L 9 AL 349/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AL 395/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 349/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. August 2003 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. August 2003 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben für die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin zu gewähren.
III. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtzuges zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streitig.

Die am 1963 geborene Klägerin ist in Serbien aufgewachsen und hat dort eine Gesamtschule bis etwa zur Hälfte des 10. Schuljahres besucht. Seit 1980 lebt sie in Deutschland. Die Klägerin ist verheiratet und hat drei 1983, 1987 und 1988 geborene Kinder. Im Inland war sie überwiegend bei verschiedenen Arbeitgebern als Helferin und Raumpflegerin zum Teil in geringfügigem Umfang beschäftigt, zuletzt nach ihren Angaben ab 01.09.2000 30 Stunden wöchentlich als Raumpflegerin bei der Stadtverwaltung H ...

Am 09.04.2001 beantragte sie bei der Beklagten Leistungen der beruflichen Rehabilitation. Die Landesversicherungsanstalt Schwaben lehnte am 06.06.2001 berufsfördernde Reha-Leistungen ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Die Beklagte veranlasste ein Gutachten der Arbeitsamtsärztin Dr.B. vom 21.05.2001. Diese stellte die Diagnose: chronisches Lendenwirbelsäulen- und Halswirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenleiden, Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation (12/99 und 4/00), Wirbelsäulen-Fehlstatik. Die Arbeit als Raumpflegerin sei der Klägerin gesundheitlich nicht zuzumuten. Die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten ohne lange einseitige Körperposition ausüben, insbesondere ohne langes Stehen und Gehen.

Vom 01.09.2001 an war die Klägerin als Betreuungshelferin in der Stiftung St.J. (S.) beschäftigt. In einer psychologischen Stellungnahme für die Beklagte vom 31.01.2002 teilte die Diplom-Psychologin G. mit, dass die Klägerin zur Heilerziehungspflegerin ausgebildet werden möchte. Mit Alternativen dazu tue sich die Klägerin schwer und möchte die Ausbildung auf jeden Fall absolvieren. Eine eignungspsychologische Begutachtung habe sich daher erübrigt.

Mit Bescheid vom 05.02.2002 lehnte die Beklagte den Rehabilitationsantrag der Klägerin ab. Nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten liege die körperliche Eignung für die Weiterbildung zur Heilerziehungspflegerin nicht vor. Da die Klägerin auf jeden Fall an dem gewählten Beruf der Heilerziehungspflegerin festhalten möchte und Alternativen dazu ablehne, seien die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten nicht gegeben.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Arbeitsamtsärztin Dr.B. bejahte in einem Gutachten vom 27.02.2002 die körperliche Eignung für die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin und die Tätigkeit in diesem Beruf. Das Wirbelsäulen-Beschwerdebild habe sich durch Schonung und rückengerechtes Verhalten gebessert. Nach Hinweisen der Widerspruchsstelle auf die Beschreibung der Anforderungen für den Beruf einer Heilerziehungspflegerin (Berufe-net: leichte bis mittelschwere, zeitweise auch schwere Tätigkeit, vorwiegend im Gehen und Stehen, Arbeiten in vorgeneigter und gebückter Haltung) nahm die Arbeitsamtsärztin Dr.B. am 27./28.02.2002 erneut Stellung. In Kenntnis der Tätigkeitsmerkmale einer Heilerziehungspflegerin in der Stiftung St.J. (unter anderem keine körperliche Belastung, frei wählbare Arbeitshaltung, keine Bück-, Hebe-, Tragebelastung) werde daran festgehalten, dass Ausbildung und Berufsausübung im Behindertenwerk S. gesundheitlich möglich seien.

Auf Anregung des Ärztlichen Dienstes des Landesarbeitsamtes Bayern wurde eine fachorthopädische Begutachtung in Auftrag gegeben. Der Orthopäde O. hielt am 22.07.2002 ein fachorthopädisches Gutachten für nicht erforderlich. Nach Durchsicht aller Unterlagen sei die Klägerin sicher nicht in der Lage, das gesamte Berufsfeld einer Heilerziehungspflegerin abzudecken. Schweren Arbeiten und Tätigkeiten in erheblicher Zwangshaltung sei die Klägerin über kurz oder lang nicht gewachsen. Dem schloss sich Dr.B. am 29.07.2002 an. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Am 07.08.2002 erhob die Klägerin hiergegen Klage beim Sozialgericht Augsburg. Sie habe vom 01.09.2001 an als angelernte Kraft gearbeitet und vom 01.08.2002 an die einjährige Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin-Helferin durchlaufen. Es fehle bei der Beklagten an konkreten Vorstellungen über das tatsächliche Berufsbild einer Heilerziehungspflegerin in den entsprechenden Einrichtungen. Sie könne ihre Arbeitshaltung jederzeit frei wählen. Geistig Behinderte mit massiven körperlichen Beeinträchtigungen würden in einer eigenen Abteilung von gelernten Altenpflegern betreut. Es gebe im Bereich der Heilerziehungspfleger viele Umschüler, die wegen körperlicher Beeinträchtigung ihren Beruf, zum Beispiel als Maurer und Heizungsbauer, nicht mehr ausüben könnten. Es sei ihr unverständlich, weshalb sie eine kaufmännische Ausbildung absolvieren solle. Das dort übliche überwiegende Sitzen sei für sie völlig ungünstig.

Vom Sozialgericht wurden aus der Datenbank der Beklagten "Berufe-net", Stand 2003, die Abschnitte über Heilerziehungspfleger beigezogen, ferner eine Arbeitgeberauskunft und medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte.

Es beauftragte den Orthopäden Dr.L. mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 13.05.2003 stellte dieser folgende Gesundheitsstörungen fest: Osteochondrose der Lendenwirbelsäule im Bewegungssegment L 5/S 1, Fehlstatik der Lendenwirbelsäule im Segment L 5/S 1 und Hyperlordose der Lendenwirbelsäule, Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Fehlstatik und degenerativen Veränderungen. Folgende Tätigkeiten könne die Klägerin nicht mehr - ohne Gefährdung der Restgesundheit - auf Dauer verrichten: schwere und ständig mittelschwere körperliche Tätigkeiten, im Einzelnen: Tätigkeiten mit häufigem Heben und Tragen von Lasten, in häufig gebückter oder sonstiger körperlicher Zwangshaltung, häufige Tätigkeiten in oder über Kopfhöhe, unter Einwirkung von Erschütterungen auf die Wirbelsäule, in Haltungs- und/oder Bewegungskonstanz, besonders in beengten räumlichen Verhältnissen, das heißt in ständig gleich bleibendem Stehen oder Sitzen, fließband- und taktgebundene Arbeiten. Unter Bezugnahme auf die beschriebenen körperlichen Anforderungen des Berufsbildes sei davon auszugehen, dass die Klägerin die Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin in der umfassenden Art des Berufsbildes langfristig nicht werde leisten können, zumindest nicht ohne das Risiko verstärkter und häufigerer Krankheitszeiten, soweit sich der Einsatzbereich auf körperlich stärker belastende Tätigkeiten verlagere. Die Klägerin könne leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen in aufrechter Körperhaltung, überwiegend ebenerdig, noch ohne Gefährdung der Restgesundheit verrichten.

In der mündlichen Verhandlung vernahm das Sozialgericht den Heilerziehungspfleger G.Schwarz, Gruppenleiter und Mentor in- Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 26.08.2003 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 26.08.2003, der Beklagten zugestellt am 02.09.2003, verurteilte das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, über den Antrag auf Förderung der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin erneut unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. In den Entscheidungsgründen führte es im Wesentlichen aus: Die angestrebte Berufsausbildung sei zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben geeignet. Ziel der Leistungen nach den §§ 97 ff. SGB III sei grundsätzlich die volle Erwerbsfähigkeit, soweit dies irgendwie erreichbar sei. Der Behinderte könne nicht verlangen, in einen Beruf umgeschult zu werden, in dem er nur in einem Teil des Berufsfeldes einsatzfähig sei (BSG SozR 3-2200 § 556 Nr.2). Damit sei zum Ausdruck gebracht, dass der Behinderte nach einer Umschulung nicht nur auf Schonarbeitsplätzen einsetzbar sein dürfe, sondern den durchschnittlichen Anforderungen des Umschulungsberufes entsprechen müsse. Der Zeuge habe anschaulich und nachvollziehbar dargelegt, dass im Beruf des Heilerziehungspflegers der körperliche Einsatz die Ausnahme sei, jedenfalls im weiten Bereich der geistig Behinderten und nicht körperlich Schwerstbehinderten. Tätigkeiten mit pflegerischen Anforderungen seien nach dem heutigen Stand großer Behinderteneinrichtungen ausgegliedert und zum Beispiel Altenpflegern übertragen. Beim Berufsbild der Heilerziehungspflegerin stehe die pädagogische Betreuung von Behinderten im Vordergrund. Es widerspräche Sinn und Zweck der beruflichen Rehabilitation von Behinderten, wenn eine Förderung nur dann in Frage käme, falls die Einsatzfähigkeit auch für den ungünstigst denkbaren Arbeitsplatz des Berufes vorhanden wäre. Doch sei es ausreichend, wenn die üblichen typischen Anforderungen des Berufs erfüllt werden könnten. Das sei bei der Klägerin nach den überzeugenden Angaben des Zeugen zum bisherigen praktischen Ausbildungsablauf und den hervorragenden Ergebnissen der Fall.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 30.09.2003 eingelegte Berufung der Beklagten. Dem Urteil des Sozialgerichts könne nicht gefolgt werden. Die Klägerin könne den im gesamten Berufsbereich einer Heilerziehungspflegerin verlangten körperlichen Einsatz nicht leisten. Dazu legte die Beklagte eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Bayern vom 20.11.2003 vor, wonach die tägliche Pflege und Versorgung Behinderter Hände, Arme, Beine und Rücken beanspruche. Funktionstüchtigkeit und Belastbarkeit unter anderem der Wirbelsäule seien unabdingbar. Den Anforderungen des gesamten Berufsfeldes einer Heilerziehungspflegerin sei die Klägerin nicht gewachsen. Auch in größeren Einrichtungen sei eine Überschreitung der Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht ausgeschlossen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26.08.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, ihr Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben für die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin zu gewähren.

Das von der Beklagten zu Grunde gelegte Berufsbild sei veraltet.

Wegen der Vortrags der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2005 Bezug genommen.

Dem Senat haben bei seiner Entscheidung die Reha-Akte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet; die Anschlussberufung der Klägerin hat dagegen Erfolg.

Nach § 97 Abs.1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Bei der Auswahl der Leistungen sind Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Soweit es erforderlich ist, schließt das Verfahren zur Auswahl der Leistungen eine Abklärung der beruflichen Eignung oder eine Arbeitserprobung ein (Abs.2 Satz 1, 2). Gemäß § 97 Abs.1 SGB III stehen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben grundsätzlich im Ermessen der Beklagten. Allerdings ist vor der Ausübung des Ermessens zu prüfen, ob die Ermessensvoraussetzungen vorliegen.

In der vorliegenden Streitsache bestehen nach den eingeholten medizinischen Äußerungen keine Zweifel daran, dass die Klägerin gemäß § 97 Abs.1 SGB III "behindert" ist. Durch ihr Wirbelsäulen-Leiden ist sie körperlich eingeschränkt. Die bisherige Tätigkeit als Raumpflegerin kann sie nach ärztlicher Beurteilung nicht mehr ausüben; ihre Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben, sind nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert im Sinne des § 19 Abs.1 SGB III.

Ferner sind gemäß § 97 Abs.1 SGB III Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich, um die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wiederherzustellen oder zu erhalten. Die Klägerin hat zwar inzwischen ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflege-Helferin abgeschlossen und steht als solche in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Stiftung St.J ... Doch ist die Förderung der beantragten Maßnahme nicht deshalb ausgeschlossen, insbesondere nicht, weil sie zu einem beruflichen Aufstieg führt. Allerdings enthält § 97 SGB III keine dem früheren § 56 Abs.1 Satz 4 AFG entsprechende Regelung. Doch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das SGB III in solchen Fällen eine Förderung ausschließen will (vgl. auch Luik in: Eicher/Schlegel, SGB III-Arbeitsförderung, § 97 Rdnr.42). Im Übrigen handelt es sich bei der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin um die erste berufliche Qualifikation der Klägerin in einem regulären Ausbildungsberuf, da die Ausbildung zur Heilerziehungspflege-Helferin nur ein Jahr dauerte.

Ferner ist mit der Erhaltung, Besserung, Herstellung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 97 Abs.1 SGB III nach der Rechtsprechung des BSG zu § 56 AFG die volle Erwerbsfähigkeit gemeint, soweit dies irgendwie erreichbar ist, damit im größtmöglichen Umfang die Eingliederung auf Dauer gesichert wird. Ziel der Rehabilitation ist es nicht nur, eine konkrete gesundheitsverträgliche Beschäftigung zu finden, sondern die Versicherten zu befähigen, die erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem gesamten Berufsfeld uneingeschränkt zu verwerten. Nur dann sind die Versicherten auf dem Arbeitsmarkt ausreichend wettbewerbsfähig. Eine Reduktion dieses umfassenden Ziels auf einen Teilbereich genügt jedoch, wenn die Leistungseinschränkung für die übrigen in Betracht kommenden Berufe etwa gleich schwerwiegend ist (vgl. zum Ganzen BSG SozR 3-2200 § 556 Nr.2, Juris-Ausdruck S.2, zur Unfallversicherung; ähnlich BSG 18.05.2000 - B 11 AL 107/99 Juris-Ausdruck S.3: Ausnahme, wenn überhaupt kein Berufsfeld vorhanden ist, auf dem die Behinderten ohne gesundheitliche Gefährdung tätig werden können). Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass eine Eignung im Sinne des § 97 Abs.2 Satz 1 SGB III grundsätzlich, jedoch mit den erwähnten Ausnahmen, nur vorliegt, wenn die Ausbildung zur Einsatzfähigkeit des Behinderten auf dem gesamten Berufsfeld führt.

In der vorliegenden Streitsache muss der Senat nicht entscheiden, ob die Begründung des Sozialgerichts zutrifft, wonach die Klägerin die typischen und durchschnittlichen Anforderungen des Berufs einer Heilerziehungspflegerin erfüllen kann. Die St.Jo-hannes-Stiftung hat zwar nach den Angaben des Zeugen Schwarz die körperlich schweren Tätigkeiten vorwiegend anderen Berufen, nämlich Altenpflegern und Krankenpflegern übertragen. Doch sind derartige Vorkehrungen grundsätzlich nur den größeren Einrichtungen möglich, weil nur dann die Arbeitsgebiete derartig aufgeteilt und die Arbeiten spezialisiert werden können. Eine Verallgemeinerung der Situation in der Einrichtung St.J. und ihre Ausdehnung auf das gesamte Berufsfeld wird durch die Zeugenaussage nicht belegt. Demgemäß enthalten die verfügbaren Berufsbilder der Heilerziehungspfleger weiterhin neben dem pädagogischen Anteil auch den pflegerischen, der je nach Art der Behinderung, Gewicht des Behinderten usw. auch schwere Arbeiten umfasst (vgl. Blätter zur Berufskunde 2-IV A14 S.9, 10, 23; Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis, 1997, Band 1, S.581: Stützen, Lagern, Anheben körperbehinderter Menschen, zum Teil in vornübergebeugter Haltung, zum Beispiel bei schwerem Heben; "Berufe-net", Datenbank der Beklagten. Auch § 2 Abs.1 der Schulordnung für die Fachschulen der Heilerziehungspflege und für Heilerziehungspflege-Hilfe vom 01.07.1985 in der Fassung der Verordnung vom 11.08.2000, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt S.613, nimmt keine Einschränkung auf leichte und gelegentlich mittelschwere Pflegearbeiten vor.

Doch liegt hier die von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahme vor, wonach die Rehabilitation dann nicht zu einer Tätigkeit auf dem gesamten Berufsfeld befähigen muss, wenn die vorhandene Leistungseinschränkung der Behinderten für die übrigen in Betracht kommenden Berufe etwa gleich schwerwiegend ist.

Bei der Klägerin sind die gesundheitlich bedingten Leistungseinschränkungen derart allgemein und generell, dass objektiv in Betracht kommende andere Berufe ohne erhebliche Einschränkungen praktisch nicht festzustellen sind.

Zunächst scheiden nach den medizinischen Gutachten von Dr.B. und Dr.L. die zahlreichen Berufe aus, die hauptsächlich sitzend oder stehend auszuüben sind. Das betrifft vor allem die überwiegend im Sitzen zu verrichtenden kaufmännischen und Büroberufe (vgl. zum Beispiel gabi Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen Nr.781b Industriekaufmann/Industriekauffrau S.12 A 3.21), die von der Rehabilitationsberatung der Beklagten am 25.07.2001 ins Auge gefasst worden sind. Entsprechendes gilt für die hauptsächlich stehend auszuübenden Verkaufsberufe.

Auszuschließen sind ferner auch die nach dem bisherigen Werdegang der Klägerin in Betracht zu ziehenden hauswirtschaftlichen und erzieherischen Tätigkeiten. In der Hauswirtschaft lassen sich Reinigungsarbeiten nicht vermeiden, welche der Klägerin nach den ärztlichen Gutachten gerade nicht zugemutet werden. Für die Ausbildung zur Erzieherin fehlt es der Klägerin an der regelmäßig erforderlichen Zugangsvoraussetzung des mittleren Bildungsabschlusses (vgl. gabi Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen, Nr.864a S.4). Die Klägerin hat nach ihren Angaben gegenüber der Beklagten im Rahmen der Reha-Antragstellung nur einen Hauptschulabschluss erreicht.

Nicht in Betracht kommen für die Klägerin schließlich technische Berufe, wie sie allgemein als berufliche Möglichkeiten für am Stütz- und Bewegungsapparat Behinderte angegeben werden (vgl. Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis, Systematisches Handbuch der Berufe, 1997, Band 2, S.1453 f.). Ansatzpunkte hierfür sind in dem schulischen und beruflichen Werdegang der Klägerin nicht zu finden. Insbesondere hat die Klägerin nach ihren glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat während ihrer Schulausbildung zwar eine Neigung zu dem Fach Mathematik und darin auch entsprechende Leistungen gezeigt, nicht aber für Naturwissenschaften. Eine berufliche Ausbildung fand bis zu der von der Klägerin teilweise besuchten 10. Jahrgangsstufe nicht statt, so dass sich daraus keine spezifischen Rückschlüsse auf Befähigung und Begabung der Klägerin für bestimmte Berufe ableiten lassen.

Nach alledem liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz vor, wonach die Behinderten im Zielberuf in dem gesamten Berufsfeld einsetzbar seien müssen. Die Voraussetzungen des § 97 SGB III für die Ausübung von Ermessen durch die Beklagte sind damit gegeben. Doch ist das der Beklagten bei der Gewährung von allgemeinen Leistungen gemäß § 100 Nr.5 i.V.m. § 3 Abs.5 SGB III zustehende Ermessen in der vorliegenden Streitsache auf Null reduziert. Im Hinblick auf die festgestellten Leistungseinschränkungen der 1963 geborenen Klägerin sieht der Senat keine realistischen beruflichen Alternativen zu dem von der Klägerin angestrebten Rehabilitationsziel. Auch die Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen. Auf die Anschlussberufung der Klägerin hin war die Beklagte somit zur Leistungsgewährung zu verurteilen.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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