L 14 R 442/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 1069/99 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 442/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen seit 1992 bestehender Erwerbsminderung.

Der 1942 in Bosnien geborene und jetzt in seiner Heimat lebende Kläger hat keine abgeschlossene Berufsausbildung durchlaufen. Er hat in Deutschland als Arbeiter auf Baustellen (u.a. als Armierer und Eisenflechter) Versicherungszeiten zwischen 1969 und Februar 1992 (letzter Pflichtbeitrag aufgrund einer Beschäftigung im September 1985) erworben.

Ein erster im Jahre 1987 gestellter Rentenantrag blieb erfolglos. Nach Untersuchung des Klägers in der Ärztlichen Gutachterstelle in R. im März 1988 ("hypochondrische depressive neurotische Entwicklung") lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 02.05.1988/Widerspruchsbescheid vom 05.09.1988 wegen noch bestehendem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten ab.

Den streitgegenständlichen Antrag auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit vom 17.05.1991 lehnte die Beklagte nach langer, durch Kriegswirren in der Heimat des Klägers bedingter Verfahrensunterbrechung auf der Grundlage von Untersuchungen der jugoslawischen Invalidenkommission vom 10.02.1992 und 12.11.1998 sowie einer prüfärztlichen Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. D. vom 02.03.1999 mit Bescheid vom 19.03.1999 ab. Der Kläger könne trotz "Funktionsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen und bei Bandscheibenschaden ohne Wurzelreizung, Nierensteine, Minderung des Hörvermögens beidseits und Pseudoneurasthenie" noch leichte Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16.06.1999).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) erhob dieses Beweis über den Gesundheitszustand und die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Einholung eines Gutachtens des Allgemeinmediziners Dr. Z. , das dieser nach wiederholter Weigerung des Klägers, zur Untersuchung nach Deutschland zu kommen, nach Aktenlage erstellte. In Auswertung der zahlreichen ärztlichen Unterlagen aus der Heimat des Klägers aus dem Zeitraum zwischen 1991 und 1999 sowie 2001 und 2002 kam der Gutachter zu dem Ergebnis, beim Kläger bestehe eine Depression, ein Wirbelsäulensyndrom bei Abnützungserscheinungen ohne neurologische Ausfallerscheinungen sowie ein Bluthochdruck. Er verwies auf die Notwendigkeit einer eingehenden persönlichen Untersuchung des Klägers vor Ort, um den Ausprägungsgrad der nach Akteninhalt nicht eindeutig zu erfassenden Depression festlegen zu können. Da jedoch nach allgemeiner ärztlicher Erfahrung eine Verschlechterung in Bezug auf Ausdauer, Umstellungsvermögen und Konzentrationsvermögen des inzwischen 60-jährigen Klägers bei zusätzlicher Beeinträchtigung durch die Funktionsstörung der Wirbelsäule und des Blutdrucks anzunehmen sei, sodass er den Anforderungen einer vollschichtigen Arbeitszeit nicht mehr gewachsen sei, schlug Dr. Z. vor, seit Beginn des Jahres 2002 von einem vermutlich auf unter sechs Stunden abgesunkenen Leistungsvermögen und seit Mai 2002 (Datum eines stationären Krankenhausaufenthaltes) von einer Leistungsfähigkeit unter drei Stunden auszugehen.

Die Beklagte, die sich während des Klageverfahrens bereit erklärt hatte, wegen früherer nicht ausreichender Aufklärung über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaften durch freiwillige Beiträge im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zuzulassen, bot dem Kläger vergleichsweise an, eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.02.2002 bis 31.05.2002 und wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.06.2002 zu zahlen. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an, da er bereits seit 1992 wegen chronischer Psychose erwerbsgemindert sei.

Das SG verpflichtete die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15.05.2003 entsprechend ihrem Angebot zur Zahlung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer in der Zeit vom 01.02.2002 bis 31.05.2002 sowie von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.06.2002 und wies die Klage im übrigen ab. Es führte aus, für die Zeit vor 2002 liege weder Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI a.F. noch Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a.F. vor, ebenso bestehe kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vor dem 01.02.2002 bzw. wegen voller Erwerbsminderung vor dem 01.06.2002 nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung. Dies stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der im Verwaltungsverfahren durchgeführten Begutachtungen seitens des heimischen Versicherungsträgers und der zahlreichen vorgelegten Befundberichte aus der Heimat des Klägers und insbesondere durch das gerichtliche Sachverständigengutachten des Dr. Z. fest. Dieser habe schlüssig und für das Gericht nachvollziehbar nach ausführlichem Aktenstudium dargelegt, dass der Kläger zuletzt bei der Untersuchung durch die heimische Invalidenkommission am 12.11.1998 noch als vollschichtig leistungsfähig für den allgemeinen Arbeitsmarkt eingestuft worden sei, so dass der Ausprägungsgrad der Gesundheitsstörungen bis 1998 vermutlich nur gering gewesen sei. Eine gravierende Verschlechterung lasse sich nach dem Akteninhalt allein nicht eindeutig belegen, dies könne nur eine eingehende Untersuchung vor Ort erweisen. Der dennoch von Dr. Z. aufgrund seiner allgemeinärztlichen Erfahrung über die zu vermutenden Abnahme von Ausdauer, Umstellungs- und Konzentrationsvermögen getroffene Vorschlag einer seit 2002 stufenweise geminderten Erwerbsfähigkeit, dem auch die Beklagte gefolgt sei, sei ebenso für das Gericht nachvollziehbar. Damit sei davon auszugehen, dass der Kläger nach hiesigen sozialmedizinischen Maßstäben erst ab Januar 2002 nicht mehr in der Lage gewesen sei, mindestens sechs Stunden täglich und ab Mai 2002 mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Bezüglich der nicht erweislichen früheren zeitlichen Einschränkung seines Leistungsvermögens trage der Kläger die objektive Beweislast. Er habe die Konsequenzen der Nichterweislichkeit der behaupteten früheren Erwerbsminderung zu tragen. Weiter führte das SG aus, mit dem festgestellten Leistungsvermögen sei der Kläger nicht berufsunfähig, weil er jedenfalls bis zum 31.12.2001 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig habe erwerbstätig sein können. Dabei könne dahin gestellt bleiben, ob er die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Eisenflechter noch habe verrichten können. Im Rahmen des vom Bundessozialgericht für die Prüfung von Berufsunfähigkeit aufgestellten Berufsgruppenschemas sei er als angelernter Arbeitnehmer (Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren), und zwar des unteren Bereichs, einzuordnen. Als solcher sei er auf alle Tätigkeiten auch des darunterliegenden Bereiches der ungelernten Arbeiten breit verweisbar, soweit diese seinem verbliebenem Leistungsvermögen entsprächen. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufes bedürfe es grundsätzlich nicht.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses Urteil und bringt weiterhin vor, bereits seit Antragstellung im Jahre 1991 vermindert erwerbsfähig zu sein. Er beruft sich auf die Gutachten der Invalidenkommission in I. vom 10.02.1992 und in Z. vom 12.11.1998 sowie auf die zahlreichen bisher vorgelegten ärztlichen Berichte aus seiner Heimat.

Auf Hinweis des Senats zu seinen Mitwirkungspflichten sowie darauf, dass die Berufung ohne eine persönliche Untersuchung in Deutschland nach hiesigen medizinischen und sozialrechtlichen Maßstäben keine Aussicht auf Erfolg habe, erklärte der Kläger sich zunächst (ähnlich wie im Verfahren vor dem Erstgericht) zu einer Untersuchung in Deutschland bereit. Er legte im übrigen einen Befund der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie an der Poliklinik C. Dr. O. vom 24.11.2003 über das Vorliegen einer chronischen Psychose und die "Unfähigkeit zu selbstständigem Leben und Verreisen" vor.

Der Senat beauftragte im Wege der Beweisaufnahme den Neurologen und Psychiater Dr. K. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers. Dieser berief sich nunmehr erneut auf seine Reiseunfähigkeit - trotz Bewilligung einer Begleitperson - und auf einen erneuten Befundbericht der Dr. O. vom 13.07.2004 (mit Ausnahme des Datums völlig identisch mit dem Befund vom 24.11.2003).

Nach erneutem Hinweis des Senats auf das möglicherweise unbefriedigend bleibende und dann vom Kläger hinzunehmende Ergebnis eines Gutachtens ohne vorherige persönliche Untersuchung erstellte Dr. K. das Gutachten nach Aktenlage. Der Sachverständige legte im einzelnen die aktenkundige Entwicklung der gesamten Beschwerden, wechselnden Diagnosen und Behandlungsformen beim Kläger seit 1986 dar, wobei er den Mangel an fassbaren klinischen Befunden in den vorliegenden Behandlungsunterlagen herausstellte und die Schwierigkeiten beschrieb, sich angesichts der vielgestaltigen psychischen Befunde bzw. Diagnosen ein einheitliches Bild von dem beim Kläger vorliegenden tatsächlichen Befund zu machen. So führte er aus, es könne sich differenzialdiagnostisch möglicherweise um eine rezidivierende depressive Störung handeln, aber auch um eine endogene Depression bzw. um eine Depression mit unipolarer Verlaufsform (d.h. mit depressiven, nicht auch mit manischen Phasen). Allerdings war nach den Ausführungen des Dr. K. auffallend, dass den Unterlagen ein einheitliches Behandlungskonzept insoweit nicht zu entnehmen war. Der Kläger sei auch mit Antidepressiva und Neuroleptika behandelt worden; die eigentliche, inzwischen übliche Standardtherapie einer rezidivierenden depressiven Störung sei von den jeweiligen Untersuchern weder vorgeschlagen noch durchgeführt worden. Auch bei den neurologischen Befunden ergab sich für den Gutachter kein einheitliches Bild. Die im Lauf der Zeit angeführten jugoslawischen Diagnosen (hirnorganisches Psychosyndrom, Ataxie, cerobrovasculäre Insuffizienz) und Befunde ließen für den Gutachter keine konstanten Schlüsse zu. Zusammenfassend kam er daher zu der Feststellung, dass es ihm ohne eine persönliche Untersuchung des Klägers nicht möglich sei, die Beweisfragen zu beantworten. Die Reisefähigkeit des Klägers bei Anwesenheit einer Begleitperson bejahte er ausdrücklich.

Der Kläger hat zu dem Ergebnis des Gutachtens nach Aktenlage nicht mehr Stellung genommen. Erneute Hinweise des Senats zur Nachholung einer noch möglichen persönlichen Untersuchung ließ er unbeantwortet.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15.05.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.03.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit auf seinen Rentenantrag vom 17.05.1991 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht die Klage wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung seit Antragstellung im Jahre 1991 bzw. seit 1992 abgewiesen. Seiner Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegt zwar eine nicht ausreichende ordnungsgemäße vorherige Anhörung zugrunde. Die bloße Mitteilung der beabsichtigten Entscheidung "per Gerichtsbescheid" an den nicht rechtskundigen Kläger ohne Hinweis auf die nicht stattfindende mündliche Verhandlung erfüllte nicht die an ein ausreichendes rechtliches Gehör vor Erlass des Gerichtsbescheids zu stellenden Anforderungen (§§ 62, 105 SGG). Der Senat sieht insoweit jedoch von der Möglichkeit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Erstgericht ab und entscheidet im Interesse der zügigen Durchführung des Verfahrens selbst in der Sache.

Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Erstgericht den über das Anerkenntnis der Beklagten vom 07.02.2003 hinausgehenden Klageanspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI in der vor dem 01.01.2001 geltenden Fassung bzw. auf volle Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI n.F. vor dem 01.06.2002 abgelehnt. Es hat sich dabei zu Recht auf das auch für den Senat nachvollziehbare Gutachten des Dr. Z. gestützt, das nach Aktenlage ohne persönliche Untersuchung des Klägers zu keinem für ihn günstigeren Ergebnis führen konnte, weil aus der Zeit vor 2002 keine konstanten, ausreichend klaren und nachvollziehbaren objektiven Untersuchungsbefunde vorhanden sind. Auch durch die weitere Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hat sich ein schon im Jahre 1991 eingetretener Versicherungsfall nicht erweisen lassen. Der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 09.08.2004 die Widersprüche und Schwächen in den vom Kläger vorgelegten Attesten und Untersuchungsbefunden aus seiner Heimat aufgezeigt. Angesichts der darin bescheinigten bunten Reihe von Diagnosen und uneinheitlichen Behandlungskonzepten ergab sich kein zuverlässiges Bild über tatsächliche Erkrankungen und ihrer Therapien auf psychiatrischem Gebiet, so dass sich eine Leistungsbeurteilung nach hiesigen sozialmedizinischen Maßstäben darauf nicht stützen lässt. Die Beantwortung der vom Senat gestellten Beweisfragen bezüglich einer vor 2002 eingetretenen relevanten Erwerbsminderung ist damit ohne persönliche Untersuchung des Klägers, die aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen müsste, nicht möglich. Eine solche scheitert auch nicht an der Reiseunfähigkeit des Klägers, die vom Gutachter Dr. K. ausdrücklich verneint wurde. Anders lautende, vom Kläger beigebrachte Atteste überzeugen auch den Senat nicht, zumal er die Übernahme der Kosten einer Begleitperson bewilligt hat, und es dem Kläger angesichts mehrerer erwachsener Kinder an möglichen Begleitpersonen nicht mangeln kann.

Der Senat schließt sich den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Dr. K. an mit der Anmerkung, dass sich angesichts der Aussagen in diesem fachärztlichen Gutachten die zuvor von Dr. Z. unter Berücksichtigung der bosnischen Krankheitsunterlagen getroffenen Leistungsbeurteilung sogar als wohlwollend bzw. großzügig herausstellt.

Der Kläger, der sich auch nach intensivster Belehrung in beiden Instanzen einer persönlichen Untersuchung in Deutschland nicht stellte, hat die Folgen der Nichterweislichkeit der den geltend gemachten Rentenanspruch stützenden behaupteten Tatsachen hinzunehmen. Er trägt als Antragsteller die Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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