L 2 U 406/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 21/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 406/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 268/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob beim Kläger eine Berufskrankheit vorliegt, die auf eine Tätigkeit mit Lösungsmitteln in einer Waschanlage zurückzuführen ist. Der Kläger machte eine Vielzahl von Beschwerden geltend.

Der Kläger war von Januar 1985 bis Mitte Dezember 1990 und von Mitte März 1991 bis 31.05.1996 als Maschinenarbeiter und Presseneinrichter beschäftigt. Im gleichen Hallenbereich befand sich eine Trichlorethylen- und ab 1989 eine Perchlorethylen-Reinigungsanlage, die am 11.12.1991 stillgelegt wurde. Von Mitte Dezember 1990 bis Mitte März 1991 wurde er während des Versuchsbetriebes der neuen Per-Reinigungsanlage als Maschinenbediener dort eingesetzt. Messergebnisse in dem Unternehmen liegen zwar vor, nicht jedoch bezogen auf den jeweiligen Arbeitsplatz des Klägers. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ging davon aus, dass auf der alten Per-Anlage der MAK-Wert zwei- bis dreimal wöchentlich überschritten wurde, ab 1989 mindestens ein- bis zweimal und 1991 gar nicht mehr. Während der Erprobung der neuen Anlage sei es für einen kurzen Zeitraum zu deutlich erhöhten Belastungen gekommen.

Ein Gutachten des Internisten und Arbeitsmediziners Dr.K. vom 23.10.2000 fand beim Kläger ein Wirbelsäulensyndrom, eine Leberzellverfettung, eine Hypercholesterinämie, eine Hypertriglyzeridämie und eine schwere Depression. Stoffe wie Tri und Per seien in erster Linie lebertoxisch und nierentoxisch, entsprechende organische Befunde hätten nicht festgestellt werden können. Die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und die Hyperlipidämie ließen sich nicht in Zusammenhang mit Tri oder Per bringen, die Depression sei im Zusammenhang mit dem Unfalltod der beiden Söhne im Jahre 1992 zu sehen. Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung sei zum Ausschluss einer lösungsmittelbedingten Enzephalopathie und Polyneuropathie zu empfehlen.

Der Neurologe und Psychiater Dr.S. kam in seinem Gutachten vom 21.09.2001 zu dem Ergebnis, die geklagten Beschwerden seien unspezifisch und es habe für sie weder internistisch noch neurologisch ein körperliches Korrelat gefunden werden können. Es liege eine Somatisierungsstörung vor, als deren Ursache eine neurotoxische Schädigung nicht nachgewiesen werden könne.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19.01.1999 die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr.1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und mit Bescheid vom 19.11.2001 die einer BK-Nr.1317 ab und wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 18.12.2000 und 22.02.2002 als unbegründet zurück.

Die anschließenden Klagen hat das Sozialgericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Internisten und Umweltmediziners Prof.Dr.H. vom 14.05.2003 eingeholt. Danach besteht beim Kläger eine BK-Nr.1302, die ab dem 18.03.1991 eine MdE um 30 v.H. und ab der aktuellen Untersuchung um 50 v.H. bedinge. Vor der Belastung sei der Kläger beschwerdefrei gewesen, es bestehe ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang mit der Besserung der Beschwerden am Wochenende und an arbeitsfreien Tagen. An Erkrankungen bestünden: Zustand nach Tri- und Per-Belastung, vermehrte Entzündungsbereitschaft und Verminderung der Abwehrlage. Das MCS-Syndrom sei unabhängig von der Belastung zu werten.

Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr.Z. vorgelegt. Soweit es das Gutachten des Prof.Dr.H. betrifft, führt er im Wesentlichen aus, dessen Annahme, dass Tri noch lange nach Expositionsende in der Atemluft nachweisbar sei und langzeitig im Organismus verbleibe, sei nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen falsch. Die angeführten immunologischen Laborparameter wichen nicht von der Masse der Vergleichswerte in der Normalbevölkerung ab und rechtfertigten nicht die Annahme eines Immundefektes. Im Übrigen hält er den Nachweis einer relevanten Exposition nicht für erbracht, es seien beim Kläger auch nicht die für eine Tri- oder Per-Exposition typischen toxischen Wirkungen belegbar.

Mit Urteil vom 16.10.2003 hat das Sozialgericht die Klagen als unbegründet abgewiesen und sich in der Begründung auf die Gutachten des Dr.Z. , des Dr.K. und des Dr.S. gestützt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.12.2003 und die Bescheide der Beklagten vom 19.01.1999 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.12.2000 und vom 19.11.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesetzlichen Leistungen aufgrund der Berufskrankheiten Nr.1302 und 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.

Er stützt sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr.H ...

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat dem Kläger anheim gestellt, eine bestimmte Krankheit zu benennen, die als Berufskrankheit anerkannt werden soll. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass bei einer BK Nr.1317 der Anlage zur BKV der Versicherungsfall nicht vor dem 01.01.1992 eingetreten sein darf.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Beim Kläger besteht keine der geltend gemachten Berufskrankheiten, die Beklagte hat insoweit auch keine gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Entscheidung über den Rechtsstreit richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil bei den geltend gemachten Berufskrankheiten der Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten wäre und erstmals über diese Berufskrankheiten zu entscheiden ist (§§ 212 ff. SGB VII).

Eine Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe nach § 551 Abs.1 RVO i.V.m. Nr.1302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung liegt beim Kläger nicht vor.

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Dr.K. und des Dr.S. sowie der gutachtlichen Stellungnahme des Dr.Z ... Ein anderes Ergebnis lässt sich mit dem Gutachten des Prof.Dr.H. nicht begründen. Dieser Sachverständige nennt im Ergebnis keine Erkrankung, deren Anerkennung und Entschädigung als Berufskrankheit in Betracht käme. Auch aus nicht fachkundiger Sicht kann ein "Zustand nach Tri- und Perchlorethylen-Belastung" nicht als krankhafter Befund angesehen werden, denn es ist allgemein bekannt, dass eine Belastung noch nicht zu einer Erkrankung führen muss. Darüber hinaus wäre es gerade Sache eines Gutachtens gewesen, einen solchen konsekutiven Krankheitszustand zu benennen. Dass die vom Sachverständigen angenommene vermehrte Entzündungsbereitschaft und die Verminderung der Abwehrlage ihrerseits noch nicht die Annahme einer Erkrankung begründen, ergibt sich aus der gutachterlichen Stellungnahme des Dr.Z ... Das angenommene MCS-Syndrom hat der Sachverständige selbst nicht der beruflichen Belastung zugeschrieben. Darüber hinaus ist dem Gutachten des Prof.Dr.H. keine Begründung eines Ursachenzusammenhanges zwischen der angenommenen Exposition und den als Folge angesehenen körperlichen Zuständen zu entnehmen. Eine zeitliche Abfolge von Exposition und Beschwerden ist noch keine ursächliche Abfolge. Dass ein solcher ursächlicher Zusammenhang nicht besteht, ist von den Sachverständigen Dr.K. und Dr.S. anhand der für Tri- und Per-Belastungen in der Wissenschaft grundsätzlich nachgewiesenen Schädigungsmöglichkeiten und den beim Kläger zu erhebenden Befunden überzeugend dargestellt worden.

Es besteht beim Kläger auch keine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische (BK Nr.1317 der Anlage zur BKVO). Eine Polyneuropathie oder eine Enzephalopathie ist beim Kläger durch keinen der Sachverständigen festgestellt worden und es finden sich hierfür auch keinerlei Hinweise in den bei den Beweiserhebungen beigezogenen ärztlichen Unterlagen. Darüber hinaus wäre eine solche Krankheit nach § 6 Abs.2 BKVO vom 31.10.1997 (BGBl.I S.2633) nicht zu entschädigen, wenn der Versicherungsfall vor dem 01.01.1993 eingetreten wäre. Nach dem Gutachten des Prof.Dr.H. wäre der Versicherungsfall jedoch - zugunsten des Klägers unterstellt, das von ihm geltend gemachte Beschwerdebild sei Folge einer Enzephalopathie oder Polyneuropathie - spätestens am 18.03.1991 eingetreten.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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