L 8 AL 72/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AL 337/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 72/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10. Februar 2004 sowie der Bescheid vom 10. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2002 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Arbeitslosenhilfe (Alhi)-Bewilligung für die Zeiten vom 04.12.2000 bis 17.01.2001 und 12.02.2001 bis 31.03.2001 verbunden mit einer Erstattungsforderung in Höhe von 4.213,94 DM streitig.

Der 1962 geborene Kläger, iranischer Staatsangehöriger, übte seit Jahren Nebenbeschäftigungen als Aus- und Taxifahrer aus, die der Regionalagentur Augsburg angezeigt worden waren mit entsprechender Anrechnung auf die jeweiligen Leistungen (Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld, Alhi).

In der Woche vom 17.09. bis 23.09.2000 wurde die Kurzzeitigkeitsgrenze von bis zu 15 Stunden wöchentlich überschritten, da der Kläger sowohl bei der Firma Taxi-Unternehmen J. F. als auch bei der Firma E.-Transporte jeweils 10 Stunden gearbeitet hatte. Dies blieb bezüglich des Wegfalls der Arbeitslosigkeit unbeachtlich, da die Beklagte von einer gelegentlichen Abweichung von geringer Dauer ausgegangen war.

In der Woche vom 03. bis 09.12.2000 (49. Kalenderwoche) sowie in der 2. Kalenderwoche (07. - 13.01.2001) und in der 7. Kalenderwoche (11. bis 17.02.2001) wiederholte sich die Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze wegen der Ausübung beider Nebentätigkeiten. Dies wurde der Beklagten nachträglich bekannt, da der Kläger bei den jeweiligen Antragstellungen (zuletzt bei der Antragstellung vom 17.10.2000) angegeben hatte, dass er eine Nebentätigkeit unter 15 Stunden ausübe.

Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 04.12.2000 bis 17.01.2001 und vom 12.02.2001 bis 31.03.2001 ganz auf. Der Kläger habe Nebentätigkeiten über 15 Stunden wöchentlich ausgeübt. Die Rückforderung erfolge bis zur nächsten Arbeitslosmeldung. Für die von der Aufhebung betroffene Zeit habe er insgesamt einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung Leistungen in Höhe von 4.213,94 DM zu Unrecht erhalten.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, mit der vollen Rückforderung der Alhi und der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die in Frage stehenden Zeiträume sei er nicht einverstanden, da er nur Nebeneinkommen erzielt habe, also weiterhin arbeitslos gewesen sei. Außerdem sei ihm vorab gesagt worden, es würden nur ca. 900,00 DM zurückgefordert, weshalb er um Überprüfung bitte. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach einer einmaligen Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze, die nicht berücksichtigt worden sei, sei in der 49. Kalenderwoche 2000 die Geringfügigkeitsgrenze erneut überschritten worden. Durch diesen wiederholten Vorgang sei dokumentiert, dass es sich nicht mehr nur um eine gelegentliche Abweichung im Sinne des § 118 Abs.2 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) gehandelt habe. Vielmehr habe von diesem Zeitpunkt an (ab 04.12.2000) Beschäftigungslosigkeit nicht mehr vorgelegen. Nachdem in der Folgezeit eine wegen § 122 Abs.2 SGB III erforderliche erneute persönliche Arbeitslosmeldung frühestens am 18.01.2001 (Vorsprache bei der Regionalagentur) unterstellt werden könne, sei der Bezug von Alhi bis zum 17.01.2001 ohne rechtliche Grundlage erfolgt. Ab der 7. Kalenderwoche 2001 sei Beschäftigungslosigkeit wegen Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze wiederum nicht gegeben gewesen. Danach sei eine persönliche Vorsprache bei der Regionalagentur (Arbeitslosmeldung) erst wieder am 10.04.2001 erfolgt. Alhi sei demnach auch vom 12.02.2001 an bis einschließlich 31.03.2001 zu Unrecht gezahlt worden. Der Kläger habe anhand der Hinweise in dem ihm ausgehändigten "Merkblatt für Arbeitslose" erkennen können, dass der Anspruch auf Alhi entfalle, wenn die aufgenommenen Beschäftigungen 15 Stunden wöchentlich erreichen bzw. übersteigen würden. Von daher sei die Bewilligungsentscheidung ab 04.12.2000 bzw. ab 12.02.2001 aufzuheben gewesen. Deshalb seien die zu Unrecht erbrachten Leistungen gem. § 50 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger vorgetragen, er sei mit der Entscheidung nicht einverstanden, da er sich keinerlei Schuld bewusst sei, die die Entscheidung der Beklagten rechtfertigen würde. Im Übrigen hat er auf sein Vorbringen im Vorverfahren verwiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Aufgrund des Akteninhalts stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht arbeitslos gewesen sei, da er mit seiner Nebenbeschäftigung die Geringfügigkeitsgrenze überschritten habe. Er sei mehr als 15 Stunden wöchentlich tätig gewesen. Eine gelegentliche Abweichung im Sinne des § 118 Abs.2 Satz 1 SGB III könne nicht festgestellt werden. Ab 04.12.2000 habe Beschäftigungslosigkeit nicht mehr vorgelegen. Die Beklagte habe somit zu Recht wegen fehlender Voraussetzungen bzw. wegen wesentlicher Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse die Bewilligungsentscheidung über Alhi für die in Frage stehenden Zeiträume aufgehoben und die festgestellte Überzahlung zurückgefordert. Im Übrigen werde gem. § 136 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, bei dem Bezug von Alhi habe er nicht mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Dies habe er auch nicht getan. Möge sein, dass er mit dem Lkw über 15 Stunden unterwegs gewesen sei, aber für diese Stunden habe er keinen Lohn erhalten. Er habe nur einen bestimmten Betrag für zehn Arbeitsstunden bekommen. Es sei ihm bekannt, dass er bei Arbeitslosigkeit nicht mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten dürfe und im Monat nicht mehr als 300,00 DM (= 165,00 Euro) verdienen dürfe. Er sei sich sicher, dies nicht getan zu haben. Im Bereich der Speditionsarbeit sei jedoch zu berücksichtigen, dass, wenn man mit dem Lkw unterwegs sei, es öfter passieren könne, dass man wegen einer Panne oder Verladen (Abladen und Laden) längere Zeit als normal unterwegs sei, dies würde jedoch nicht bedeuten, dass er mehr als 300,00 DM im Monat verdient habe. Wenn er gerade um Mitternacht auf der Autobahn eine Panne habe, müsse er warten, bis diese beseitigt sei und erst dann könne er weiterfahren. Er könne den Lkw nicht stehen lassen und nach Hause fahren, weil er nicht mehr als 15 Stunden arbeiten dürfe. Natürlich würde dann die Tachoscheibe mehr an Arbeitszeit aufweisen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10.02.2004 sowie den Bescheid vom 10.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, der Berufungsbegründung sei zu entnehmen, dass der Kläger die Sachlage verkenne. Nicht durch seine Beschäftigung als Lkw-Fahrer bei der Firma E.-Transporte allein sei die wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden und mehr erreicht worden, sondern aufgrund der zusätzlich am 09.12.2000, 13.01.2001 und 17.02.2001 ausgeübten Nebenbeschäftigung als Taxifahrer bei dem Unternehmen F ... Da nach § 118 Abs.2 Satz 2 SGB III mehrere Beschäftigungen zusammengerechnet würden, komme es auf die insgesamt in der Woche geleistete Arbeitszeit an. Da diese wiederholt die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten habe und damit nicht mehr als gelegentliche Überschreitung zu werten sei, sei die Arbeitslosigkeit jeweils entfallen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet.

Zu Unrecht hat das SG Augsburg mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2004 die Klage abgewiesen, da der Bescheid vom 10.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2002 rechtswidrig ist.

Denn die Arbeitslosigkeit des Klägers ist durch die Ausübung der beiden Aushilfstätigkeiten bei der Firma Taxi-Unternehmen J. F. und bei der Firma E.-Transporte nicht erloschen, da diese Tätigkeiten lediglich gelegentlich die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten haben.

Gem. § 122 Abs.2 Nr.2 SGB III erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung u.a. mit der Aufnahme einer Beschäftigung, wenn der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Nach § 118 Abs.2 SGB III schließt die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben.

Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten liegt lediglich eine gelegentliche Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze vor. Überschreitet die Arbeitszeit gelegentlich die Kurzzeitigkeitsgrenze von "weniger als 15 Stunden" und ist dies von geringer Dauer, ändert das nicht die Beurteilung als kurzzeitig. Unschädlich ist die Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze dann, wenn sie sowohl gelegentlich als auch von geringer Dauer ist, d.h. es müssen beide Kriterien vorliegen. Gelegentlich ist eine Überschreitung, wenn sie nicht vorhersehbar war und sich innerhalb des Beschäftigungsverhältnisses (bei unbefristeten innerhalb eines Jahres) voraussichtlich nicht wiederholt (BSG SozR 4100 § 115 Nr.2). Eine geringe Dauer ist gegeben, wenn die Überschreitung nur einen kurzen Zeitraum andauert, wobei bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen von bis zu 12 Wochen bis zu ein Viertel der Beschäftigungszeit ausmachen. Bei darüber hinausgehenden oder bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen kann die Überschreitung bei monatlicher Abrechnung bis zu einem Monat stattfinden (vgl. BSG a.a.O.). Auf die Höhe der Arbeitsleistung kommt es dabei nicht an.

Insbesondere war die Überschreitung der Geringfüfigkeitsgrenze bei Beginn bzw. der Aufnahme der jeweiligen Nebenbeschäftigungen für die streitgegenständlichen Zeiten (03. bis 09.12.2000 = 49. Kalenderwoche, 07. bis 13.01.2001 = 2. Kalenderwoche und 11. bis 17.02.2002 = 7. Kalenderwoche) für den Kläger nicht vorhersehbar. Bestätigt wird der Vortrag des Klägers, dass es resultierend aus den besonderen Verhältnissen im Bereich des Speditionswesen des öfteren zu unvorhersehbaren Verzögerungen (Panne, Verladungstätigkeit) gekommen sei, er aber trotzdem "lediglich" für die vereinbarte Zeit bezahlt worden sei, durch die vorliegenden Bescheinigungen über Nebeneinkommen. So erhielt der Kläger in der 49. Kalenderwoche z.B. DM 20,00 für sechs geleistete Arbeitsstunden und für drei Stunden DM 45,00. Daraus folgt, dass der Kläger tatsächlich ausschließlich für die vereinbarte Arbeitszeit bezahlt wurde.

Unabhängig davon kann dem Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Diese liegt vor, wenn der Arbeitslose die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, d.h. wenn außer Acht gelassen wird, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSGE 42.184). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektive Fahrlässigkeit im Sinne der BSGE 35.108).

Unter Berücksichtigung der aufgestellten Kriterien kann dem Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Denn er wurde - wie bereits ausgeführt - tatsächlich ausschließlich für die vereinbarte Arbeitszeit bezahlt, wobei sämtliche unvorhersehbaren Vorfälle wie längere Zeiten wwegen Autopanne bzw. Schwierigkeiten beim Be- und Entladen gerade nicht bei der Bezahlung berücksichtigt werden. Der Kläger konnte dementsprechend nicht damit rechnen, dass seine Arbeitgeber die gesamten Zeiten gegenüber der Beklagten angaben, ohne eine Differenzierung zwischen der eigentlichen Tätigkeit des Klägers als Aus- und Taxifahrer und den Zeiten, die unvermeidbar mit der Tätigkeit des Klägers verbunden waren, zu treffen. Zutreffend ist der Kläger insoweit ausschließlich von der Höhe der tatsächlichen Entlohnung ausgegangen. Diese berücksichtigte aber ausschließlich die vereinbarte Tätigkeit als Fahrer.

Somit waren auf die Berufung des Klägers der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 10.02.2004 sowie der Bescheid vom 10.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2002 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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