L 15 B 384/04 SB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 SB 309/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 B 384/04 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 12.07.2004 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Im Beschwerdeverfahren ist streitig, ob das Sozialgericht den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu Recht vom gesamten weiteren Klageverfahren ausgeschlossen hat.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Hauptvertrauensmann der Schwerbehinderten im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, erhob mit Schriftsatz vom 21.05.2004 für die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 12.01.2004 (Bescheid vom 13.11.2003/Teilabhilfebescheid vom 02.03.2004), mit dem wegen wesentlicher Besserung des Gesundheitszustands der Grad der Behinderung (GdB) nach § 69 Abs.1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) auf 40 herabgesetzt und das Merkzeichen "G" entzogen worden war.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 26.05.2004 wandte sich der zuständige Kammervorsitzende an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und regte an, das Mandat niederzulegen, da die ihm als Hauptvertrauensmann nach § 95 Abs.1 Satz 3 SGB IX gestattete "Unterstützung" der Klägerin nicht die rechtliche Vertretung im Gerichtsverfahren umfasse. Auf diese Weise werde auch eine Kollision mit dem Rechtsberatungsgesetz vermieden.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erwiderte, seines Erachtens treffe das Rechtsberatungsgesetz (§ 1 Abs.2 RBerG) auf seinen Fall nicht zu, weil er nicht geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorge. Er vertrete lediglich Beschäftigte aus dem Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, für den er zur Hauptvertrauensperson der Schwerbehinderten gewählt sei. Er habe ab dem Jahr 1999 einschließlich des anhängigen Verfahrens neun Klageverfahren geführt (zwei aus dem Bereich der Rentenversicherung für Arbeiter, die übrigen aus dem Bereich des Schwerbehindertenrechts). Er sei bisher in keinem Verfahren beanstandet worden. Eine Zurückweisung wegen Unfähigkeit komme nicht in Betracht, da sämtliche Verfahren positiv für die Kläger beendet worden seien.

Daraufhin erließ der Vorsitzende der 11. Kammer ohne mündliche Verhandlung am 12.07.2004 einen Beschluss, mit dem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gemäß § 73 Abs.6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 157 der Zivilprozessordnung (ZPO) als Bevollmächtigter zurückgewiesen und von dem gesamten weiteren Verfahren ausgeschlossen wurde. Die Zurückweisung wurde auf § 95 Abs.1 Satz 3 SGB IX und den Kommentar zum SGB IX von Hauck/Noftz/Masuch gestützt. Danach sei die Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung auf die Unterstützung von Beschäftigten bei der Antragstellung nach § 69 SGB IX beschränkt. Eine rechtliche Vertretung im Vor- oder Gerichtsverfahren sei dadurch nicht gedeckt. Trotz Sachkunde und gerichtsbekannter Qualität der Vertretung durch den Prozessbevollmächtigten diene seine Zurückweisung als Bevollmächtigter unter Ausschluss vom gesamten weiteren Verfahren gemäß § 73 Abs.6 SGG i.V.m. § 157 ZPO auch dem Interesse des Bevollmächtigten. Ein - wenn auch geringes - Haftungsrisiko sowie die Gefahr der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens nach dem Rechtsberatungsgesetz dürften nicht übersehen werden. Im Übrigen wurde auf ein BSG-Urteil vom 13.08.1996 Bezug genommen, in dem die Befugnis eines Steuerberaters, als Verfahrensbevollmächtigter in einem Widerspruchsverfahren in einer Kindergeldsache aufzutreten, verneint wurde.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 22.07.2004 Beschwerde eingelegt. § 95 Abs.1 SGB IX sei dahingehend zu verstehen, dass die Unterstützung der im Zuständigkeitsbereich eines Schwerbehindertenvertrauensmanns beschäftigten schwerbehinderten Menschen, die in der Regel rechtlich völlig unbedarft seien, sich auch auf die Vertretung in Widerspruchsverfahren und Klagen vor den Sozialgerichten er- strecke, solange vom Gesetzgeber für diesen Bereich keine Anwaltspflicht gefordert werde. Das vom Sozialgericht zitierte BSG-Urteil treffe auf vorliegenden Fall nicht zu. Außerdem hat der Prozessbevollmächtigte die Aussetzung des Beschlusses nach § 175 SGG bis zur Entscheidung über die Beschwerde beantragt, ferner die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde gegen den Beschluss vom 12.07.2004 nicht abgeholfen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.08.2004 ebenfalls beantragt, den streitgegenständlichen Beschluss aufzuheben. Der Bevollmächtigte der Klägerin sei ehrenamtlich und als Bediensteter im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren nicht selbständig und damit auch nicht geschäftsmäßig tätig. § 73 Abs.6 Satz 1 SGG i.V.m. § 157 ZPO könnte daher mangels geschäftsmäßiger Tätigkeit des Bevollmächtigten nicht herangezogen werden.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht den Bevollmächtigten der Klägerin sowohl von der mündlichen Verhandlung als auch vom gesamten Klageverfahren vor dem Sozialgericht ausgeschlossen.

Die vom Sozialgericht herangezogenen Bestimmungen des § 73 Abs.6 Satz 1 SGG und § 157 Abs.1 Satz 1 ZPO betreffen zwar nur den Ausschluss eines Bevollmächtigten von den Verhandlungen, nicht aber vom sonstigen gerichtlichen Verfahren (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 62. Auflage, 2004, Rdnr.15 zu § 157; ebenso Thomas/Putzo, ZPO, 24. Auflage, Rdnr.2 zu § 157; anderer Auffassung Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage Rdnr.10d zu § 73).

Der Ausschluss vom gesamten Klageverfahren ist jedoch wegen Verstoßes gegen das RBerG geboten. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Beschluss ist folglich, anders als in dessen Tenor und Begründung angeführt, das RBerG und nicht § 73 Abs.6 SGG i.V.m. § 157 ZPO.

Art.1 § 1 Abs.1 RBerG vom 13.12.1935, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.06.2002, bestimmt, dass die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung geschäftsmäßig - ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit - nur von Personen betrieben werden darf, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. In § 3 dieses Gesetzes sind beispielsweise als zulässige Tätigkeiten aufgeführt: 1. die Rechtsberatung und Rechtsbetreuung, die von Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausgeübt wird, 2. Berufstätigkeit von Notaren, Rechtsanwälten ..., 3. die Berufstätigkeit der Prozessagenten. § 5 RBerG erlaubt die Erledigung von Rechtsangelegenheiten von kaufmännischen oder sonstigen gewerblichen Unternehmern für ihre Kunden, von Wirtschaftsprüfern etc. und Vermögensverwaltern in rechtlichen Angelegenheiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stehen. Nach § 6 RBerG dürfen Angestellte die Rechtsangelegenheiten ihres Dienstherrn erledigen und nach § 7 RBerG berufsständische Vereinigungen ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewähren.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, für die dem Bevollmächtigten der Klägerin die erforderliche Erlaubnis fehlt. Geschäftsmäßigkeit erfordert eine selbständige, mit Wiederholungsabsicht erfolgende Tätigkeit, die nicht nur aus besonderen Gründen als Gefälligkeit ausgeübt wird (vgl. Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Auflage, Rdnr.56 zu Art.1 § 1). Diese Voraussetzungen liegen beim Bevollmächtigten der Klägerin vor. Obwohl er Bediensteter des Freistaats Bayern und gewählter Hauptvertrauensmann der schwerbehinderten Beschäftigten im Geschäftsbereich des Innenministeriums ist, handelt er selbständig, soweit er in Widerspruchs- und Klageverfahren vor dem Sozialgericht einzelne Mitarbeiter seiner Dienststelle vertritt. Denn diese Tätigkeit gehört nicht zu seinen in § 95 SGB IX (vor 01.07.2001 in § 25 Abs.1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz - SchwbG -) geregelten Aufgaben. § 95 Abs.1 Satz 3 SGB IX bestimmt, dass die Schwerbehindertenvertretung Beschäftigte auch bei Anträgen an die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung unterstützt. Nach § 25 Abs.1 Satz 1 SchwbG hatte die Schwerbehindertenvertretung den Schwerbehinderten u.a. beratend und helfend zur Seite zu stehen. Sinn dieser Regelungen ist, die Beschäftigten fachlich kompetent bei der Überlegung zu unterstützen, ob ein Antrag auf Feststellung einer Behinderung Aussicht auf Erfolg hat (Dau/ Düwell/Haines, SGB IX, Rdnr.6 zu § 95). Eine gesetzliche Vertretungsregelung für das Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren kann dagegen in dieser Bestimmung nicht gesehen werden (so Müller-Wenner/Schorn, SGB IX, Teil 2, Rdnr.20 zu § 95; Masuch in Hauck/Noftz, SGB IX, Rdnr.20 zu § 95 und Schimanski in Großmann u.a., GK-SchwbG, Rdnr.22 zu § 25). Somit kann der Bevollmächtigte der Klägerin nicht geltend machen, dass er mit seinem Auftreten als Prozessbevollmächtigter in Erfüllung seiner (gesetzlichen) Aufgaben als gewählter Schwerbehindertenvertreter handele. Die hier streitgegenständliche Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gehört auch nicht zu seinem sonstigen Aufgabenkreis als Bediensteter in der bayerischen Staatsverwaltung. Die Argumentation des Beklagten, dass dem Bevollmächtigten der Klägerin wegen seiner Eigenschaft als Angestellter oder Beamter im öffentlichen Dienst die Geschäftsmäßigkeit der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten fehle, ist daher nicht zutreffend. Im Übrigen handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit, da sowohl die Entscheidung über die Annahme des Auftrags als auch die Tätigkeit selbst frei von Weisungen und in eigener Entscheidungsfreiheit und Verantwortung - wie von einem Privatmann - ausgeübt wird. Der Bevollmächtigte der Klägerin ist in diesem Zusammenhang nicht an Weisungen seines Dienstvorgesetzten gebunden. (Rennen/Caliebe a.a.O. Rdnr.57 zu Art.1 § 1). Dass der Bevollmächtigte bereits wiederholt Prozesse geführt hat und dies auch weiterhin vor hat, hat er selbst vorgetragen. Damit erfüllt er sämtliche o.g. Voraussetzungen einer geschäftigsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, ohne dass ein Sonderfall im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.07.2004 (1 BvR 737/00) vorläge.

Die streitgegenständliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist auch nicht nach den oben genannten Vorschriften des Art.1 §§ 3, 5, 6, 7 RBerG zulässig. Obwohl die prozessualen Folgen eines Verstoßes gegen Art.1 § 1 Abs.1 RBerG nur teilweise gesetzlich geregelt sind (so in § 157 Abs.1 ZPO bezüglich des Ausschlusses von der Verhandlung) ist nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Lehre (Rennen/Caliebe a.a.O. Rdnrn.199, 200 zu Art.1 § 1 mit weiteren Nachweisen) das Gericht berechtigt, den Prozessbevollmächtigten einer Partei durch konstitutiven Beschluss vom ganzen Verfahren, also nicht nur von der Verhandlung, auszuschließen, sobald es von einem Verstoß gegen die Bestimmungen des RBerG erfährt.

Dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss getan. Wenn es sich auch zur Begründung nur auf die einschlägigen Bestimmungen im SGG und in der ZPO gestützt hat, ist doch der angefochtene Beschluss im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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