L 18 SB 36/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SB 132/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 36/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.02.2003 und die Bescheide vom 19.05.2000 und 20.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2001 abgeändert.
II. Der Beklagte wird verurteilt, für die Behinderungen bei der Klägerin ab 01.01.2003 einen GdB von 40 und ab 10.02.2004 einen GdB von 50 festzustellen.
III. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu 3/10 und die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Behinderungen der Klägerin weiterhin mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 zu bewerten sind.

Bei der 1946 geborenen Klägerin waren erstmals nach einem karzinombedingten Verlust der Gebärmutter mit Bescheid vom 10.06.1997 als Behinderungen mit einem GdB von 50 festgestellt: 1. Verlust der Gebärmutter und der Eierstöcke in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50) 2. Zystennieren beiderseits (Einzel-GdB 10) 3. Leberzysten (Einzel-GdB 10).

Anlässlich einer Überprüfung von Amts wegen im Februar 1999 wegen Ablaufs der Heilungsbewährung (Karzinomentfernung im Februar 1997) zog der Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und holte eine Stellungnahme des Internisten Dr.D. vom 08.10.1999 ein. Dieser fand nach Ablauf der Heilungsbewährung keinen Anhalt für ein Rezidiv oder Metastasen des 1997 entfernten Gebärmutterkarzinoms. Nach entsprechender Anhörung der Klägerin am 15.11.1999 stellte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 19.05.2000 die Behinderungen mit einem Gesamt-GdB von 20 neu fest.

Auf den Widerspruch der Klägerin wegen eines allgemeinen Erschöpfungszustandes und Schwierigkeiten mit den Zystennieren/Zystenleber zog der Beklagte weitere ärztliche Unterlagen des Orthopäden Dr.S. vom 03.08.2000 und des Kuratoriums für Dyalyse und Nierentransplantation vom 18.09.2000 sowie der Frauenärztin Dr.S. vom 02.10.2000 bei und legte diese Unterlagen zur Stellungnahme dem Internisten Dr.D. und der Sozialmedizinerin Frau Dr.A. vor.

Am 20.12.2000 erließ der Beklagte einen Teilabhilfebescheid. Er stellte für die Zeit ab 25.05.2000 einen GdB von 30 fest und führte als Behinderungen an: 1. Polyzystische Nierendegeneration mit Nierenfunktionseinschränkung und renalem Bluthochdruck (Einzel-GdB 20) 2. Bewegungs- und Belastungsminderung im linken Handgelenk nach Fraktur in Fehlstellung verheilt (Einzel-GdB 20) 3. Depressive Verstimmung (Einzel-GdB 10) 4. Minderbelastbarkeit des rechten Kniegelenkes (Einzel-GdB 10).

Den Widerspruch wies der Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2001 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg hat die Klägerin beantragt, die bei ihr vorliegenden Behinderungen weiterhin mit einem Gesamt-GdB von 50 zu bewerten. Das SG hat Befundberichte und Unterlagen des PD Dr.S. vom 05.03.2002 und der Frauenärztin Dr.S. vom 22.03.2002 beigezogen und die Internistin Dr.B. mit Gutachten vom 11.06.2002 gehört. Diese hat die Auffassung vertreten, der Verlust der Eierstöcke sei nach Ablauf der Heilungsbewährung angemessen mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet. Die Bewegungs- und Belastungsminderung im linken Handgelenk, die im Teilabhilfebescheid anerkannt worden sei, könne entfallen. Dagegen solle die polyzystische Nierendegeneration mit Niereneinschränkung, renalem Blutdruck und Beschwerden mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet werden. Die übrigen Behinderungen seien im Teilabhilfebescheid vom 20.12.2000 richtig bewertet. Der Gesamt-GdB sei mit 30 weiter korrekt festgestellt.

Das SG hat nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen des Dr.M. , Gynäkologische Ambulanz der Universitätsklinik W. vom 14.06.2002, auf Antrag der Klägerin den Orthopäden Dr.H. gutachterlich gehört. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29.10.2002 einen Gesamt-GdB von 30 bestätigt und lediglich eine Neuformulierung der Behinderungen vorgeschlagen.

Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 13.02.2003 abgewiesen und sich auf die Gutachten der Dr.B. und des Dr.H. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat geltend gemacht, ihre psychische Erkrankung und die gesundheitliche Störung auf orthopädischem Fachgebiet seien zu niedrig bewertet. Ein GdB von lediglich 30 trage dem tatsächlichen Beschwerdebild nicht Rechnung. Der Senat hat nach Einholung eines Befundberichtes des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr.S. vom 14.05.2003 ein nervenärztliches Gutachten des Dr.K. vom 17.07.2003 eingeholt. Dieser hat auf psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymia auf dem Boden einer anankastisch-rigiden Grundstruktur mit einem Einzel-GdB von 20 und unter Berücksichtigung der übrigen, vom SG festgestellten Behinderungen einen Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen.

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat von PD Dr.H. ein fachorthopädisches Gutachten vom 05.04.2004/27.01.2005 eingeholt. Dieser hat den GdB auf orthopädischem Gebiet wegen eines Wirbelsäulensyndroms (Einzel-GdB 20) und einer initialen Gonarthrose (Einzel-GdB 10) mit 20 bewertet und unter Berücksichtigung der übrigen Behinderungen einen Gesamt-GdB von 50 vorgeschlagen.

Mit Vergleichsangebot vom 05.05.2004 hat sich der Beklagte unter Vorlage versorgungsärztlicher Stellungnahmen des Dr.T. vom 28.04.2004 und des Dr.H. vom 11.02.2005 bereit erklärt, ab 01.01.2003 einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Als Behinderungen haben die Versorgungsärzte vorgeschlagen: 1. Polyzystische Nierendegeneration mit Nierenfunktionseinschränkung und renalem Bruthochdruck (Einzel-GdB 30) 2. Seelische Störung (Einzel-GdB 20) 3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 10) 4. Knorpelschaden am Kniegelenk rechts (Einzel-GdB 10) 5. Verlust der Eierstöcke (Einzel-GdB 10).

Die Klägerin hat dieses Vergleichsangebot nicht angenommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.02.2003 aufzuheben und den Änderungsbescheid vom 19.05.2000 sowie den Teilabhilfebescheid vom 20.12.2000, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2001 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für ihre Behinderungen ab 01.01.2003 einen GdB von 40 und ab 10.02.2004 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 13.02.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Der Beklagte hat nach Ablauf der Heilungsbewährung die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin für die Zeit vor dem Jahr 2003 zu Recht verneint; der angefochtene Bescheid vom 20.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2001, mit dem der GdB von 50 für die Zeit ab 25.05.2000 auf 30 herabgesetzt wurde, ist rechtens. Zwischenzeitlich sind ab Januar 2003 bzw. ab Februar 2004 Verschlimmerungen der gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin eingetreten, die wieder eine Erhöhung des GdB auf 40 ab 01.01.2003 bzw. auf 50 ab 10.02.2004 zur Folge haben.

Soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -). Die Verhältnisse, die dem Vergleichsbescheid vom 10.06.1997 zugrunde gelegen haben, haben sich durch Eintritt der Heilungsbewährung wesentlich im Sinne einer Besserung geändert (vgl Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehindertenrecht - AHP - 2004, RdNr 26.14, S 95). Der Verlust der Gebärmutter und der Eierstöcke war nach Ablauf der Heilungsbewährung nicht mehr mit einem GdB von 50, sondern nur noch mit einem GdB von 10 zu bewerten, da sich kein Anhalt für ein Rezidiv oder Metastasen ergab, im Hinblick auf das Alter der Klägerin ein Kinderwunsch auszuschließen war und eine wesentliche Auswirkung des Verlustes auf den Hormonhaushalt nicht festzustellen war (AHP aaO S 96). Der Gesamt-GdB war daher für die Zeit ab 25.05.2000 mit 30 festzusetzen.

Im Januar 2003 und im Februar 2004 sind wesentliche Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse insoweit aufgetreten, als sich auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet eine Verschlechterung der gesundheitlichen Verhältnisse im Vergleich zu den angefochtenen Bescheiden ergeben hat.

Dies ist zur Überzeugung des Senats nachgewiesen durch die Gutachten des Dr.K. vom 17.07.2003 und des PD Dr.H. vom 05.04.2004/27.01.2005. Nach den überzeugenden Ausführungen des Dr.K. hat sich über eine somatoforme Schmerzstörung hinaus eine Dysthymie auf dem Boden einer anankastisch-rigiden Grundstruktur entwickelt, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten ist. Während diese wesentliche Verschlimmerung des Leidenszustandes der Klägerin auf seelischem Gebiet von dem Beklagten im Vergleichsangebot vom 05.05.2004 nicht bestritten wird und deshalb angeboten wird, den Gesamt-GdB ab 01.01.2003 auf 40 anzuheben, wird die von PD Dr.H. am 10.02.2004 festgestellte Zunahme des Grades der Behinderung an der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20) von dem Beklagten zu Unrecht verneint. Nach den AHP aaO, RdNr 26.18 S 115, 116 ist ein GdB von 10 - wie ihn der Beklagte annimmt - bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) angemessen. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind hingegen nach den AHP aaO mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Die anlässlich der Begutachtung durch PD Dr.H. am 10.02.2004 im K.-Haus gefertigten Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule in zwei Ebenen haben eine Verschlimmerung der degenerativen Veränderungen bei sechs-gliedriger Lendenwirbelsäule mit lumbosakraler Übergangsstörung aufgezeigt. Diese radiologisch gesicherte strukturelle Übergangsstörung der Wirbelsäule führt bei der Klägerin immer wieder zu glaubhaften Schmerzattacken und häufig rezidivierenden und Tage andauernden Wirbelsäulensyndromen. Der Sachverständige PD Dr.H. geht daher zu Recht von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt aus. Diese sind nach den vom Senat zu beachtenden AHP ab 10.02.2004 mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.

Bei Würdigung dieser Einzel-GdB-Werte schätzt der Senat den Gesamt-GdB ab 01.01.2003 mit 40 und ab 10.02.2004 mit 50 ein. Maßgebend für die Bildung des Gesamt-GdB sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (AHP aaO RdNr 19 S 24).

Ein Gesamt-GdB von 50 ab 10.02.2004 ist zur Überzeugung des Senats im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen PD Dr.H. angemessen. Die rezidivierenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule haben in der Gesamtschau der festgestellten Behinderungen und in ihren wechselseitigen Beziehungen erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin. Durch die Behinderungen an der Wirbelsäule wird das Ausmaß der Gesamt-Behinderung größer, so dass wegen dieser Behinderung der Gesamt-GdB um 10 zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (vgl AHP aaO RdNr 19 S 25).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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