L 11 B 103/05 AY ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AY 1/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 103/05 AY ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.03.2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin M, wird abgelehnt.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast) sind Staatsangehörige der Republik Serbien und Montenegro albanischer Volkszugehörigkeit. Die Ast zu 1. bis 4. halten sich seit April 1994, die Ast zu 5. und 6. seit ihrer Geburt 1996 bzw. 1998 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo sie allesamt seit mehr als 36 Monaten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten. Sie sind, das ist unstreitig, nach Ablehnung ihrer Asylanträge vollziehbar ausreiseverpflichtet.

Mit Bescheid vom 05.01.2005 bewilligte der Antragsgegner (Ag) den Ast für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG in Form von Geldleistungen, Sachleistungen und Wertgutscheinen in der jeweils gesetzlich vorgesehenen Höhe.

Hiergegen erhoben die Ast unter dem 18.01.2005 insoweit Widerspruch, als sie geltend machen, dass ihnen ein Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG ab dem 01.01.2005 zur Seite steht.

Über diesen Widerspruch wurde bislang nicht entschieden.

Am 19.01.2005 beantragten sie beim Sozialgericht Nürnberg (SG), den Ag im Wege des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen Geldleistungen gemäß § 3 AsylbLG (gemeint war: § 2 AsylbLG iVm dem SGB XII) zu bewilligen, hilfsweise, den Ag unter Aufhebung des Bescheides vom 05.01.2005 zu verpflichten, die Anträge der Ast unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verbescheiden.

Zur Begründung gaben sie im Wesentlichen an, seit dem 01.01.2005 könnten geduldete und sonstige ausreisepflichtige Ausländer "Leistungen nach § 2" beanspruchen.

Der Ag beantragte, die Anträge abzulehnen. Einstweiliger Rechtsschutz sei nicht gerechtfertigt, weil die Ast Grundleistungen nach dem AsylbLG erhielten. Zudem hätten die Ast die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland missbräuchlich im Sinne des § 2 Abs 1 AsylbLG beeinflusst. Sie hätten ihre Asylanträge zeitversetzt gestellt und zwar die Ast zu 1. bis 4. am 02.05.1994, der Ast zu 5. am 26.03.2003 und die Ast zu 6. am 17.09.2004. Zum Vollzug des § 2 AsylbLG seien vom Bayer. Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen unter dem 17.11.2004 entsprechende Hinweise ergangen. Unter Beachtung dieser Vollzugshinweise habe der Ag die Frage nach einer möglichen missbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in enger Abstimmung mit der zuständigen Ausländerbehörde getroffen. Der Tatbestand der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet sei erfüllt. Die Ast seien für eine Sammelabschiebung am 24.04.2003 vorgesehen gewesen. Eine entsprechende Anmeldung sei bei der Regierung von Mittelfranken am 27.02.2003 erfolgt und den Ast bekannt gegeben worden. Diese Anmeldung habe storniert werden müssen, weil für den Ast zu 5. am 26.03.2003 Asylantrag gestellt worden sei.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 02.03.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Hiergegen wenden sich die Ast mit ihrer Beschwerde vom 15.03.2005. Sie beantragen, den Ag unter Aufhebung des Beschlusses des SG vom 02.03.2005 im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Geldleistungen gemäß § 2 AsylbLG iVm dem SGB XII zu bewilligen, hilfsweise, unter Aufhebung des Bescheides vom 05.01.2005 den Ag zu verpflichten, ihre Anträge auf Leistungen nach dem AsylbLG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

Zudem beantragen sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung der Rechtsanwältin M. , im hier anhängigen Beschwerdeverfahren. Sie verweisen auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates der Europäischen Union vom 27.01.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten (Amtsblatt Nr L 031 vom 06.02.2003 S 18; RL 2003/9/EG). Der Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sei unzutreffend. Zudem sei ein Anordnungsgrund gegeben. Die Regelsätze der Sozialhilfe stellten ohnehin das Existenzminimum dar.

Der Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er stützt sich zur Begründung im Wesentlichen auf seine bisherigen Ausführungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde der Ast ist jedoch unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG in Verbindung mit den Bestimmungen des SGB XII zu verpflichten.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn den Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 60/74 und vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179).

Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass die Ast einen Anordnungsgrund - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und einen Anordnungsanspruch - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den sie ihr Begehren stützen - glaubhaft machen können (§ 86 b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Bei der hier erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl 2002, § 86 b RdNr 40) zeigt sich, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Der Senat lässt dabei die Frage offen, ob den Ast vor dem Hintergrund des Bezugs der Grundleistungen nach § 3 des AsylbLG in der gesetzlich vorgesehenen Höhe überhaupt ein Anordnungsgrund zur Seite steht, weil es nicht auf der Hand liegt, dass den Ast durch die Weitergewährung von Leistungen, die sie seit mehreren Jahren erhalten, ein schwerer und unzumutbarer, nicht anders abwendbarer Nachteil entstehen könnte, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl dazu oben).

Den Ast steht jedenfalls, wie das SG zutreffend entschieden hat, der geltend gemachte Anordnungsanspruch nicht zur Seite.

Gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung des Art 8 Nr 3 Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl I S 1950) erhalten Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG Leistungen der Sozialhilfe in entsprechender Anwendung des SGB XII. Eine Ermessensentscheidung ist dem Ag insoweit nicht eröffnet.

Den Ast steht aber ein solcher Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe in entsprechender Anwendung der Bestimmungen des SGB XII offensichtlich nicht zur Seite, weil sie die Dauer ihres Aufenthaltes im Sinne des § 2 Abs 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Mit der Neufassung des § 2 AsylbLG wollte der Gesetzgeber die Anwendung des SGB XII grundsätzlich für alle Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG eröffnen, die seit mindestens 36 Monaten Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG erhalten. Ausgenommen von dieser Regelung sollten nur noch Ausländer werden, die rechtsmissbräuchlich die Dauer ihres Aufenthaltes (z.B. durch Vernichtung des Passes, Angabe einer falschen Identität) selbst beeinflusst haben (vgl dazu: Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.01.2003, BR-Drs.22/03, S.296). Intention des Gesetzgebers war es, zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen. Zugleich hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an den Entwurf einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern angeknüpft, in dem Formen von "negativem Verhalten" zusammengefasst sind, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung der Leistungen erlauben. Mit dem allgemeinen Hinweis auf "rechtsmissbräuchliches Verhalten" sollte die Vereinbarkeit des § 2 Abs 1 AsylbLG mit der zu erwartenden Richtlinie der Europäischen Union gewährleistet werden (so ausdrücklich in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung, aaO - vgl dazu etwa Linhart/ Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II, SGB XII und AsylbLG, 41.Al, Stand: Januar 2005, § 2 AsylbLG RdNrn 15 f). Diese Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern ist zwischenzeitlich als RL 2003/9/EG vom 27.01.2003 erlassen worden. Sie regelt in dem hier einschlägigen Art 16 Abs 2, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Aufnahmebedingungen ansich gewährte Vorteile verweigern können, wenn ein Asylbewerber keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass der Asylantrag sobald wie vernünftigerweise möglich nach der Ankunft in diesem Mitgliedsstaat gestellt wurde. Es entspricht demzufolge nicht nur dem Willen des Gesetzgebers, sondern auch der systematischen und teleologischen Auslegung des Gesetzes, wenn der Ag, wie hier, Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG in Verbindung mit den Bestimmungen des SGB XII in den Fällen versagt, in denen der Ausländer zeitversetzt verspätet bzw. bewusst in letzter Minute Asylantrag gestellt hat, um seiner Aufenthaltsbeendigung in der Bundesrepublik Deutschland zu entgehen. Darüber hinausgehende Anforderungen an das Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind hier nicht zu stellen, wie sich im Umkehrschluss aus § 1 a AsylbLG ergibt.

Bereits auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs der geplanten Sammelabschiebung und der Asylantragstellung für den Ast zu 5. drängt sich im Falle der Ast eine solche Absicht auf. Vor diesem Hintergrund haben es die Ast sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes versäumt, auch nur ansatzweise sachliche Gründe für die zeitversetzte Asylantragstellung für den Ast zu 5. darzulegen. Der Asylantrag für die Ast zu 6. wurde zudem erst am 17.09.2004 gestellt. Das genügt dem Senat, um bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage den Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung abzulehnen. Die von den Ast aufgeworfene Frage der Zurechenbarkeit elterlichen Verhaltens stellt sich wegen § 2 Abs 3 AsylbLG nicht (vgl dazu etwa BVerwG vom 28.09.2001 FEVS 53, 111). Für die behauptete Unzumutbarkeit der Rückkehr der Ast in ihre Heimat ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat aber auch im Hilfsantrag keinen Erfolg. Der Hilfsantrag ist nicht statthaft. Im Falle der hilfsweise beantragten Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 05.01.2005 und der Verpflichtung des Antragsgegners, über die Leistungsanträge der Ast erneut zu verbescheiden, stünden die Ast bis zu einer solchen erneuten Entscheidung mittellos dar.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt keinen Erfolg haben.

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin M., für dieses Beschwerdeverfahren ist abzulehnen.

Aus den oben unter Nr. 1 angeführten Gründen ergibt sich, dass das Beschwerdeverfahren, für das die Ast PKH und Beiordnung der Rechtsanwältin M., beantragt haben, von Anfang an keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 73 a SGG iVm § 114 ff ZPO hatte.

Auf die Frage der Mutwilligkeit und auch die subjektiven Bewilligungsvoraussetzungen für die PKH kommt es nach alledem nicht mehr an.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Verfahren der PKH ist kostenfrei.

4. Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 117 SGG).
Rechtskraft
Aus
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