L 10 AL 33/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 565/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 33/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.12.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 25.02.2005 wird abgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) und Arbeitslosenhilfe (Alhi) sowie Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 31.099,70 EUR.

Der am 02.08.1943 geborene Arbeitnehmer P.A. (im Folgenden: A) - verstorben am 2004 - war vom 29.02.1992 bis 26.12.1999 bei der Klägerin beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos mit den Kündigungen vom 02.12.1999 zum 20.12.1999, vom 23.12.1999 sowie vom 26.12.1999. A meldete sich am 27.01.2000 arbeitslos und erhielt in der Folge - mit Unterbrechungen - Alg und Alhi von der Beklagten.

Im nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren stellte das Arbeitsgericht Nürnberg durch Urteil vom 09.05.2000 fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlosen Kündigungen nicht aufgelöst worden sei, das Arbeitsverhältnis auf Antrag des A zum 26.12.1999 aufgelöst werde und die Klägerin zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 100.000,00 DM verurteilt werde. In den Gründen führte das Arbeitsgericht aus, dass A die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten sei. Nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sei daher das Arbeitsverhältnis aufzulösen und A eine Abfindung in der genannten Höhe zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) eingelegt. Das Berufungsverfahren fand sein Ende durch gerichtlichen Vergleich vom 09.11.2000. Der Vergleich wies folgenden Inhalt auf: "1) Die Parteien sind sich darüber einig, dass es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprechend dem Urteil vom 09.05.2000 zum 26.12.1999 verbleibt. 2) Die Beklagte zahlt an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung im Sinne des § 3 Ziff 9 Einkommensteuergesetzes und entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 85.000,00 DM brutto ..."

Nach Anhörung forderte die Beklagte mit den Bescheiden vom 13.05.2002 von der Klägerin die Erstattung der in der Zeit vom 02.08.2001 bis 31.12.2001 und 01.01.2002 bis 01.02.2002 für A erbrachten Leistungen (Alg und Beiträge zur Sozialversicherung, insgesamt 10.469,68 EUR).

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Voraussetzungen des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) lägen vor. Diese Regelung sei anzuwenden, weil die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des A erfolgt sei und die Klägerin hierauf keinen Einfluss gehabt habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Arbeitsverhältnis sei unabhängig von dem späteren begründeten Auflösungsantrag des A tatsächlich durch die nicht rechtswirksame außerordentliche Kündigung der Klägerin beendet worden. Der vor dem LAG geschlossene Abfindungsvergleich habe lediglich das Ruhen des Alg-Anspruches des A und einen Erstattungsanspruch gegen die Klägerin begründet.

Während des Klageverfahrens - die Klägerin hatte am 08.07.2002 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben - forderte die Beklagte mit den Bescheiden vom 30.07.2002 (Leistungszeitraum 02.02.2002 bis 01.05.2002), 17.12.2002 (Leistungszeitraum 02.05.2002 bis 01.08.2002) und 21.11.2003 (Leistungszeitraum 02.08.2002 bis 01.05.2003) die Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von weiteren 17.394,67 EUR.

Zur Begründung ihrer Klage führte die Klägerin aus, dass Auslöser für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zunächst ihre fristlose Kündigung gewesen sei. § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III sei jedoch zu ihren Gunsten auszulegen. Es läge eine mit dem Fall einer Eigenkündigung vergleichbare Interessenlage vor. Sie habe keinen ursächlichen Beitrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistet. Diese sei allein auf den Auflösungsantrag des A vor dem Arbeitsgericht zurückzuführen. Einen Anreiz hierfür, etwa durch das Angebot einer Abfindung, habe sie nicht gegeben. Die vom Arbeitsgericht festgesetzte Abfindung sei auch nicht als Abfindung im Sinne des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III anzusehen, da sie zur Entschädigung des Verlustes des sozialen Besitzstandes und nicht zur Förderung des Ausscheidens des A aus dem Betrieb der Klägerin bestimmt gewesen sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 03.12.2003 abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Erstattungspflicht gemäß § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III lägen nicht vor. Das Arbeitsverhältnis sei durch fristlose Kündigung und nicht durch den Auflösungsantrag nach § 9 KSchG beendet worden. Ursächlicher Beitrag für die Beendigung seien die Kündigungserklärungen der Klägerin gewesen. Eine Vergleichbarkeit zur Eigenkündigung bestehe nicht, da bei der Auslegung der Befreiungstatbestände an die vom Gesetzgeber vorgegebene äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzuknüpfen sei. Auch stehe der Erhalt der Abfindung einer Befreiung nach § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III entgegen. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung aus wichtigem Grund könne sich die Klägerin nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts im Urteil vom 09.05.2000 ebenfalls nicht berufen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin zum Bayer. Landessozialgericht. Das SG gehe unzutreffend davon aus, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden sei. Ursächlich sei vielmehr allein das Verhalten des A gewesen, nämlich die Stellung des Auflösungsantrages gemäß § 9 KSchG. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass dann, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis einseitig beende und hierdurch den Eintritt der Arbeitslosigkeit wesentlich herbeigeführt habe, eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers nicht drohe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 03.12.2003 und die Bescheide vom 13.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 sowie die Bescheide vom 30.07.2002, 17.12.2002 und vom 21.11.2003, jeweils in der Fassung des Bescheides vom 24.02.2005, aufzuheben und den Bescheid vom 25.02.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 25.02.2005 abzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die besondere Verantwortungsbeziehung der Klägerin für die Arbeitslosigkeit des A sei durch den Auflösungsantrag des A nicht entfallen, denn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei für den A und nicht für die Klägerin unzumutbar geworden. Diese Unzumutbarkeit sei von der Klägerin bewirkt worden, wobei am Beginn der Kausalkette ihre unberechtigte Kündigung stehe.

Im Berufungsverfahren erging der Erstattungsbescheid der Klägerin vom 25.02.2005 hinsichtlich des Leistungszeitraums 02.05.2003 bis 31.10.2003 (6.063,58 EUR). Mit Bescheid vom 24.02.2005 berechnete die Beklagte die Erstattungsforderung für den Zeitraum 02.08.2001 bis 01.05.2003 neu und änderte die Bescheide vom 13.05.2002, 30.07.2002, 17.12.2002 und 21.11.2003 ab (jetzt 25.036,12 EUR).

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten (Erstattungsakte sowie Leistungsakte des A) und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide vom 13.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2002 sowie die Bescheide vom 30.07.2002, 17.12.2002 und 21.11.2003 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt auch für den Abänderungsbescheid vom 24.02.2005 und den Bescheid vom 25.02.2005, über den der Senat erstinstanzlich entscheidet.

Die Erstattungspflicht der Klägerin für Leistungen der Beklagten an A - Alg und Alhi sowie für Beiträge zur Sozialversicherung - ergibt sich aus § 147a Abs 1 Satz 1 SGB III. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung sind unstreitig gegeben.

Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet und weder eine Abfindung noch eine Entschädigung oder ähnliche Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder zu beanspruchen hat. Die Voraussetzungen für diesen Befreiungstatbestand sind schon deshalb nicht erfüllt, weil das Arbeitsverhältnis nicht durch eine arbeitnehmerseitige Kündigung aufgelöst worden ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht für eine erweiternde Auslegung des in § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III geregelten Ausnahmetatbestandes kein Raum. Eine vergleichbare Lage zur Situation der arbeitnehmerseitigen Kündigung besteht schon deshalb nicht, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch den von A vor dem Arbeitsgericht gestellten Auflösungsantrag eingetreten ist. Vielmehr ist das Arbeitsverhältnis durch den gerichtlichen Vergleich vom 09.11.2000 beendet worden. Dies ergibt sich aus den Erklärungen der Klägerin und des A zum Abschluss dieses Vergleichs. Beide haben sich kraft übereinstimmenden Willens über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 26.12.1999 und über die Zahlung einer Abfindung geeinigt. Nach dem Vergleich bestand Einigkeit, dass es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprechend dem Urteil vom 09.05.2000 zum 26.12.1999 verbleibt. Hieraus wird deutlich, dass beide Parteien an dem bisherigen Beendigungszeitpunkt festgehalten haben. Nicht zu entnehmen ist dem Vergleichstext, dass die Parteien sich darüber einig waren, dass das Arbeitverhältnis auch weiterhin aufgrund des Auflösungsantrages des A als beendet anzusehen ist. Im Hinblick auf die weiteren Vereinbarungen, der Zahlung einer nunmehr auf 85.000,00 DM reduzierten Abfindung und der Beendigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, ist davon auszugehen, dass Rechtsgrund der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nunmehr der getroffene Vergleich sein sollte. Dies entspricht auch der Rechtsnatur eines Vergleiches, der eine Prozesshandlung zur Beendigung des Rechtsstreits und zugleich einen materiell-rechtlichen Vertrag darstellt, nach dem der Streit über ein Rechtsverhälntis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§ 779 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Im Falle einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder ähnliche Beendigungstatbestände greift jedoch der Befreiungstatbstand des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III nicht ein.

Weiter spricht gegen eine erweiternde Auslegung, dass es im Rahmen des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III maßgebend auf die äußere Form der Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ankommt (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 5). Dies entspricht der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts, nach der gerade in der Wahl bestimmter "Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer" ein Indiz dafür zu sehen ist, dass die Arbeitslosigkeit in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers fällt (BVerfG SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Die äußeren Merkmale, wie das Vorliegen einer arbeitnehmerseitigen Kündigung, lassen den Schluss darauf zu, dass der Arbeitgeber das Ausscheiden nicht initiiert oder zumindest nicht gefördert hat. Darüber hinaus schließt jeder ursächliche Beitrag des Arbeitgebers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Vorliegen dieses Tatbestandes aus, da eine andere Sichtweise die Erstattungsregelung praktisch entwerten würde (vgl Urteil des BSG vom 27.01.2005, Az: B 7a/7 AL 32/04 R). Ein solcher ursächlicher Beitrag ist hier bereits in der von der Klägerin erklärten außerordentlichen Kündigung zu sehen. Diese hat nach dem tatsächlichen Geschehensablauf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit herbeigeführt. Ohne diese Kündigungserklärung wäre es im Ergebnis nicht zum Ausscheiden des A aus dem Arbeitsverhältnis gekommen. Letztendlich war die Klägerin auch mit der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden und hat damit an der Auflösung wesentlich mitgewirkt. Mithin fällt die eingetretene Arbeitslosigkeit des A auch in den Verantwortungsbereich der Klägerin, so dass diese die Leistungen der Beklagten zu erstatten hat.

Dies zugrunde gelegt, ist auf den Vortrag der Klägerin, die dem A gezahlte Abfindung sei nicht als Abfindung im Sinne des § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III zu begreifen, nicht mehr einzugehen.

Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung des Erstattungsbetrages fehlen, so dass nach alledem die Berufung zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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