L 8 AL 528/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AL 416/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 528/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgericht München vom 1. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 04.03. bis 13.03.2002 und die Erstattung von 475,67 Euro streitig.

Der am 1956 geborene Kläger war von August 1988 bis April 1996 als Elektroniker beschäftigt. Ab Mai 1996 bezog er Alg und ab 27.05.1997 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi). Nach einer Beschäftigung vom 03.11.1997 bis 30.03.2001 als Prüfer und vom 01.04. bis 30.09.2001 als Instandhalter bewilligte ihm die Beklagte aufgrund der Antragstellung vom 10.09.2001 mit Wirkung zum 01.10.2001 ab diesem Zeitpunkt erneut Alg. Am 14.08.2002 erhielt die Beklagte eine Überschneidungsmitteilung, wonach der Kläger am 04.03.2001 eine Beschäftigung bei der S.-Druckerei aufgenommen habe. Nach der Arbeitsbescheinigung der Druckerei arbeitete der Kläger dort am 04.03.2002 als Produktionsassistent Rotation. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers zum 05.03.2001. Bei der Beschäftigung handelte es sich um eine solche mit Vollzeitarbeit von 38 Stunden wöchentlich. Im Rahmen der Anhörung äußerte sich der Kläger dahingehend, da das Arbeitsverhältnis nur zwei Stunden gedauert habe, gehe er davon aus, dass die Arbeitslosigkeit nicht unterbrochen sei. Hätte das Arbeitsverhältnis angedauert, hätte er das Arbeitsamt unverzüglich informiert. Im Übrigen sei ihm aus gesundheitlichen Gründen die Beschäftigung nicht möglich gewesen.

Mit Bescheid vom 29.01.2003 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 13.03.2003 auf. Die zu Unrecht gezahlten Leistungen seien zu erstatten. Durch die Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung sei der Kläger nicht mehr arbeitslos, weshalb er keinen Anspruch mehr auf Alg habe. Der Kläger sei nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet gewesen, der Beklagten die Beschäftigungsaufnahme anzuzeigen. Zur Begründung des Widerspruchs wies der Kläger darauf hin, dass, hätte das Arbeitsverhältnis angedauert, er dies der Beklagten unverzüglich angezeigt hätte. Am 14.03.2002 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe zum 04.03.2002 eine Beschäftigung aufgenommen. Er habe die Beschäftigung zwar nach zwei Stunden bereits beendet, dennoch liege eine wirksame Arbeitsaufnahme vor, da ein unbefristetes Versicherungspflichtverhältnis geplant gewesen sei, welches der Kläger dem Arbeitsamt vor Arbeitsaufnahme nicht angezeigt habe. Dies sei dem Arbeitsamt erst durch einen Datenabgleich bekannt geworden. Nach dem sich der Kläger erst ab 14.03.2003 wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt habe, sei die Entscheidung ab 04.03. bis 13.03.2002 aufzuheben gewesen.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen.

Mit Urteil vom 01.10.2004 hat das Sozialgericht (SG) die Bescheide der Beklagten aufgehoben die Berufung zugelassen. Die Kammer sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger zwar Fahrlässigkeit, nicht jedoch grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz bzw. Kenntnis vorgehalten werden könne. Der Kläger habe nach zwei Stunden seine Beschäftigung bereits wieder aufgegeben und sei der Auffassung gewesen, dass er weiterhin arbeitslos sei. Grobe Fahrlässigkeit sei ihm nicht vorzuwerfen, wenn er unter diesen Umständen die Aufnahme der Beschäftigung nicht unverzüglich angezeigt habe.

Die Beklagte vertritt mit ihrer Berufung weiterhin die Auffassung, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt habe. Grobe Fahrlässigkeit sei gegeben, wenn im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflichtverletzung einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden seien, wie z.B. die Nichtbeachtung von Hinweisen in Merkblättern. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose - Stand: April 2001 - werde der Kläger auf Seite 8, 17 und 53 ausführlich und unmissverständlich darüber belehrt, dass er jede aufgenommene Beschäftigung bzw. Nebentätigkeit dem Arbeitsamt unverzüglich und ohne Aufforderung mitzuteilen habe. Die Arbeitsaufnahme sei auf ein Vollzeitarbeitsverhältnis von Dauer gerichtet gewesen, wie sich aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag und auch aus den Ausführungen des Klägers ergebe. Somit hätte der Kläger das Arbeitsamt über seine Arbeitsaufnahme unterrichten müssen, was er unstreitig unterlassen habe. Die Verpflichtung zur Anzeige einer Arbeitsaufnahme bestehe unabhängig davon, ob der Kläger der Beschäftigung für den Status der Arbeitslosigkeit Bedeutung beigemessen habe oder nicht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass ihm grob fahrlässiges Verhalten nicht vorgeworfen werden könne.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt, nachdem das SG die Berufung zugelassen hat, nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zu Recht hat das SG München mit Urteil vom 01.10.2004 den Bescheid der Beklagten vom 29.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2003 aufgehoben.

Denn die Beklagte war nicht berechtigt, die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 04.03. bis 13.03.2002 aufzuheben und die Erstattung zu Unrecht erhaltener Leistungen in Höhe von insgesamt 475,67 EUR zu fordern.

Gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs.3 SGB III ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Die erforderliche Sorgfalt ist dann in besonders schwerem Maße verletzt (grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs.1 Satz 2 SGB X), wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jeden einleuchten muss (vgl. BSGE 42, 184). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen der Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff im Sinne des BSGE 35, 108). Insbesondere ist somit in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Der Arbeitslose muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt haben.

Untere Anwendung der genannten Kriterien handelte der Kläger nicht grob fahrlässig. Inbesondere steht aufgrund seiner Einlassungen nicht fest, dass ihm bewusst war, dass eine Arbeitsaufnahme von lediglich zwei Stunden zum Wegfall der Arbeitslosigkeit führen würde, also weitreichende Folgen hätte. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Merkblatt 1 "Ihre Rechte, Ihre Pflichten". Zwar enthält dies den Hinweis auf die Mitteilungspflichten, u.a. über die unverzügliche Anzeige der Aufnahme einer Beschäftigung. In dem Merkblatt ist aber lediglich eine abstrakte Regelung enthalten, die gerade kein Differenzierung zwischen der Aufnahme einer nur zweistündigen Beschäftigung und einer längere Zeit dauernde Beschäftigung vornehmen. Zwar hat auch nach § 60 Abs.2 SGB I eine Mitteilung unverzüglich zu erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Schuldhaft ist ein Zögern des Verpflichteten immer dann, wenn er die Änderung in den Verhältnissen, die Leistungserheblichkeit der Tatsachen und die daraus entstehenden Verpflichtung erkannte oder erkennen konnte (BSGE 35, 108; 47, 28 = SozR 1500 § 86 Nr.1). Aufgrund der Einlassung des Klägers erkannte er gerade nicht die Leistungserheblichkeit der Anzeige einer lediglich zweistündigen Beschäftigung und die daraus resultierende Verpflichtung. Auch die Tatsache, dass der Kläger von sich aus, die zweistündige Beschäftigung nach deren Beendigung der Beklagten nicht angezeigt hat, spricht dafür, dass er dieser keine Erheblichkeit zugemessen hat.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das zutreffende Urteil des SG vom 01.10.2004 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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