L 19 R 268/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 RJ 595/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 268/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.01.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den Dezember 1999 hinaus.

Der 1955 geborene Kläger hat nach seinen Angaben eine kaufmännische Lehre im Jahre 1972 ohne Prüfung abgebrochen. Er hat danach als Brauereiarbeiter, Fahrer, Heimarbeiter gearbeitet und war zuletzt von 1981 bis Juli 1991 als Malerhelfer bei einer Firma für Bautenschutz beschäftigt.

Aufgrund einer psychischen Erkrankung (im Wesentlichen Angstneurose) bezog er vom 01.04.1993 bis 31.12.1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) auf Zeit und vom 01.01.1995 bis 31.12.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit.

Am 11.11.1999 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente wegen EU. Die Beklagte ließ in daraufhin - zum wiederholten Male - durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.N. untersuchen und begutachten. Diese diagnostizierte im Gutachten vom 31.12.1999 eine abklingende Angstneurose mit leichten Somatisierungstendenzen und hielt den Kläger nun für fähig, leichte Arbeiten allgemeiner Art (z.B. Bürotätigkeiten, leichte Lagerarbeiten) vollschichtig auszuüben.

Die Beklagte lehnte die Weitergewährung der Rente mit Bescheid vom 24.01.2000 ab, da der Kläger über den Dezember 1999 hinaus nicht berufs- oder erwerbsunfähig sei.

Der Kläger erhob dagegen Widerspruch. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres ärztlichen Dienstes, Dr.L. , ein und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 29.05.2000 zurück. Der Kläger könne zwar seinen erlernten Beruf als Maler nicht weiter ausüben, doch sei er verweisbar auf Berufstätigkeiten in Lagerverwaltung, Werkzeug-, Waren- oder Materialausgabe, als Fachberater für Farben, Lacke, Tapeten und Malerzubehör in einem Bau- oder Hobbymarkt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 29.06.2000 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sein Gesundheitszustand habe sich keineswegs gebessert; die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berge vielmehr die Gefahr einer weiteren Verschlechterung wegen der zu erwartenden Stressbelastung.

Das SG hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.K. zum Verfahren beigenommen und den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.J. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat das Gutachten vom 18.06.2001 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger unter Beachtung einiger qualitativer Einsatzbeschränkungen noch in Vollschicht leichte und teilweise mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten könne.

Auf Antrag des Klägers hat der Nervenarzt Dr.B. B. das weitere Gutachten vom 09.09.2002 erstattet. Auch er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger noch leichte und mittelschwere Arbeiten insgesamt in Vollschicht leisten könne.

Mit Urteil vom 30.01.2003 hat das SG die Klage - gerichtet auf Weitergewährung von Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU - abgewiesen. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte und zeitweise mittelschwere Arbeiten in Vollschicht leisten, wie sich aus den Gutachten von Dr.J. und Dr.B. überzeugend ergebe. Als bisheriger Beruf des Klägers sei die Arbeit eines Malerhelfers anzusehen, die dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen sei. Der Kläger sei verweisbar z.B. auf die Tätigkeit eines Museumwärters wie auch auf die eines Telefonisten oder auf Büro- oder leichte Lagerarbeiten. Nach den Feststellungen der ärztlichen Sachverständigen verfüge der Kläger auch über die erforderliche Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit. Dem Kläger stehe schließlich auch keine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach der seit 01.01.2001 geltenden Neuregelung zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 13.05.2003 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Durch seinen Bevollmächtigten verwies er auf die Wechselwirkungen zwischen der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung und vertrat die Auffassung, dass eine Verweisung auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht zulässig sei.

Der Senat hat Befundberichte des Neurologen Dr.H. vom 15.07.2004 und des Allgemeinarztes Dr.K. vom 19.07.2004 zum Verfahren beigenommen.

Auf Veranlassung des Gerichts hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.W. das Gutachten vom 02.11.2004 (nach ambulanter Untersuchung des Klägers bei Hausbesuch am 27.10.2004) erstattet. Er hat folgende Diagnosen genannt: Hysterisch akzentuierte Persönlichkeit, belastungsreaktive chronische Angststörung mit Somatisierungen.

Dem Kläger seien weiterhin mindestens leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar. Eine gravierende körperliche Behinderung sei bei ihm nicht festzustellen. Hinsichtlich des Konzentrationsvermögens bzw der intellektuellen Leistungsfähigkeit fühle sich der Kläger selbst nicht eingeschränkt, was insoweit mit testpsychologischen Ergebnissen übereinstimme. Der Kläger könne weiterhin vollschichtig bei durchschnittlicher Belastung und betriebsüblichen Bedingungen arbeiten. Die von ihm reklamierte Öffentlichkeitsangst überzeuge nicht.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 30.01.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Dezember 1999 hinaus Rente wegen EU, hilfsweise wegen BU zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakte des SG Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger Rente wegen BU bzw EU nach §§ 43, 44 SGB VI (in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung) über Dezember 1999 hinaus nicht zusteht; dies gilt gleichermaßen für die Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach der seit 2001 geltenden Neuregelung. Das SG konnte sich dabei auf die Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers durch Dr.N. vom 31.12.1999, durch Dr.J. vom 18.06.2001 und Dr.B. vom 09.09.2002 stützen. Es hat die bestehenden Gesundheitsstörungen des Klägers, die ganz überwiegend dem psychiatrischen Fachgebiet zuzuordnen sind, berücksichtigt und leistungsmäßig bewertet. In fehlerfreier Auswertung der Sachverständigengutachten ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger körperlich leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten allgemeiner Art in Vollschicht verrichten kann. Die Sachverständigen hatten dazu übereinstimmend hervorgehoben, dass beim Kläger auch durch die Gewährung der mehrjährigen Zeitrente eine Entfremdung vom Berufsleben eingetreten ist und ein Rückzug in die Familie, mit der Entwicklung hin zum Hausmann, erfolgt ist. Sie haben auch auf eine mangelnde Therapiebereitschaft des Klägers bezüglich der Grunderkrankung (Angststörung mit Somatisierungstendenz) hingewiesen.

Dieses vom SG gefundene Ergebnis ist durch die Begutachtung im Berufungsverfahren in vollem Umfang bestätigt worden. Auch Dr.W. hat bei dem Kläger eine belastungsreaktive chronische Angststörung mit Somatisierungen bei hysterisch akzentuierter Persönlichkeit diagnostiziert und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger noch bzw wieder in der Lage ist, zumindest leichte bis mittelschwere Arbeiten insgesamt in Vollschicht zu leisten. Auch er hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bis derzeit nicht die ihm jahrelang empfohlene angemessene Therapie in Angriff genommen hat, woraus der Sachverständige geschlossen hat, dass einfach kein ausreichender Leidensdruck hierfür besteht. Gravierende körperliche Behinderungen waren beim Kläger nicht festzustellen. Wegen seiner psychischen Stigmatisation sollte er aber Arbeiten auf Leitern und Gerüsten (wie etwa im Beruf des Malerhelfers anfallend) nicht mehr verrichten. Hinsichtlich des Konzentrationsvermögens und der intellektuellen Leistungsfähigkeit waren beim Kläger keine Einschränkungen zu erkennen. Dr.W. hat den Kläger auch für uneingeschränkt wegefähig erachtet. Die vom Kläger reklamierte Öffentlichkeitsangst überzeugte den Sachverständigen nicht, da der Kläger unter angemessener Therapie zu einer ausreichenden Habituation in der Lage sei. Bei übereinstimmender Leistungseinschätzung durch vier unabhängige Sachverständige seit 1999 ist der Kläger auch nach der Überzeugung des Senats nicht als berufs- oder gar als erwerbsunfähig anzusehen. Für den Senat erweist sich insbesondere die zuletzt vorgenommene Leistungsbeurteilung durch Dr.W. als schlüssig und begründet und im Ergebnis überzeugend. Dem sozialmedizinisch erfahrenen Sachverständigen haben alle medizinischen Befundunterlagen seit der ersten Rentenantragstellung vorgelegen. Er hat das Gesamtbefinden des Klägers im Verlauf dargestellt und gewürdigt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger zumindest seit 1999 - in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern - keine zeitliche Leistungseinschränkung für leichte und teilweise mittelschwere Arbeiten mehr anzunehmen ist. Der Kläger ist demnach in Auswertung aller vorliegenden Sachverständigengutachten seit Ende des Jahres 1999 nicht mehr berufs- oder erwerbsunfähig iS des Gesetzes.

Das SG hat auch zutreffend herausgestellt, dass der Kläger nicht als Facharbeiter zu beurteilen ist, sondern allenfalls als angelernter Arbeiter des oberen Bereiches (mit einer Anlernzeit für einen Ungelernten bis zu einem Jahr). Der Kläger hat keine Berufsausbildung abgeschlossen und war im zuletzt ausgeübten Beruf des Malerhelfers seit 1981 bis zur Rentengewährung nur etwas mehr als 5 Jahre versicherungspflichtig beschäftigt. Wenn das SG daraus die Überzeugung gewonnen hat, dass der Kläger nicht über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten eines Maler-Facharbeiters in voller Breite verfügt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Das SG hat als zumutbare Verweisungstätigkeiten die eines Museumswärters oder Telefonisten genannt, die den Kläger gesundheitlich nicht überfordern und ihm sozial zumutbar sind. Im Übrigen ist von allen seit 1999 angehörten Sachverständigen bestätigt worden, dass der Kläger die erforderliche Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit besitzt, um sich auf neue berufliche Anforderungen einzustellen. Ob dem Kläger ein derartiger Arbeitsplatz, wie vom SG beschrieben, tatsächlich vermittelt werden kann, ist für die Prüfung des Rentenanspruchs rechtlich ohne Bedeutung.

Da bei dem Kläger über Dezember 1999 hinaus BU und auch EU nicht mehr vorgelegen hat, war seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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