L 3 U 379/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 186/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 379/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.11.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung von Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Die 1949 geborene Klägerin, die seit 01.01.1977 bei der Beklagten freiwillig als Fußpflegerin und Kosmetikerin versichert ist, wandte sich am 30.06.2000 an die Beklagte. Sie machte geltend, sie habe ihre Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Mehr als 20 Jahre habe sie in gebückter Haltung gearbeitet, wodurch ein Bandscheibenschaden entstanden sei. Diese Gesundheitsstörung müsse als Berufskrankheit anerkannt werden und es sei ihr ab 01.07.2000 Rente zu zahlen. Ihr Gewerbe, einen Einzelhandel mit Parfümeriewaren und Kosmetika habe sie abgemeldet und das Geschäft verkauft.

Auf die Bitte der Beklagten, ihre behandelnden Ärzte anzugeben und ihre Tätigkeit im einzelnen zu beschreiben, verwies die Klägerin auf die Akten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, bei der sie einen Rentenantrag gestellt habe und auf ein Attest ihres behandelnden Orthopäden Dr.Sch. vom 19.07.2000, der ein chronisches Lumbalgie-Syndrom auf dem Boden eines kernspintomografisch am 12.07.2000 nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls bei L3/L4 und Protrusionen in Höhe von L4/L5 und L5/S1 mit gemischt neurologischer sensibler Symptomatik bescheinigte.

Mit Bescheid vom 17.10.2000 lehnte es die Beklagte ab, die Beschwerden der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule als Berufskrankheit anzuerkennen und Leistungen zu erbringen. Die Tätigkeit als Fußpflegerin und Kosmetikerin sei nicht mit langjährigem Tragen schwerer Lasten oder Arbeiten in extremer Rumpfbeuge verbunden gewesen. Die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen daher nicht vor.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie trug vor, bei Hausbesuchen habe sie die Fußpflegemaschine, dazu eine Tasche mit Fußpflegeutensilien und eine zusammenklappbare Fußstütze mit einem Gesamtgewicht von ca. 17 bis 20 kg teilweise bis in den 4. Stock befördern müssen. Zudem habe sie in extremer Rumpfbeuge gearbeitet, wenn sie über das Bein ihrer Kundschaft gebeugt Pflegetätigkeiten habe verrichten müssen. Ohne weitere Ermittlungen und Feststellungen wies die Beklagte am 08.03.2001 den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 13.03.2001 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.10.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2001 zu verurteilen, ihre Wirbelsäulenbeschwerden als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Sie sei seit einem Jahr arbeitslos und müsse von der Erwerbsunfähigkeitsrente ihres Ehemannes leben, dem der Rentenversicherungsträger - ebenso wie ihr - jahrelang berechtigte Rentenzahlungen vorenthalten habe. Auf Anfrage des SG hat sie ihre behandelnden Ärzte bekannt gegeben, 6 Röntgenaufnahmen und 2 CT s sowie das im weiteren Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Atemwegserkrankung als BK bereits übersandte Attest ihres behandelnden Orthopäden Dr.Sch. vom 19.07.2000 vorgelegt. Das SG hat Befundberichte des Lungenfacharztes Dr.W. und Dr.Sch. eingeholt.

Nach Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.11.2003 abgewiesen. Die Anerkennung und Entschädigung der Wirbelsäulenbeschwerden als BK nach der Nr. 2108 scheitere daran, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen offenkundig nicht erfüllt seien. Bei dieser Sachlage habe sich das Gericht nicht veranlasst gesehen, ein medizinisches Gutachten einzuholen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, sie habe sich das Bandscheibenleiden eindeutig bei ihrer versicherten Tätigkeit zugezogen und deshalb ihren Beruf aufgeben müssen.

Im Erörterungstermin vom 20.04.2004 hat der Senat den in Vertretung der Klägerin erschienenen Ehemann zu den Einzelheiten der beruflichen Tätigkeit befragt. Auf die Sitzungsniederschrift wird gem. § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Die Beklagte hat an Hand dieser Angaben nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) eine Belastung von 64,2 % bzw. 70 % des Richtwertes errechnet, ab dem nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die Lendenwirbelsäule bandscheibenschädigend belastet wird. Der Senat hat den Orthopäden Dr.F. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 27.12.2004 auf Weisung des Senats das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu Gunsten der Klägerin unterstellt, jedoch gleichwohl eine bandscheibenbedingte Erkrankung mangels neurologischer Symptome nicht und darüberhinaus auch kein belastungskonformes Schadensbild feststellen können.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.11. 2003 sowie den Bescheid vom 17.10.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2001 aufzuheben und ihre Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit nach der Nummer 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.11.2003 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme bestätigt im Ergebnis die Auffassung des Sozialgerichts, dass eine BK der Nr. 2108 der Anlage zur BKV in der hier maßgebenden Fassung vom 31.10.1997 bei der Klägerin nicht vorliegt und ihr daher keine Entschädigung, insbesondere keine Rente nach §§ 9, 56 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) zusteht.

Nach der Nr. 2108 gelten als Berufskrankheiten bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, hervorgerufen durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Der Senat konnte offen lassen, ob die Beschwerden der Klägerin als bandscheibenbedingte Erkrankung i.S. dieser BK zu bezeichnen sind, obgleich der Sachverständige Dr.F. insoweit Zweifel äußerte. Letztendlich konnte auch dahinstehen, ob die sog. arbeitstechnischen Bedingungen erfüllt sind. Darunter versteht man die durch wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten verursachte Dosis, bei der es nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand i.d.R. zu einer Bandscheibenschädigung kommt. Die Berechnung erfolgt nach dem MDD. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 18.03.2003 - B 2 U 13/02 R und 19.08.2003 - B 2 U 1/02 R) ist das MDD ein geeignetes Verfahren, die berufliche Wirbelsäulenbelastung festzustellen. Dieses Modell ist - so das BSG - sogar so zuverlässig, dass es keiner medizinischen Begutachtung mehr bedarf, wenn sich herausstellt, dass der Grenzwert nicht annähernd erreicht wird. Der TAD errechnete unter Zugrundlegung der Schilderung des Ehemannes der Klägerin im Erörterungstermin vom 20.04.2004 lediglich eine Belastung in Höhe von maximal 70 % des Richtwertes der Lebensdosis. Der Grenzwert (100 %) ist damit deutlich unterschritten.

Der Einholung eines medizinischen Gutachtens hätte es somit nicht bedurft. Der Senat holte dennoch ein Gutachten des Orthopäden Dr.F. ein. Er sah sich hierzu im Interesse einer umfassenden Aufklärung zu Gunsten der Klägerin veranlasst, weil die Arbeitsabläufe einer Fusspflegerin und Kosmetikerin mangels genügend großer Vergleichszahlen nicht wissenschaftlich erfasst sind und daher nur eine Abschätzung der damit verbundenen Belas- tungen möglich ist. Wissenschaftlich belegte Belastungsprofile gibt es hingegen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten für Pflegepersonal im Gesundheitsdienst. Mit Verrichtungen dieses Personenkreises ist die Tätigkeit der Klägerin - worauf sie selbst zutreffend hinweist - nur sehr eingeschränkt vergleichbar. Der Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass daher nur eine Schätzung der Belastung im Vergleich zu bereits erforschten und wissenschaftlich belegten wirbelsäulenbeeinträchtigenden Belastungen sinnvoll ist.

Deshalb kommt den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr.F. besondere Bedeutung zu. Er weist darauf hin, dass bei der Klägerin kein belastungskonformes Schadensbild an der Wirbelsäule zu erkennen ist. Darunter versteht man ein von oben nach unten zunehmendes Abnutzungsmuster der Lendenwirbelsäule, das darauf beruht, dass der Druck auf die Wirbelsäule bei schwerem Heben und Tragen von oben nach unten zunimmt. Der stärksten Belastung ist der unterste Wirbelkörper bei L5/S1 ausgesetzt. Zeigt sich nun, wie bei der Klägerin, die stärkste Abnutzung in Form eines Bandscheibenvorfalls bei L3/L4 und schwächere Abnutzungen in Form von VorwölbungenZan den darunterliegenden Wirbelkörpern, so fehlt es an einem belastungskonformen Schadensbild. Es ist dann anzunehmen, dass es sich um einen schicksalhaften Verschleiß handelt, wie er auch bei Personen anzutreffen ist, die nicht mit schwerem Heben und Tragen oder Arbeiten in extremer Runpfbeuge befasst waren. Hinzu kommt, dass bei der Klägerin ähnliche Abnutzungen an den anderen Wirbelsäulenabschnitten, nämlich an der Brust- und Halswirbelsäule zu finden sind, also an Wirbelsäulenbereichen, die nach biomechanischen Untersuchungen von schwerem Heben und Tragen oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung überhaupt nicht betroffen sind. Insgesamt lässt sich ein wesentlicher Einfluss der beruflichen Belastungen nicht feststellen. Zum besseren Verständnis ist zu ergänzen, dass nicht jede berufliche Belastung der Wirbelsäule zur Anerkennung einer BK nach der Nr. 2108 führt, sondern nur eine solche, die vom Verordnungsgeber ausdrücklich aufgelistet ist, wie langjähriges schweres Heben und Tragen oder Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung. Es kommt also nicht darauf an, ob die berufliche Tätigkeit allgemein körperlich anstrengend war. Anders als die Klägerin meint, fällt daher ein Großteil der von ihr geleisteten Arbeiten nicht unter den geschützten Bereich dieser BK.

Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass die Beklagte zu Recht die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach der Nr. 2108 abgelehnt hat. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 07.11.2003 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe, um die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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