verordnungsfähigkeit stets aus. In Fortführung dieser Rechtsprechung dürften Arzneimittel, auch wenn sie zum Verkehr zugelassen seien, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstrecke (sog. Off-Label-Use). Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht erfassten Anwendungsbereich komme deshalb nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung gehe, keine andere Therapie verfügbar sei und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Damit Letzteres angenommen werden könne, müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige- den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehen würde (BSG, Urteil vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R). Im Falle des Klägers seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die vom Kläger verordneten Immunglobuline seien Sera Fertigarzneimittel im Sinne der §§ 2 Abs.1, 4 Abs.1 und Abs.3 AMG. Als solche hätten sie eine Zulassung gemäß § 21 Abs.1 AMG. Für die in Deutschland zugelassenen Immunglobuline Intraglobulin F und Octagam habe das PEI als zuständige Bundesoberbehörde gemäß § 77 Abs.2 AMG die Zulassung für folgende Indikationen erteilt: Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten wie kongenitale Agamma-Globulinämie und Hypogammaglobulinämie, allgemeine variable Immunmangelkrankheiten, schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten, Wiskott-Aldrich-Syndrom, Myelom oder chronische lymphatische Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infektionen, Kinder mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen. Für das Präparat Intrimun laute die Zulassung: Substitutionstherapie bei primären Antikörpermangelkrankheiten: angeborene Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie, variables Immunmangelsyndrom (CVID), schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten, Wiskott- Aldrich-Syndrom. Diese Zulassungen würden jedoch nicht die Anwendung der streitgegenständlichen Immunglobuline bei Erwachsenen mit HIV-Infektionen erfassen. Unstrittig sei, dass ein entsprechender Antrag bei der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, nie gestellt worden sei. Im Falle des Klägers seien die Immunglobuline zur Behandlung des sekundären Immunmangelsyndroms bei fortgeschrittenen HIV-Infektionen verordnet worden. Zu diesem Ergebnis komme die fachkundig besetzte Kammer nach Durchsicht der Verordnungen und der entsprechenden Diagnosen. Unstrittig sei, dass bereits ab dem Jahre 1996 die Kombinationsbehandlung, dass heiße die hoch aktive, antiretrovirale Therapie (HAART), dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen habe. Durch die Anwendung dieser Kombinationstherapie habe die Sterblichkeit von HIV-positiven Patienten drastisch gesenkt werden können. Auch der Kläger wende diese Therapie an, setze aber zur Behandlung sekundärer Antikörpermangelerkrankungen bei fortgeschrittner HIV-Infektion mit deutlicher Krankheitssymptomatik als Folge des humoralen Immundefektes Immunglobuline ein. Dies erfolge jedoch außerhalb der zugelassenen Indikation. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use seien die festgesetzten Regresse rechtmäßig. Jedenfalls sei der Nachweis der Wirksamkeit des Arzneimittels nicht gegeben. Eine Erweiterung der Zulassung sei nicht beantragt und kontrollierte klinische Prüfungen der Phase III würden nicht vorliegen. Nach Auskunft des PEI gelte die Indikation weltweit als nicht durch klinische Studien belegt. Dies werde zudem durch eine vom PEI durchgeführte aktuelle Literatursuche bestätigt. Richtig sei zwar, dass im Jahre 1995 von M. Kiehl (Universität Münster) eine Vergleichsstudie über die prophylaktische Gabe von Immunglobulinen bei AIDS durchgeführt worden sei, diese Studie sei jedoch von der zuständigen Ethik-Kommission gestoppt worden. Die fachkundig besetzte Kammer könne nach den vorliegenden Stellungnahmen und der Erörterung mit den Beteiligten nicht davon ausgehen, dass in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der Immunglobulin-Therapie bei erwachsenen AIDS-Patienten bestehe. Da die Verordnung der streitgegenständlichen Immunglobuline in allen geprüften Einzelfällen bereits wegen Überschreiten der Indikation unzulässig sei, sei nicht zu prüfen, ob der Beklagte den ihm bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ansonsten zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten habe. Bei der Unzulässigkeit der Verordnung von Arzneimitteln stehe dem Beklagten kein Ermessen zu.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 28. Juli 2003. Es sei in der medizinischen Wissenschaft bekannt, dass mit der hoch aktiven antiretroviralen Kombinationstherapie (HAART) der erworbene Immundefekt nicht beseitigt werden könne. Im bestmöglichen Falle könne durch diese Therapie eine Eindämmung der Ausbreitung des HI-Virus erreicht werden. Weil mit der hoch aktiven antiretroviralen Kombinationstherapie eine Ausbreitung des Virus erreicht werden könne, könne auch eine Reduzierung der gehäuften Infektionen erreicht werden. Werde sie allerdings nicht erreicht, führten diese Infektionen zu einer Stimulierung der ruhenden Helferzellen und das Ziel der antiretroviralen Kombinationstherapie, nämlich die Unterdrückung der Ausbreitung der HI-Viren werde vereitelt. Allein schon aus diesem Grunde stelle die streitgegenständliche Immunglobulin-Therapie eine äußerst sinnvolle Ergänzung zur antiretroviralen Kombinationstherapie dar. Wichtig sei festzustellen, dass es sich bei HAART und der Immunglobulintherapie um zwei grundverschiedene, sich ergänzende Therapieansätze handle. Während Virustatika (retrovirale Medikamente) die Eigenschaft besäßen, die Replikation des Virus zu unterbinden, greife die Immunglobulintherapie das Virus nicht an, sondern unterstütze lediglich das durch das Virus geschädigte Immunsystem. Nachdem mittels HAART weder eine Heilung noch in allen Fällen ein Zustand der Lebensverlängerung erreicht werden könne, dränge sich die Frage nach einer Behandlungsalternative für die Fälle auf, die mit der hoch aktiven antiretroviralen Kombinationstherapie austherapiert seien oder bei denen sich der Krankheitsverlauf trotz effektiver Kombinationstherapie verschlechtert habe, wobei sich die Verschlechterung auch in einer zunehmenden Infektionsanfälligkeit dokumentiere. In Deutschland seien bis zu 43.000 Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) seien etwa 5.000 an AIDS erkrankt. Nach wie vor handle es sich bei diesem Stadium der HIV-Erkrankung um eine tödliche Krankheit, die weder mit HAART noch mit Immunglobulinen geheilt werden könne. Der Einsatz der Immunglobuline ebenso wie der HAART habe somit im eigentlichen Sinne einen palliativen Charakter. Entgegen der im streitgegenständlichen Urteil vertretenen Auffassung stehe den Patienten bereits von Gesetzes wegen ein Anspruch auf die Sachleistung Immunglobulin nach § 12 SGB V zu. Dieser Anspruch ergebe sich zum einen aus dem für das öffentlich-rechtliche Handeln generell geltenden Vertrauensschutzprinzip, da die streitgegenständliche Therapie über Jahre hinweg erstattet worden sei. Die streitgegenständliche Verordnung von Immunglobulinen sei jedenfalls durch Ziffer 20 der Arzneimittelrichtlinien gedeckt. Sie stehe auch im Einklang mit den in der Roten Liste aufgeführten Indikationen. Aber selbst wenn in den vorliegenden Fällen ein Off-Label-Gebrauch des Präparates Octagam vorliegen sollte, wäre eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht ausgeschlossen. Vorliegend würden genügend außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse vorliegen, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels (Immunglobuline) in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen würden und auf Grund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorausgegangenen Sinne bestünden (hierzu werden eine Reihe von Studien benannt und teilweise näher beschrieben). Das streitgegenständliche Vorverfahren leide im Übrigen schon in formaler Hinsicht an mehreren erheblichen Mängeln. Dies beginne damit, dass der Kläger eine Aufstellung von Verordnungen erhalte, die Verordnungen selber aber nicht vorgelegt worden seien. Eine Überprüfung der Korrektheit der Auflistung sei daher nicht möglich. Es sei auch gegen §§ 6 Abs.7, 7 Abs.5 der Prüfvereinbarung-Bayern verstoßen worden. Die vom Beklagten gewählte Einzelfallprüfung sei nicht konsequent durchgeführt worden. Es werde nicht deutlich, welche Voraussetzungen überhaupt geprüft worden seien. Seien Immunglobuline im Jahre 1997 tatsächlich nicht zugelassen gewesen, hätten sie entweder überhaupt nicht verordnet werden dürfen (dann hätte es keiner Einzelfallprüfung bedurft) oder die Verordnung habe dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen (dann hätten sie auch in jedem der Einzelfälle verordnet werden dürfen). Der Bescheid des Beklagten lasse eine kritische Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Klägers ebenso vermissen wie eine solche zu den aufgeführten Entscheidungen und Stellungnahmen. So verliere der Beklagte kein Wort über die fehlende Behandlungsalternative für die in das Verfahren eingebundenen Patienten. Er stelle lediglich seitenweise auf die angeblich fehlende Zulassung, die von ihm auch nicht geprüft werde, ab, um dann bei den einzelnen Patientenverläufen zu der Auffassung zu gelangen, dass die getätigten Angaben keine IVIG-Gabe rechtfertigten. Der Beklagte prüfe insbesondere nicht, ob es sich bei den aufgeführten Patienten um jene Einzelfälle handeln könnte, die vom PEI ebenfalls benannt worden seien. Obschon es sich bei den DAGNÄ-Empfehlungen um solche ohne allgemein verbindlichen Charakter handle, würden diese bei manchen Patienten zu Grunde gelegt, bei anderen nicht. Beim Patienten Schrader scheitere der Anspruch auf IVIG an der mangelnden Gabe von Antibiotika. Unabhängig von der Tatsache, dass der erfolgreiche Einsatz eines Antibiotikums ein funktionstüchtiges Immunsystem voraussetze, welches gerade bei den AIDS-Patienten nicht vorliege, führe der Beklagte bei den letztgenannten das jeweils verordnete Antibiotikum (Antimykotium) namentlich (Diflucan) auf und widerspreche damit seiner eigenen Argumentation. Im Schadensersatz gelte schließlich allgemein der Grundsatz des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Danach sei die erlittene Vermögenseinbuße des Geschädigten der Vermögenslage gegenüber zu stellen, die sich ergäbe, wenn der Schädiger sich rechtmäßig verhalten hätte. Unter rechtmäßigen Alternativverhalten verstehe der Beklagte offensichtlich den Verzicht auf den Einsatz von Immunglobulinen. Er setze sich jedoch in keinster Weise mit dem Umstand auseinander, dass es sich um Schwersterkrankte handle, wobei die Praxis des Klägers seit vielen Jahren im Bezug auf Krankenhauseinweisungen bekanntermaßen weit unter dem Durchschnitt liege. Die Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 30. Juli 2004 weiter vorgetragen, die Frage der Indikation könne nicht im Wege von Stellungnahmen durch das PEI oder den Bundesausschuss oder den MDK geklärt werden. Das Anwendungsgebiet eines Medikamentes müsse aus sich verständlich sein und dürfe nicht von einer Jahre später erfolgten Erläuterung abhängig gemacht werden. Demzufolge sei allein der Text der Fachinformation bzw. der Roten Liste maßgeblich. In der nach Angabe des Herstellers ursprünglichen Fachinformation aus dem Jahre 1995 sei die ITP unter Ziffer 2 insbesondere in akuten Fällen bei Kindern erwähnt. Im Text der Roten Liste Stand 2004 werde die ITP bei Erwachsenen oder Kindern mit hohem Blutungsrisiko und vor einer OP zur Korrektur der Blättchenzahl aufgeführt. Auffällig, auch schon bei der ursprünglichen Fachinformation aus dem Jahre 1995, sei, dass die Aufzählung unter den Ziffern 1 bis 3 nicht abschließend sei. Es würden weder alle primären Antikörpermangelzustände erfasst noch alle sekundären. In der Aufzählung seien vielmehr solche Erkrankungen erfasst, deren Ätiologie nicht eindeutig auf einen Immundefekt (primär oder sekundär) zurückgeführt werden könne. Demzufolge sei das zunächst generalisierende Anwendungsgebiet eindeutig gegeben und es könne sich jedenfalls nicht um einen Off-Label-Use handeln. Dies wäre nur dann denkbar, wenn das Anwendungsgebiet lediglich mit den aufgezählten Erkrankungen beschrieben würde. Würde dem Präparat Octagam als Substitutionstherapie beim sekundären Immundefekt, wie z.B. der HIV-Infektion, tatsächlich keine therapeutische Wirkung zukommen, stelle sich die Frage, warum zum einen die Vertragsärzte aufgefordert würden, IVIG bei erwachsenen HIV-Patienten einzusetzen; zum anderen sei nicht nachvollziehbar, warum die Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde nicht zurückgenommen oder widerrufen worden sei.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2003 und den Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. Februar 2005 nochmals darauf hingewiesen, dass die verordneten streitgegenständlichen Präparate Octagam, Intraglobin F und Intrimun außerhalb des durch die arzneimittelrechtliche Zulassung gedeckten Anwendungsgebietes zum Einsatz gekommen seien. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R) lägen nicht vor.

Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen zu 2) hat ebenfalls beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) hat mit Schreiben vom 26. Oktober 2004 auf aktuelle Beschlüsse des Bayer. LSG (4. Senat) hingewiesen, in denen die Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verneint werde (L 4 B 454/04 KR ER und L 4 B 275/04 KR ER), und hat mit weiterem Schreiben vom 14. Februar 2005 die in dem Beschluss mit dem Az.: L 4 B 454/04 KR ER angesprochenen Gutachten des MDK vom 16. Februar 2004 und der Technischen Universität M. vom 12. Juni 2004 übersandt. Dr.W. vom PEI hat schließlich mit Fax-Schreiben vom 1. März 2005 die Anwendungsgebiete für das Immunglobulin Intrimun laut Gebrauchsinformation, Stand Februar 1997, mitgeteilt.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts München mit dem Az.: S 45 KA 2209/01 und die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts mit dem Az.: L 12 KA 107/03 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§ 151 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2001 betreffend den gegen den Kläger festgesetzten Arzneiregress für das Quartal 3/97, der allein Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr.22 S.118 f.), ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht München hat deshalb mit dem angefochtenen Urteil vom 19. Mai 2003 die Klage gegen diesen Bescheid zu Recht abgewiesen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nach geltender Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Sie sind auch befugt, Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln festzusetzen. Die Ermächtigung für die Normierung einer entsprechenden Rechtsgrundlage findet sich in § 106 Abs.2 Satz 4 SGB V in der Fassung des GSG. Danach können die Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs.2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Bayern in der im Quartal 3/97 geltenden Prüfungsvereinbarung Gebrauch gemacht. In § 15 Abs.1 der Bayerischen Prüfungsvereinbarung (BayPV) ist festgelegt, dass auf Antrag der KVB-Bezirkstelle, einer Krankenkasse, eines Landesverbandes oder der Verbände der Ersatzkassen der Prüfungsausschuss prüft, ob der Vertragsarzt im Einzelfall mit seiner Verordnungsweise gegen das Wirtschaftlichkeits- oder Verordnungs-Zulässigkeitsgebot verstoßen hat. Prüfungsgegenstand ist gemäß § 15 Abs.2 der BayPV die arzneimittel- bzw. verordnungsbezogene Überprüfung der Verordnungsweise unter anderem nach den Arzneimittelrichtlinien. Die erfolgte Zuweisung der Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V, mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. BMV-Ä in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung (n.F.) sowie mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu eingehend BSG, Urteil vom 14. März 2001, SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr.52).

Zu Recht geht das SG auch davon aus, dass die Entscheidung des Beklagten, im konkreten Fall eine detaillierte Einzelfallprüfung durchzuführen, um die Praxisstruktur mit den gehäuften HIV-Fällen angemessen berücksichtigen zu können, nicht zu beanstanden ist. Zunächst ist der Beklagte bei der Wahl der Prüfmethoden weitgehend frei, das heißt er kann sie grundsätzlich entsprechend den sachlichen Erfordernissen im Einzelfall festlegen und ist dabei nicht an die vom Prüfungsausschuss gewählte Prüfmethode gebunden. Bei dem Beschwerdeverfahren vor dem Beklagten handelt es sich um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz mit umfassender Prüfungs- und Entscheidungskompetenz (vgl. hierzu mit eingehender Begründung BSG, SozR 3-2500, § 106 Nr.22). Zum anderen stellt zwar die Prüfung nach Durchschnittswerten gemäß § 106 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB V die Regelprüfmethode dar, doch ist seit jeher neben dieser statistischen Wirtschaftlichkeitsprüfung die Einzelfallprüfung als zulässig und geeignet angesehen worden, die Wirtschaftlichkeit/Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- bzw. Verordnungsweise eine Vertragsarztes festzustellen. Bei der Einzelfallprüfung ist zwischen der strengen und der eingeschränkten Einzelfallprüfung zu unterscheiden. Der Beklagte hat vorliegend erkennbar eine eingeschränkte Einzelfallprüfung vorgenommen. Bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung untersuchen die Prüfinstanzen - in der Regel wie auch hier unter Heranziehung von Sachverständigen - Behandlungsfälle eines Arztes auf Grund von dessen Behandlungsangaben und Behandlungsunterlagen. Die strenge Einzelfallprüfung unterscheidet sich von der eingeschränkten demnach dadurch, dass bei der letzteren der Prüfung der Behandlungsweise die Indikationsbeurteilung des geprüften Arztes zu Grunde gelegt wird. Es handelt sich damit nicht um eine "wirkliche" Einzelfallprüfung, sondern im Kern um eine bloße Schlüssigkeitsprüfung. Sie kommt nur dann als geeignete Beweismethode in Betracht, wenn aussagekräftigere Beweismittel und Beweismethoden nicht mehr zur Verfügung stehen. Vorliegend wäre zwar eine Untersuchung der insgesamt 24 Patienten, soweit sie noch am Leben waren, in Betracht gekommen. Da der Schwerpunkt des Regressverfahrens aber in der generellen Unzulässigkeit der Verordnung von Immunglobulinen bei erwachsenen AIDS- Patienten liegt, war es vorliegend nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich als Prüfmethode für eine (eingeschränkte) Einzelfallprüfung entschieden hat. Er konnte sich dabei auf die Angaben des Klägers in den Behandlungsausweisen stützen. Da vorliegend zwei Sachverständige sich mit den 24 Fällen beschäftigt haben, lag dem Beklagten eine weitgehend übereinstimmende Befund- und Diagnoselage vor. Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers handelt es sich bei der Festsetzung des streitgegenständlichen Arzneimittelregresses auch nicht um die Feststellung eines sonstigen Schadens (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14. März 2001, SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr.52). Für die Festsetzung eines Regresses wegen Verstößen gegen die Arzneimittelrichtlinien bzw. wegen der Verordnung nichtverordnungsfähiger Arzneimittel kommt es - anders als bei einem Schadensersatzanspruch - auch nicht darauf an, dass der Vertragsarzt seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt haben muss.

Dem SG ist auch insoweit zuzustimmen, als es zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte die verordneten Immunglobuline, nämlich Octagam, Intraglobin F und Intrimun in den geprüften Einzelfällen zu Recht regressiert hat. Grundsätzlich darf der Arzt Leistungen nicht verordnen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind. Dies gilt erst recht für solche Leistungen, die nicht von der Leistungspflicht der Krankenkassen erfasst werden. Der Anspruch der Versicherten richtet sich nach den §§ 2 Abs.1, 12 Abs.1 SGB V. Danach sind die Krankenkassen verpflichtet, solche Leistungen zu gewähren, die für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf und die Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1998, Az.: B 1 KR 19/96 = SozR 3-2500 § 31 Nr.5). Gleiches hat für die Fälle zu gelten, wenn die Entscheidung der Behörde noch aussteht, sei es, weil der Hersteller des Medikaments die Zulassung nicht beantragt hat oder weil das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Eine fehlende Zulassung eines zulassungspflichtigen Arzneimittels schließt die Verordnungsfähigkeit stets aus (BSG, a.a.O.; BSG, Urteile vom 8. März 1995 = SozR 3-2200 § 182 Nr.17 und SozR 3-2500 § 31 Nr.3). In Fortführung dieser Rechtsprechung dürfen Arzneimittel, auch wenn sie zum Verkehr zugelassen sind, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (sog. Off-Label-Use).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Verordnung der Medikamente Intraglobin F, Octagam und Intrimun außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfolgt ist. Nach der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts vom 30. Oktober 2002 und der ergänzenden Stellungnahme desselben Instituts vom 20. März 2003 sowie auch der Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 28. April 2003 lautet die zugelassene Indikation für die Medikamente Intraglobin F und Octagam wie folgt:

Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten wie:

- kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie,

- allgemeine variable Immunmangelkrankheiten,

- schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten,

- Wiskott-Aldrich-Syndrom,

- Myelom oder chronisch lymphatische Leukämie mit schwerer se kundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infektionen,

- Kinder mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen.

Diese Indikation erlaubt nicht eine pauschale Ausdehnung auf jegliche Zustände oder Erkrankungen, die mit Antikörpermangel einhergehen, wie es zum Beispiel bei der AIDS-Erkrankung bei Erwachsenen der Fall ist. Intraglobin F und Octagam gehören zur Arzneimittelgruppe der intravenös zu verabreichenden Immunglobuline. Für keines der in Deutschland zugelassenen Immunglobuline ist die Indikation der Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten zugelassen. Die Indikation gilt weltweit als nicht durch klinische Studien belegt.

Gleiches gilt für das Präparat Intrimun. Hier lautet die Zulassung gemäß Mitteilung des PEI vom 1. März 2005:

Substitutionstherapie bei primären Antikörpermangelkrankheiten:

- angeborener vollständiger oder unvollständiger Immunglobulin mangel,

- variables Immunmangelsyndrom (CVID),

- schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten,

- Wiskott-Aldrich-Syndrom.

Die vom Kläger verordneten Immunglobuline sind Sera Fertigarzneimittel im Sinne der §§ 2 Abs.1, 4 Abs.1 und Abs.3 AMG. Als solche haben sie eine Zulassung gemäß § 21 Abs.1 AMG. Das Paul-Ehrlich-Institut ist als zuständige Bundesoberbehörde gemäß § 77 Abs.2 AMG für die Zulassung der streitgegenständlichen Arzneimittel zuständig. Die aufgeführte Zulassung erfasst jedoch nicht die Anwendung der streitgegenständlichen Immunglobuline bei Erwachsenen mit HIV-Infektionen. Die Anwendung von intravenösen Immunglobulinen bei Erwachsenen mit HIV-Infektionen betrifft ein erweitertes Anwendungsgebiet, das gemäß § 29 Abs.3 Nr.3 AMG einer Neuzulassung bedürfte. Unstrittig ist, dass ein entsprechender Antrag bei der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, nie gestellt worden ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Gericht auf der Grundlage von Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts sowie des gemeinsamen Bundesausschusses zu der Auffassung gelangt, dass die streitgegenständlichen Medikamente außerhalb der Zulassung verordnet worden sind (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. November 2004, 1 BvR 2571/04). Vor diesem Hintergrund geht der von Klägerseite im letzten Schriftsatz vom 30. Juli 2004 erfolgte Versuch, die gerichtliche Praxis, die Frage der Indikation eines Arzneimittels im Wege von Stellungnahmen durch das PEI oder den Bundesausschuss zu klären, in Zweifel zu ziehen, fehl. Gleiches gilt für den Versuch, aus der sog. "Roten Liste", bei der es sich um eine Fachinformation handelt, im Wege der Interpretation für den Kläger günstige Folgen zu begründen. Die Rote Liste soll die Fachkreise über die in Klinik und Praxis zur Anwendung und Verordnung in Betracht kommenden Fertigarzneimittel im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (§§ 2, 4 AMG) und Medizinprodukten im Sinne des § 3 Nrn.1, 2, 3 MPG informieren. Dabei sollen die zu den Indikationen angeführten Angaben kurz gehalten sein, der medizinischen Terminologie entsprechen und sich auf die wichtigsten Anwendungsgebiete beschränken (vgl. hierzu die Grundsätze für die Rote Liste §§ 1 ff.). Diese Angaben in der Roten Listen können jedoch nicht weiter reichen als die von dem PEI als zuständiger Bundesoberbehörde für die streitgegenständlichen Präparate erteilten Zulassungen.

Nach Durchsicht der Behandlungsunterlagen zu den streitgegenständlichen Patienten und unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Klägers (etwa im Schriftsatz vom 18. September 1998) ist festzustellen, dass in diesen Fällen die Immunglobuline zur Behandlung des sekundären Immunmangelsyndroms bei fortgeschrittenen HIV-Infektionen verordnet worden sind. Unstrittig ist aber, dass bereits ab dem Jahre 1996 die Kombinationsbehandlung, das heißt die hoch aktive, antiretrovirale Therapie (HAART) dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse für die Behandlung von AIDS-Patienten entsprochen hat. Durch die Anwendung dieser Kombinationstherapie konnte die Sterblichkeit von HIV-positiven Patienten drastisch gesenkt werden. Auch der Kläger wendet diese Therapie an, setzt aber darüber hinaus zur Behandlung sekundärer Antikörpermangelerkrankungen bei fortgeschrittenen HIV-Infektionen mit deutlichen Krankheitssymptomen als Folge des humoralen Immundefektes Immunglobuline ein. Diese erfolgt außerhalb der zugelassenen Indikation. In keinem streitgegenständlichen Fall wurde als Indikation eine primäre Immunmangelerkrankung oder eine bestimmte sekundäre Immundefekterkrankung wie multiples Myelom oder chronisch lymphatische Leukämie angegeben. Vielmehr finden sich Erkrankungen wie Soor, Neuropathie, Herpes, rezidivierende Infekte sowie ganz allgemein die Angabe "sekundäres Antikörpermangelsyndrom". Somit ist auch im Einzelfall festzustellen, dass die Anwendung der streitgegenständlichen Immunglobuline zur Therapie des Antikörpermangelsyndroms bei erwachsenen HIV-Infizierten außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Use) erfolgt ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1999, BSGE 85, 36 und Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das die Zulassung sich nicht erstreckt. Davon kann jedoch ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist, und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Zweifellos handelt es sich in den streitgegenständlichen Behandlungsfällen um schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen, da die Patienten alle am Vollbild von AIDS, zum Teil im Endstadium, erkrankt sind. Es kann dahinstehen und soll hier nicht näher ausgeführt werden, ob und inwieweit in diesem Krankheitsstadium eine andere Therapie zur Verfügung steht. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht besteht, dass mit der Immunglobulingabe ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das bzw. die Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden können. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Pla- cebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Diese Voraussetzungen liegen bei der Gabe von Immunglobulinen mit den Arzneimitteln Intraglobin F, Octagam und Intrimun bei der Behandlung von erwachsenen AIDS-Patienten nicht vor. Die Auffassung des Senats stützt sich diesbezüglich insbesondere auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof.Dr.D. vom 12. Oktober 1999, auf die Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts vom 30. Oktober 2002 und 20. März 2003, auf die Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 28. April 2003 sowie auf die Stellungnahme des MDK Bayern vom 16. Februar 2004 und das aktuelle Gutachten von Prof.Dr.H. bzw. dessen Assistenten Dr.B. vom 12. Juni 2004 von der 2. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität M. des Klinikums Rechts der Isar der Technischen Universität M ...

Die Gabe von Immunglobulinen gilt danach für die Indikation der Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten weltweit als nicht durch klinische Studien belegt. Es liegen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen würden, dass i.v.-Immunglobulin-Therapie für die Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten im fortgeschrittenen Stadium CDC C 3 zugelassen werden könnte. Es gibt auch außerhalb eines Zulassungsverfahrens keine Erkenntnisse - durch entsprechende Studien mit großen Patientenpopulationen, Placebo-kontrolliert, doppelblind durchgeführt oder in der internationalen Literatur -, die über Qualität und Wirksamkeit der i.v.-Immunglobulin-Gabe bei Erwachsenen mit fortgeschrittener AIDS-Erkrankung ausreichend zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen. Die von Klägerseite mehrfach angesprochene Studie von Kiehl et. al. wurde - unstreitig - von der Ethik-Kommission gestoppt. Die Studie war nicht verblindet und gelangte nur bis zu einer Zwischenauswertung. Insgesamt kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass in den einschlägigen Fachkreisen nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft ein Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen und/oder zu erwartenden Behandlungserfolg durch die Gabe von i.v.-Immunglobulinen bei erwachsenen AIDS-Patienten besteht. Auch aus den Arzneimittel-Richtlinien (AMR) - insbesondere der Nr.20 AMR - ergibt sich keine Rechtsgrundlage für die Verordnung von Immunglobulinen außerhalb der zugelassenen Indikation bei erwachsenen HIV-Patienten zu Lasten der GKV. Die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen und mit Normqualität ausgestaltenen Arzneimittel-Richtlinien enthalten gemäß der Ermächtigungsnorm in § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.6 SGB V Vorschriften zur Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Arzneimittel-Versorgung. Dem Bundesausschuss obliegt aber nicht die Aufgabe, Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels bei der Behandlung einer bestimmten Indikation zu prüfen. Hierzu ist vielmehr das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als die nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) zuständige Behörde berufen (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R). Es ist daher nicht Aufgabe des Bundesausschusses, zulassungspflichtige Arzneimittel für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung einer nochmaligen gesonderten Begutachtung zu unterziehen und die arzneimittelrechtliche Zulassung durch eine für den Bereich der GKV geltende Empfehlung zu ergänzen oder zu ersetzen, Die Arzneimittel-Richtlinien knüpfen von daher an die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz an und können nicht die fehlende Zulassung eines bestimmten Immunglobulinpräparates für die Behandlung von erwachsenen HIV-Patienten ersetzen. Auch der Hinweis auf die unterschiedlichen und wechselnden Formulierungen zu den streitgegenständlichen Medikamenten in der Roten Liste führen nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Von Klägerseite wurde bereits selbst darauf hingewiesen, dass nach § 1 der Grundsätze für die Rote Liste diese die Fachkreise über die in Klinik und Praxis zur Anwendung und Verordnung in Betracht kommenden Fertigarzneimittel im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (§§ 2, 4 Abs.1 AMG) informieren und zur Überschaubarkeit des Arzneimittelangebotes beitragen. Dabei sollen die zu den Indikationen angeführten Angaben kurz gehalten sein, der medizinischen Terminologie entsprechen und sich auf die wichtigsten Anwendungsgebiete beschränken (§ 3 Nr.3.3.4.4. der Grundsätze der Roten Liste). Von daher kommt der Roten Liste nicht die Aufgabe zu, die Einsatzfähigkeit von Arzneimitteln für den Bereich der GKV über die arzneimittelrechtliche Zulassung hinaus zu erweitern, ganz abgesehen davon, ob die in der Roten Liste enthaltenen Angaben überhaupt im Sinne der klägerischen Interpretation zu verstehen sind. Jedenfalls kann ein Vertragsarzt nicht auf der Grundlage von (vermeintlichen) Angaben in der Roten Liste den Einsatzbereich über die vom PEI als zuständiger Bundesoberbehörde für die streitgegenständlichen Arzneimittel erteilten Zulassungen und unter Umgehung der von Rechtsprechung a.a.O. entwickelten Grundsätze über einen Off-Label-Use erweitern.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. Mai 2003 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs.1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr.24 S.115 ff.).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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