L 5 R 668/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1203/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 668/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13. Oktober 2004 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 28. März 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2002 und gegen den Bescheid vom 5. April 2002 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Anrechnung von FRG-Beschäftigungszeiten zu 6/6.

Der 1934 in Rumänien geborene Kläger ist am 05.06.1990 in das Bundesgebiet zugezogen. Er ist Inhaber des Vertriebenenausweises A. Im Zusammenhang mit der Kontenklärung 1990 legte er unter anderem eine Bescheinigung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft V. vom 15.03.1990 über Arbeitstage und realisierte Arbeitsnormen betreffend den Zeitraum von 1958 bis 1990 als Zimmermann im Bauwesen vor. Laut eigenen Angaben war er immer sechs Tage pro Woche beschäftigt, wobei die Zahl der Arbeitstage wegen der Art der Aufträge und des Wetters differierte. 1985 sei er drei Monate krank gewesen (05.01. bis 25.03.1985) und 1990 sei er mit Ausreiseangelegenheiten beschäftigt gewesen.

Im Rahmen der Rentenantragstellung 1993 übersandte die rumänische Verbindungsstelle eine Adeverinta vom 17.02.1993, die von der aus dem Jahre 1990 abwich. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27.10.1993 unter Zugrundelegung der Adeverinta von 1990 und Bemessung der zugeordneten Entgelte entsprechend der Zahl der geleisteten Arbeitstage.

Im Widerspruchsverfahren wurde auf erneute Anfrage in Rumänien eine neue Adeverinta vom 28.04.1994 zugeleitet, die die Werte der Adeverinta von 1993 wiederholte. Daraufhin stellte die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente mit Bescheid vom 29.02.1996 neu fest und berücksichtigte unter anderem die vom Versicherungsträger bescheinigten Arbeitstage ab Rentenbeginn. Dazu trug die Klägerbevollmächtigte am 11.04.1996 vor, angesichts der von der LPG gleichzeitig bescheinigten hohen Arbeitsnormen und der Bestätigung der durchgehenden Beschäftigung sei die Anrechnung der vollen Kalenderjahre gerechtfertigt. Im Widerspruchsbescheid vom 23.05.1996 heißt es, die bescheinigten Arbeitstage besäßen negative Beweiskraft, so dass ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis auch unter Heranziehung der Arbeitsnormen nicht glaubhaft gemacht werden könne.

Seit 01.05.1999 erhält der Kläger Regelaltersrente (Bescheid vom 11.06.1999).

Am 19.03.2002 beantragte er die Überprüfung der Rentenbescheide gemäß § 44 SGB X wegen der vollen Berücksichtigung der in der LPG zurückgelegten Zeiten entsprechend höchstrichterlicher Rechtsprechung. Mit Neufeststellungsbescheid vom 28.03.2002 stellte die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 01.01.1998 bis 30.04.1999 neu fest und gewährte eine Nachzahlung von 2.186,58 DM. Dabei berücksichtigte sie die FRG-Zeiten für die Zeit von 1954 bis 1957, 1959 bis 1977 und 1983 als nachgewiesen und die Zeit von 1958, vom 01.01.1978 bis 31.12. 1982 und vom 01.01.1984 bis 18.05.1990 als glaubhaft gemachte Zeit. Die Bescheide vom 27.10.1993, 29.02.1996 und 11.06.1999 hob sie auf. Wegen der Änderung der rentenrechtlichen Zeiten stellte sie auch die Regelaltersrente ab 01.05.1999 mit Bescheid vom 05.04.2002 neu fest. Hier ergab sich eine Nachzahlung von 2.645,13 EUR.

Beiden Bescheiden widersprach der Kläger am 15.04.2002 mit der Begründung, die zwischen 1978 und 1990 zurückgelegten Versicherungszeiten seien zu 6/6 zu berücksichtigen. Den Widerspruch vom 15.04.2002 gegen den Bescheid vom 28.03.2002 wies die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2002 zurück. In den strittigen Zeiträumen seien immer unter 300 Arbeitstage bescheinigt und daher diese Zeiten nur zu 5/6 anzuerkennen. Arbeitsnormen dienten nur als Mittel der Glaubhaftmachung, wenn die tatsächlichen Tage nicht bestätigt seien.

Dagegen hat der Kläger am 18.09.2002 Klage erhoben und geltend gemacht, entsprechend höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSGE vom 31.03.1993 - 13 RJ 17/92 - und 30.10.1997 - 13 RJ 19/97 -) seien die LPG-Zeiten wegen Erfüllung der Arbeitsnormen zu 6/6 zu berücksichtigen.

Das Sozialgericht Landshut hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 und unter Abänderung des Bescheides vom 05.04.2002 verurteilt, den Zeitraum vom 01.01.1978 bis 31.12.1982 und 01.01.1984 bis 18.05.1990 in vollem Umfang bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Unter Berufung auf die genannte höchstrichterliche Rechtsprechung hat es die volle Anrechnung für gerechtfertigt gehalten, da der Kläger als Mitglied einer LPG in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die tatsächlichen Arbeitstage seien unerheblich.

Gegen das der Beklagten am 27.10.2004 zugestellte Urteil vom 13.10.2004 hat diese am 25.11.2004 Berufung eingelegt. Ihres Erachtens wird im angegebenen BSG-Urteil vom 30.10.1997 kein Schluss von der durchgehenden Beschäftigungszeit auf eine nachgewiesene Beschäftigungszeit gezogen. Es liege zwar eine durchgehende Beschäftigungszeit vor, die aber regelmäßig nur als glaubhaft gemachte Zeit anzurechnen sei, weil eine Unterbrechung zum Beispiel wegen Krankheitszeiten vorgelegen haben könne.

Demgegenüber hat die Klägerbevollmächtigte vorgetragen, der Kläger habe als Mitglied der LPG ohne Unterbrechung gearbeitet. Während der gesamten Zeit seien von ihm mehr als die vorgenommenen Normen erfüllt worden und mit Ausnahme der Jahre 1958 und 1990 jeweils weit mehr als 300 Normen nachgewiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.10.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 28.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 sowie gegen den Bescheid vom 05.04.2002 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.10.2004 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 13.10.2004 konnte keinen Bestand haben. Der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung der Zeit vom 01.01. 1978 bis 31.12.1982 und vom 01.01.1984 bis 18.05.1990 zu 6/6. Beschäftigungszeiten sind während dieser Zeiträume lediglich glaubhaft gemacht.

Da dieselbe Frage Gegenstand des Neufeststellungsbescheides vom 05.04.2002 betreffend der Regelaltersrente war, erscheint es gerechtfertigt, ihn in großzügiger Auslegung des § 96 SGG und aus prozessökonomischen Gründen in den Rechtsstreit einzubeziehen, obwohl der Widerspruch hiergegen offen und der Prüfungsmaßstab der Bescheide vom 28.03.2002 und 05.04.2002 nicht identisch ist. Wegen § 44 SGB X war für den ersten Bescheid die Rechtslage zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides vom 29.02.1996 maßgeblich, für den Neufeststellungsbescheid vom 05.04.2002 die Rechtslage zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides vom 11.06.1999.

Unstreitig waren die Bescheide vom 27.10.1993, 29.02.1996 und 11.06.1999 aufzuheben, weil sie mit der Bemessung der zugeordneten Entgelte entsprechend den nachgewiesenen Arbeitstagen nicht der Regelung des § 22 FRG entsprachen. Danach ist eine Kürzung der Entgeltpunkte nur gerechtfertigt, wenn Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nur glaubhaft gemacht sind (§ 22 Abs.3 FRG). Diese seit 1992 geltende Norm ist sowohl bei der Bewilligung der Regelaltersrente als auch bei der Bewilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente heranzuziehen, obwohl wegen Art.6 § 4 Abs.3 FANG verschiedene Fassungen des FRG Anwendung finden. Hinsichtlich der hier streitigen Frage der Glaubhaftmachung bzw. des Nachweises von Beitrags- oder von Beschäftigungszeiten unterscheiden sich diese Fassungen jedoch nicht.

Unstreitig ist, dass der Kläger während der Zugehörigkeit zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft V. von 1958 bis 1990 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Wie das Bundessozialgericht in der vom Sozialgericht zitierten Entscheidung vom 30.10.1997 (13 RJ 19/97) festgestellt hat, kann allein aufgrund der Mitgliedschaft im Kolchos eine abhängige Beschäftigung vorliegen. Diese Entscheidung betraf Zeiten der Mitgliedschaft in einer Kolchose der ehemaligen UdSSR. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang tatsächlich gearbeitet wurde und welchen Umfang die Arbeitszeit hatte, denn für den Umfang eines Beschäftigungsverhältnisses kommt es auf den Umfang der Verpflichtung des Arbeitnehmers und den Umfang des Weisungsrechts des Arbeitgebers an (BSG a.a.O. m.w.H. auf BSG vom 31.03.1993 13 RJ 17/92). Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze auch für LPG-Mitglieder in Rumänien gelten (strittig - siehe Mitteilungen der LVA Oberfranken und Mittelfranken Nr.11/1998 S.603). Selbst wenn diese neue Rechtsprechung vorliegend Anwendung findet, sind deshalb nicht die strittigen Beschäftigungszeiten nachgewiesen.

Nachweis bedeutet nichts anderes als die Führung des vollen Beweises, der wie in anderen Rechtsgebieten auch im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Nachweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel ist im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach den §§ 15 und 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht gegeben (Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 23.05.1996, L 19 AR 366/94 m.w.N.). Ein Nachweis solcher Zeiten liegt jedoch nur dann vor, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt wird, dass in die vom Arbeitgeber bescheinigten Zeiten keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen (BSG, Urteil vom 16.10.1997, 13 RJ 21/96). Unterlagen aus Rumänien können in der Regel dann als Nachweis dienen, wenn die Angaben des Versicherten und die vorgelegten Unterlagen in sich schlüssig sind, wenn kein Verdacht besteht, dass es sich um Gefälligkeitsbescheinigungen oder gefälschte Bescheinigungen handelt, und wenn aus den Bescheinungen die tatsächlichen Arbeitstage und die Fehlzeiten vollständig hervorgehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch im strittigen Zeitraum nicht erfüllt.

Zwar sind in der auf den Widerspruch des Klägers 1993 zugrunde gelegten Adeverinta vom 28.04.1994 die Arbeitstage angegeben. Weil der Kläger jedoch den geltenden Normwert von 300 Arbeitstagen verfehlt hat, ist klärungsbedürftig, aus welchen Gründen dies geschehen ist. In der Adeverinta ist jedoch nicht vermerkt, ob die Fehltage durch Krankheit oder ungünstige Witterungsbedingungen entstanden sind. Der Kläger war als Zimmermann auf dem Bau beschäftigt und wird selbstverständlich auch deswegen Ausfälle gehabt haben. Ob dies aber der alleinige Grund für die teilweise hohen Fehlzeiten war oder der Kläger zur Verfolgung eigener Belange freigestellt oder arbeitsunfähig war, ist unbekannt. Solange hierüber keine Erkenntnisse vorliegen, kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, der Kläger habe in jedem Monat der strittigen Zeit eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt. Die gleichzeitig ausgewiesenen hohen tatsächlich erzielten Arbeitsnormen sind nicht geeignet, den Beweis für eine ununterbrochene Beschäftigungszeit zu erbringen. Beim Vergleich der Zahl der gearbeiteten Tage mit den realisierten Normen in der Bescheinigung vom 28.04.1994 wird deutlich, dass zwischen beiden Werten kein festes Verhältnis besteht. Dies wird insbesondere beim Blick auf das Jahr 1985 deutlich, in dem der Kläger laut eigenen Angaben über zwei Monate krank gewesen ist, tatsächlich aber das Plansoll von 150 mit einer realisierten Arbeitsnorm von 394 weit übertroffen hat. Wie die Beklagte bereits im Widerspruchsbescheid vom 23.05.1996 festgestellt hat, sind Arbeitsnormen Bezugsgrößen für die Feststellung der Arbeitsleistung und die Berechnung des Lohnes. Nach der den Beteiligten aus früheren Verfahren bekannten Auskunft des Instituts für Ostrecht gibt es keine Umrechnungs- oder Rekonstruktionsmethode, nach der anhand dieser Normen die tatsächlichen Arbeitstage genau ermittelt werden könnten.

Aus der vom Sozialgericht zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts kann nicht abgeleitet werden, dass die durchgehende Beschäftigungszeit nachgewiesen ist. Gegenstand der Entscheidung vom 30.10.1997 war der Anspruch auf Vormerkung einer Zeit als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeit. Nicht mehr streitig war dort die Behandlung der als glaubhaft gemacht festgestellten Zeiten als nachgewiesen. Die Klägerin hatte nämlich gegen das Urteil des LSG, das ihre Berufung insoweit zurückgewiesen hatte, kein Rechtsmittel eingelegt. In der Entscheidung vom 31.03.1993 (13 RJ 17/92) schließlich hat sich das Bundessozialgericht in erster Linie damit beschäftigt, ob das Kolchosmitglied unabhängig von einer tatsächlichen Arbeitsleis-tung in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht. Ob dies bejahendenfalls nachgewiesen oder lediglich glaubhaft gemacht ist, wurde wegen Zurückverweisung nicht entschieden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Sozialgericht zu seiner positiven Entscheidung gekommen ist. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Zahl der gearbeiteten Tage in den strittigen Zeiträumen so niedrig ist, dass unter Berücksichtigung einer Sechs-Tage-Woche zumindest ein Monat unbelegt ist (52 Wochen x 6 = 312: 12 =26; 312 - 26 = 286). Zwischen 1978 und 1982 lagen die tatsächlichen Arbeitstage ebenso wie zwischen 1984 und 1990 unter 282.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Beklagten in vollem Umfang erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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