L 16 R 571/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 RJ 359/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 571/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.08.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung streitig.

Der am 1956 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 25.08.2000 die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Er hat von 1971 bis 1975 den Beruf eines Kfz-Mechanikers erlernt und war bis 1982 als Hilfsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er selbständiger Gastwirt und von 1988 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Oktober 1998 als Paketzusteller versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog er Krankengeld und Leistungen des Arbeitsamtes. Aus einem vom 10.06 bis 15.07.1999 durchgeführten Heilverfahren war der Kläger als arbeitsunfähig entlassen und nur mehr für fähig erachtet worden, unter zwei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Auf einen erneuten Reha-Antrag holte die Beklagte ein fachorthopädisches Gutachten der Dr.I. vom 08.05.2000 ein, die den Kläger zusammenfassend noch für alle leichte Tätigkeiten als vollschichtig einsetzbar beurteilte. Eine erneute stationäre HV-Maßnahme hielt sie nicht für erforderlich. Die Beklagte holte weiter ein nervenärztliches Fachgutachten des Dr.B. vom 08.06.2000 ein, der den Kläger für seine bisherige Tätigkeit nicht mehr für geeignet hielt, leichte Männerarbeiten jedoch vollschichtig für zumutbar erachtete.

Gestützt auf diese Gutachten lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 07.12.2000 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2001 als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die zum Sozialgericht München erhobene Klage, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wird, der Kläger sei arbeitsunfähig und eine Besserung in absehbarer Zeit sei nicht zu erwarten. Dies ergebe sich aus den Attesten der behandelnden Ärzte.

Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers ein und zog ein für die Berufsgenossenschaft erstattetes chirurgisches Gutachten des Dr.R. vom 30.10. 2000 bei. Ferner holte es ein fachchirurgisch-orthopädisches Gutachten des Dr.L. vom 14.11.2002 ein, der folgende Gesundheitsstörungen feststellte:

1. Chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom mittelschwerer Prägung bei Wirbelgleiten L4 /L5 mit konsekutivem Schmerzsyndrom ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes

2. Senk-Spreizfüße beidseits.

Zusammenfassend führte der Sachverständige aus, der Kläger können leichte Arbeiten im Wechsel der Arbeitsposition (Gehen, Stehen, Sitzen) in geschlossenen Räumen und auch intermittierend im Freien achtstündig unter den üblichen Unterbrechungen eines Arbeitsverhältnisses verrichten. Nicht möglich seien Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, häufiges Bücken, ausschließliches Arbeiten an Maschinen und am Fließband. Das Sozialgericht holte weiter ein nervenärztliches Gutachten des Dr.K. vom 11.12.2002 ein, der seitens seines Fachgebietes folgende Gesundheitsstörungen diagnostizierte: 1. Lumbalgieformes Schmerzsyndrom ohne relevante axonale Schädigung

2. Leichte bis mäßiggradige dysthyme Störung mit Somatisierungstendenzen.

Er führt zusammenfassend aus, der Kläger könne unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte bis mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, in geschlossenen Räumen, intermittierend auch im Freien vollschichtig verrichten. Zu vermeiden sei das Heben und Tragen schwerer Lasten sowie häufiges Bücken, das ausschließliche Arbeiten an Maschinen und am Fließband. Das Sozialgericht holte weiter ein internistisches Gutachten des Dr.Sch. vom 25.02.2003 ein. Dieser diagnostizierte eine chronische Gastroduodenitis bei gastro-ösophagealer Refluxkrankheit IIb sowie eine Hiatushernie. Zusammenfassend führte er aus, der Kläger könne leichte und mittelschwere Arbeiten vollschichtig mit den üblichen Unterbrechungen verrichten. Stressbetonte Tätigkeiten z.B. auch am Fließband sollten vermieden werden.

In der Stellungnahme hierzu ließ der Kläger ausführen, Arbeitsplätze, die den beschriebenen Faktoren gerecht würden, seien nicht bekannt. Auch von keinem der Sachverständigen würden Tätigkeitsbereiche für die angebliche Einsatzfähigkeit benannt, weshalb beantragt werde, die Sachverständigen zum Termin zu laden und zu diesen Aspekten zu hören.

Mit Urteil vom 26.08.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es führte zur Begründung aus, dass beim Kläger qualitative Einschränkungen der Einsatzfähigkeit zwar gegeben seien, eine Reduzierung der Arbeitszeit auf unter vollschichtig jedoch nicht. Das Vorbringen der Klägerseite, es gebe keinen entsprechenden Arbeitsplatz, vermöge nicht zu überzeugen. Der von den Sachverständigen vorgeschlagene regelmäßige Wechsel der Körperhaltung könne praktisch bei allen denkbaren Arbeiten geschehen. Die Fähigkeit des Klägers zum Sitzen sei uneingeschränkt gegeben und auch ein Wechsel der Arbeitsposition könne durchgeführt werden. Der Kläger sei bei Prüfung der Berufsunfähigkeit allenfalls dem Bereich der angelernten Arbeiter mit einer Anlerndauer von bis zu einem Jahr zuzuordnen. Damit sei die Verweisung auf praktisch alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar, ohne dass es der konkreten Benennung eines bestimmten Verweisungsberufes bedürfe. Auch liege weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, worin zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt wird, das Sozialgericht gehe lapidar davon aus, dass Erwerbsfähigkeit bestehe, obwohl die Gutachter ein relativ kompliziertes Gefüge entwickelt hätten, in dessen Rahmen der Kläger noch leistungsfähig sein solle. Konkrete Tätigkeiten bzw. Berufszweige, in denen der Kläger Leistung erbringen könnte, würden nicht genannt.

Der Senat hat neue Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt sowie die Akte des AVF München II und Akte des SG München aus dem Schwerbehindertenrechtsstreit zum Verfahren beigezogen.

Ferner hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens des Dr.M. vom 04.09.2004. Dieser hat seitens seines Fachgebietes folgenden Diagnosen gestellt:

1. LWS-Syndrom ohne neurologische bedeutsame Ausfälle bei vorbekannter Pseudospondylolisthesis

2. Angst- und reaktive Depression gemischt mit Somatisierungstendenzen bei teils neurasthenischer, teils histrionischer Primärpersönlichkeit.

Seit der Vorbegutachtung sei keine Änderung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten. Nervenärztlicherseits seien Einschränkungen im Erwerbsleben nicht begründbar. Unter Berücksichtigung der Aussagen in den orthopädischen Vorgutachten sollten schwere Arbeiten mit gebückter Haltung mit schwerem Heben und Tragen sowie Arbeiten in Zwangshaltung vermieden werden. Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit auf den technischen Wandel und einen anderen Beruf seien gegeben. Die Leistungsmotivation sei eher gering einzuschätzen. Die psychische Symptomatik könne der Kläger bei zumutbarer Willensanspannung mit ärztlicher Hilfe überwinden. Er könne noch Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses acht Stunden täglich verrichten. Weitere fachärztliche Untersuchungen seien nicht erforderlich.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.08.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zu Ergänzung des Tatbestands wird auf die Rentenakte der Beklagten, die Kopien der Akte des AVF München II sowie des Sozialgerichts München (S 18 SB 407/01) sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch sachlich unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wobei sich die Rechtslage für den Rentenbeginn mit Antragstellung (25.08.2000) gemäß § 300 Abs.2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) noch nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung beurteilt.

Der Kläger hat zwar nach Aktenlage die Wartezeit sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt (§§ 43 Abs.1, Abs.3, 44 Abs.1, Abs.4, 50 Abs.1 Nr.2 SGB VI), er ist aber nicht mindestens berufsunfähig im Sinne der Begriffsbestimmung des § 43 Abs.2 SGB VI. Erst recht sind damit nicht die strengeren Voraussetzungen für das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs.2 SGB VI erfüllt. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Sinne der §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung liegen nicht vor.

Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte (weniger als sechs Stunden) derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken. Er erfüllt damit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung, wie sie in den § 43, 44 SGB VI alter Fassung bzw. §§ 43, 240 SGB VI neuer Fassung gefordert werden und vom Sozialgericht näher dargestellt wurden.

Das Sozialgericht hat unter ausführlicher Würdigung insbesondere der im Klageverfahren eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 14.11.2002, des Neurologen und Psychiaters Dr.K. vom 11.12.2002 und des Internisten Dr.Sch. vom 25.02.2003 zutreffend ausgeführt, dass der Kläger unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen und Leistungseinschränkungen noch in der Lage ist, leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei gelegentlichem Wechsel der Arbeitsposition vollschichtig zu verrichten, wobei er in geschlossenen Räumen und vorübergehend auch im Freien eingesetzt werden kann. Nicht mehr zumutbar sind das Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, häufiges Bücken und ausschließliches Arbeiten an Maschinen und am Fließband sowie stressbetonte Arbeiten. Dabei ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger unter Berücksichtigung seines beruflichen Werdeganges und insbesondere der zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Paketzustellers allenfalls der Gruppe der angelernten Arbeiter im unteren Bereich zuzuordnen ist. Ausgehend von dieser Zuordnung muss sich der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen, ohne dass eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist. Insbesondere liegt beim Kläger weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die konkrete Benennung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht erforderlich ist. Bei vollschichtigem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ebensowenig erfüllt wie die auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sozialgerichts an und sieht insoweit gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Ergänzend ist unter Berücksichtigung der Berufungsbegründung, der neueren Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie des im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.M. vom 04.09.2004 auszuführen, dass hierdurch eine von der des Sozialgerichts abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist.

Das im Berufungsverfahren eingeholte weitere nervenärztliche Gutachten beruht auf einer eingehenden Anamneseerhebung, gründlicher Untersuchung mit technischen Zusatzuntersuchungen sowie sorgfältiger Auswertung des Vorbefundmaterials. Dr.M., der dem Senat als besonders erfahrener Gutachter bekannt ist, hat überzeugend und nachvollziehbar dargestellt, dass nervenärztlicherseits Einschränkungen im Erwerbsleben nicht begründbar sind. Unter Berücksichtigung der orthopädischen Vorgutachten sind vor allem schwere Arbeiten mit gebückter Haltung, schwerem Heben und Tragen sowie Arbeiten in Zwangshaltungen nicht mehr möglich. Weitere Einschränkungen liegen nervenärztlicherseits nicht vor. Insbesondere sind Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit erhalten. Die bestehende psychische Symptomatik ist bei zumutbarer Willensanstrengung überwindbar. Unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist der Kläger in der Lage, vollschichtig zu arbeiten. Da seit der Begutachtung im Verwaltungs- und Klageverfahren eine Veränderung im Gesundheitszustand des Klägers nicht eingetreten ist, ist auch die Einholung weiterer Gutachten im Berufungsverfahren nicht erforderlich.

Auch Dr.M. hat wie die Vorgutachter weder eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen festgestellt, so dass entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich ist (vgl. z.B. BSG in SozR 3-2600 § 43 Nr.21).

Aus diesem Grunde ist auch die zunächst beantragte Anhörung der Sachverständigen zur Frage des dem Leistungsvermögen entsprechenden konkreten Arbeitsplatzes nicht erforderlich. Die behandelnden Ärzte des Klägers wurden durch Einholung schriftlicher Befundberichte nochmals angehört.

Da der Kläger nach alldem keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbminderung hat, ist die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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